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Nr. 02 - 10. Jahrgang Sonntag den 28. April 1011 > ZachslscheUMsMmg Erscheint täglich »ach«, mii Ausnahme der Sonn- und Festtag». «u-aabe t mit .Die Zeit in Wort und Bild- vierteljährlich A»0 In Dresden durch Boten L.4N In ganz Deutschland frei HauS S SS tlt; in Oesterreich 4,4« L El"«aab- »ohne MiMrlerte Beilage vierteljährlich 1.80 Z». A^.Dresdei, durch Bote» S.lO^ In ganz Deutschland frei Hau« S.SS in Oesterreich 4,07 L. — «inzel Nr. 10 4. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht and Freiheit NMLU'S?S2'«>:.^ ^ entsprechenden Rabatt. «uchdrmkeret, Redaktion und Geschäftsstelle: D«sden. Pill°iher en°st-4». - Fernspre-^-r 1»»« Für Rückgabe unverlangt. Schriftstücke keine Verbindlichkeit " RedaltionS-Tprechstunde: II bis 12 llhr. srotr nock nie «tsxeivegener Katkee-Teueruax kostet unser be liebter, vorzüglicher k^amilien-Kafkee nur ISO PL. ilas pkun^. kerliox L kockstrvli, vregüeii. dlieclerlagen in allen Staätteilsn. Die Brüchigkeit des sozialdemokratischen Landprogramms tritt von Tag zu Tag klarer in die Erscheinung. Seit dem Beginn der sozialdemokratischen Bewegung ist die Behand lung der Agrarfrage ein Schmerzenskind der Partei und ihrer „Wissenschaft" gewesen. Der erste Satz des sozial demokratischen Parteiprogramms erklärt: „Die ökonomische (wirtschaftliche) Entwickelung führt mit Naturnotwendig keit zum Untergange des Kleinbetriebes. Man versprach sich vieles von dieser „naturnotwendigen Entwickelung", nach der die „Kleinen" immer mehr von den „Großen" verschlungen würden, wodurch immer mehr „Proletarier" entständen und die „Verelendung" fortwährend zunähme. „Auch der bäuerliche Kleinbetrieb ist dem Untergange ae- weiht," hieß es bei den Sozialdemokraten. Aber wenn -ie sozialdemokratischen Prophezeihungen nicht einmal bei der Industrie in der Stadt zutrafen, so erst recht nicht auf dem Lande. Das war den unentwegten Sozialdemokraten sehr schmerzlich, aber noch schmerzlicher wurde es für sie, als sich im eigenen Lager Leute erhoben, die die' tatsächlichen Ver hältnisse einer vorurteilslosen Kritik unterzogen und auf die gänzliche Haltlosigkeit des sozialdemokratischen Land programms hinwiesen. Wir verstehen wohl den Schmerz der Sozialdemokratie, wenn sie, die sonst immer auf die Prinzipienfestigkeit, auf die einzige Nichtigkeit ihres Pro gramms pocht, sehen muß, wie die Zahl der Zweifler und Ketzer im eigenen Lager immer mehr anwächst. Wo bleibt da das einzig wahre Programm? Der ganz gewaltige Widerspruch zwischen Theorie und Wirklichkeit hinsichtlich des sozialdemokratischen Landpro gramms zeigt sich schon sofort, wenn man nur einige Aus sprüche sozialdemokratischer Parteigrößsn über dasselbe gegenüberstellt: .Die kleinbäuerliche Be. Wirt sch astung ist durch die Allmacht des Kapitals, durch den Einstich der Wissenschaft, den Gang der Tatsachen und da« Interesse der Gesamtgesellschafl unwlder - ruflich und ohne Gnade zum Tode verurteilt.' (.Genfer Manifest.'- »ES ist die Pflicht unserer Partei, den B .uern immer und immer wieder die absolute RettungSlosigkeit ihrer Lage klarzumachen, die absolute Unmöglichkeit, ihnen ihr Par> zelleneigentum als solches zu er» halten, die absolute Gewißheit, daß die kapitalistische Grotznro- dukttou über ihre machtlosen veralteten Kleinbetriebe hinweggehen wird wie ein Sisenbahvzug über eine Schubkarre." (Fr Engels, .Neue Zeit' 1894/95 I. 393.) .Nach all dem (nämlich auf Grund der Statistik) kann eS keinem Zweifel unterstehen, daß im ganzen westlichen Europa, wi« übrigens auch in den östlichen Staaten der amerikanischenilnion, überall der kleinere und mittlere Betrieb in der Landwirtschaft wächst und der giotze oder Riesenbetrieb zurückfleht' (Beinstiin, .VorauSsetzungeu des Sozialismus' S. 65 > »Nirgend« sehen wir ein auSgedebnlereS Vordringen des VrotzbetriebS, nirgends e>n »Niederkoukurrieren" der kleinern, ja in den meisten Fällen ist e» gerade der Großbetrieb, der in rascher Weise zusammeuschmilzt. Da« alles ist keuie nicht mehr streitig. ES sind Tatsachen der Statistik, die einfach konstatiert werden.' 'Fr. Hertz, .Agrarfrage und Sozialismus' S. 8/9) »Wir haben noch keinen Fachmann gefunden, der der Ansicht wäre, im Ackerbau könne der Kleinbetrieb ebensogut ratione llproduzieren wie der Großbetrieb." (KautSky. .Agrarfrage" S. 115.) .Die Tage des Handwerks sind gezählt, und waS vom Handwerk gilt, gilt auch vom bäuerlichen Kleinbetrieb.' «KautSky, .Erläuterungen zum Erfurter Programm' S. 21.) .Der Kleinbetrieb hat Böden von so geringer Qualität mit großem Fleiß in Kulturland verwandelt und hält sie in so blühendem Zustande, daß kein Großbetrieb dabet auf seine Rechnung gekommen wäre.' (Hertz, »Die agrarischen Fragen im BerWltniS zum Sozialismus' E. 6.) »Also: Zurückdrängung des Großbetrieb» durch den Kleinbetrieb — da» ist der Gang der agrarischen Entwicklung, den die deutsche Betriebszählung in markantester Weise aufzeigt.' (David, Dokumente des Fort schritts 1V10. ll. 86) .Wann und wo wurde je schon da» Vieh eine« norddeutschen bäuerlichen Besitzer« z. B auf den Ausstellungen der Deut, scheu Landwirtschaftsgesellschaft mit Preisen bedacht? .Genoste" Scholz wird uns nicht »inen derartigen Fall ansührro kön- neu.' (.Breslauer BolkSwacht' 1«. III. VS.) »Geraste' Schulz macht die gerade stallfindende Ausstellung der Deutschen Landwirtschaft«. gesellschc.fi in Leipzig im Juni 1909 zum Gegenstand einer ein gehenden Studie und kommt hier bei erst recht zu einer rückhalt- losen Anerkennung de« Kleinbetrieb» i« der Vieh- Wirtschaft, wa» er mit schla- geuden Beweisen belegt. (.So, Monatsheft,' l»0v: .Der landwirtschaftliche Groß- und Kleinbetrieb im Spiegel der Leipziger Wanderausstellung' S. 1»SS ff.) Lssts LsLUALgusUs! 175- QSUV rur<z Asbrkuvlits, ttlls II0I2- uvä 80V71S QkeK TojoKQUQA voll 60 LtarL all R.ivs»Av ßüQstibo 2»k1wsise, koke. Lt»s8SQrndait.l SUot-kl»uo»! .Verwunderlich ist dabei nur, daß der Bauer das nicht eiusieht und. des vergeblichen Mühen« müde, seine Scholle an den GuiSherin verkauft Verwunderlich ist, daß tm Gegenteil die Aufteilung von G> otzgrundbesttz t otz de« höhern KeüceidcpretSntveauS der letzten Iah e einen so be trächtlichen Umfang angenommen bat, und daß Bauernkinder und Landarbeiter mit aller Macht darnach streben, landwirt- schaftlichen Kletnbesttz zu erwerben. verwunderlich endlich, daß die Agrarstatt, stik aller westeuropäischen Staaten eine nichr unbe deutende Zunahme des land- wirischaftliwen Klei „besitze« aufweist.' (Schulz in den »Soz. Monatsheften' 1909 1247.) Die Liste dieser ergötzlichen Widersprüche in einem der wichtigsten Punkte des sozialdemokratischen Programms ließe sich noch beliebig erweitern. Ten Vogel aber schießt neuerdings das für die Landagitation bestimmte sozial demokratische „Bayerische Wochenblatt" in seiner Nr. 7 vom 16. Februar 19l1 ab, wo es heißt: „Der Groß grundbesitz muß zugrunde gehen — das ist die Vorbedingung jedes wahrhaften Fortschrittes auf agrarischem Gebiete. Je eher, desto besser! . . . Auch in wirtschaftlicher Beziehung ist die Beseitigung des Großgrundbesitzes eine Notwendigkeit: der Kleinbesitz pro duziert im Verhältnis weit mehr." (Die Sperrungen stehen ini „B. W.".) Wie hieß es dagegen damals bei Eccarius in seiner Schrift gegen Mill: „Die kleine Bauern wirtschaft ist zu unterdrücken, wo sie existiert, ... sie ist politisch, sozial und ökonomisch gerichtet, ... sie ist das fünfte Rad am Wagen des Fortschritts, das Bleigewicht der Arbeiterbewegung." Und Karl Marx, der Vater des So zialismus, nennt im ersten Bande seines Werkes „Das Kapital", der unfehlbaren Parteibibel der Sozialdemokra tie, am Schlüsse des 13. Kapitels den bäuerlichen Betrieb den „gcwohnhcitsfaulsten" und „irrationellsten". .Daß so etwas der Partei der „einzig wahren Wissen schaft" passieren muß, ist gewiß tief erschütternd, und zwar um so inehr, als es sich auch auf anderen Gebieten immer mehr zeigt, daß die gewichtigsten Behauptungen und Pro grammsätze der Sozialdemokratie sich allmählich überall kn ihr Nichts auflösen! »ES ist immer die alte Be« schichte: Der Bauer bestevt, weil er seine Arbeitskraft in un- rentabler Weise vergeudet.' (»Borwä.t«' itite.t von Lchwz »Soz. Monatshefte' 19VV S. 1247.) Politische Rundschau. Dresden, den 22. April 191 l. — Das Ehreudoktordiplom für den deutschen Kaiser wird nicht durch eine Deputation der Prager deutschen Universität, sondern auf diplomatischem Wege in Berlin überreicht. — Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Reichs kanzler und dem Staatssekretär des Innern wegen der elsaß-lothringischen Frage gibt es nach der „Köln. Zeitg." nicht: das Blatt meint: „Wir möchten aber noch ausdrücklich feststellen, daß der Reichskanzler und der Staatssekretär Delbrück, wie dies auch in allen unterrichteten Kreisen bekannt ist, in dieser Sache von Anfang an sich in voller Uebereinstimmung be- funden und gehandelt haben: darin hat sich nichts geändert. Ist schon die Annahme grundfalsch, der Reichskanzler könnte in einein Scheitern der Vorlage für sich einen Anlaß zum Rücktritt sehen, so ist es geradezu blödsinnig, ihm unterzu schieben, er würde in diesem Falle einen Mitarbeiter zum Sllndenbock machen, der sich mit allen Kräften um das glück liche Gelingen des wichtigen Werkes bemüht." — Das Gesellenstück preußischer Prinzen. Die beiden Söhne des Prinzen Friedrich Leopold von Preußen, die in, Kadettenhaus in Naumburg sind, machten ihre Handwerks- gesellcnprüfnng. Ter eine erlernte das Tischlerhandwerk, der andere die Schlosserei. Der eine Prinz verfertigte als Gesellenstück einen Mahagonitisch, sein Bruder ein .Haus» türschloß. — Vorbereitungen für den Kulturkampf? Das Pro- pinzialkollegium der Rheinprovinz soll eine Erhebung dar über anstcllen, wie viele Geistliche im Hanptanite an höhe- reu Schulen angestellt sind, und wie viele davon in Deutsch und Geschichte unterrichten. Diese Rundfrage soll auch an die städtischen und Privatanstaltsn ergangen sein. Eine solche Statistik könnte an und für sich unverfänglich sein: aber sie muß Bedenken erregen nach den Erklärungen des Reichskanzlers in der Modernisteneiddcbotte: denn er will in der Regel Geistliche zu solchen Unterrichtsfächern nicht mehr zulasscn. Wir sagen heute schon das eine 9°''» °^n. Wenn auch nur ein katholischer Geistlicher wegen Erfüllung seiner kirchlichen Amtspflichten benachteiligt wird, so sehen wir dies als eine Erklärung des Kulturkampfes an: dar- über können uns schöne Worte nicht mehr täuschcm Welcher Lärm entsteht, wenn ein jüdischer Jüngling nicht zum Re- serveoffizier befördert wird? Nachher stellt sich w der Reget heraus, daß er ganz unbrauchbar war. Katholische Geistliche aber sollen in einem christlichen Staate nur des- halb benachteiligt werden, weil sie auf die heilige Schrift sich verpflichtet haben. Wo stehen wir denn eigentlich? — Die Rkichserbsciprftssteuer im Jahre 1.10S. Das erste Vierteljahr 1911 der Statistik des Deutschen Reiches bringt eine Reichscrbschaftsstenerstatitik 1909. das heißt! für das Rechnungsjahr vom 1. April 1909 bis 31. Marz 1910. Wir geben im folgenden die wichtigsten Zahlen, per- 1. Zahl der Fälle: 1908/09 1909/10 Erbschaften . . 102 880 104 904 Senkungen . , . . 4 154 6 561 107 034 110 465 2. Gesamtwert (Millionen Mark): Erbschaften . . 683,28 739,11 Schenkungen , , . . 43,80 52,68 272,08 791,79 3. Steuerertrag (Millionen Mark): Erbschaften . . 42,94 47,24 Schenkungen . . . 2.62 3,27 45,56 60,51 einnahmc. Der Steuerertrag ist also um 4,05 Millionen Mark — 9 Prozent gegen das Vorjahr gestiegen. Der Vor- anschlag von 30 Millionen wurde um 28,1 Prozent an tat sächlichen Einnahmen überschritten. Für das laufende Rechnungsjahr 1910/11 waren als Reineinnahmen aus dev Erbschaftssteuer für das Reich 31 Millionen Mark in den Etat eingesetzt. In den ersten elf Monaten, für die Per- öffentlichungen bereits vorliegen, beträgt die Reineinnahme bereits 37,8 Millionen Mark, übersteigt also den (gegen daS Vorjahr bereits mit 4 Millionen höher eingestellten) Vor anschlag um ein beträchtliches und wird ebenfalls auch die Reineinnahme des Vorjahres noch hinter sich lassen. — Zn», Kapitel der Intoleranz in Landsbcrg a. W. wird der „Germania" mitgeteilt, daß an Progymnasien und Gymnasien in kathol. Städten Westfalens bei noch viel ge- ringeror Zahl der Protestanten diesen doch planmäßiger evangelischer Religionsunterricht gewährt wird. Als Bei spiel sei »nr das Progymnasini» in Werl in W. genannt, wo für lO protestantische Schüler zwei Neligionsstunden im Schnlplane und Etat standen. Im Jahre vorher wurden sogar drei Stunde» erteilt, obwohl die Zahl der protestan tischen Schüler nur zirka 14 war. — Unberechtigte Ausweisung eiurS drutscheu Veist- licheu. Von besonderer Seite wird uns geschrieben: Die Ausweisung des Jesuitenpaters WiercinSki aus Moskau erregt großes Aufsehen. WiercinSki ist trotz seincs polnischen Namens ein Deutscher und hat sich in Moskau, wohin er 1907 auf Verwendung der deutschen Votschtift in PeterS- bürg als'deutscher Seelsorger ohne Gehalt berufen wurde, als überzeugungsvoller Deutscher betätigt und sowohl um die deutsche Seelsorge wie um die deutsche Schule verdient gemacht. Wenn von russischer Seite als Grund der Aus- Weisung polnische Umtriebe WierrinSkiS bebauptct w>rden, so ist das eine völlige Unwahrheit. Wir kennen den Pater persönlich; er stammt aus Westpreußen. In Moskau hat er für die katholischen Deutschen ungemein viel getan. Nach unserer Information ist das Auswärtige Amt auch schon in Petersburg vorstellig geworden. Die Vernehmung des Pfarrers Jatho vor dem Ober- kirchenratc fand am Freitag statt. Die Verhandlung wurde geleitet von dem Wirkt. Oberkonsistorialrat Dr. Koch. Zu gegen waren außerdem Konsistorialrat Müller, Prof. Loofs aus Halle und Oberhofprediger 11. Dryander. Die Aus- sagen Jathos über seine Stellung zu seiner Gemeinde wur den z» Protokoll genommen. Es steht ihm nun zur ?kb- gäbe weiterer Erklärungen eine Frist von vier Wochen offen: »ach Ablauf derselbe», und nachdem eventuell noch weitere Zeugen vernommen worden sind, erfolgt die Heber- gäbe der Akten an Exzellenz Voigts, den Vorsitzenden des Oberkirchenrates und des Sprnchkollegiiims. Dieses be- räumt dann den Termin zur Hanptvcrhandlnng vor dem Spruchkollegium an, die in fünf bis sechs Wochen zu er- warten ist. - Dcn „Freunden evangelischer Freiheit", die aus Anlaß des Falles Jatho eine grundsätzliche Kundgebung gegen das Spruchkollegiiim erlassen haben, schreibt der „Neichsbote" folgendes ins Stammbuch: „Die Liberalen haben selbst für das Spruchkollegium als Autorität der Kirclx: gestimmt. Aber jetzt, wo diese Autorität sich gegen sie wendet, lehnen sie cs ab. Sie der- langen vollste Freiheit für den von ihnen betriebenen Um- stürz in der Kirche. Daß die Kirche so wenig wie eine lebst andere Gcmeinsck)aft dem Umsturz unbedingte Freiheit gei