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Dienstag, den 1. Februar 1027 Nr. 25; Leite S Im Land -er -raunen Kohle M SMWktr -ek MsreAllW Die Durchführung der Mllitärverivrgung wa« früher Ausgabe der milikürnchen Behürden, des Bezirks-, des Generalkommandos und des Kriegs,» inisteriums. Nach der Verkleinerung des Heeres wurde sie ZivMehörden über tragen. Früher bestand kern klagbarer AMPruch auf Ver legung ln dem Umfange w:e heute. So waren die wich tigsten Fragen des VeriorgungsrcchbS, ob eine Ge;und- he>i>lSstörung als Drenstbelchädigung und ob eine D.enslbe- lchädrgung als durch den Krieg entstanden anzufehen sei, der richterlichen Nachprüfung entzogen. Auch die letzte Entjchcidung :n diesen Fragen blieb ei» reiner Verwaltnngs- akt. D.e Neuregelung der Versorgung in der StachkriegSzcit hat die;« we.tgehende Einschränkung der richterlichen Nach prüfung beseitigt. Aus diesen beiden wesentlichen Aenderungen beruht die Neuorganlsatwn der Versorgungsbehörden. Sr« find selb-- sttinvige ZMlbehörden. Sie find teils VerwaltungS-, teils gerichtliche Behörden. D:e Spruchbehörden der Reichs-Versorgung sind die Versorgungsgerichte und das Reichsversorgungsgericht. Für V-erlvrgnngSjachen, die zur Zuständigkeit von bayrischen DersorgungSgerichten gehören, tritt an die Stelle des ReichS- versorgungSgerichr das Bayrische Landesversorgungsgericht, das dem bayrischen Landesoersicherungsamt in München angegliedert ist. Diele Gerichte find Sondergericht« für das Gebiet des VersorgungswesenS. De Nersorgungsgericht« find Ge richt« erster Instanz; f:e entscheiden auf Berufungen gegen die Bescheide der Versorgungsämter. Sie find infolge der Verwandtschaft des Bersorgnngsrcchtcs mit dem B-rfiche- rungsrecht der Reichsversicherungsordnung den Oberversiche- rnngsämtern angegliebert und unterstehen in 'Preußen dem Wohlfahrtsministerium. Sie find also Landesbehörden. Bei den DersorgungSgerichten werden Kammern gebildet, die milk einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern besetzt sind. Der Vorsitzende ist Mitglied des Oberverficherungs- amtes. Die Besitzer werden den Kreisen der Versorgungs berechtigten und der m:t der sozialen Fürsorge und dein Versorg-ungSwesen besonders vertraute,, Personen entnommen. Das Reichsoeriorgnngsgericht fst die oberste Spruch behörde in Verforgungssachcn. Es entscheidet auf di« Re kurse gegen die Urteile der Versorgungsgerichte. Es ist dem Reichsverficherungsamt ,n Berlin „„gegliedert, ist also Reichsbehörde. Beim ReichSverforgungsgericht sind Senate und ein Großer Senat gebildet. Zurzeit si-nd auch noch Hil'H>enate weg n des autz r.-rlenikich starten G schästsgang s eingerichtet. Die Senate bestehen aus einem Vorsitzenden und v.er Beisitzern. Abs Beisitzer wirken mlt ei-n Mitglied des Rciichsverzicherringsgerichts, ein richterliches Mitglied eines ordentlichen Gerichts und je ein Mitglied ans den schon bei. der Besetzung der Versorgungsgerichte genannten Kreisen. Der Große Senar besteht aus dem Vorsitzenden und acht Beifitzern. Er dient der Einheitlichkeit der Recht sprechung innerhalb des ReichSverforgungsgerichts. Theater und Musik Staatsoper. 4. G i n s o n i e k o » z e r t Ne, he B. Man hatte Gelegenheit, ein Werk des Berliner Tonseßers Georg Schumann kennen zu lernen: Variationen undGigne überein Thema von Händel. Die zum ersten Male in den Sinfoniekonzertei, der Staatsoper gespielte Komposition be stätigt von neuem die Ansicht, daß Schumanns Kompositionen .ihren Schöpfer überleben werden. Die Variationen tragen ihrem Wesen, ihrer Harmonie. Instrumentation und ihrem Aufbau iidA ein durchaus neuzeitliches Gepräge. Allerdings haben sie den Vorzug, oaß sie eine tief empfundene, melodiöse, sich von jeder Atonalität abkehrende und den vornehm schaffenden Musi ker kennzeichnende Note tragen, der eine farbenreiche Palette zur Hand hat und in der Orchesterlcchnik ausgezeichnet Bescheid weiß. Tie verschiedenartige Struktur der einzelnen Variatio nen. die sich in dem Gigue zu einem besonders temperamentvol len Höhepunkt aufschwingt, fesselt bis zum poetisäzsn Ausklingen oes nochmals wiederkehrenden Themas, Das Werk, das der Komponist in durchreister Auffassung vornehm und geschmackvoll dirigierte, fand sehr starken Beifall. Als -weite Neuheit hörte man Hans Pfitzners Konzert in H-Moll für Vio line und Orchester, ein Werk, das die urwüäzsige, jeder Verbeu gung vor dem Publikumsgeschmack meidende Art dieses Ton setzers in ihrem ureigensten Charakter wiedergibt. Dem ersten Satz, in Rhythmik und Harmonik aufwühlend uno anspeitschend, steht ein sehnsuchtsvoller, melodiescliger Teil gegenüber, der von dem Schlußsatz verdrängt wird, der wieder den Charakter des „Merseburg!" " Wir steigen aus. Mit der elektrischen und der Betricbs- bahn bis zu den Riesenwerken der Michel-Vesta. Hier im Gei sei tat begann man um 1850 mit dem Ab bau der Braunkohle, und 1906 setzte der Großbetrieb ein, Mel dung bei der Direktion des Michelwerkes. In liebenswürdiger Weise wird uns die Grube und die Brikettfabrik gezeigt. Der Brannkohlenflöz des Geiseltales hat eine Längsaus- dehnnng von 12 und eine Breitenausdehnung von 4 Kilometern. Die Nordgrenze bildet die Linie Niederwünsch-Blösien. die Ost- grenze ein Bogen von Blösien noch Franklcben, die SUdgrenze ist bei Groh-Kayna. Die Mächtigkeit der Flö'e ist sehr verschie den und im Osten geringer als im Westen. Bei Beuna beträgt sie etiva 20 Meter, bei Eeiseiröhlitz 70 Meter und bei Zorbau 80—90 Meter. Dann nimmt sie schnell wieder ab. Die Micheüverke mit den Geiverkschasten „Michel" und „Bcsta" in Groß-Kayna, „Leonhardt" in Neumark und „Gute Hoffnung" bei Roßbach, sowie di« Beunaer Kohlenwevke, die Hallische Pfännerschaft, Werschen-Weitzenfels, Anhaltische Koh lenwerke und Elise II-Konzern haben sich in diesen Riesen komplex geteilt. Der offene Taqesbau Michel-Vesta beträgt zur zeit etiva 8 Kilometer, Der Gesamtgehalt des Kohlcvorrats im Geiseltal ivird auf etiva eine Milliarde Tonnen geschätzt, und bei einem sährlichen Abbau von 10 Millionen Tonnen dürste der Vorrat 100 Jahre Vorhalten. Die Kohle lagert unter gewaltigen Sondmassen, die erst abgeränmt werden müssen. Das Deckgebirge, das etwa 80—40 Meter mächtig ist, wird in drei Schnitten abgedeckt. Vorher müssen vorhandene Hügel planiert werden. Man hat Schnitt- tiefen von 20 Meter, wo der Bagger arbeitet und in 24 Stunden 6000 Kubikmeter Abraum bewältigt. Riesige Geleisanlagen rum Wegsämffen des Abraums fallen uns auf. Hier rollen die Züge hin und her und fassen etwa 100 Kubikmeter Erbmassen. Der Betrieb ist meist elektrisch mit 450-PS.-Maschinen. Die Dampf lokomotiven werden immer mehr abgeschafft wegen der Brand gefahr. Der Lössel eines Baggers saßt etiva 2 Kubikmeter Sand, der verwendet wird, um die abgebauten Stellen wieder auszu- füllen. Die .Häuer kleben förmlich an oft 80 bis 40 Meter holzen Wänden und picken die Braunkohle ab, die in einen Trichter fällt, der durch eine Klaz>pe verschlossen werden kann. Unter diesen Trichter wird der Hunt geschoben, und die Kohlen fallen nach Oesfnung der Trichtcrklappe dort hinein. Die Hunte oder Kippivagen fahren in geschlossener Kette weiter, wenn sie gefüllt sind. So wird Tag und Nacht gearbeitet, des Nachts mit gro ßen Scheinwerfern. Sommer und Winter, gutes oder schlechtes Wetter haben aus den Betrieb keinen Einfluß. Die Arbeitszeit ist ununterbrochen von Montag morgens um 6 bis Sonntag mor gens um 0. Was dabei geschafft werden kann, ist leicht vor- '»stellen. Wo heute Kohle abgcbaut wird, nmrci, vor 20 Jahren nach wogende Getreidefelder, und gar manches Dorf mußte ver schwinden. Ueberall gewahrt man die Spuren des Riesenschrit tes eines Ungeheuers, der Kohlenindustrie. Neue Gleise iverden angelegt, alte, nicht mehr nötige, entfernt, das Netz der elek trischen Leitungen spannt sich immer iveiter. Der Betrieb wächst mit der Zunahme der Verwendung der Braunkohle. Diese kommt als Rohkohle aber noch mehr als Bri ketts zum Verbrauch. Interessant ist die Herstellung der Bri ketts, die setzt in der Hausfeuernno eine so hohe Bedeutung haben. Be tränt dock die Gesamtproduktion des Michei-Kon'erns sührlich 1,80 Millionen Tonnen. Sehen wir uns nun einmal die Brikettfabrik an! Anfanges annimmt, diesmal aber weichere Farmen nicht ver schmähend. Das überaus schmierige Werk fand in der noch jngendliäzen Geigerin Alma Moooier, die man wohl getrost als die bedeutendste Violinistin Ser jüngsten Generation bezeich nen kann, eine ineisterhasie Beherrscherin, Mozarts Sinsoie in G - Mo11 beschloß den Abend, Fritz B n s ch war dem Pfttz- nerschen Violinkonzert und der Mozart-Sinfonie ein beredter und berufener Führer, wozu ihm die S ta a t s ka p c l l e in meisterhafter Art zur Seite stand. Das Pfitznersche Werk und seine hervorragende Interpreün sauren stärksten Beifall. Also wirklich einmal ein Programm, welches neue Werke brachte, die die Gehörnerven nicht zentimeterweise in Stücke zerreißen! Die Hunte, von denen wir vorhin sprachen, bringen die Kohlen in langer Zugkctte in die Fabrik. Gezogen werden sie durch Ketlenbahnen, Damit bei etwaigem Reißen der Kette die Wagen nicht wieder hinabgleiten und dabei vielleicht Un glück «»richten, sind Fangbahnen eingerichtet, gegen die di« Hunte stoßen und vielleicht einigen Materialschaden anrichten aber keine weiteren Unglücksfalle. In der Fabrik angekommen werden die Hunte umgekippt und zwar selbsttätig, und ihr In halt füllt in die Brechiverke, ivo er zerkleinert wird. Darauf folgt die Leitung durch verschieden gelöcherte Siebe. Die groben Stücke wandern ins Kesselhaus. Jedes Sieb muß in 10 Stunden etwa 500 Hunte zu je etiva einer halben Tonne verarbeiten. Das der Kohle inne hastende Wasser muß nun durch Trock nung bis ans einen Restwasscrgehalt von 12 bis 18 Prozent her- nnlergedrückt werden. Dieses geschieht in einem besonderen Ge bäude mit Röhrentrocknern. Das sind große Trommeln, in denen Rohre liegen, durch die di« Kohle läuft. Diese Rohre iverden von Wasscrdampf uingeben, so daß die Kohle mit dem Dampfe nicht in Berührung kommt, wohl aber durch die Hitze getrocknet wird. Bei der Bewegung der Kohlen in den Röhren entsteht natürlich Staub, und dieser wird mit dem verdunsteten Wasser sortgesührt. Diese Masse, Wrasen genannt, gelangt durch die Wrasenschlöte ins Freie. Diese Schlote sind das Kennzeichen der Brikettfabriken, sie ersäzeinen gedrungen, sind viereckig und nebeneinander gereiht. Bei dem erwähnten Borgainr« wird den Kohlen 85—10 Prozent Wasser entzogen durch die Verdunstung, Die Brikettfabrik Michel-Vesta erzeugt täglich 3000 Tonnen Briketts, Um solche lzerzustellen, läuft die bis auf 16 Prozent Wassergehalt getrocknete Kohle auf Transport bändern zu Trichtern, unter denen sich die Brikettpressen be finden. Die Bestückung regelt sich automatisch. Nach der Pres sung laufen die Briketts durch einen Kühlraum direkt in die Waggons. Zum Setzen sind dort besondere Leute anaestellt. Man unterscheidet sieben Formate von Briketts: IX-, 2, 314, 4. 414, 6 und 7 Zoll. Nun noch ein Blick in die Kesselhäuser von Michel-Desta! Hier liegen in einer Reihe 20 Dampfkessel und im anderen Raume 28. Jeder wird von 6 Mann bedient. Ueberall staunt man über die größte Sauberkeit. Alles regelt sich vom selbst, und die Leute haben nur den Gang der Maschinen zu kontrol lieren. Drei Niesenmaschinen von 5000 PS. setzen den Betrieb in Tätigkeit. Beim Weitergehcn erblicken wir auf dem Wege zu dem Brikettschuppen die Klärteiche und die Riesenschiote von einer Höhe von 75 und 95 Meter und einer Ocfsnung von 3,80 und 4,50 Metern. Wenn wir der Herstellung der Brikcits gedachten, so ist es auch unsere Pflicht derer zu gedenken, die sic Herstellen. Kein leichter und angenehmer Berns. Aber das muß man der Fabrik, leitunq lassen: sie hat auch für ihre Arbeiter gesorgt. Freund liche Häuser mit kleinen Gärtchen stellt sie ihnen zur Verfügung. Eine eigene Lehrwerkstätte ist eingerichtet für den Nachwuchs im Betriebe. Arbeiter und Beamte können sich nach der Arbeit in einem ivohleingerichteten Kasino gütlich tun. Turn- und Sportvereinigungen sorgen für Stählung und Gesunderlzaltung des Körpers. Äehnlich sind die Einrichtungen auch in anderen Brikettfabriken, wo die bekannten und beliebten Marken: Hal lore, Cäcilie und AKW hergestellt werden. Wenn wir also setzt «in Brikett in die Hand nehmen, dann wissen wir, wie cs entstanden ist und wollen auch derer geden ken. die es unter schweren Mühen entstellen ließen, und uns des Fortschritts der deutsche» Industrie auch auf diesen« Gebiete freuen, um so mehr, da es eine heimische Industrie ist. -n. Opernhaus Ehrmuitz. Dienstag, 1. Febr. (7.30): Wilhelm Dell. Mittwoch, 2, Febr, (.8): Der Schneemann, (7.30): Der Barbier von Sevilla. Donnerstag, 8. Febr. (7.30): Das verfemte Lachen. Freitag, 4. Febr. (7.30): Turandos, Sonnabend, 5. Febr. (3>: Der Schneemann, (7.30): Der Evangel'.mann. Schauspielhaus Chcmiiitz. Dienstag, 1. Febr. <8t: Das Grabmal des unbekannten Soldaten. Mittwoch, 2. Febr. (7.30) ; Neidhardt von Gneisenan. Donnerstag, 3. Febr. (7.30) : Neidhardt von Gneisenan. Freitag. 4, Febr. (7.30): Die Gefangene (Gastspiel der Reinhardt-Bühnen). Sonn abend, 5. Febr. (7.30): Stöpsel. Die alle Thüringer Sptnnslube Von Annemarie von Itter. Jetzt erscheinen in den Tageszeitungen Inserate mit der Ueberschrist „Spinnstube", in welchen di« Eröffnung einer Spinn- stube in irgendeinem Gasthofe ongezeigt wird Die Spinnstube von heute hat nichts mehr gemein mit der eigentlichen Epinn- stube aus der Ze't unserer Ahnen. Die heutige Spinnstube ist nichts weiter als ein Zusammenkommen zu dem Zwecke, sich bei Kaffee und Bier die Zeit mit Plaudern, Spielen und Tanzen zu vertreiben. » Wie anders war es damals, als es noch Ehrensache der Hausfrau war, seldstgesponnenes Leinen in den Schränke» zu habe», als «das junge Mädchen bemüht «vor, die Brauttruhe an- zusnilen mit dem schneeigen Linnen! Wenn der Thüringer Wold dem Frühling entgegenschlies unter der dicken Schneedecke, da rückten die Leute am warmen Ofen zusammen. Und wenn des Abends bläuliche Schotten über die weiße Erde huschten, dann versammelt« man sich um des „Lichtes gesellige Flamme". Doch auch da ließ die Hausfrau die nimmermiiden Hände nicht ruhen. Das Spinnrod wurde aus der dunklen Ecke hervorgeholt, und sein munteres Surren be gleitet« manche gute Rede. Und auch di« Haustöchter und Mägde setzten sich nach getaner Tagesarbeit an ihre Räder und spannen manchen goldenen Zukunststraum mit in die grauen Fäden. Der Thüringer liebt hie Geselligkeit, er plaudert und singt gern. Und so wurde es Sitte, daß mehrere Nachbarn und Freunde sich in einem Haute versaimnelten, an einem Abend in diesem, am andern Abend im nächsten und so reihum. Noch dem Abend essen, ivenn Ntensch und Vieh gesättigt waren, ging mau auf den verschneiten Pfaden zur Spinnstube. Zuerst waren die Frauen und Mädchen allein. Da erzählte man sich, was der Tag einem jeden gebracht, Da sprach man vom Neuesten, das sich im Dorfe zugetragen und vergaß auch nicht der Nachbarin oder Freundin, die gerade nicht anwesend war. Aber es war niemals schlimm gemeint: denn die Dorfleute hängen zusammen «vir eine Fa milie. War ein alter Großvater im Haus, so wußte der zu er- zählen aus der „alten guten Zeit", die immer zehnmal besser ist wie die heutige, 's ist auch setzt noch so! Und so flink die Münd- Hen gingen, flinker noch waren, die Füße ain Rad und kein« wollte hinter der andern Zurückbleiben. Das ging so bis gegen 9 Uhr. Dann kamen die Männer und Burschen, um die Frauen und Mädchen abzuholen. Aber vorläufig Lachte noch niemand ans Fortgehen. Denn setzt wurde es erst gemütlich. Die Männer wußten zu erzählen von Kriegs, und Friedenszeilen, und wenn erst die Gespenster- unü Geistergeschichten aufs Tapet kamen, da gab es kein Auf- hören. Es war auch zu schön! Und wenn e» so recht gruselig war, daß einem die Haare zu Berge stiegen, dann vergaßen die Füße sogar das Treten, und alle di« Näder standen still. Und jede Frau und jedes Mädchen war froh, daß sie oder es für den dunklen Heimweg einen Beschützer bei sich halte. In den Spinnstube», in denen Izauvtsächlich junge Mäd chen versammelt ivoren, kam es niit den Burschen gern zu aller hand Neckereien. Meist waren diese harmloser Art. So z. B. schichteten die Burschen vor die -Haustür ganz heimlich eine Wand von Steinen auf. pochten dann an die Fenster um Einlaß und wollten sich totlocheii über oas Staunen und Entsetzen der Mäd chen, als diese die Wand hinter der Haustür gewahrten. Nicht immer aber ging es so harmlos bei den Spinnstuben zu. Sonst hätte wohl der Gothaer Herzog Ernst der Fromme nicht den Besuch der Spinnstuben zu untersagen brauchen. Er gestattet« ihn nur den nächsten Nachlxirn und Freunden und diesen nur dann, wenn es um des Spinnens hol» brr geschähe und der Besuch junger Burschen unterbliebe, an dernfalls er diesen Gefängnis oder Geldstrafe androhte. Auch einer Mainzer Verordnung aus der Zeit, als das Er furter Land uoch unter den Gesetzen von Kurmainz stand, verbot di« Aufnahme der Burschen in die Spinnstuben und das Heim- gcleit. Ein Kupferstich noch Behom aus dem 16. Jahrhundert zeigt, wie die Erlustigringen der Schnnstuben zu Unflätigkeiten ouLarteten, Auch gebe«, Gedichte aus jener Zeit Beschreibungen davon. Aber diese Verbote sind wohl kaum der Hauptgrund des Aushörcns der Spinnstul>en. Die wachsende Industrie mit ihren schneller und feiner arbeitenden Maschinen Hot die Spinnräder verdrängt. Sie wurden zum Museumsartikel, un-d unsere Gene ration kennt schon gar nicht mehr ihren Gebrauch. In Thürin gen, Baden und anderen Gegenden Deutschlands versuchten di« Fürstinnen (vor dein Kriege) das Spinnen wieder ein'ubiirgen, indem sie Preise aussetzten für die schönste Arbeit. Man fing auch wieder an. zu spinnen. Ich selbst habe in Lörrach bei Basel öfter einer Spinnerin zugeschcn, die wertvolle Preise von der Grohherzogin von Baden besaß. Es hat einmal eine Zeit gegeben, «vo auch die Fürstinnen am «Spinnrad saßen, und Kaisertöchter, so die Töchter Karls des Großen, selbst ihre Kleider spannen. Wir möchten auch an di« heilige Elisabeth, Thüringens Patronin, erinnern. Das Spinn rad hatte den Ehrenplatz im deutschen Hause. Und nicht nur dort. Vor mehr als viertausend Jahren spannen die Aegypter aus Flachsstengeln Fasern und Garn, und ihre Leinwand war berühmt in der ganzen Welt. Wir finden sie schon iin Alten Testament crwähnl bei der Ausrichtung des heiligen Zeltes, das aus ägyptischer Leinwand war. Die Leincnhüllen Ser Mumien haben sich jahrtausendelang erlzalten. Auch die Griechen und Römer des Altertums schätzten das Spinnen so lehr, daß sic mehreren ihrer Göttinnen Spindel und Rocken als Attribute bei legten. Bekant ist die Mythe von der Spinnerin Arachn«, eines Purpursärbera Tochter, di« ein« solche Meisterin im Spinnen «vor, daß ihre Lehrerin, die Göttin Pallas Athene, neidisch wurde und sie in eine Spinne verwandelte. Die Römer führten am Hochzeitstage die Braut mit einem geschmückten Spinnrocken dem Bräutigam zu. Ein schöner. sinnooUer Brauch! Die ger manische Göttin und Beschützerin der Ehe, Frigga oder Freia, «vor mit emcin Spinnrocken gedacht. Eine andere germanische Sagengestall. Frau Holle, revidierte in den zwölf heiligen Näch ten die Spinnrocken der Mägde, Die Fleißigen iverden belohnt, die Faulen bestraft. Die Nornen spannen den Lcbenssaöen der Menschen, und die Schuxuijungfrauen und Riesinnen drehte» seine Fäden aus glänzendem Flachs. Die Fürstinnen und Ritterssranen spannen gemeinsam mit ihren Frauen und Mägde» und lauschten dabei gern den Erzäh lungen non abenteuerlichen Riltersahrtc» und von glänzenden Turnieren, Die Maler des Mittelalters mallen zzern die hehrste Frau, die Gottesmutter, mit einer Spindel i'i der Hand, Auch die Dichter bemächtigten sich dieses reizenden Vorwurses, In einem Liede des 15. Jahrhunderts heißt cs: „Maria, die könnt' spinnen, des freut sie sich." Die Spinnstube ist der Geburtsort vieler Märchen und So gen. Auch sind wohl manche, Volkslieder i» ihr zuerst erklungen. Wir kennen noch eine ganze Anzahl von Sitten und Gebräuchen, die sich »in das Spinnrad ranken. Im Elsaß legte «van dem neugeborenen Kinde eine Kunkel in die Wiege, Den Ehrenplatz auf den Brautwagen, der die Einrichtung des jungen Paares in die Wohnung brachte, «rahm das Svinnrad ein. Ja. nicht nur Geburt und Hochzeit wäre«, mit der Spindel verknüpft, in eini gen Gegenden Deutschlands legte man auch der verstortrene» Frau ihre Spindel, an der sie so viele Stunden ihres Lebens ver- dracht, mit in den Sorg als Symbol ihres Fleißes. In Kärnten ist die heilige Gertrud die Schutzzuttroniii der Spinnerinnen, und im Bauernkalender ist sic mit einer Spindel, au der zwei Man!« nagen, abgebildct. Die Mäuse bedeuten, daß an ihren« Na menstage (17 März) nicht gesponnen werden darf, sonst fressen die Mäuse das Gesponnene, An diesem Tage hört nämlich dos Spinnen aus und die Feldarbeit beginnt, Ci» Bauernspruch sagt: Mit Gertrudis lauft die Blaus — Aufs Feld hinaus. In der deutsche» Poesie spielt d:c Spinde! eine große Rolle, in allen Tonarten wirs ihr Lob gesungen. So sag! Iuslinus Kerner: Die Spindel hält verschoben Jetzt manche Schöne stolz Und denkt: Wie kan» man loben So ein gemeines Holz! Nein, liebe deutsche Frauen, Erkennt der Spindel Wert! Wollt treulich auf sie bauen, Treu, wie der Mann aufs Schivert! Doch di« Zeiten sind anders geworden und «vir mit ihnen. Die Spinnstube gehört der Vergangenheit an, wie so vieles andere, «vas einst scl>ön «var.