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Der fremde Ausländer! Waltenberg hatte ilm allerdings verschiedentlich gesehen. Die vornehme, gebietende Erscheinung ivar ihm anigefallen, da aber seine Persönlichen Verhältnisse sein ganzem Interesse forderten, hatte er dem Fremden keine Anfincrksamkeit weiter geschenkt. Jetzt vergegenwärtigte er sich dessen Züge wieder, und nun begann es wie glühendes Eisen durch seine Adern zu ströme». Er hatte Iran Marwitz gekannt, der Knabe versprach, ihr Ebenbild zu werden, und diese Erwartung hatte nicht getäuscht. Tie Inge des Amerikaners wiesen eine unverkennbare Aehnlichkeit mit der früh verstorbenen Mutter ans. Er war der Erbe von Blankenstein, kein Zweifel! Siedendheis; überkam es den Schurken, der Schreck lähmte ihn fast. Sollte im letzten Augenblick, wo das Gelingen des schlau angelegten Planes vollständig gesichert erschien, alles scheiternV Er hatte in Gedanken bereits Bestimmungen getroffen über den ihm znfallenden Judaslohn, er knirschte heimlich mit den Zähnen, er war nicht gewillt, sich durch irgend jemand seine Pläne zerstören zu lassen. „Der Herr war ein Deutscher, bemerkte der Wirt zuvorkommend, denn Waltenberg halte sich ein solennes Diner bestellt, „ein Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle, freilich absonderlich, oft unverständlich in seinem Wesen. Bald finster und verstört, ein wahrhaft unheimlicher Gast und dann wieder obenhinaus, hast du nicht gesehen! Da konnte er singen und pfeifen, bis die Kspfhängerei von neuem begann." „Vielleicht doch ein Hochstapler, dem der Boden unter den Flitzen brannte. Wenn er die „Geheimen" ans seiner Spur wusste, so hat er cs schlau genug angefangen, um sie irre zu leiten. Hier in Erlau hat ihn sicher kein Mensch vermutet." „Aber, Herr Waltenberg, wie kommen Sie nur zu so nngehenellichen Beschnldignngen. Nein, ein zweifelhaftes Element war das nicht, darauf würde ich meinen kleinen Finger wetten. Aber ein bitzchen überspannt! Und eine junge Dame hier am Sri wäre imstande gewesen, den Millionär zu fesseln, wenn sie nur gewollt hätte und nicht schon verlobt gewesen wäre!" Das verschmitzte lächeln, der bedeutsame Ton erregten einen bestimmten Verdacht in dem aufmerksamen Lauscher. „Hoffentlich bringen Sie meine Braut nicht in Verbindung mit den Wünschen und Pannen jenes Herrn!" bemerkte er scharf. Ter Wirt lachte verlegen, indem er eine Flasche entkorkte, die eine gute Marke auswies, „je mm, Herr Wnltcnbcrg, nichts für ungut, aber Fräulein ton Lukado," er schnalzte mit der Einige, „der Tausend, so was Apartes gilts nicht alle Tage, und geschaut hat er genug nach ihr, bis gestern. Ta kam er wie ein Wilder nach Hause, und dann giugs loS, was siehsre was haste die Koffer gepackt und zur selben Stunde noch über alle Berge. Der kommt im ganzen Leben nicht wieder hierher, Herr Waltenberg <— das andere können Sie sich znsammenreimen!" Waltenberg gotz das gefüllte Glas in einem Zuge herunter. Dann hielt er den Wirt, der sich diskret entfernen wollte, am Rockärmel fest. „Sie bleiben noch, mein lieber Herr Grauert, wir trinken auf Ihr Wohl, lassen Sie noch ein paar Flaschen von diesem Burgunder kommen. Kellner, ein Glas für Ihren Herrn Ehef!" Eine fieberhafte Unruhe erfüllte ihn. Er mutzte jetzt einen Menschen haben, mit dem er sprechen konnte. Und MIN sehnte er sich mit jeder Fiber danach, wenn er sich ein solches Zusammenleben vergegenwärtigte. Bitter leid lat es ihm. das Verstcckspiel nicht anfgegeben, das erlösende Wort nicht gesprochen zu haben. Aber er hatte so viele, viele Jahre in seiner Schwäche stark sein müssen, sollte ihn auch die Schwäche jetzt nicht übermannen. Er freute sich ans den nächsten Tag. „Morgen," flüsterte er. „schlietze ich ihn an mein Herz, das schon ge- sterben war, — Fl je hat es wieder ansgeweckt." Auch nach dieser Nichtnng hin waren ganz eigene, wonnige Gedanken über ihn gekommen. Er rieb sich vergnügt die Hände. Ter stattliche, sreibliclende Mann sah nicht ans. als wenn er Verzicht zu leüten gedachte. Da würde der alte Fuchs, der Waltenberg, sicher das Nachsehen haben, trotz des dicken VertobnngSringeS, den er an Ilses Finger gesteckt. Und immer wohlgefälliger lauschte er ans das Gezwitscher dort am Fenfter. in dem verrunzelten Gesicht glättete sich manche Falte. Als eine Magd mit dem dampfenden Tee hereinkam, befahl er, sie solle einen Teller mit Ansschnitt bringen. Das Mädchen prallte förmlich zurück, sie glaubte sich verhört zu haben, so selbstverständlich war es, datz der Besitzer von Blankenstein und auch die, welche in seiner Näbe weilten, nubclegte Butterbrote verzehrten. Und »nährend es den alten Mann sowohl wie Ilse wie ein Rausch Innung, und die Hoffnung tausend zarte Blüten trieb, fuhr der Zug durch die kalte ungemütliche Nacht dahin, und an einem Fenster der ersten Klasse stand ein bleicher Mann und sah ans finsteren Angen in den wirbelnden Schnee hinaus. Er war noch wie betäubt von der unerwarteten Wendung der Dinge, und eines klaren Gedankens nicht fähig. Aber datz es für ihn ein Zurück nicht gab, stand felsenfest. Ein Wanken und Ueberlegen gab cs für ihn nicht: stahlhart war sein Wille geworden in der freudlosen. liebearmen Kindheit, und was er für Recht erkannt, das führte er durch, das Herz mutzte sich fügen. Als Lotte nach dem Abendbrot ans ein paar Minuten das Zimmer verlassen hatte, winkte Marwitz Ilse dicht zu sich heran. „Waltenberg soll mir morgen meinen Jungen bringen," flüsterte er, ich kann es kaum erwarten, ihn hier bei mir zu haben." Ilse verschwieg ihr Befremden, sie nickte znslimmend, aber ihr Frohsinn war dahin. Sie mitztrante Waltenberg und hatte unwillkürlich das Gefühl, mitschuldig an einem Betrüge zu sein. Und doch konnte sie nichts gegen das, was ibr Verlobter unternahm, einwende». Schweigend mutzte sie den Dingen ihren Lauf lassen. So aufgeräumt wie an diesem Abend hatte sie den alten Herrn nie zuvor gesehen. Es war ersichtlich, datz er sich auf das Wiedersehen mit seinem Sohn in einer rührenden Weise freute. Beim Gntenachtsagen zwinkerte er ihr noch vertraulich mit den Angen zu. „Sie müssen aber dabei sein, Kind, bei diesem Wiedersehen dürfen Sie nicht fehlen." Seine Stimme zitterte und die alten Augen waren feucht. Ilse ver sprach zu kommen, aber das bange Vorgefühl eines unliebsamen Ereignisses verlies; sie nicht. n-ck NalkL»»tt»ik»a »