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Onter^altun^ und 8äckslscke Vol!csreitun§ ^skrxsnx 1927 Aus dem Znhatt. Irene Brockhansen: Blumen am Woge. Zum Nachdenken. Helene v. Braderup: Vom Mitbringen. Franz Mahlte: Der Ring. Hans Eäsgen: Alter Park. Ioseph Laumen: Sonne über der Puhta. Willi Arndt: Goldene Stunde. Paul Wolf: Abendlandschaft. MMN am Wem. Pon Irene Vrockhausen. Die Sommersonnenwende ist vorbei und mit ihr die Zeit des Kiwjpenc. und Sprossens. Jetzt blüht alles und geht der Reife entgegen. In Wiese und Feld, am Wald rand und Wegrain ist es bunt von Blumen. Ueberall drängt sich Leben ans Licht, farbenreich und unerschöpflich. Wolkenschatten huschen über die Felder, im Sommer wind neigt sich das Korn. Mohnblumen glühen scharlach rot zwischen den nickenden Aehren und purpurne Reden, violette Begelwicken und das scharfe Blau der Kornblume. In Nordböhmen trägt sie den wenig poetischen Namen Ziependem, vielleicht aus ihrer Bezeichnung Cyane im Volksmund verstümmelt. Unkraut, dein Bauer verhasst, trotz «einer leuchtenden Farbenpracht. Wer beim Pflügen und Säen flucht , ruft es nach dem Volksglauben herbei, mit Hederich, Trespe und deren zahlreichen Verwandten. Rade, Tresp und Vogelwicken, bringt den Bauer auf die Krücken, heißt's tn Ostpreußen. Die zahlreichen Disteln, die mit ihren dicken, roten Köpfen so selbstzufrieden im Korn sitzen, geben rvenigstens noch Futter fürs Vieh. „Anne Distel wie ne Hand, Gilt en Täller null Schmand." Am Wegrand zwischen weißem und rotem Klee brei tet die Schafgarbe ihr« würzig duftenden weißen, seltener rosenfarbigen Dolden. Sie wird im Volke als gutes Wund kraut geschützt und bei mancherlei Leiden angewendet, wie ihr Name in Oesterreich „Bauchwehkräutl" zeigt. Die rosa Köpfchen der Grasnelken und der Skabiosen recken sich aus dem Grün und die blauen kugeligen Blüten vom Teufels abbiß. Das zierliche Blümchen hat seinen häßlichen Namen von dem kurzen Wurzelstock, der wie abgebissen oder abge schnitten aussieht. Das Märchen vom Teufel, der ja auch sonst in der Volksbotanik häufig eine Rolle spielt, knüpft sich daran, der die Wurzel abbiß, um die Menschen des zauberkräftigen, heilsamen Kräutleins zu bemühen. Beim Mahl unter den Tisch geworfen, soll sie Lank unter den Gäüen verursachen. Schon öffnet das Labkraut seine zierlichen Blütensterne und sein süßer, honigähnlicher Duft mischt sich mit dem Mehlgeruch des blühenden Korns. Das gelbe Labkraut wurde früher bei der Käjebereitung verwendet, daher stammt sein Name. In manchen Gegenden Deutschlands so wie in England heißt es unserer lieben Frauen Bettstroh. Die Muttergottes soll mit den zarten Blütenrispen dke Krippe ihres göttlichen Kindes gefüllt haben, weil es das einzige Kraut war, das der Esel unberührt ließ. Mancher- orts wird auch der Thymian oder Quendel so genannt. Seine niedrigen rosigen Polster, dis weithin den Wegrand besäumen, sind immer von Bienen und Hummeln um schwärmt. Die getrockneten Vliitenbüschel, die stark und würzig duften, legt die sorgsame Hausfrau zwischen die Wäsche. In Tirol und Salzburg wird die liebliche Le gende erzählt, daß die Muttergottes bei ihrem Versprach mit dem heiligen Joseph ein Kränzel aus Thymian ge tragen habe und sich bei ihrer Wanderung zu Elisabeth auf seinen Blütenpolstern am Wege ausgeruht habe. Zwischen den Nadfurchen des Weges leuchten die Strahlenblüten der Wegwarte von den kahlen Stengeln. Ihre Wurzeln liefert die biedene Eichorienbrühe. Para celsus glaubte, daß sich ihre Wurzel nach sieben Jahren in einen Vogel verwandele. Bekannt ist die Sage von der treuen in die Blume verwandelten Jungfrau. Leise murmelnd rinnt der Bach durch das Wiesenland. An seinem Ufer wiegt der giftige Schierling seine weißen Blüten im Wind neben dem harmlosen ihm so ähnlichen Geißfuß. Ueber dem Wiesengrlln schwanken wie Schaum die zarten Dolden der wilden Möhre, des Kümmels und ihrer zahlreichen Verwandtschaft. Der Bocksbart läßt seine gelben Blütensonnen leuchten, das Zittergras nickt mit den klei nen Blütentröpfchen. In buntem Durcheinander drängen sich rote Licht- und Kuckucksnelken, blaue Glockenblumen und weiße Margariten, die auch Maßlieben heißen. Ihre schimmernden Sternblüten waren schon in alter Zeit als Liebesorakel befragt. „Er liebt mich — nicht. I» der Schweiz fragen die Mädchen beim Blättchenzupfen: „Ledig si — Hochzig Han — ins Chlösterli gan —Die materieller gesinnten Burschen dagegen: „Reich — arm — mittelgat- tig." Wo die Erlen das Wüsserlein schattig umstehen, reckt- das Friedlos dis gelbe Blütentraube in die Höhe und der purpurne Weiderich. Gelber Hahnenfuß, die starkduftende Minze und die nickenden, braunroten Glöckchen der Bach- Zum Nachdenken. Junges Blut — spar dein Gut. im Alter kommt's dir gut. * Es ist besser, einen Mund zu viel gegessen, als ein Won zu viel gesprochen. Wirf nicht weg die alten Kleider, Bist du neue hast vom Schneider. * Junge Leute sollen bei den Alten Die Ohren auftun und die Mäuler Hallen. -> Viel vertun und wenig werben, Ist der Weg zum Verderben. « Auf den ersten Streich, fällt keine Eich'. * , Aus einein kleine» Quell kann man auch seinen Durst stillen. Speck und Schwärt sind von einer Art. Wer gerne tanzt, dein ist leicht fidsln. N. 0. § nelkenwurzelducken sich bescheiden nabenden riesigen Schirm- blättern der Pestwurz am Ufer. Steil geht der Sandweg hinauf zur Höhe. Dornig« Hauhechel oder Weiberkrieg mit den rosa Herzen wächst hier in der heißen Sonne friedlich neben dem stachligen blauen Natterkopf und dem gelben Frauenflachs, der meist fälschlich Löwenmaul genannt wird. Seine Schwester, das Leinkraut überwuchert mit seinem Geranks und zierlichen lila Blüten altes Gemäuer und verwitterte Felsen. Der rauenflachs galt vor Zeiten als Beschreikraut, dessen Ab- nd bösen Zauber zunichte machen konnte. Oben im Wald unter den tiefschattenden Buchen sind dis Blumen, die im ersten Frühjahr den Boden bedeckten, ver schwunden. Sie schlafen dem nächsten Frühlingentgegen, wo die Sonne, die jetzt kaum durch die dichten Wipfel dringt, sie zu neuem Leben weckt. Heidelbeerkraut deckt den Boden, schon färben sich die Beeren bläulich. Hier und da strebt aus dichter Blattrosette auf schlankem Stiel die nickende Blüte, des Wintergrün oder eine zarte Orchis, das weiße wohl riechende Waldvöglein oder die braune geheimnisvolle! Nestwurz, die mit ihrer nestartig verfilzten Wurzel von fau lendem Laube lebt. An lichteren Stellen leuchtet der Finger hut rot und gelb neben dem Wachtelweizen mit den blauen Hochblättern und den gelben Blüten. Der abgeholzte Hang ist schon wieder dicht vom Ge sträuch und Gekraute besiedelt. Da reckt die Königskerza ihren stolzen Blütenschaft weit über die niedrigen Gefähr ten. Himmelbrand heißt sie auch und darf in keinem Weih busch fehlen, der an Mariä Himmelfahrt zur Kräuter- weihe in die Kirche gebracht wird. Auch als Wetterpro phetin benützt sie der Bauer. Wenn die Blüten tief am Stengel beginnen, soll es frühen Schnee im Winter geben und umgekehrt. Himbeeren reifen an de-m warmen Südhang ihre Früchte in der Sonne, die große und kleine Walderdbeere duckt sich wie schutzfuchend unter di« hohen Gräser. Johan niskraut wächst hier, das nach dem Volksglauben Zauber kraft besitzt, wird es am Johannistags zur richtigen Stands gepflückt' deshalb heißt es auch Jageteufel oder Teufels flucht. An seiner Wurzel findet sich eine Art Körner, In sektenlarven sind es, die einen roten Saft, das St. Johan nisblut, enthalten. Sorgfältig und schweigend wurde e« einst in der Mittagsstunde des Johannistages gesammelt und aufbewahrt, denn so hieß es „er kann Wunder tun." Bläulinge spielen in der zitternden Luft. Pfauenauge und Trauermantel sonnen sich am Boden. Bunte Nesseln stehen bescheiden am Wegrand, blaue, leicht vergängliche Männer treu und daneben kauern Stiefmütterchen mit ernsthaften Blumengsstchtern. Dreifaltigkeitsblümchen nennt sie das Volk ihrer dreifarbigen Blumenkrone wegen. Stiefmütter chen heißen sie, weil dis Blüte,Matter so unregelmäßig auf den grünen Kelchblättern sitzen. Das unterste dicke Blüten blatt. die Stiefmutter, hat zwei Kelchblättchen als Stuhl. Die seitlichen Älütenblatter, die richtigen Kinder, je eines, und die armen Stiefkinder , die beiden obersten Blüten blätter müssen zusammen auf einem Kelchblatt sitzen. Sommerwolken segeln im Wind. Kaum ein Laut stört die Stille, nur das Jnfsktenfummen begleitet mit leisen Baßtönen das Windesrauschen. Im Tal um di« Kirche ge schmiegt, wie dl« Küchlein unter die schützende Henne, liegen die Häuser dm Schatten uralter Linden. Die Kornfelde« leuchten: noch sind die Aehren nicht unter der Sense ge fallen, noch'ist's Zeit zu blühen und zu wachsen, gar zu bald kommt doch der Herbst. vom WKringen. Von Helene von Braderup. Höhenzüge, Zwiebelkirche, gewelltes Land und ein Dorf voll versteckter Heimlichkeiten — ach ja, es war schön! Schade, daß die Ferien nun wieder zu Ende sind. Helm muß man ja schließlich wieder. Das Geld geht aus, die Wäsche ist schmutzig, die Sehnsucht nach dem eigenen Bett groß. Und da es der letzte Tag ist, wird wehmütig all das abgestieselt, was einem nächste Schönheit und Nächstliegendes Glück war. Am Postamt vorbei, am Krämer, am „Goldenen Ochsen" und — „Du, Männe, das hätten wir um ein Haar vergessen! Wir müssen doch noch Andenken kaufen für die zu Hause. Wenn ich bloß wüßte, was? Hält' ich's doch nicht versprochen! — Weiht du nicht etwas?" Männe weiß nichts. Er zieht es vor, nichts za wissen. Was soll es auch hier geben? — Aber er wird mitgeschleift in eine kleine Gasse, wo sich von iveitem schon ein „Andenkenlädchen" kenntlich macht durch eine farbunechte Fahne, ein Federrad für kleine Kinder . . . Das Schaufensterchen ist angesüllt mit dem schrcckttchsten Kusch, der aufzutreiben ist. Vierkrüge, unsinnig bemalt, Frösche mit ausgeschnittenen Bäuchen als Aschenbecher, Vasen aus Glas fluß, aufreizend giftig in der Farbe, in unmöglichen Formen, sinnlose Rettungsringe en miniaturs, Möpse aus angestriche nem Gips, Porzellankatzen mit eingesetzten Augen, Gläser und Teller mit dem unvermeidlichen „Gruß aus . . Brandmale reien auf Paradelöffeln und Holzbrettern, Baumrinden, künst lich ausgezackt und beschmiert mit einer schauderhaften Schnell malerei, Briefbeschwerer mit eingelassenen Landschaften, Krügel chen, Näpfchen, Täßchen, Herzchen, an den Haaren herbeige zogene Dinge ohne Sinn und Verstand, Kuhglocken in allen Größen, gestanztes, gespritztes, bemaltes, gedrechseltes über flüssige» Zeug — und das alles ausgedreltet auf große rotgrun dierte Taschentücher, die sinnig auf allen vier Ecken das frisch- gedruckt« Alpenglühen zeigen —I Männe grauste. Frauchen auch. Das heißt nicht deshalb, weil das alles reif für den Kehrichthaufen ist, sondern weil sie sich nicht schlüssig werden kann, ob der Tannenzapfen mit Pilzen oder das Biskuitmädchen mit dem Spiegel mehr Tante Mulchens Geschmack wäre. „Haben Sie nicht etwas, was ein wenig apart ist? Einen Fingerhut vielleicht? Oder ein Nadelbüchschen?" Doch, man hat etwas. Man hat einen Fingerhut aus Silber, auf dessen Boden eine friedlich grasende Kuh eingelassen ist, man hat auch ein Nadelbüchschen mit schwarzdräuenden Tannen: Gruß aus . . . Man bezahlt dafür ein Stück Geld, wofür man zu Hause im Abendlandschaft oon Paul Wolf. Stromab am Fels ein Hirtenfeuer koht. Es steigt der Rauch als fratzenhaft Phantom. — Lastschwere Schlepper stampfen müd den Strom, Dort stoppt ein Motorboot. Wie Feuer glüht der Fluß! .. Und purpurn Licht Umwogt die Hügel wie ein Meer von Blut. -- Ein Knabe taucht am Rifs mit keckem Mut, Der Vater Netze flicht. — Ein Reiherpaar fällt müd in Ried und Rohr . .» Still über träumenden Ruinen schwebt Der volle Blond. — Mit blassen Händen webt Die Nacht d«n Dternenflor. — Und Stille nun der tiefen Ewigkeit . .. Fernab aus halbverfall'nem Garten klingt Ein seltsam traurig Lied. Das klagt und singt Bon tiefem Menschenleid .. . reellen Qualitätsgeschäst sonst etwas bekäm«. Aber schließlich, man muß doch etwas mitbringen. „Ach Gott, di« Ilse! Für dt« Ilse brauche ich unbedingt auch noch eine Klenigkeit." Die „Kleinigkeit" kommt teuer zu stehen. Es ist ein schlecht geschnitztes Elfenbein-Medaillon, lieblos und greulich gearbeitet. Der Bernsteinmops und der unmögliche Tintenwischer werden auch noch «ingehandelt; krampfhaft arbeitet das Gehirn, was man noch erstehen könnte. Dabei wird man die eigene Unsicher heit nicht los. Zwanzigmal wird das Paketchen aus- und ein- gewtckelt: „Meinst du, es wird ihr (oder ihm) gefallen?" Aber, da man noch fragt, steht es schon fest: würde mir jemand eine derartige Scheußlichkeit in die Hand drücken —l Macht nichts, nur etwas mitbringen. Sich dir einmal die Ge sichter an vom kaufenden Publikum der Eebirgsorte oder der Seebäder. Sie staunen sich zuerst fest, daß man ihnen zumutet, all den Kram zu kaufen. Dann wird das aber so selbstverständ lich, als Hütte man sie langsam hypnotisiert. Uird diese An- denkenhypnose tut dann ihre Wirkung, wenn der Vordermann, behäbig brummend, für „Lotteken" oder „Justas" irgendeinen Perlmutter- oder Glaskitsch emhandelt. Nichts ist zwingende« als so ein Vordermann. Die „Zuhaus" wickeln dann fieberhaft und aufgeregt, gut gläubig, im kindlichen Vertrauen auf den guten Geschmack des Spenders, die kleinen und größeren Paketchen aus. Und wäh rend sie auspacke», schlägt dem Spender, der wieder de» festen Boden der Großstadt unter sich fühlt und wieder selbsttätig ein geschaltet ist in den Daseinslauf seiner Persönlichkeit, das Ge wissen. Ec möchte am liebsten dem „Beschenkten" das Greuek- ding aus der Hand reißen, möchte lieber s o dastehen, ohne Mit- bringst!, noch fähig, einen Wunsch zur Erfüllung freizuhaben. Er schämt sich im Augenblick, wo der Empfänger sich meisterhaft beherrscht und seine „Freude" korrekt kundgibt. Eigentlich gehörten dis Andenkenlädchen verboten und z«e genagelt. Die Fabriken, di« den erhabenen Unsinn liefern -- aber was reg' ich mich da aus! Den Geschmack seiner Mitmenschen zu kritisieren: ein undankbares, empörendes Unternehmen.