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Rr. 114. Sonntag de« IS. Mai 1SS7. s. rcichetut täglich nach«, mit «uSnahm» d,r Sonn- und Festtage ürQes <OLkMZMMKNR ! Unabhängiges Tageblatt siir Wahrheit, Reiht «.Freiheit l> J«ser«te wnden dtrSgefpalt. Prtitzril» sl». deren Raum «U<L4, ittcName» mit Lvz die ^eile berechn., bei Virders». dedeui iinbatt. Uuchdrulkerei, Atedaktton »ud äteschäft-stellrr DreSVc», Pillnitz«» «t»atz« 48. — sterniprecher Itr. lSv». Für den Monat uni abonniert man aus die „Sächsische Bolkszeitrmg" mit der täglichen Roman- beilage sowie der wöchentlich erscheinenden Beilage „Feierabend" zum Preise van «O (ohne Kestrügeld) durch den Boten ins Haus 7V tkl'g. Der christliche Internationalismus. Was im Leben eines Menschen der Geburtstag, das ist im Leben der Kirche das Pfingstfest. Zugleich möchten wir eS nennen das Jubelfest des christlich-internationalen Ge- dankens. Den Willen des Heilandes: Predigt das Evan» geltuni allen Völkern, haben die Apostel erfüllt von dem Augenblicke an, in dem das Sprachenwunder des Pstngst- festes die Zungen der Apostel verwandelte, indem der heilige Geist gerade in Gestalt von feurigen Zungen auf die Apostel herabkam. Darin liegt ein sichtbares Zeichen des göttlichen Willens, daß das Christentum durch die Macht der Zunge, durch das gesprochene Wort allen Völkern der Erde verkündet werden soll. Darin lag ein gewaltiger Unterschied zwischen den alten Religionen und dem Christentum. Die ersteren blieben in dem engen Rahmen der Nationalität, Confutius den Mongolen, Zoroaster den Persern und Mohammed den Türken. Christus allein stiftete seine Kirche für alle Völker. Das Christentum ist nicht national. Der Götterkult der Römer. Griechen und Germanen war vaterländisch, national, der Buddhismus und Islam rassennational, schlechthin international, katholisch, d. h. allgemein, ist nur die Reit- gio« Jesu Christi. Wirkt nicht das Sprachenwnnder deS Pfingstfestes fort bis auf den heutigen Tag in der MissionStätigkeit auf der ganzen Erde? Das internationale Geisteszentrum, wÄches die Menschen zu geistiger Einheit zusammenfaßt, ist das Papsttum. Menschen aller Rassen, aller Völker und Stände verehren den Greis im weitzen Talar. mit der Tiara im Silberhaar, der als Wächter der Lehre der Kirche be rufen ist: er lehrt sie, er segnet sie, er spendet ihnen aus den Heilsschätzen der Erlösung. Für jeden Christen müßte es ein ernster Gegenstand des Nachdenkens sein, ob denn jene Konfessionen den rechten Weg wandeln, welche den eigentlich katholischen Charakter verloren und eine n a t i on a l - religiöse Prägung an genommen haben. Sobald von diesen christlichen Kon fessionen das Band mit der Mutterkirche zerschnitten wurde, war ihnen die internationale geistige Selbständigkeit, der Katholizismus, genommen und sie sanken zum Magdtum des StaaSkirchentumS herab. Wir erinnern nur an das er starrte nationale Staatskirchentum der russisch-griechischen Kirche, an das englische Staatskirchentum und an den deutschen Protestantismus unserer Tage, der sich gern zur deutschen Nationalreligion entwickeln möchte. So sehen wir, daß die von der Mutterkirche ge trennten christlichen Konfessionen das Allgemeine ihrer Mistion abstretsen und vernationalistert werden. Nur die katholische Kirche bleibt ihrem allgemeinen Charakter als Weltkirche treu. Wir wundern uns darüber nicht; es ist daS die Logik der Tatsachen. Ohne eine kirchliche Hierarchie und Herrschergewalt gibt es entweder gänzliche Hierarchie oder sinn- und würdelosen Cäsaropapismus. Jede Kirche, die nicht über kurz oder lang in Stücke zerfallen will, muß sich entweder auf ihre eigene Macht oder auf die Staatsgewalt stützen. Die katholische Kirche braucht die fremden Krücken nicht; sie beruft sich auf ihre göttliche Einsetzung und die ihr von Gott verliehenen Rechte. — In die Arme der weltlichen Obrigkeit flüchtete sich Luther; er schrieb: „Aus große Gnaden habe Gott ihm und den anderen Predigern unter den sächsischen Fürsten eine Herberge verliehen und eingeräumt." Wer immer sich noch ein Verständnis der Religion Christi bewahrt hat, muß dem protestantischen Geschichtsschreiber Friedrich Böhmer recht geben, wenn dieser sagt: „Das kann ich den Reformatoren nicht verzeihen, daß sie die sreigeborene Kirche der weltlichen Gewalt als Magd Hingaben." (Briefe von G. N. Pertz, 0. Sept. 1846, in BöhmerS Leben, Freib. 1868 S. 453.) Und der Staat? Ohne Zweifel hat er seinen Nutzen davon, wenn die religiöse Wahrheit vom Herzen des Volkes Besitz nimmt. Aber gibt eS nicht etwas Schnöderes, als die hl. Religion Jesu Christi sklavisch dienstbar machen wollen den Polizei- lichen Interessen eines irdischen Staatsgebildes? Als wenn sie nur dazu da wäre, um die Reichen und Mächtigen in ihrem Besitzstände zu schützen! Die Religion ist die Domäne de- Kultusministeriums geworden. Und Konfessionen, die nicht freiwillig sich unter die Botmäßigkeit beugen, werden durch Gesetze dem Staate dienstbar gemacht. Und das alles nur zur Förderung des allgemeinen Wohles, der Rnhe und Ordnung! Nichts ist aber widerwärtiger, als eine Poltzei-Kirchenanstalt. als ein der Politik dienstbar gemachtes Kirchenwesen. Zu spät sahen, wie der protestan tische Professor Hagen sich ausdrückt, die Reformatoren ein, daß sie zu ihrem eigenen Nachteil die Theologie an die Höfe gebracht hatten. „Die Fürsten nahmen den Refor matoren unvermerkt das Heft aus der Hand und gebrauchten die religiösen Angelegenheiten für ihre Zwecke. Sie wollten wegen letzteren Krieg und Brand herbei führen und dachten so wenig daran, die Gelegenheit zur Aussöhnung zu ergreifen, daß sie vielmehr nach Veran lassung suchten, um den Friede» zu brechen." (Geist der Reformation, Erlangen, S. 18 l.) Ebenso erging es der kath. Kirche, wo sie sich zur StaatSkirche erniedrigte. Die Geschichte lehrt, daß cs mit dein Katholizismus in allen jenen Ländern und Kulturepochen abwärts ging, in deiieu der offizielle Katholizismus sich zur Staatsmagd hergab. Man erinnere sich nur an den Katholizismus unter den byzantinischen Kaisern oder an das Exil von Avignon, das für das Papsttum weiter nichts als eine Strafe mar für den Serviltsmus der Mutter gegenüber ihrer „aller christlichsten" Tochter in Frankreich. Wo und so lange der Katholizismus aber international blieb, blühte er als Völkersegen. Und trotzdem umschlingt diesen internationalen Katho lizismus das weiß gelbe Banner einer straffen Einheit, die ans Wunderbare grenzt. Man redet heutzutage so viel von der internationalen Annäherung, ja Verbrüderung der Völker. Dabet übersieht man, daß diesen Gedanken der Jnternationalität die kath. Kirche schon seit den Tagen des Pfingstfestes vertritt: eine Lehre verbindet die Völker, eine Weltsprache, das Latein, ist ihre Kultussprache und ver mittelt das Verständnis in allen Erdteilen. So ist der Internationalismus der Kirche geistig eine Einheit, körperlich aber schreitet er einher in nationalem Gewände — und i ^ das allein ist der Katholizismus, jene Kirche, die am heutigen Pfingstfeste ihren Geburtstag feiert. Wir betonen daS: in nationalem Gewände. Denn die wahren Interessen der Religion können mit den wirklichen Inter essen der Nation nicht kollidieren. Man braucht also nie auf Kosten seiner Nation katholisch zu sein, im Gegenteil, es läßt sich erweisen, daß alles Unkatholische früher oder später zum Schaden der Nation ausschlägt. Der heil. Geist kam herab aus der Höhe, es wurde das Evangelium gepredigt von dem einen Vater im Himmel, der alle Menschen erschaffen hat und ernstlich will, daß alle Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen und selig werden; und je weiter die Kirche sich ausbreitete und je mehr ihr Einfluß auf die Menschheit wuchs, destomehr anerkannten auch die Völker wieder ihre Einheit und Zusammengehörigkeit, und so entstand endlich die Vereinigung der christlichen Völker im christlichen Welt reich (Kos pubiiaa Ostrmtiana) des Mittelalters. Ander- seits war es gerade die christliche Religion, welche die Völker und Nationen in ihrer Individualität und in der Eigenartigkeit ihrer Naturanlagen nicht bloß beließ, sondern dieselben vielmehr zu ordnen, zu schützen, zu erhalten und zu veredeln bestrebt war. Die Religion Jesu Christi hat mit ihrer Macht die ganze menschliche Gesellschaft umgestaltet. Möge sie auch in unserem deut- schen Vaterlande ihre Kraft betätigen und zur Auferstehung des christlichen Staates aus dem Grabe führen, in den der Liberalismus ihn gebettet hat! Arbeiten wir jeder an seinem Platze an der Verwirklichung der Früchte des Pfingstfestes! Pslitische Rundschau. Dresden, den 18. Mai 1S07. — Fürst Karl zu Hohenlohe-Langenburg, ein Bruder des Statthalters von Elsaß-Lothringen, ist iir Salzburg gestorben. — Die Zweite Württemberger Kammer hat einen Ge setzentwurf einstimmig angenommen, ivach dem den Wein bau treibenden Gemeinden infolge des Ausfalles der letzten Weinernte unverzinsliche Notftandsdarlehne bis zum Gesamtbeträge von 320 000 Mark gewährt »vordem — Die Stadtverordneten in Koburg beschlossen die Er richtung einer Mädchcnfortbildungsschule, zu deren Besuch alle in Koburg wohnenden Mädchen ncuh ihrer Schulent lassung ein Jahr lang verpflichtet sind. Die Schule soll eine für den späteren Hausfrauenbedarf der Mädchen grund legende theoretisch und praktische Ausbildung geben. — In Verden ist mn 17. d. M. das Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, Rittergutsbesitzer Senator Hesse (nat.-lib.) im 76. Lebensjahre gestorben. — Wie uns von einein Abgeordneten der Deutschen Reformpartei mitgeteilt wird, hat diese Partei nicht gegen, sondern für die Unterstützung der katholischen Mis sionsschule in Engelportan der Mosel gestimmt. In Nr. 106 hatten wir eine Zuschrift aus Bautzen ver öffentlicht, die daS Gegenteil versicherte. Es stellt sich nun mehr heraus, daß dieser unser Gewährsmann falsch unter- richtet war. Wir stellen diesen Jrrnrm mit um so größerer Genugtuung richtig, als wir bisher in der Reformpartei vielfach das Vorwiegen eines gerechten Urteils in konfessio nellen Dingen zu beobachten Gelegenheit l>atten. Ob bei der genannten Abstimmung die beiden sächsischen Abgoorü- neten Gräfe und Gäbel zugegen waren, ist uns nicht bekannt. Ein netter Zentrnmsgegnrr. Einer der schärfste,', und gehässigsten Zcntrumsgcgner ist Dr. Liman, der Ber liner Redakteur der jungliberalen „Leipziger Neuesten Nachrichten". Seine Spezialität besteht darin, daß er di« einzelnen Zentrumsabgeordneten persönlich angreist und mit mehr Galle als Spott sie dekämpft. Diesem Zentrums gegner ist kürzlich ein bö^es Mißgeschick passiert, als er vor Gericht stand. Es l)airdelte sich um die Beleidigungsklage zwischen dem bekannten Sozialdemokraten Mehring und Dr. Linum. Hierbei war besonders schlimm für Liinan die Verlesung der beiden einander »oidersprechendcn Artikel über den Iournalistenbcsuch in England, die er in der Lon doner „Finanzchronik" und in der Beilage der „Terrtschen Tageszeitung" als „Armer Aorick" geschrieben hat. Nach der Verlesung entspann sich folgende Szene: „Der Vor sitzende des Gerichts: In der „Finanzchronik" schreiben Sie also einen angeblich mehr englarrdfreundlick-en Brief, in der „Deutschen Tageszeitung" einen mehr englandfeind- licken? Liman: Aber das ist ja gerade, was mir vor- genwrfen wird! (Durch Verlesen von Zitaten sucht er dann darzulegeu, daß die „Grundtendenz" beider Artikel die näm liche sei.) Ich muß noch bemerken, daß der Artikel england- foindlickxm Charakter hat. Man fällt über mich her, weit ich englandfcindlich fei! Aber, meine Herren, es gebietet dock) die Höfliclsteit, wenn nmn vom Tische aufsteht — da ist nmn doch nicht unhöflich. Der Artikel in der „Finanz- chronik" ist nur in einer ganz anderen Form geschrieben. --- Verteidiger Tr. Hübler: Ich bin wirklich gespannt darauf, wie folgender Widerspruch zu erklären ist. In der „Finanz- chwiiik" heißt es, daß die Feste glänzend verlaufen seien und ihren Gipfelpunkt in jener Rede gesunden hätten, die von der Stammesgemeinschaft germanischer Völker gesprochen habe. Der „Arme Borick" in der „Dörfischen Tageszeitung" sagt aber, daß die Phrasen geschmackloser Art seien, die einen, znm Halse herauslwngcn, wenn in den Artikeln anderer Blätter fortwährend von germanischer Stammesvernxmdt- schaft gesprochen werde! Also, was Liinan in der Londoner „Finanzchronik" schreibt, hängt dem „Annen Borick" zum Halse l-eraus! (Heiterkeit im Saale). Dr. Liman: Wenn der Direktor der Universität Cambridge jene Worte von der StanimesverUxmdtschaft äußerte, so tvar das für mich nickt trivial, und ich bekenne mich dazu. Hier aber sind mir banale Redensarten der -- englischen Presse gemeint. Nur im Ton ist ein Unterschied in den Artikeln; dort wurde für Engländer, dort für Deutsche geschrieben und hier noch für die geistig etwas schwerfälligen Leser der „Deutschen Tages zeitung", Bauern und Agrarier. Ter „Arnre Borick" Nult doch bekanntlich den Narren markieren: er uxihlte die Form der Satire und Ironie. Darum die andere Tonart. Es wird immer bei der Politik vorausgesetzt, daß jeder Politiker einen ganz bestimmten Standpunkt haben muß. Ich bin je nack)dem: englandsreundlich und cnglandfeindlich - wie eS gerade für mein Vaterland gut oder schlecht ist -- absolut aber keius von beiden. Verteidiger Dr. Hübler: Ich kann es gar nicht ver stehen, weshalb denn Dr. Liinan nickst gegen den Artikel in, „Leipziger Tageblatt" und in der „Frankfurter Zeitung" vorgc'gangc'n ist. Dort wurde er Schmock genannt, der reckts und links schreiben könne; das ließ Herr Liman curf fick, sitzen, aber tvegen der Formation der „Leipziger Volks- zeitnng" klagt er." Wir hätten von den, gesäurten Vorfall keine Notiz genommen; aber da Tr. Liman sich besonders darin gefällt, die Zentrumsabgeordneten persönlich herunter- znreißen, so wollen »vir auch zeigen, in welchem Lickste er vor Ciericht erschienen ist. — Die EtatSüberschreitnngen i,n prenß. Stoatsbous- halt während des Etatsjahres 1005 bctiugen eiuschl. der noch nicht genehmigten außerelatsmäßigen Ausgabe» nicht weniger als 2i7.58 Millionen Mark. — DaS Zentrum steht der Blockmehrheit in alter Gemütsruhe gegenüber. DieHeiren sollen ja nicht glauben, daß es bei Tag und Nacht sim Gedanke sst, den 'Block zu sprengen. Sehr richtig bemerkt eine Kolresrwndeoz in der Köln. Volksztg.: „Würde das Experiment «mit den, Block) durch höhere Gewalt oder einen Zufall unterbrochen, so wäre das keine Lösung, sondern die Anmarllchast auf eine,, neuen Versuch in der Zukunft. Es wüide dann bei den Keim- und Kulturkampfpolitikern beißen: Wir waren im besten Zuge, es war schon halb gewonnen, awgeschoben ist nicht aufgehoben, wir müssen möglichst bald wieder von vorn anfangen „sw. Der politische Kraukbeitöfall muß zu einem Gesund,iiigsprozeh werden. Die Krcmkhiitvkeime in dem Körper zmückzudrängen, damit ist nichts gewonnen. Heraus müssen sie, um giündlich überwunden zu werden. Ein so tief und weit greifender Prozeß kann nicht in wmigen Monaten zun, Austrag kommen; er darf auch nicht non Persönlichen Zufälligkeiten abhängig gemacht werde». Wer sich bewußt ist. daß seine Sache gut und sein Arni gesund ist, der wird gar nicht denke» an Ausflüchte und Notbehelfe für den Augenblick, sondern wird daS Goltesiutril der tat sächlichen Kraftprobe sich voll und ganz entwickeln lassen. Wir können eS auf die scharfe Probe ankommen lassen, und wir tun es um so lieber, als wir die Hoffnung baden, daß unsere Partei in der Zivangsschnle der Opposition manches TI Wegen de» Pfingstfestes erscheint die nächste Nummer erst Dienstag den 21. Mai nachmittags.