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Onter^Äituns und V^i§8en ^7, 206 — 9. 56pt. 1928 Vn!b<:^->itiin Lücksiscke VoIIi82eitunA Aus dem Zichott. » Ernst von Piirckel: Griechenland im Fieber. Else Budnowski: Ewiger Schnee. Joh. vonKunowski: Vater Zeng. F. Schrönghamer-Heimdal: Die serne Stadl. Wakter vom Rummel: Bei den fliegenden Fischen., Franz Cingia: Mehr Freud«. Beatus: Blühendes Brachfeld. Griechenland im Fieber Von Ernst von Piirckel. Das Athen von heute ist nicht mehr die Stadt des Perikles und der Aspasia. Und doch hat das griechische Volk eine Seele voll Rätsel und Altertum wie keine andere Nation bewahrt. Uralte Volkslieder von mitreißendem Temperament raunen Und bekennen diese Seele. Ueber den Boden von Hellas sind nacheinander Mykener, Dorer, Ionier, Mazedonier, Römer, Westgoten, Genuesen und Venezianer, Albaner und Türken hrnweggezogen, und jeder hinterließ irgendetwas, einen Gebrauch, «ine Fabel, einen Schrecken. Die Haine und sonnigen Berge des Olymp sind heute verwaist, die Götter haben sie verlassen. Aber am Fuße der Berge blühen noch immer Lorbeer und Myrte; zwischen den Felsen wachsen dunkle Zwergtannen, und am Horizont glänzt ein Heller Strich, schaumgekrönt und wo gend, es ist dasselbe Meer, wo Aphrodite geboren wurde und wo sich die Griechen nach Troja einschifften. Die Athener sind stolz auf ihre Stadt und auf die Größe ihrer Vergangenheit, aber wenn sie von den Ländern des Westens sprechen, so sagen sie: Europa. Sie scheinen es vergessen zu haben, daß einst sie es waren, die Europa gründeten. Das bißchen Licht, das auf unseren kümmerlichen Erdteil fiel, kam von dort, aus der Mutterhauptstadt Europas. Das moderne Athen erinnert in seinem offiziellen Teil an das akademische München, nur daß es von Albanern und von Kurden, von lammfell- und ballettröckchentragen- den Männern durchwimmelt wird. Auf dem Markte herrscht ein buntes Gewühl, heute vielleicht ebenso wie vor zwei tausend Jahren, als noch die Philosophen in härenem Ge wände über denselben Platz schritten und in dem vergäng lichen Treiben nach Berechtigungen und Gleichnissen ihrer Lehren suchten. Die in Oel siedenden Fische dampfen sicher lich ganz homerisch. Und auch die Knoblauchgirlanden hängen ebenso wie ehedem an den Staketen herab. Ein junges Mädchen von fast unmöglicher Schönheit bietet lebende Hühner zum Verkauf, die, da man im Süden grau sam ist, an den Füßen als Bündel zusammengebunden mit dem Schnabel nach unten auf dem Boden schleifen. Ein altes Weib trägt einen noch blutenden Bockskopf an seinem Zickenbart nach Hause. Dazwischen tummeln sich Kom missionäre, fliegende Händler. Auch die Glaskasten der Wechsler sind auf dem Markte aufgestellt, darinnen liegen Pfunde, Dollar und Kronen, auch goldene Ketten und Münzen, und hinter dem Tisch steht der Bankier und blickt den Touristen mit gewinnendem Lächeln an. Die Vor fahren dieser Bankiers schifften über das Jnselmeer und handelten mit Bernsteinketten oder mit syrischen Mädchen. All dieses Gewühl, das große, schöne Athen ist plötzlich in Schrecken erstarrt. Aengstliche Menschen stehen auf dem Markte und auf den Straßen herum, oben am Himmel sengt und brennt eine glutheiße Sonn«. Aus den Tiefen Asiens ist das Dandyfieber über die Stadt gekommen und fordert täglich 80—100 Menschenleben. Wer es kann, flüchtet hinaus in die Berge oder an den Strand, um der Ernte des Sensenmannes zu entgehen, aber die Flüchtenden nehmen den Keim der Seuche mit sich und verbreiten das Fieber über das Land. Man erinnert sich an die Zeiten, da einst der Schwarze Tod aus Asien kam und seinen furcht baren Spaziergang durch Europa begann. In Athen mußten die meisten Geschäfte ihre Türen schließen, weil das Personal erkrankt ist. Auch der Telephon- und Postverkehr stockt, und das gesellschaftliche Leben ist eingeschlummert aus Furcht vor oer Ansteckung und dem Fiebertode. Im Sommer kommen zwar wenig Touristen in die Backofen hitze der griechischen Hauptstadt, dennoch gibt es einige Un entwegte. die sich durch die Sonnenglut nicht abschrecken lassen. Namentlich Amerikaner kommen auf ihren Riesen dampfern heriibergeschwommen, um die Akropolis zu be suchen und um Postkarten aus dem Tempel Äthenes, der Göttin der Vernunft, in eine vernunftlose Heimat zu senden. Sie kaufen auch gerne bei den Händlern mykenische Bronzen, die einen Ruhmestitel der Pforzheimer Industrie dar stellen. Aber heute schmecken ihnen auch die Sankt-Peters- Fische nicht mehr, auch nicht das Lammfleisch, das vor ihren Augen im Hotel am Spieße gebraten wird. Sie trinken nachdenklich ihren Rezinatowein, der nach Tannennadeln kHzxer Lelrnee. Kein Fuß betrat das weiße Schleppenkleid, Das sich um dieses Berges Schultern breitet» Und w»e in heiliger Jungfräulichkeit Von seiner unentweihten Stirne gleitet. Kein lauter Ruf drang dreist und kühn hinein In dieses nur vom Sturm belebte Schweigen. Vor solchem königlichen Einsamsein Mutz jedes Wort sich still zum Staube neigen. Du heiliges, du unentweihtes Land! Wie lockst du meiner Sehnsucht leichte Schwingen! Als wärst du meiner Seele nahoerwandt» Als würde sich mein Futz den Weg erzwingen! Und weist es doch — was dich so herrlich macht» So überirdisch kraftvoll läßt erscheinen, Ist, daß des Himmels Bläue dich umdacht Und Sternensilbertränen dich umweinen; Und Sturmwindstotzen dir dein Haupt umweht» Als einziges Streicheln milder Freundeshände —, Aus daß sich deine unberührte Stirn Noch inniger zu ewig Fernem wende .... UIs« vuckuovsU. schmeckt, und warten auf die erst« Gelegenheit, um das Fieberland zu verlassen. Auch der Greis, der nach den Mahlzeiten zu erscheinen pflegt, um auf der Panflöte zu blasen, interessiert nicht mehr. Ungefähr 15 Pfeifen, ver- schieden lang, sind in einem Halbkreis zusammengebunden. Die Panflöte sieht nicht schön aus, sie hört sich auch nicht schön an, aber es ist immerhin eine echte Panflöte in Griechenland, die die Beachtung der programmäßig Rei senden fordern darf. Heute klingt sie wie eine unmelodische Klage über die furchtbare Krankheit, die in Athen wütet. Auch die Akropolis ist vereinsamt; um die gestürzten Säulen sammelt sich kein andächtiges Publikum, das jeden weißen Marmorbruch bewundert; das Dandyfieber hat sie verscheucht. Die Aerzte wissen nicht recht, wie sie die Epidemie be kämpfen sollen, da der Krankheitserreger des Dandy- oder Denguefiebers unbekannt ist, und es bisher nur in Arabien und in einigen anderen Gegenden Asiens vorzukommen pflegte. Die Krankheit beginnt bei bohem Fieber mit Kopf- und Gliederschmerzen, dazu kommt ein roter, masern artiger Ausschlag. In seiner bösartigsten Form — das so genannte „Black Fever" — ist es bei Benommenheit und Herzschwäche fast immer tödlich. Durch die Muskelschmerzen, die die Krankheit begleiten, erhalten die Bewegungen des vom Fieber Befallenen etwas unnatürlich Steifes. Daher kommt auch die Bezeichnung „Dandyfieber". Mit den Mitteln, die die Regierung zur Bekämpfung der Seuche ausgeworfen hat, werden strenge Hygienemaßnahmen ge troffen, aber sie kommen teilweise verspätet, da ja die Flüchtenden den Krankheitskeim bereits überall verbreitet haben. Da selten ein Unglück allein kommt, so ist diesmal die Fieberkrankheit auch vom Aufleben des Näuberunwesens in Griechenland begleitet. Räuber haben auf offener Land straße bei Janina kürzlich neben anderen Persönlichkeiten den Staatssekretär im Finanzministerium Mylonas und den Abgeordneten Melas überfallen und in die Berge verschleppt. Sie verlangen ein Lösegeld von fünf Millionen Drachmen, das ihnen auch bezahlt werden wird. Auch der bekannte Rechtsanwalt Gyras wurde am Hellen Tage von den Räubern ergriffen, nicht genug damit, sequestrierten sie auch die Tochter des holländischen Vizekonsuls. Die Räuber romantik mutet im zwanzigsten Jahrhundert seltsam an. Aber schon bald, nachdem man Athen verlassen hat, kommt man in einen Landstrich in Attika, der wild und zerrissen ist. Man fährt zwischen Bergen dahin, die wie Steinhaufen aussehen. Die Landleute, die im Freien übernachten müssen, haben ihre Zelte auf die Spitzen dieser Stein formationen gesetzt, aus Furcht vor den Wölfen, die hier in Gemeinschaft mit den Räubern herumstreichen. Man be greift die Räuber, wenn man hoch oben im Karst die Geier, zu Bronze erstarrt, mit offenen Augen auf die Beute lauern sieht, bis sie sich erheben, um Spiralen in einen Himmel aus Aquamarin zu schneiden. Dann kommt sehr plötzlich die Dunkelheit, als ob ein sphärischer Lichtschalter bewegt worden wäre. In der nächt lichen Stille schweigen die Zypressen und Oelbäume, die Wacholder- und Oleandersträuche bewegen sich nicht, bis der Mond als riesiger Granatapfel über Attika emporschwimmt und die Schafhirten und Räuber ihre Schlupfwinkel ver laßen. In den Schluchten versteckt sich Nymphenheimlichkeit. In der Morgenröte flattern graue Tauben über Felder von Narzissen. Frauen von wilder Schönheit treten aus den Vater Zenz Von Joh. von Kunowski. . Man war auf dem Gute mit einem Mal« mit Vater Zenz, dem allen Gärtner, nicht mehr zufrieden. Dies „man" war ja «igentlich nur di« junge Frau, di« hier vor kurzem di« Herrschaft angetreten hatte, da aber vom Gutsherrn bis zur letzten Stall« magd alles nach ihrer Pfeife tanzen mußte, halt« Vater Aenz in dem zierlichen Persönchen einen Gegner, dessen Hilfstruppe jedes denkend« Wesen auf Margolin war. Aus ihrem Elternhaus in der großen Stadt hatte Susann« Ellermann ihr« Kakteensammlung mitgebracht, und da st« selbst me die rechte Zeit gefunden hatte, diesen stachligen Lieblingen die richtige Pfleg« angedeihen zu laßen, so waren all die merk würdigen Gesellen in keinem allzu schönen Zustand, als sie auf Margolin anlangten. Wozu aber hatte man denn jetzt einen Gärtner, wenn der nicht diese landfremden Wicht« wieder in rechten Schutz gebracht hätte? Allein Vater Zenz' Kenntnisse, de-r wohl seinen Garten und Park nach all-ehrwürdiger Väterweise in Ordnung zu halten ver stand, reichten nicht aus für dies« Wüsten- und Feleeinödenbewoh- ner. Gr wußte mit ihnen nichts Rechtes anzufangen, ganz ab gesehen davon, daß er für jede noch so einfach« Feldblume tausendmal mehr Liebe und Zuneigung empfand, als zu diesen graustacheligen Dingern. Mit diesem ersten Versagen aber hatte die Unzufriedenheii mit ihm angefangenl Seine schönen Kugel- und Taxusbäume, die durch lange Jahrzehnt« schon schlecht und recht das Rondell vor dem Hause verziert hatten, sollten jetzt mit einem Male zu allen möglichen phantastischen Farmen gestutzt werden. Rosen sollten okuliert werden, -ei deren zu erzielendem Namen Vater Zenz schon sein einfältWes Gesicht zog, im Park mutzten Durchblicke geschaffen werden, bei deren Anlage der Gärtner sein« schönsten und liebsten Bäume hätte opfern müssen. Das war eine schlimme Zeit sür den alten Gärtner, und mehr als einmal dacht« er daran, um seine Entlassung zu bitten and einem andere, Platz zu machen, der dann ja nach den können der jungen Frau tanzen konnte. Aber die Liebe zu feinen Bäumen, die er zum Teil selbst gepflanzt, von denen andere wieder der sorgenden Hand seines Vaters ihr Leben ver dankten, hielt ihn zurück. Und ein Plan, wie er nur im Kopfe solch eines wunderlichen, alten Graubartes entstehen, konnte, der um ein Leben in der ihm allein möglichen Weise kchnpfte, reifte in ihm, der bei seinem Gelingen mit einem Schläge all dem neuen Trubel ein Ende machen sollte. Der Weisung seiner jungen Herrin folgend also pflanzte er eines schönen Tages ganz dicht an der rückwärtigen Seite de« Hauses eine ganze Reihe von jungen Silberpappeln, die hübsch angeordnet, nach dem Köpfchen der Eutsherrin eine nette Flan kierung der Hinteren Veranda bilden und überhaupt dem Gan zen einen prächtigen Abschluß geben sollten. Taten Vater Zenz bei diesem blödsinnigen Pflanzen, wie er recht despektierlich fein« Tätigkeit bei sich nannte, di« jungen Bäumchen auch von Herzen leid, so bildeten doch gerade sie einen Hauptbestandteil seines Planes, wer weiß, wie lange auch sonst die Ausführung dieser Anweisung noch hätte auf sich warten lassen! Und als di« jungen Bäume gepflanzt und angegossen waren, entwickelte der alt« Gärtner «in« neu«, bisher nie -ei ihm be merkte Tätigkeit. Im Kornspeicher, im Schweinestall, in der Futterkammer und bei der Milch — überall konnte man ihn herumkrauchen sehen. Stets aber hatte er einen kleinen, grauen Sack unter dem Arm, der «inen seltsamen, lebendigen Inhalt zu haben schien. Auch draußen auf den Feldern und in den vernach. lässigten Teilen des alten Parke« verließ ihn dieser Beutel nicht, im „Schlosse" aber, wie di« Leut« in altgewohnter Ueber- treibung das Gutchau» nannten, gab es auf einmal — Mäuse! Feld-, Wald« und Wiesenmüus«, Ratten, di« verzweigtesten Sippen der grauen Nager gaben sich in Scharen ei« Stelldichein. Suse Ellermann, di« schon in Ohnmacht fiel, wenn st« nur von weitem ein Mauseischwänzchen erblickt«, verlebte den größten Teil des Tages auf Stühlen und Tischen. Gärtner und Kutscher mußten den Feldzug gegen die grau« Gefahr aufnehmen, soviel Fallen di« beiden aber auch ausstell ten, soviel vergifteten Weizen sie auch legten, d<« MSuseplag« wurde durch ihre Tätigkeit nicht geringer. als einzige Neu- erschein»«« durchzog «in eindringlicher Mäusegeruch von verreck te« Tieren all« Räume de» Hause». Fra« Susann« tobte. sprach ihrem Manne von sofortiger Abreise zu ihren Eltern, denn in solchem mäusegeplagten Hause könnte sie ihres Lebens nicht froh werden, und Vater Zenz fing mit immer größer werdender Sicherheit Mäuse und Ratten, denen er im Haus« die Freiheit wiedergab. Und als Frau Ellermann wirklich beinahe krank vor Auf regung wurde und nächtelang das Licht in ihrem Zimmer nicht erlosch, tmt der alte Gärtner eines Morgens vor sie hin. .Ja. gnädige Frau, was ich Ihnen schon lange mal sagen wollte", begann er bedächtig, seine Mütze in den roten Händen drehend, „wegen der Mäuse. Aber Sie glauben mir ja man doch nicht, da ich ja von nichts was verstehe, wie Sie immer sagen —" Die Gutsherrin aber vergaß heut« all« Kakteen und Park durchblicke, und hatte urplötzlich ein grenzenloses Vertrauen zu dem biederen, vor ihr stehenden Manne. „Sprechen Sie nur, Vater Zenz, was ist mit den greulichen Tieren, wissen Sie ein« Abhilfe?" ermunterte sie den Alten. Und bedächtig das ein« Auge zukneifend, wie das so seine Gewohnheit war, fuhr der Gärtner fort. .Ich wollte das ja bloß nie sagen, weil Sie «nicht doch auslachen täten, aber ich weih das von meinein Vater. Die Mäuse kommen hinten von den Pappeln, da ziehn st« sich nach hin, und wo das noch so junge Wurzeln find." Entgeistert blickte Susann« Ellermann den Sprecher an. Für einen Augenblick wollte st« ein Argwohn überfallen, aber der Alle da vor ihr sah doch zu treu und brav aus, und dann, sein lange« Leben auf dem Lande, während sie selbst doch ein Stadtkind war, am Ticke konnte der Gärtner doch recht haben! „Die Pappeln —" wiederholte sie noch einmal, in dem Augenblick aber huschte ein Mäuslein unter der Kommode her vor und verschwand drüben wieder unter dem Sofa. Schmunzelnd ging Vater Zenz an die Arbeit. — Und merk» würdig, es vergingen keine acht Tage, da ließ die Mäuseplag« noch. Dafür aber kroch der Alt« auch nicht mehr auf den Korn speicher« herum, sondern schmiert«, im Haus« alle Ritzen und LSch« zu und setzt« zudem seine eigen« Katze auf dem obersten Boden. Da» half, und da außerdem au» einem gewissen Beutel »ein« neu« Ragetierzufuhr mehr erfolgte, verstrichen keine vier Woche«, mck es g«ck im ganzen Hanse keine Mau» mehr!