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7> Sächsische Dolkszetiung »« «är, I«, Ostern am heiligen Grabe Allar -es Grabes und -er Auferstehung in Jerusalem „Sein (grab wird glorreich sein." Gott hat so manche Heiligengrüber durch Wunder verherrlicht, sie strotzen oft von Gold und Silber und Edelsteinen, mit denen dankbar« Liebe und frommer Glaube sie geschmückt. Der berühmte Reiseschrift, steiler Sven Hedin schreibt von seinem Heiligen^Srab-Besuch in Jerusalem: „Die strotzende Pracht ringsum ist nur ein Markt von Eitelkeiten! Reinigt den Platz, laßt den nackten Fels grund zutage treten!" Dem großen Reiseforscher scheint hier denn doch volle psychologische Kenntnis des menschlichen- und zumal des fromm-gläubigen, christlichen Herzens zu mangeln. Als die feindseligen Pharisäer mit den gutbezahlten Schergen und der bestochenen Soldatenwache Golgatha beherrschten, sah mon rohen nackten Felsen, als aber die frommen Frauen kamen, die auf dem spottreichen Kreuzwege und bei der furchtbaren Kreuzigung unseres Erlösers mehr Mut gezeigt als mancheiner, der sich Jünger des Herrn nannte, brachten sie in liebevoller Ehrfurcht kostbar« Spezereien mit zum Heiligen Grabe (Luk. 21, 1f. Am Grabe Christi hat Gott nicht durch einen Heiligen Wunder gewirkt, sondern der heiligste Gott hat. wie er freiwillig sein Erlöserleben dahingegeben, durch eigene Kraft sich dem Leben wieder gegeben. Gleichwie Christus auferstanden ist von den Toten .... also sollet auch ihr in einem neuen Leben wandeln (Röm. 6, 4.) Ich lebe und auch ihr werdet leben. (Iah. 14, 19.) Christi Auferstehung ist das Unterpfand unserer Auferstehung. Dem göttlichen Friedenssürsten, der Friede und Liebe den Menschen verkünden lieh, opferten Könige: Gold, Weihrauch und Myrrhen: was Wunder, wenn dem gött lichen Erlöser, der auf Golgatha nunmehr seine göttliche Liebe zur Rettung der Sünder betätigt, von den Erlösten geradezu alles in heisrer Gegenliebe geopfert wird, ivas Mcnschengeist 'rsinnt und alle, die seinen Namen führen, beitragen, dah sein Grab ein glorreiches sei. Das Menschenherz hat die ganz natür- liche Empfindung, dah der Boden, ans dem man hier steht und kniet, ein heiliger Baden ist. Sven Hedin selbst beteuert, „dah die Lbersläche der Marmorplatte, die den geheiligten Grab felsen bedeckt, glatt wie Eis ist von den Küssen der Millionen frommer Pilger". Die freistehende Grabkapelle aus rosagefärbtem Kalk stein mit Marmorbelag krönt ein Kuppeltiirmchen und hat eine Länge van 8.25 Meter und eine Breite von 5,50 Meter. An der Ostseite sind eingangs zwei Steinbänbe angebracht und beider seits stehen riesige Kandelaber, in deren Besitz sich die Lateiner, Griechen und Armenier, die am Heiligen Grabe selbst auch das Recht zum Gottesdienst haben, teilen. Durch eine niedrige Marmartiire tritt man zunächst in die Engelskapelle «in. Hier vernahmen die heiligen Frauen aus Engelsmunde die Auf- Verlin, 30. März. Eine am 20. und 27. März tagende Ausschuhsitzung des Gcsamtverbandes der christlichen Gewerk» schäften hat nachfolgende Entschließung angenommen: Die deutsche Sozialgesetzgebung ist den anderen Industrieländern stets Borbild bei der Schaffung ähnlicher Ein richtungen gewesen. Ihre Bekämpfung durch reaktionär eingestellte Interessengruppen aber hemmt die zu erstrebende Einführung und den weiteren Ausbau der So zialgesetzgebung in den Ländern, mit denen Deutschland aus dem Weltmarkt konkurrieren muh. Durch die Herabwürdigung und Bekämpfung der Sozialgesetzgebung wird deshalb die deutsche Wirtschaft geschädigt. Die Beiträge zur So zi a l v e r s i ch e r u n g sind v or e n t h a l t e n e Lohn te i l e. Sie find keine „soziale Last", sondern dienen der Er haltung und Stärkung der Arbeits- und Leistungsfähigkeit der deutschen Arbeiterschaft und damit unserer Wirtschaft. Angesichts der fortschreitenden Zusammenballung der Wirt- schaftsmacht in Kartellen, Syndikaten und Trusts und des Stre ben» nach lückenlosem Zollschutz ist es widersinnig und unver antwortlich. die Arbeiter mit ihren Familien dem freien Spiel der Kräfte und allen Fährnissen des Lebens bet Krankheit, Arbeitslosigkeit. Invalidität und im Alter überantworten zu wollen. «rstehungsbotschast. (Ioh 20. 20). Ein Stück des runden Ber- schluhsteines vom Grobe, auf dem der Engel sah, ist in der Mitte, in einem Marmorausbau eingemauert. In das eigent liche Heilig« Grav führt von -er Engelskapelle eine nur 1,33 Meter hol)« Marmortüre. Die eigentliche Grabkammer miht 2.07 Nieter Länge und 1,93 Nieter Brette und bietet Platz für höchstens 4 Per sonen. Rechts ist der muldenförmige Grabstein, ans dem der heilige Leib von Freitag abends bis Sonntags früh der glor- reichen Auferstehung entgegenharrte. 0,06 Meter hoch.. 0,93 Meter breit, 1,89 Meter lang, hängt der Stein mit dem Felsen zusammen und ist mit weihem Marmor verkleidet. Die Rück wand ist in drei Felder geteilt: In der Mitte, den nicht linier ten Griechen gehörend, ist ein Ntarmorrelief, den Auserstandenen darstellend: die Evangelienseite gehört den Katholiken und zeigt ein Silberrelief mit dem Verklärten, in Edelsteine gefaht, und die Epistelseite mit einem Auferstehungsbilde gehört den Armeniern. Die Rückwand ist mit Leuchtern und Blumen geschmückt und von der Decke hängen 43 Lampen herab, von denen je 13 den Lateinern, Griechen, Armeniern und vier den Kopten gehören. Hier an dieser gotlgcweihten Stätte, wo der göttliche Er löser im Tod« über den Tod siegreich triumphierte, hatte ich Sonntag, 6. Mai, frühmorgens i-45 Uhr, das seltene Priester- glück, die Ostermesse zu zelebrieren. Durch die freundliche Vermittelung des lieben Benediktinerpaters Maurus vom Berge Sion und durch die auherordcntliche Gastfreundschaft des guten Franziskanerpater Florian Schoch, Wächters des heil. Grabes, wurde mir diese Vergünstigung an meinem Wiegenfeste zuteil. Da ich mich bald nach 2 Uhr nachts in der Grabeskirche lvegen des langwährenden Gottesdienstes der Armenier bereithalten muhte, so fand ich im angebauten Franziskanerkloster eine Kurze Nachtruhe. Ein eifriger, braver Ministrant war auch alsbald zur Stelle. Und so schritt ich. aufmerksam von meinem braven Ministranten betreut, in der Auferstehungsstunde auf Calvaria, nw der liebe Heiland voremst das blutig« Kreuzesopfer dar gebracht, um dasselbe in dem heiligen Messopfer unblutigerweise zu erneuern und den glorreich Auferstandenen tn der heiligen Kommunion selbst zu empfangen, meinem braven Ministranten und einigen Bewohnern Jerusalems auszuteilen. „Introibo od altarc Del, ad Deum gut laetisicat juvcntntem meain. Ps." Diese Worte des Opser-Introitus lzaben anher am Primiztage und in der betlehemitischen Geburtsgrottc selten in meinem Herzen ein solches Hochgefühl priesterlicher Freude ausgelöst als allhier am Altäre des Grabes und der Auferstehung! p. Lckolre, ferusalempi'I^er. Da über 70 Prozent aller Arbeiter den ganz unzureichen den Wochenlohn bis zu 36 Rm. beziehen, ist die Forderung nach Beseitigung der Sozialversicherung und Einführung eines Spar- -mana-- »- Ebieden »urllckiuweilen. Die Mehrheit der deutschen Arbeiter müht« bei Krank heit, Arbeitslosigkeit. Invalidität oder durch Alter hervor- gernfrne Arbeitsunfähigkeit von Almosen leben und ver elenden. Der Anspruch aus ein« gesicherte Existenz darf den Arbeitern ebensowenig abgesprochen werden wie den anderen Ständen. Der Ausschuß fordert S ch u tz d e r b e st e h e n d e n K r lin ken lassen gegen die Bestrebungen auf Errichtung leistungs schwacher Jnnungskrnnkenkassen, Anpassung der In validenversicherung au die Angestellienversicherung. weitgehendsten Ausbau der S e l b st v c r w a l t u n g in der esamten Sozialversicherung und geeignete Maßnahmen zur Ver- ütung einer Ausnutzung der Versicherrrngseinrichtungen durch asoziale Elemente und Interessengruppen und zu einer Sen kung der Verwaltungskosten." Zum Arbeitsgerichtsgrsetz wurde ein« Entschließung mit folgendem Wortlaut an genommen: Oskersreuden — Oslerleiden Von Dr. Curl Kap scr, Berlin-Wilmersdorf. Die Osterfeieckrge bringen mit Ostereiern. Kaclren und Fest« >agsbraten mancherlei Freuden für jung und alt. Aber bekanntlick ist nichts schwerer zu eriragen, alz eine Reihe von — Feiertagen-! Nur zu leicht wird bei», Essen und Trinken gerade in den Feiertagen gern des Guten zu viel getan und das Resultat ist — ein verdorbener Magen. Dabei lprndelt cs sich um eine Art Streik des Magen». Er wehr! sich nämlich gegen die Ileberstunden. die ihm dadurch zu. gemutet werde», daß mon von ihm mehr verlangt, als ec zu leisten vermag. Der menschliche Magen braucht wie jedes Organ des Kör pers, eine bestimmte Zeiteinteilung für Arbeit und Ruhe. Werden ihm diese durch Einnahme regelmäßiger und zweckmäßig zusammen» gesehier, nicht zu umfangreicher Malsszeiten gewährt, dann leistet er das Seine. Wenn man »stier, wie cs besonders .Kinder mit Vorliebe tun. durch das Zwischendurchessen von allerlei Süßigkeiten den Magen ans seinem „seelischen Gleichgewicht" bringt, dann läßt er sich das eben nicht gefallen. Die normalerweise in zwei bis vier Stunden vom Magen verarbeitete und au den Darm wciiergegebeue Nahrungsmenge bleibt im Falle einer Ueberlastnng liegen es kommt zur Zersetzung und Gärung des Mageninhalts, und schließlich ent wickelt sich unter Uebelkeitserscheinungen und allgemeinem Unbehagen das .Krankheitsbild. das uuier dem Namen „verdorbener Magen" nur allzu bekannt ist. In viele» Fällen Hilst sich dabei der Körper selbst, indem er das Zuviel in Gestalt von Erbrechen wieder zurnckgibt. Mein län gere Appetitlosigkeit, Ausicdluug »o» Krankheitserregern auf der gereizten Schleimbaut und uachsrstgeuder Kalarrh des Magens und der Darm« sind nickt selten unliebsame Folgen, die zumeist ärztliche Hilfe erfordern und geeignet sind, die Erinnerungen au die Fest tage ernstlich zu trüben. Das beste Mittel solche üblen Zufälle zu verhüten, heißt: Mäßigkeit. Mau genieße zum Beispiel Oster eier aus Zucker. Scholälade oder Marzipan stets nur als Nachlisch, niemals zwischen den Mahlzeiten. Allzu fette und kompakte Spei» scn sind bekanntlich schwer verdaulich und sollte» daher auch stets nur in mäßigen Mengen genossen werden. Daß natürlich, wie stets, so auch in de» Festtagen der Gcuust van Alkohol schädlich ist und besonders büusig den Mage» reizt, sei mit Nachdruck hcrvor» gchobeu. Unbedingt vermeide mau. Kindern Alkohol zu geben. Gerade in der Festzeit verbirgt sich der Alkohol in den verschieden» sie» Formen, so zum Beispiel in Likör-Ostereiern und -Pralinen, in Cognac-Bohne» oder -Kirschen und kann in dieser Gestalt gv- »osse», die gleichen schädlichen Folgen zeitigen, wie der reine Genuß alkoholischer Getränke. Wer di« alie lateinische Lcbensregel: „Ne gnid nimis" —> zu viel int niemals gut — beherzigt, dem dürften gewiß „Froh« liche Ostern" beschieden sein. „Die ordnungsmäßige Vertretung der Parteien vor den Arbeitsgerichtsbehörden ist eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren einer brauchbaren sozialen Gerichtsbarkeit. Das Arbeitsgerichtsgesetz ist in dieser Hinsicht neue Wege gegangen, und diese haben sich, wie der am 20. und 27. März 1929 in Königswinter tagende Ausschuß des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften Deutschlands anerkennt, durchaus be währt. Wenn in letzter Zeit die Vertreter der Rechtsanwalt schaft gegen diese Regelung Sturm laufen, so ist das nicht nur sachlich nngcrechifertigt, sondern auch unverständlich, da das Ge setz auf die Wünsche der Rechtsanwälte weitgehende Rücksicht genommen und vor dem Reichsarbeitsgericht den Rechtsanwäl ten sogar ein Vertretungsmonopol zugebilligt hat. Obgleich das Arbeitsgerichtsgesetz in dieser Hinsicht keineswegs alle berechtig ten Wünsche der Arbeitnehmer erfüllt hat, steht der Ausschuß ans dem Standpunkt, daß an der bisherigen Rechts lage vor der Hand nichts geändert werden soll. Ans tms schärfste wendet er sich gegen alle Versuche, die an sich schon weitgehende Bertretungsbesngnis der Rechtsanwälte noch inehr auszüdehnen. Sollten aber die gesetzgebenden Körperschaf ten bereit sein, den Wünschen der Rechtsanwälte Rechnung zu tragen, so »erlangt der Ausschuß des Gesamtverbandes der christli Herr Gewerkschaften Deutschlands, daß dann konsequcnter- mcise jedes Vertretungsnionopol beseitigt und jedem Staats bürger die Freiheit gegeben wird, sich vor allen deutschen Ge richten selbst zu vertreten oder sich durch eine von ihm srei- gewäh'te Person verirrten zu lasten." Xsissr-Xsrir-Vscl ÄL z.ungs Eine Entschließung zur Sozialpolitik Ausschutzlagung -es GeianUvorstan-es -er chripttchen Gewerkschaslen Gang durch die ewige Sladl Von Gertrud von le Fort. Meine Großimitter, welch« seit vielen Jahren in Rom lebte, halt« niit der ewigen Stadt den mystischen Bund eine» geistigen Heimatverhältnisses geschlossen, in dem wohl jeder, der sie näher rannt«, etwas ihr Heiliges ahnte, wenn st« selbst ihm auch für ge wöhnlich keinen so feierlichen Namen zu «eben liebte. Man mußte einen Sonnenuntergang mit ihr erlebt haben; man mußte ihr große», herrliche» Schweigen auf dem Janikulu» kennen, wenn di« siebenzackige Krön« der Stadt. Gold an Gold mit dem finkenden Gestirn, aufglüht und dann langsam, feierlich und freudig wie jene» tu die neue Nacht ihrer Ewigkeit hinadtancht. Man mußte den Händedruck meiner Großmutter gefühlt haben, wenn man. mit ihr kn dunklen Auto durch di« Campagna fliegend, das lichternde Rom «uftanchcn fleht wie den Schweis eine» großen Weltsternes im ein samen Stil Mon mußt« mit ihr in der Sixtinischen Kapelle gewesen sein, Stunde um Stunde ehrfürchtig und geduldig, ohne hernach zu wissen, daß e» Stunden gewesen waren: dann erst ahnte man, was e» um da» große Pathos ihrer Romltcbe war. Aber nicht nur die Menschen, sondern auch di« Straßen und Gebäude bekamen ein ganz andere» Gesicht, wenn man sie an der Seite meiner Großmutter betrachtete. Di« verschlossensten wurden mitteilsam, und die versessensten erinnerten sich wieder der wunder barsten Begebenheiten. Das alle» war mir natürlich damals wenig klar; ich hielt mich nicht an dl« Bedeutungen, sondern an di« Lebendigkeit, und diese war nun allerdings tn den Erzählungen meiner Großmutter so eindrucksvoll, daß e» mir vorlam, als ob ganz Rom eine ungeheure Bühne sei, auf der gewissermaßen noch täglich all« Jahrhunderte mrd Jahrtausende gespielt würden. Man sah ja überall noch die erhabenen Kulissen aufgerichtet: unwillkürlich glaubt« man. daß hinter jeder Straßenecke die Schauspieler wieder hcrvortreten kannten, daß st« sich in jeder Staubwolke nur verborgen hielten; und zuweilen wurde das alles so deutlich, daß e» schien, als ivären bl« Gebäude gar kein« Kulissen mehr, sondern große Behälter der Wirklichen Zeiten, und man träte mit einem einzigen kleinen Schritt tatsächlich von einem Jahrtausend in» andere. In solchen Augen blicken ergriff mich immer ein sonderbares Erschrecke»; cS war daun wie ein Schwindel in meinem Ich. ein Ersaßtwerdcn und Forlglci- ten von mir selbst, «in unheimliches Fraghaftwerden des Aller- eigensten. — „Kommen wir auch wieder?" fragte ich einmal unwillkürlich, alz wir eine der selslxrst wilden Klüfte des gewaltigen Septimins- Scverus-Baues betraten. Mir war nicht anders zumute, als müßten da tief innen die zerrissenen Mauern unter ihrem Verfall immer noch mit Marmor und Bronze bekleidet sein, wir selbst aber würden unz !,n nächsten Augenblick I„ der purpurbesehtcn Tunika einer römischen Kaiserfrau oder unker dem Schleier einer Vestalin wies er finde». Was bedeutete uun eigentlich die Zeit? Was bedeutet« ein einzelner Mensch? War nicht in unserem Inneren alles einst wie heute? Waren wir selbst nicht zugleich viele andere? „Ja, wir kommen schon wieder", sagte meine Großmutter freundlich, ,/rber wir kommen ein wenig anders, wir kommen weiter und größer wieder, als wir forlgingen. Ans Rom kommt jeder anders wieder, als er foriging —" Sie legte bei diesen Worten de» Arm um meine Schultern, und dabei fühlte sie das Zittern, das mich befallen hatte. „Kind, wie leicht bist du von dir selbst zu lösen", sagte sie erschrocken. Dann aber hielt sie mich dock) so lange mütterlich umfaßt, bis ich ganz sicher sein konnte, doß wir wirklich „wieder da" waren. Und hernach fuhr sie mit mir zu einer kleinen, zwischen Rosen, Feigenbäumen und hohen, staubgrauen Mauern versteckten Ostcria hinter dem Monte Cello, und dort tranken wir einen Wein, der so süß und gol den schmeckte, als ob wir darinnen wirklich die Sonne eines ganzen langen römischen Sommers tränken. Dabei sahen wir den hoch- räderigen Wägelchen der Landleute zu, die, aus der Stadt zurück- kommend, von ihren schellengeschmückten und rotbctroddelten Pferd chen dort vorübergezogen wurden, während ihr« Besitzer unter den halb zurückgeschlagencir Plandächrrn friedlich schlummerten. Das war lustig anzuschen. und man fühlte sich dabei immer wohliger in den nmrmen Tag gebettet und gar nicht mehr von ihm und sich selbst gelöst. Und doch mußte wohl etwas von jenem „Lösen", bas meine Großmutter vorher erschreckt hatte, in ihrer eigenen Msicht liegen; und nur wenn es zu tief, wenn es hilflos und schmerzlich zu werden drohte, gebot st« ihm Einhalt. So schien sie auch in den Galerien und Museen ein Zauberwort zu besihen, kraft besten die schöne«, geheimnisvollen Statuen und Bilder, die man dort «»staune» konnte, aus ihrer Stummheit herauslralen »»d selbst von ihrem Sein und Wesen redeten. Mer um ihre Worte verstehe» zu können, mußte um» ganz Ml sein — so still, als ob man sich selbst völlig vergessen hätte. Meine liebreiche Großmutter hielt hierauf geradezu mit Strenge. Niemals erlaubte sie mir, zuerst zu sragen: Gefällst du mir, schönes Bild, schöne Statue: Sondern cs hieß: Wer bist d« und Inas meinst du? Dan» erst durfte ich bescheiden hinzuictzen: Gefällst du mir? Denn meine Großmutter besaß die hohe und seltene Kultur dessen, der wirklich die Kunst liebt und nicht nur sich selbst in ihr oder dos, was zufällig der eigene» Zeit besonders entgegenkommt. Und obgleich ihr durch de» stänkngc» Verkehr mit Künstler» und Kunstgelehrien die wechselnde» Strömungen de» Geschmackes, der Ueberzengunge» und Theorie» gründlich genug bekannt waren, machte sie für ihre Person noch niemals von Viesern Wissen Gebrauch. Ja, zuweilen lächle sie sogar herzlich darüber und sagte, es ging« auch ohne Theorie, ja. es ginge beinah« ohne Geschmack, aber cs ginge niemals ohne unbegrenzte Ehrfurcht. Und so »mr es denn schließlich überall, wohin sie mich führte, und sicherlich nicht ohne ihr Einverständnis und Zulun ein wenig dasselbe: Immer schien dieses gewaltig« und gerrmlilälige Rom mir zunächst den Boden unter den Füßen sortzuziehe». LoSge'Sft von den allzu engen Schranke» meines kleinen Ich, losgelöst von der dunkler, Unruhe meiner einsamen Sehnsucht, ja sogar von der allzu süßen Schwärmerei für meine Großmutter, wiewobl immer an der gclicblen Hand schreitend. sing mein junges Lebe» diese nnerineß- rlchc Stadt ans, indem es selbst von ihr aufgefange» wurde; cinge- tancht in ihre Größe, ausgcweitet in die Fülle ihrer Gestalten und Herrlichkeiten und sich schließlich doch immer wieder nnverlctzi ans ihr zurückcmpsangcnd. Und allmählich ging cz mir wie dem flügge genwndenen Vöglet» in den Lüfte», das, nachdem es das Zittern des ersten Loslassens überwunden hat, sich selig der Unendlichkeit vertraut: Meine Seele schwang in dieser ungeheuren Umgebung, als wäre sie ihr« eigene, tausendfältig gewordene Heimat. In alledem aber lag ein solcher Reichtum und ein so berauschendes Glück, wie ich sie nie zuvor gekannt hatte. (Aus: Gertrud von l« Fort, Da» Schweißtnch -er Veronika. Roman. 356 S- Verlag Josef Kösel u. Friedrich Pustet, München. Preis in Ganzleinen 10 Mark.)