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Nummer 269 — 25. JaWüich 8>nril wöch Bezugspreis sür Novbr, 3,00 »tt eiuschv Lcstellgelo Anzeigenpreise: Tie Igesp. Petitzeile 30^. Stellengesuche 20 L. Tie Petitreklamezeile. 98A!illi- meier dreit, 1 Zl. Lsferlengebühren sür Selbstabholer 20 »Z. bei Ueberse»0u»g ourch Sie Post außeroem Poriozuschlag. Einzel-Nr. 10 L, Sonnlags-Nr. 15 -Z. Geschäfts, Teil: Frieorich Rieser in Dresden. Petras ren Uiüto iNülren v 0re»«jen-tt. pülnitrer 8t r. 4b ttul 27470 Sonnabend, 27.November 1926 Im Jolle höherer Gewalt erlischt jede Verpflichtung auf Lieferung sowie Erfüllung v Anzeigenauslrägen u. Leistung v Schadenersatz Für unoeutl. u. s Fern, rus üüermitt, Llnzeigen übernehincn wir keine Vev anlivorlung. lluverlauat eingewndle u m Rückporlc nicht v.cschene A!o»uüi'tt"!e vichl ntiibcwahrt Sprechstunde oer ttteoaklion 2 U Uhr nachmittags Haupljchriltleit,: Tr. Joseph Albert, DresoeZ Geschäftsstelle, Druck und Verla,i: Larou,,» Buchdrucker«, GmbH., DreSi.ru A. 1, PoNerslrrs'.e 17» Fernrus eic»2. PoslschEuuiu Dresden 14787. Bauklouloi Dresdner Bank, Dresden. Für christliche Politik und Kiullur O- " - --1 Neduktton der Lächstsiheu Volkszetlung Dresden-Altstadt 1, Poliet striche 17. gernrus ANU und 21012. Usrrenmorlsn 0smsnkosiüms Karl Lckülre Ink. Livirnei» Sckneickepmeislen Unesrien-K., Sektokslrske IT, I. Lut»KIsi«Iung rivreen Nationale Republik Don I. Ioos, M. b. R. Primv de Rivera und seine Diktatur Von Hermann Wilhelm Neuß, Hamburg (Nachdruck verboten.) Es liegt im Wesen der Diktaturen, daß sievielvon sich reden machen: einmal, weil der vorherrschende Thp moderner Regierungsformen die parlamentarische Demokratie in der Form der Republik oder der konstitu tionellen Monarchie ist und diesem Typus gegenüber die Diktatur eine» die Regel durchbrechenden Sonderfall dar- sleilt, dann — und vor allem -- wegen der M ethoden, deren sich eine herrschende Diktatur bedient. Die Diktaturen, die wir heute vor Rügen haben, ver danken alle ihr Dasein einem Staatsstreich, also der Gewalt. Und ganz dem Worte Macchiavellis gemäß, daß eine Regierung nur von den Mitteln leben könne, die sie geschaffen habe, lebt auch die Diktatur von Ge walt, der sie meist eine legitime Grundlage unterzuschie ben versucht. Einer gewaltsam regierenden Herrschasts- sorm aber muß notwendigerweise Opposition erwachsen. Da Diktaturen aber ihre Macht dazu mißbrauchen, den ru higen Gedankenaustausch unter den Bürgern zu unter binden, indem sie die Freiheit der Presse knebeln, tritt an die Stelle der Opposition des Wortes die Opposition der Tat. Diese Opposition der Tat, die sich in Attentaten und Revolten äußert, rückt die Diktatur na turgemäß in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und gibt sie umso mehr dem Gerede der öffentlichen Mei nung preis, je weniger eine verantwortungsbewußte Presse unkontrollierbare Gerüchte sofort richtigstellen oder wirksam ersticken kann. Nichts gibt der politischen Phan tasie mehr Spielraum als eine Diktatur, die ihre Presse knebelt. Aber nicht nur diese nach Ursache und Wirkung im Innern des Landes sich abspielenden Ereignisse lassen den Diktaturen erhöhte Aufmerksamkeit zukommen, nein um die im Innern des Landes häufig drohend werden-« den Spannungen von einer gefährlichen Entladung gegen den Gewalthaber zurückzuhalten, nehmen autokratische Regierungen immer wieder ihre Zuflucht zu einer a u ß e n p o l i t i s ch e n Prestiges u ch t, die unmittel bar die Interessen der anderen Völker bedroht. So hat auch Spanien, wenngleich in geringerem Maße als Italien, erst in der letzten Jahreshälfte in die internationalen Beziehungen ein ernstes Moment der Unruhe hineiugetragen, indem es eine Einverlei bung Tangers in die spanische Marokko zone verlangte und wegen seiner Forderung auf einen ständigen Rats sitz im Völkerbund schließlich sein „Desinteressement" an dessen Arbeiten erklärte. Und merkwürdiger- oder vielmehr durchaus erklärlicherweise siel diese Epoche außenpolitischer Aktivität gerade in jene Zeit, da die Diktatur im Landesinneru durch die Unruhen im Artilleriekorps aufs äußerste belastet wurde. Diese Unruhen der Artillerieoffiziere waren eine der ernstesten Erschütterungen, die Primo de Nlveras Diktatur im Verlaufe ihres nunmehr dreijährigen Bestehens be drohte: es mar eine M i l i t ä r r e v o l t e gegen den M i l i t ä r d i k t a t o r. Primo de Rivera war bis zu dem Tage, an dem er sich zum Diktator machte. Generalkapitäu non Katalonien, also Militürgouverneur in dem unruhigsten Winkel von Spanien. Dort sah er unmittelbar vor seinen Augen Ter rorismus und Separatismus immer mehr überhandneh men und die Gefahr anarchistischer Zustände in bedroh liche Nähe rücken. Dazu trat der unglückliche Stand der Marokkofrage, die fortschreitende Geldentwertung, Teue rung und Korruption in der Verwaltung, kurz eine Fülle von Problemen, denen gegenüber die parlamentarische Regierung fast völlig versagt hatte. Diese unstreitig man gelhafte Handhabung der Regierungsgewalt durch die da malige parlamentarische Regierung ließ Primo de Ni- vera zu der Meinung kommen, daß das parlamentarische System als solches und nicht nur seine damaligen Reprä sentanten unzulänglich seien. So fuhr er denn — durch Mussolinis Marsch auf Rom angefeuert — am 13. Sep tember von Barcelona nach Madrid, rief sich, gestützt auf das Militär, zum Militärdiktator aus und erreichte, was Mussolini vom König Victor Emanuel ebenfalls erreicht hatte, daß nämlich König Alfons xm. von Spanien den gelungenen Staatsstreich seines Generals als vollendete Tatsache hinnahm und billigte. Das Militär stand hinter ihm und nur die Schicht der Literaten lehnte von Anfang Der Deutsche soll die Hand Bismarcks in den Handschuh Goethes stecken. Tann ist er Mensch und Deutscher, Weltbürger und Volksbürger. Unlängst überraschte der Präsiedent Loebe den Reichs tag mit einer inoffiziellen Rede zur Debatte. Er sprach nicht als Fraktionsredner, sondern auf eigene Verantwortung. Ein Wag nis, bei de» sestgemauerim Formen des Fraktionsbetricbes, den wir natürlich heute und morgen nicht entbehren können. Ter Versuch gelang. Tas war ein guter Anfang z »einer R e s o r in des Stiles unser e r P a r l a in e n t s r e d e ». Der Stil ist der Mensch — in unserem Fake das Parlament. Cs ist in seinen Reden eiwas langweilig geworden. Man kennt die Reden im norans, weil man dm FrakUonsmeinungen kennt. Alsa habe» sie in der Regel keinen Reiz mehr. Anch sür den Reichstag nicht. Man nimmt sie entgegen, Zu wundern gibt es nichts mehr. Der Präsident des Hauses suhlt das stärker als die Abgeardncien. Cr muh die Redeslnt ja anshallen. Die Ab geordneten können flüchten. Beg>eistich, wenn gerade er es ändern möchte. Und das Parlament hat alle Veranlassung, ihn dabei zu uiilerstiiste», Dr. Wirth hat es in seiner Weise getan, indem er bei der ansjenpotitischen Debatte dem Beispiele Loebes folgte. Auch er nahni das Wort auf eigene Verantwortung. Und der Reichs tag erlebte ein seltenes Schauspiel: Ein Redner des Zentrums, ein früherer Kanzler und Außenminister, der umstrittene W > r sprach unter wachsender Aufmerksamkeit von rechts und links. Die „Deutsche Allgemeine Zeitung" nennt seine Rede eine „an genehme Ueberraschung". Etwas träge und leidenschaftslos war das Programm ab- gelausen. Erklärung der Regierungsparteien — warum erklä ren wir immer nur?' Das ist ein Notbehelf, der den Regierungs parteien etivns Zugkraft nimmt. Sie halten sich zurück, die Op position greift an. Tas gibt immer ein bedrückendes Gefühl. Heinach kam der Tenischnaiwnale Professor Hoest sch mit einer, wen anch gedämpften, Oppositionsrcde, der Außenminister, ein wenig ini.de, die Berlretec der übrigen großen und kleine» Parteien. Es triefte und iropste und tröpfelte — da. nach einem zweiten Ansatz eines denischnationalen Sprechers, sestie Wirth an. Er liebt den Kampf, wie man weiß, aber — diesmal sprach er ans einer Atmosphäre der Besrieönng. Als Aiiemanne Hai er die Lust znin TwU im Blut, aber — diesmal verkniff er sich das Gelüst?. Seine Rede brach ans ihm heraus — srisch, kräf tig, stärkend. Die Deuischnativnalen hatten wieder mit dem Begriff „na tionale Opposition" operiert. Was ist „nationale Opposition"? Und wer ist berecipigt, sich so zu nennen? In anderen pariamen- tarischen Länder» gibt es wohl Oppositionsparteien, aber es ist nicht Sitte, sich das Beiwort „national" zuznlegen. Tie Oppo sitionspartei ist iw parlamentarischen Leben selbstverständlich. Der Wille zur Adacht. zur Regierung, zur Uebernnhwe der Ber- aiUwürtnng ist ihr Sinn. Sie muß entschlossen sein, ihre anders gea-t-Ie Meinung am Tage nach dcm Sturz der von ihr bekämpf ten Regierung auch UiisächNch ins Leben zu überführen. W e n n aber das der Fall ist, dann sagen wir nicht nationale, sondern loyale Opposition. National sind wir alle. Ein zweiter Begriff: „ I I l u s i o n s p o l i t i k." Die Dentschnationalen spotten über die Illusion derer, die Locarno und Genf vertreten. Tas ist nicht Politik der Illnsivnen. svndern der Realitäten. Ein Tr. W i r t h war jederzeit fern vvn einer naiven außcnpvlitischen Illnsivnsinanie. Er ist zu erdverwach- se». um politisch zu träumen. Wer das nicht wußte, dem konnte cs bei der Rede am Mittwoch anfdämmern. Die Probleme, die gelost werden miissen, sind ungeheuerlich. Sie wuchern aus Jahr hunderten herauf.. Sie können nur mit zäher Geduld gemeistert werden. „Schöpserische Geduld" meinte unlängst, nicht übel Prälat Kaa s. Außerordentlich wirksam schob Wirth die Worte ans Napoleons Testament in den Zusammenhang der heutigen europäischen Schwierigkeiten: Da cs nicht gelang, den Knoten mi die Gefolgschaft ab. Die große Masse des spanischen Volkes aber stand dein politischen Geschehen interesselos gegenüber. So herrschte denn ohne wesentliche Hemmnisse der Militärdilttalor über ein im großen ganzen politisch duldsames Volk, lieber ein solches Volk zu herrschen, ist keine schmierige Aufgabe. Dieser Meinung ivar Prima de Rivera selbst, denn er erklärte am 21. August 1925: „Um ein Land zu regieren, genügt ein Dutzend bescheidener fleißiger Männer von praktischem Sinn. Die Geschickten, die allzu Klugen, die Schönredner, das sind die Kleider motten der Nationen, die das Volk zugrunde richten." Dazu kam. daß der Diktator nicht ohne staatsmännische Klugheit zu Werke ging. Er hat das parlamentarische System zivar beseitigt, sich aber wohl gehütet, die Ge- meindeautonomle anzutasten. Dadurch ließ er dem von persönlicher Freiheitsliebe beseelten Spa- der Jahrhunderte alten europäischen Zwistigkeiten zu durchs hauen, so muß er ausgelöst werden. Ist das nicht die Auf^ gäbe, vor der die europäischen Staatsmänner heute stehen? Dis A uflösung eines verquirlten Knotens! Tas Bild ist plastisch und treffend. Tie Rechtsopposition spricht geringschüstig von Pan- curopa und ähnlichen Bestrebungen. Wir haben anderes zie tun, als darüber zu lächeln. Deutschland und Europa sind zweh und doch eins. Die internationalen Verslechlunge» unserers eigenen Wirtschaft mit denen der großen Welt erzwingen cs, dasH wir europäisch sehen und nicht etwa blaß „deuischiiational".! Hauptsache bleibt, daß wir im Ausbau der internationale» Wirt-^ schal tsmächte die nationale Staatsidee, die nnanlast-j bare H heit unseres eigenen Staates retten und sie nicht bei allem Schöpfungen internationalen Rechtes, «!s Eigenes und Besonde res versinken lassen. Deut s chland - F rankrei ch. — Der Sprecher fand zid diesem Problem Worte, die die Empsindnng wohl des ganzen! Parlaments Wiedergabe», Wir wollen Verständigung und Frie den mit der Welt, wollen die Bereinigung von Spannungen und» JMeressenschwierigkeiten, ohne Appell an das S ch w e r ts — er verwies aus den prophetischen Geist und wettbürgertichen Sinn des deutschen Denkers Kant — wir wollen Sicher-! heit für Frankreich, aber unter der Bedingung der Freihei t für unser nationales Leben, Tas eine und das andere.! Deutschland hat groß: und schwere Opfer gebracht: im Pakt von Locarno, durch den Eintritt in den Völkerbund, gurch seine Ab rüstung. Nun müssen wir pausen. „Nach diesen Opfern ist es Pflicht des deutschen Parlaments zu erklären, daß diese Opfer, von französischer Seite eine Gege » lcistu » g erfordern. Wir werden geduldig, aber klar und bewußt abzuwaricn haben, was Frankreich ans diese großen deutschen Opfer zu gebe» hat. In diese»! Sinne hat die Regierung die Möglichkeit, die Politik weiterzufiihren." Und an einer anderen Stelle: „Iestt har Frankrei ch das Wort, zu zeigen, ob es der europäischen Soli darität oder deni Gedanken eines einseitigen Nationalismus dienen will." Dankbar sind wir Rheinländer dafür, daß ans einen ver dächtig übereifrigen Zwischenruf von rechts, der aus die Unge duld der Rheinländer hinwies, prompt die Antwort erfolgte: Unsere Freunde im Rheinlands sehen die g e sa m! d e u t s ch e Lage und nicht bloß die des Rheinianües, Es Komin! nicht dar auf an, daß da und dort ein paar Bataillone Soldaten verscho ben mei-den, sondern Politik ouf lange 2 i ch t zu machen, damit das große Proolem der Verständigung zwischen Deutsch land und Frankreich gelöst wird. „Die liefe Klusl des Bölkcr- hasscs haben wir znm Teil znschiitten können, wir haben diP Brücke gelegt.'«»» laden wir die ans der anderen Seile ei», mit! uns gemeinsam an dem Aufbau Europas, an einer wahrhastich europäischen Solidarität zu arbeiten." Was der deutsche Reichstag am Mittwochabend als seltenes Ereignis spürte, das war das E i n h e i l s b c w » ß ! sein eines in den Parteien zerrissenen Parlaments, hinter dem ein zerklüf tetes Volk steht. Hier stand ein Mann, ei» Politiker, der nicht von Partei sprach, sondern von De'ntschland, ein Zen-z trninsmann, der in diesem Augenblick ein lebendiger Ausdruck des deutsch:» Polkcbewnßlscins schlechthin war, eia überzeugter Republikaner, aber einer, in dessen Denken und Empsinden die innere Einheit zwischen Nati a n a l e in und R e p n b l i k a n i. schein tief begründet liegt, Sa war diese Rede eine Eini- g n n g s r e d e, eine Uebcrwindn.ng der Enge zur 'Weite hin, eine Rückbesinnung deutscher polnischer Betrachtung auf das Wese »haste in unserem Volk und in unserem Staat, ein Fortschritt, ei» Beispiel. Sie läßt eine Ahnung anskommcn, daß das deutsche Volk zwar langsam, aber doch einmal zur Reise eines politischen Volkes gelangen wird. Der liefe Eindruck, der sikchtbar ans alle» Parteien des Hauses lag, hat gezeigt, daß hier die rechten Worte zur rechlen Zeit gesprochen wurden, lind daß es ein Zenlrnmsmann war, der sie gesunden, dessen freuen ivir uns! nier jene staatsfreie Sphäre, die nötig war, um die Tot-! suche der Diktatur nicht mehr als nötig zum Vewußtseiw zu bringen. Da aber die einzige Stütze seiner Macht das Militäcj war, wäre er der Laune seiner Generale zu sehr ansge liefert gewesen und gründete, um seinem Regime ein fe steres Fundament zu geben, eine der Faschistenparteij ähnliche Organisation, die „Union Patriotica", deren Zweck er mit den Worten umschrieb, sie sei „zur Vertei-! digung von Altar. Thron und Eigentum" ins Leben ge treten. Diese Union Patriotica hat zwar nicht die Sym pathie der großen Masse, vor allein aber nicht den Bei fall geiftig irgendwie bedeutender Persönlichkeiten ge funden gleichwohl aber gedieh sie unter des Diktators eigener Protektion zu einem politisch verwertbaren In strument heran und hat schon bei manchem Anlaß ihre!