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/ Arauz Mahlke Reinhold Hufenrfed ging «inen kurzen Eteinwurf weit und setzte sich in den Sand. - Seine grauen Augen tasteten den Meereshorizont ab. Weiße Segel standen in der weiten Wasserwüste wie mühsam gewordene Schmetterlinge. Der Schornstein eines fernen Dampfers wirkte wie ein kurzer ge» drungener Fahncnschaft, der ein dunkelwolkiges Tuch entfaltet«. Es war wie überall an der See,- und doch — anders. Er hatte in den letzten drei Jahrzehnten die Küste kennen gelernt wie kaum einer. Das kleine Seebad aber, in dem ein Mädchen vor fünfundzwanzig Jahren sein Schicksal wurde, hatte er ge mieden. Und darum war es anders hier/ Er streckte sich rück lings in den Dünensand, schloß die Augen und wars die Arme seitwärts aus. Ist es nicht manchmal, als sitzen Engel auf allen Uhren zeigern und jubilieren — jubilieren! — Und Tage kommen, deren Sekundenschritte find wie Keulenschläge. Aus Jauchzen und Weinen rundet sich unser aller Lebenstag. Um Reinhold Husenricds festgeschlossene Lippen war ein kaum spürbares Muskelspiel, als er so hinträumend im Sande lag. Schmerzhaftes Auszucken rettete sich in friedsames Lächeln, — ein seltsames Widrrspiel der Seele. Dic^Lippen lösten sich langsam, wie wenn ein Wallfahrer etwas Heiliges schaut. Und dann kam der WunLerwind von der Düne, ganz leise, und nahm einer heimlich erblühten Blume gleich einen Namen von seinen Lippen: Christa. Ein Kinderlachcn flog auf. Die Schwester klatschte in die Hände, und die Knaben umringten sie. Sie gab einige kurze Anweisungen. Dann liefen die Knaben zu einer offenen Halle an der Düne und schlüpften in ihre Badekleidung. Reinhold Hufenried beobachtete das lustige Treiben in der eingegrenzten Wasserfläche. Er ging bis auf den festgespülten Strand, um dem Scherzspiel des Jungvolks zuzuschauen. Nach einiger Zeit rief eine Trillerpfeife die Badenden heraus. Sie tollten in die Hall« zurück. Reinhold Hufenried richtete eine Frage an die Schwester. „Es sind alles elternlose Kinder. Unser Heim liegt zehn Minuten weit im Walde." „Und di« Kinder sind jahraus, jahrein bei Ihnen?" Leer« hier gefunden hätte in den Sommern danach, datüm mochte ich nicht mehr kommen." „Ich weiß nicht, was Sie meinen, Herr." ..Dann werde ich Ihnen eine kurze herbe Geschichte er- zählen. Sehen Sie, «In fröhliches Weib haben und gesunde Kinder — ist das nicht alles?" Der Fischer nickte zustimmend und .blies eine groß« graue Wolke unter den Lindenschirm. Reinhold Hufenried senkte den Kopf und schwieg. „Eie wollten mir eine Geschichte erzählen," sagte nach einer Weil« der Fischer. Und Reinhold Hufenried sprach: „Ihr Leben hat sich er füllt, das meine nicht. Das Mädchen, das ich damals hier kennen lernte, durfte ich nicht heiraten. Unrentable Partie, sagte mein Vater. Die Geschäftsinteressen vertrügen es nicht, «tn gänzlich mittelloses Mädchen zu heiraten. Das Wort, das die Mutter für mein Herz einlegte, wog nicht schwer genug. Es gab einen Kampf zwischen dem Vater und mir. Ich unter lag. Dafür wurde der Firmenname erweitert: und Sohn — wurde angehängt. — Passable Partie flüsterte der Vater eines Tages und führte die Tochter eines zu gewinnenden Aktionärs in unser Haus ein. Da habe ich ihn traurig angesehen und verneinend den Kopf bewegt- denn in meinem Herzen stand «in anderer Name. Wir haben damals trotz allem ein ge- Heimes Fest gehabt und sind dann auseinander gegangen, weil wir es mußten, — mit einem gezeichneten Ringlein, trotz allem. Und dieses Symbol sollte in den Stunden einsamer Feste an ihrer wie an meiner Hand sein. Im Sommer darauf erhielt ich aus dem Krankenhause der rumänischen Hauptstadt einen Brief mit fremden Schriftzügen.- Fräulein Christa Brock-' Husen ist an Malaria hoffnungslos erkrankt. — Weiter nichts. Sie wird gestorben sein. Für mich lebt sie als meine ewige Braut. Meine Eltern sind lange tot. Die Firma Hufenried und Sohn ist auch ohne das Kuppelkapital nicht eingegangen,- aber mit mir wird das Haus Hufenried erlöschen. Nun wissen Ci« um die Leere meines Lebens, nicht wahr?" Der Fischer hatte aufmerksam zugehört, sog an seinem „Ja, wir wollen ihnen das Elternhaus ersetzen, be- Vheidener gesagt, ihnen ein Etücklein Heimat bereiten." Reinhold Hufcnried ging auf dem schmalen Fußsteig dors- wärts. Die Katen sahen schläfrig an der rascngrünen Straße. Aus ein paar Schornsteinen kringelte blauer Rauch. An einer Straßenkreuzung lag das Haus des Gemeindevorstehers. Ein grünbekränzter Kasten hing daran. Und ein Zettel darin: Hochzeitsleute. In einem andern Glaskasten waren Bekannt machungen. Er las im Halbdunkel allerhand wichtig genom mene'Unwichtigkeiten. „Gefunden ein Ehering, gezeichnet R. H. — Der rechtmäßige-Eigentümer erhält ihn zurück, wenn er sich genügend auswcisen kann." „Hm. — R. H. — wie merkwürdig." Neinhold Husenricd ging weiter die Straße hinunter zu dem kleinen Fischerhaus, in dem er Wohnung-genommen hatte. Nach dem Abendessen saß er mit dem alten Fischer unter der mächtigen Linde. „Es sind fünfundzwanzig Jahre her. Die Linde ist kaum anders geworden. Das Meer auch nicht: aber — wir!" Der Fischer, der nachdenklich an seinem Pfeifenrohr sog, richtete sein wctterbraunes Gesicht aus Reinhold Husenried. „Lieber Herr, ich kann mich nicht entsinnen: cs sind zu viele, dir da kommen und gehen." „Ich wäre gern öfter gekommen, aber " „Aber? Hat es Ihnen denn hier nicht gefallen?" „So über alle Maßen schön waren die Wochen vor fünfund zwanzig Jahren, so unendlich reich! Aber weil ich die große Alker park. Er denkt an längst verklungene Zeiten» An Menschen, die gestorben sind, Und spricht in feisten milden Träume,, Zum Morgenwind, zum Abendwind. Und Kinderspiele, die gewesen, Und Kinderglück, das schlafen ging, Es ist erwacht zu neuem Leben Im farbcnbunten Schmetterling. Es ist erwacht in gold'nen Blüten» Die bebend auf den Wiesen stehn. Es lebt in blauen Schwalbcnschwingen, Die wie die Kcrbstcsbliitter wehn. Hu stehst in bangen, dunklen Fragen Und schaust empor ins Wipfelgriin Und siehst die lichten, gold'nen Wolken Geruhsam durch die Bläue ziehn. Du stehst ein stiller, stummer Träumer, Und von Dir fiel, Du fühlst es kaum, Die Unrast Deiner Erdentage: Du bist'die Wolke, bist der Baum. Hans Lütgen. Z Pfeifenrohr, sah feinem Gast väl ins Gesicht und sagte dann «tt I Bedacht: , I „Herr, man soll dem Leben niemals zürnen. Meine seelig« I Mutter schon sagt«: hat alle» sa fein solle«, und ß« war 1 immer so glücklich in all ihrem Mißgeschick." Am Vormittag des andern Tages sah Reinhold Hufenried dem Spiel der Kinder zu. „Der Glückspilz ist Prinz!" rief die Schwester. Reinhold Hufenried schüttelte den Kopf über den schreien, den Widersinn, aus elternlosen Kindern Glückspilze und Prinzen zu mache». Einen Vers mit dem Kehrreim: Glückspilz, es blinkt ein Ringelein, Glückspilz, wann wird die Hochzeit sein? ' sang di« Runde nach einer bekannten Melodie. Als das Spiel zu Ende war, trat Reinhold Hufenried a» die Schwester heran: „Ich kenne weder das Spiel, noch das Lied. Woher haben Sie das?" „Wir haben alles aus uns," sagte die Schwester lachend. „Komm her, Glückspilz," rief sie. „Der hat hier in der vorigen Woche einen Ehering gefunden beim Schanzen schaufeln. Und da haben wir ihn Glückspilz gelaust und Spielverse dazu gedichtet." „Ist das der R.H. gezeichnete Ring, der bet dem Gemeinde vorsteher liegt?" „Ganz recht,- der Eigentümer muß nicht mehr am Orte fein, sonst hätte er den Jubtläumsring wohl schon abgeholt." „Jubiläumsring?" „Ja, Silberjubiläum. Hinter den Buchstaben ist zu lesen: 19. 9. 99." Reinhold Hufenrieds Augen wurden weit. Eine Blässe fiel jäh in sein Gesicht. Er zog stumm seinen Hut und schwankte über die Düne.... „Herr Gemeindevorsteher, der gefundene Ring ist mein Eigentum." „Können Sie sich ausweisen?" Er legte feinen Personal, auswcis vor. Der Gemeindevorsteher suchte in der Kurliste. „Sie sind ledig?" „Allerdings!" „Merkwürdig, höchst merkwürdig. Fünfundzwanzig Jahre — verlobt?" „Sie dürfen meinen Angaben Glauben schenken,- aber viel leicht beweist cs Ihnen mein eigener Ring", indem er ihn dem Gemeindevorsteher reichte. „Der rückte die Brill« zurecht und las laut: „O. L 19. 9. 99." „Ja, mehr kann man nicht verlangen", und er gab ihn Reinhold Husenried zurück. „Aber noch «ins: Wie heißt die Dame, mit der Sie ver lobt sind?" §!' „Meine Braut war Christa Brockhufen." „War?" Reinhold Hufenried nickte. Di« Lippen lagen fest aufein ander. „Sic lebt nicht mehr? — Erlauben Sie." Er kramt« in ciil«Fi Schubfach des Schreibtisches, tastete mit dem Finger die Kolonnen in einem dicken Buch ab. — „Bitte." Er schob das Buch Hufenried hin. Ein Zittern befiel seinen Körper, als er den Namen seiner Braut in der Kurliste las. „Mein Gott ... im — im — vorigen Sommer?" Der Gemeindevorsteher nickie. Husenricd sank in einen altmodischen Sessel und saß lange mit geschlossenen Augen da, schwer atmend. Ehe die Sonne zur Rüste ging, schrieb Reinhold Husenried einen langen Brief . . . Nach einigen Tagen standen zwei Mensche» auf d?r Düne, Hand in Hand. Am Strand« spielten Binder. Reinhold Husenried suchte den Glückspilz. Christa Brockhusen fuhr strei chelnd über fein Haar: „Schwester, würden Sie ihn hergeben? — Er soll ein-Hufenried werden." Sonne über der pntzla! Von Joseph Laumen. Frühmorgens drei Uhr! Uebcr der weiten ungariMN Pußta hängt leichter Nebel. Noch schläft das Land, noch schlafen Tier und Mensch. Drüben am Weg steht ein Storcheirpaar. Vom Rasseln unseres Wagens aufgcschrcckt fliegt cs davon. Ans der Höhe stößt ein junger Adler zur Erde. Ringsum Stille, ringsum Weite! Fern steht ein dunkles Wäldchen im Bild, seitab die wcitausgreifcnden Arme eines Ziehbrunnens, die Viehtränke. — Die Luft ist herb und kühl. In den tausendartigen Kräutern und Gräsern der Steppe funkelt der Tau. Hier und da ragt eine mannshohe, rote Distel aus dem Grün. — Am Weg« lagert eine Kuhhcrde,' da wir uns nähern, springen ein paar Tiere auf, stehen breitbeinig beiseite und schauen uns nach. Der Hirte schält sich aus seinem bunt bestickten Mantel, reibt die Augen, grüßt zu uns herüber, ruft die wütenden Hunde zurück, die kläffend um unser» Wagen springen und erwartet — den Blick gen Osten — den Sonnen aufgang. — Aus dem Wäldchen schlägt lautes Pferdewiehern. Zwischen den Bäumen glänzen die schlanken braunen Leiber. Zwei eisenstarke Knechte mühen sich, einen wilden Hengst zu halten. Der trägt zu beiden Seiten aus dem Gebiß rot und weiß ge streifte Gurte. Daran hängen sich die Kerle in ihrer ganzen Schwere. Doch wie das Tier seinen seinlinigen Kopf hochwirft, mit den Nüstern die frische Morgenluft zu fangen, weichen die Knecht« zur Seite. Leicht tänzelt das Tier unter dem wüten den Schimpfen und Zerren der Knechte. Im Schmerz wirft cs di« Oberlippe hoch, zeigt «in schneeweißes, lückenloses Gebiß, springt wildfchreiend auf di« Hinterbeine und ergibt sich dann den Knechten, läßt sich willig in den Stall führen. Draußen wor dem Wäldchen steht — eingezäunt — di« Herde, vierhundert Mutterstuten, wohl ebensoviel Jungvieh, schwarze, dunkelbraune und hellbraun«, sehnige Tiere, die unge duldig den Boden treten, darauf wartend, daß di« Barrier« fällt und den Weg in die «eit«, blühende Pußia freigibt. Dann geht ein silbriges Leuchten über die Steppe; fern hebt sich die Sonne über die Ebene, taucht die vordem grau« Einöde in verschwenderische Licht- und Farbenpracht. Blutrot steht st« im Silherlicht des Nebels,- die Wolken erglühen purpurn, über die Erde schwebt ein rosa-gelber Schein.— Wir holpern über die ausgcsahrenen Wege weiter. Die Pußta ist erwacht, die Pußta erzittert von der Kraft millionen fachen, wilden Lebens. — Irgendwo, mitten in der Wildnis, die Tränke, von mehreren, hundert lechzenden Tieren belagert. Immer wieder taucht der Knecht den langen Hebel mit dem, Holzeimer in den Brunnenschacht und leert ihn in die Wasscr- läufc, daraus das Vieh gierig irinkt. Die Sonne steigt jeht über den Vrunnenarm, spielt auf den braunen Rücken der Tiere, liegt breit auf der farbigen Heide. — Etwas seitab — im Schatten eines riesigen Schirmes — sitzt JvLnyi Erünwald, der ungarische Maler, ein Greis — er mag siebzig Jahre zählen — groß, schlank, jugendlich, nur.wenig entspannt! Er wirft di« tausend Farben auf die Leinwand, die pralle Sonn.c, die Brunnenmaste, die trinkenden Tier«, die Knechte und die rosa^elbe Ebene. Dann zeigt er uns die stillen Feinheiten der Pußta, fährt mit der Hand durch das'Gras, schneidet gleichsam ein Quadratmeter blühender Weide aus der Steppe, nennt uns die Namen der rosa und hellblauen Sternchen, der winzigen, dunkleroten Glocken, der leuchtenden, weißen Kelche, der vielen Kräuter- und Eräserarten, farbig vom schwarzgrün über hellgrün, braun, gelb bis zum rosa, schlank, feingliedrig, gefächert, gefiedert, In tausend Formen. — Weiter hinaus ins Endlose! Endlos scheint die Pußta, Goldene Stunde. Mohn und Melde. Korn und Gras Himmel glänzt wie blaues Glas. Wind die Halme um uns wellt. Glück aus blauer Schale fällt. ällt und rollt in unsre Ruh dechslein sieht staunend zu. ^Villi Xi-nckt. gleich 'wie das Meer. Ringsum berührt sie in der Fern« den Himmel, der sich tiefblau über die bunte Wildnis spannt. Eine pralle Sonne läßt di« Luft in ihrer Glut erzittern. Das ist die Zeit für „DelibLb", für di« Fata Morgan«. > Mit eins schauen mir das Trugbild. Am Horizont heben sich^Wald und Herde aus dem Grün und spiegeln sich in kristallklaren Fluten, Ein sinnverwirrendes Spiel! Die Tier« waten durch di^ gleißend« .Ebene. Dörfer hängen hoch über dem Horizont im Wasser. Ein ganz seiner silbriger Dunst geht um die Bilder, und läßt schwach den Trug ahnen. Da wir uns nähern, zerrinnt alles in Nichts, stehen Himmel uich Erde wieder fest. — Abends sitzen wir in der Csarda, dem einzigen Gasthof der Pußta, bei ungarischem Wein und Zigeunermusik. Ein alter Bau, ein wenig unheimlich, mit Kreuzgängen und verschlossene^ Türen, unschwer, den alten Räuberbau darin zu «rhennen. Wegen der „Szunyog", den stechenden Pußtamücken, verlöschen, wir die schwelende Petroleumlampe. Dann erzählt jemand von Rözsa Sändor, dem großen, wildrn Ba»:ditenhäuptling, der ehedem in der Csarda hauste, der die reichen Debrezener Kalif- leute ausraubt« und die Beut« den Armen schenkt«, der in wilden Verfolgungen die edelsten und gefährlichsten Hengste zuschanden ritt, der nach acht Jahren tollen RiiuberleLens am Galgen endete, Hier war fein Domizil, da sein Tisch, dort sein Stuhl —^wic auf Heiligtümer, so weist der Erzähler auf die MSLelstiiche des Rözsa SLndor, des genialen Banditen.— Der Zigeuner spielt ein ungarisch«, Volkslied, voll ver- haltener Schwermut, voll der weiten, heimlichen Traurigkeit der Pußta. Wir verstehen nicht, was fie singen, aber wir fühlen, daß es von her Liebe des jungen Hirten zur schönen Schäferin handelt, di« sich nie finden werden, da fi« gar so arm sind. — Dann ein Csardas, der wilde Pußtatanz, im Takt und Rhyth mus wild dahinjagender Pferd«. Ein Hirte tanzt — tn schweren Reitersttefeln — mit der jungen Zigeunerin. Dos ist das Lebe« der Hirten: Tag und Nacht, jahraus, jahrein bei der Herde, und wenn ihr AtzS st« einmal in die Nähe der Efarda führt, ein Glas Wein und einen Tanz! Draußen liegen dl« Pferde im Silberglanz des Monde». Ganz leise dringt das Rauschen der Hortobägy, des Pußta- flüßchens, durch die Still« bis zur Csarda. Fern verklingen di« letzten Tön« der Zigeunergeig«.