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VeNaae 4« -tr. Ä40 dev „Gckttzfisilrerr VoLk-^elr»»««- vor» 3t. Oktodev P-litische Ruudscha». — Urber „ultramontane Anmaßung" schimpft das „Berliner Tageblatt" des Herrn Mofse in Nr. 540, weil die „Germania" die „Unverfrorenheit" hotte, in einer Betracht tung über unsere Parteivcrhältnisse folgenden Satz zu schreiben: „Eine liberale Regierung in Deutschland würde uns mehr schaden als ein verlorener Krieg." Das frei- sinnige Organ schreibt dazu: „Um diesen Lapidarsatz in seiner ganzen Gehässigkeit würdigen zu können, braucht man sich nur die Frage vorzulegen, wer denn das „Deutsch land" im heutigen Sinne des Wortes, also das neue Deutsche Reich, ins Leben gerufen hat. Das Zentrum ist es doch sicher nicht gewesen; es hat in bösartigster Form und mit den bösartigsten Mitteln das neue Reich bekämpft, es lmt zielbewusst die partikularistiscl>en Tendenzen unterstützt, gerade weil es hoffte, dadurch die Grundlagen des Reiches niaulwurfsartig unterwühlen zu können, es unterstützt noch heute grundsätzlich die welfische Agitation, die längst ver- schtvu-nden wäre, wenn der Ultramontanismus aus Hatz gegen das Reich nicht beständig O-cl in dieses glimmende Feuer gießen würde; cs hat grundsätzlich stets die polniscktzm Wühlereien gefördert und die Polen gegen das Deutschtum in Schutz gcnonrmen; es wirft sich auch jetzt in dem maßlos aufgebauschten Streik der polnischen Schulkinder mit vollem Bewußtsein auf die Seite der Feinde des Deutschtums, um das Reich zu schwächen. Wenn das Zentrum, sich im Reichs tage — wohlgemerkt nicht etwa in Bayern, wo cs den Par- tikulavismus geflissentlich fördert — gelegentlich als Gönner und Freund des Reichsgedankens aufspielt, so wissen die Auguren dieser Partei ganz genau, daß sie dem deutschen Volke nur Sand in die Augen streuen, und find sie einmal unter sich dann lxstten sie schwerlich mit dem fröhlichen Ge lächter über die Gutgläubigkeit des deutschen Wählers zu rück. Das Deutsche Reich ist nicht bloß ohne, es ist g ege n das Zentrum zustande gekommen, und es kann nur dauern, wenn es sich der ultramontanen Einflüsse mit aller Kraft erwehrt." — Wenn jüdische Unverschämtheiten ohne weiteres Beweise wären, dann hätte das „Berliner Tageblatt" ja allerdings recht. Die ganze blöde Schimpferei kennzeichnet zur Genüge die Tatsache, daß die Gelehrten des freisinnigen Organs das Reich „g eg e n das Zentrum" zustande kommen lassen, obwohl zur Zeit der Gründung des Deutschen Reiches ein Zentrum überhaupt noch nicht bestandI Daß die „Germania" mit ihrer Behauptung recht hat, eine liberale Regierung in Deutschland würde uns mehr schaden als ein verlorener Krieg, betveist ein Blick auf die Gründer ära der siebziger Jahre, wo Milliarden dem Dolksver- mögen durch gewissenlose Gründer und Spekulanten ver loren gingen. Und damals war die Glanzzeit des Libe ralismus! Zum Schlüsse schreibt das „Berliner Tage blatt": „Aber es ist in dem ultramontanen Vorwurfe, so un begründet er sein mag, doch ein Stachel, und der muß in der politischen Schwäche des Liberalismus gefunden werden. Er hat sich die destruktiven Elemente des Reiches über den Kopf wachsen lasse iwMd muß sich seine Ohnmacht jetzt noch durch Fußtritte bestätigen lassen. Aus dieser Knechtsstellung muß der Liberalismus heraus. Er muß wieder die Ge schicke des Neickies, das er ins Leben gerufen l)at, in die Hand nehmen. Dann braucht er sich nicht mehr damit abzu geben, den reaktionären Parteien sein Erstgeburtsrecht historisch zu deduzieren: dann kann er den Gegenbeweis gegen die ultramontane Verleumdung durch die Tat führen. Hoffentlich bringen uns die nächsten Reichstagstvahlen diesem Ziele wenigstens nahe. Aber das liberale Bürger, tum muß wollen." — „Man zu!" sagt der Berliner. Wenn Sprüche und Phrasen und Arroganz Mandate gewinnen könnten, wäre der Liberalismus, speziell der jüdisch gefärbte, längst aus seiner Ohmnackst l>eraus. So aber vergibt das Volk die Mandate, und das hat über den Liberalismus längst das Urteil gesprochen. — Balten und Polen. Eine sehr bezeichnende Aus lassung findet sich in der konservativen „Kreuzzeitung", die sonst die Polenpolitik durch dick und dünn verteidigt. Es lxmdelt sich um einen Bericht über die Sitzung der Haiti- schen Provinzialräte. Ta liest man: „Einen etuxis glück licheren Verlauf hat die Verl)andlung in der Schulkommission genommen. Dort hat inan zunächst die Frage der Umge staltung der Volksschule beraten. Der brennende Punkt ist die Unterrichtssprache. Tie Vertreter des Ministeriums der Volksaufklärung lachen sich nun für die Beibehaltung des Russischen ausgesprochen, die Deputierten der Deutschen und der Urbewohner erklären sich dagegen für die Einführung der Mnttersprack>e. Diese einmütige Haltung hat vermut lich den Anlaß gegeben, daß eine um die gleiche Zeit tagende .Konferenz der Volksschuldirektoren und Inspektoren ge wisse Zugeständnisse gemackst und in den Schulen niederer Ordnung für die ersten Jahre die Mfttersprache zulassen will. Der Kurator ist alsbald nach Petersburg gereist, um die Bestätigung dieses Beschusses zu erwirken und damit die Vertreter der Bauern zu gewinnen. Es ist aber die Frage, ob man sich damit begnügen wird. Die ritterschast- lichen und städtischen Abgesandten tverden sich schwerlich mit einer so geringen Abschagszahlung zufrieden geben .... Tie Frage der Unterrichtssprache in den höheren Schulen, ! die von ländlichen nnd Stadtkommunen errichtet tverden, ' wurde gleichfalls erörtert. Hier sind die Deputierten der ^ Bevölkerung einmütig für die Freiheit der Muttersprache ^ eingetretcn. Die Kommissionen für Kirchenwesen und Justiz haben noch keilte entscheidenden Beschlüsse gefaßt." Ties: Auslassung ist sehr interessant und noch bemerkenstverter die Sympathiekundgebung des konservativen Blattes für di' Balten. Dort soll also in den höheren Schulen die Mutter sprache überhaupt frei gegeben werden und in der Volks schule für die zwei ersten Jahre, das nennt das Blatt eine „geringe Abschlagszahlung". Den Polen aber will es nicht einnral den Religionsunterrich in den Unterstufen in der Muttersprache gönnen. Wer so mit zweierlei Ndaß mißt, setzt sich von vornherein ins Unrecht! A«S Stadt a«d Land. (Fortsetzung aus dem Hauptblatt.) —* Die „Nordd. Allgenr. Zeitig." schreibt über die Reichstagsersatzwahll Döbcln-Roßwein: „Die Umstände scheinen allerdings dringend darauf hinzu weisen, daß in diesem besonderen Falle die Schuld an der Niederlage der bürgerlichen Parteien nicht in der Auf stellung einer zweiten bürgerlich» Kandidatur zu suchen ist, nachdem einmal feststand, daß bestimmte Kreise bürgerlicher Wähler für die Kandidatur Hasses nicht zu lurben tvaren, wenigstens nicht im ersten Wahlgange, — eine andere, allen Parteien genehme Kandidatur sich aber anscheinend nicht antsinden ließ, konnte die freisinnige Kandidatur den Scha den nicht anrickten, den wiederholt in ähnlichen Fällen un nötige Sonderkandidatnren der bürgerlich» Parteien zur Folge gelmbt liaben. Vor allem erschint es immerhin nicht unmöglich, daß ohne diese Kandidatur der sozialdemokra tisch? Kandidat erheblich mehr Stinunen aus sich vereinigt hätte. Andererseits ist cs freilich kein günstiges Zeichen für die so oft besprochne Einigung des Liberalismus, tvenn sich der Freisinn so wenig zu dem Opfer einer Ueberwin- dung zu entschießen vermag, wo es den Kampf gegen die prinzipiellen Gegner des gesamten Bürgertums gilt." Das Ergebnis der letzten Ersatztvahlen faßt das Blatt folgender maßen zusammen: „Im ganzen bedeuten für die Sozial demokratie die letzten Ersatzwahlen offenkundig Stillstand bez. Rückgang bei gleichzeitiger Wählerzunahme. Es hat sich vor allem gezeigt, daß auch die Rückeroberung bei gro ßem Mahleiser und straffer Organisation auf bürgerlicher Seite, glücklicher Lösung der Kandidaturfrage und ge schlossenem Vorgehen der bürgerlichen Parteien durchaus möglich erscheint." Ter in den letzten Jahren zu beobachtende Rück gang des ärztlichen Studiums macht sich be sonders hier in Dresden in einein Mangel an jüngeren ärztlich» Kräften fühlbar. Dieser Aerztemangel ist na mentlich bei der Besetzung erledigter Hilfsarztstellen hervor- getreten. Ans die Ausschreibungen dieser Stellen haben sich vielfach gar keine Betverber oder nur solche gestruden, denen eine Erhöhung der Gehaltsbezüge in Aussicht gestellt werden konnte. Da auch andere Städte günstigere Gehalts bedingungen bieten und die Hilfsärzte bei den Stadtkron- > kenhäusern selbst um die Erhöhung ihrer Gehalte vorstellig ! geworden sind, lxstte der Rat der Frage der Neuregelung der Besoldungen der Hilfsärzte näher zu treten. Auf Vor schlag des Krankenpflegansschlsses beschloß der Rat, vom 1. Januar 1907 an sestzusetzen: Das Tiensteinkommen der - Hilssärzte bei den Stadttrank-enHäusern auf 2050 Mark ' mit jährlicher Steigerung um 200 Mark bis ans 2850 Mark und das Diensteinkommen der zweiten Aerzte bei den S-tadt- krankenhäusern ans 2850 Mark mit viermal jährliche Stei gerung um 200 Vdark bis auf 8650 Mark, einschließlich 1050 Mark Wert der freien Kost, Wohnung usw. —* Dresden als Ko n g r e ß st a d t. In Dres den finden auch im Jahre 1907 wieder eine ganze Anzahl bedeutsamer Tagungen statt. Znnächt erscheint die deutsche Tonkünstleriagung gesichert, die voraussichtlich im Monat Juni stattfinden wird. In demselben Monat wird auch der Delcgiertentag des Verbandes deutscher Journalisten- und Schriftstellervereine in Verbindung mit der Generalver sammlung der Pensionsanstalt deutscher Journalisten und — 52 — „Ah, das ist eine Betätigung von Theklas weichem Herzen." Es zeigte sich, daß an der Wand eine lange Kiste hingestellt war, auf tvelcher eine Art von Matratze lag. Andreas nahm aus seinem Koffer Bett- »väsche, Decke, Kissen, legte alles ordnungsmäßig zurecht uird erlangte auf diese Weise ein ganz annehmbares Lager. „Nun, was wirst du jetzt anfangen?" srug MglinSky, welcher offenbar lvährend dieser Zeit nicht nur an die Herstellung nichtfmrkensprühender Schic- nen, sondern auch an das Schicksal Andreas' gedacht hatte. „Ich werde mich gleich aus mein eigenes Bett ausstrecken und darüber Nachdenken," sagte Andreas. „Aber weshalb hast du rote Augen?" „Denk' dir nur — es ist ein Skandal . . . Ich habe unterwegs weinen müssen! Es tat mir so leid. Ich habe doch ein paar hilflose Kinder zurück- gelassen, obgleich sie eigentlich nicht wenige Jahre zählen. O!" rief er plötzlich, in seinem Koffer eine unertvartete Entdeckung machend. „Sieh nur, das l)at mir Marfuschas gutes Herz gestiftet . . ." Auf dem Grunde des Koffers zeigte sich ein ganzes Pfund Tee und mehrere Pfund Zucker. Dort befand sich auch Gebäck, in Papier eingewickelt, und eine Büchse Eingemachtes. „Ah, nicht übel; jetzt mach' einmal Thekla mobil, wegen des Samovars," sagte Andreas, „heute können wir schwelgen." Eine halbe Stunde später saßen sic am Tisch und tranken Tee mit Gebäck und Eingemachtem. Nach Andreas' Fortgehen entstand eine wahre Grabesstille im Sarep- toffschen Hause. Die Dienerschaft sprach nur im Flüsterton miteinander. Man hätte allerdings denken sollen, sie würde sich in Abwesenheit der Herrschaft eher etwas herausnehmen, sich gehen lassen — aber gerade das Gegenteil war der Fall. Die Dienstboten trxiren alle sck>on lange im Hause; alle dienten dort schon viele Jahre und fühlten unwillkürlich eine Art von Zusammengehörigkeit mit dem allgemeinen Lcbcnsgang der herrschftlichn Familie, und waren jetzt niedergedrückt, wie ein Echo der trüben Stimmung ihrer Herrschaft. Nur Feo- dor, welcher immer zu Michelowitsch hielt, stand abseits, doch blieb ihm auch bei der allgemeinen Verstimmung nichts anderes übrig, als zu schweigen, da niemand mit ihm redete. Die Hauptperson im Hanse war jetzt Marfuscha. Sie ordnete alles und befahl alles, aber sie hatte dabei alle möglich» Sorgen: sie mußte zugleich an alle denken — sowohl a» die im Hause gebliebenen Kinder, wie an Eupraria. Nachdem sie im Hause alles nötige getan lxttte, lief sie sogleich zu der alten Dame, die nicht gewöhnt war. irgend etaxis für sich selbst zu tun. Michael hatte die Empfindung, als sei er in einen Abgrund gefallen, aus welchem er sich mit eigenen Kräften niemals herausarbciten könnte. Er hatte das Gefühl eines Menschen, der plötzlich einer starken Stütze beraubt tvorden ist. Er glich einem Kranken mit schvachn Füßen, der gewöhnt war, immer am Stocke zu gehen und sich darauf zu stützen, und dem dieserStock nun plötzlich verloren gegangen oder zerbrochen tvar. Sein Charakter war schwach, unentschlossen, aber sein Gemüt außer- ordentlich weich und eindrucksfähig. Er gab sich leicht jedem Einfluß hin. — 49 — „Ah, wissen Sie, es tväre der Mühe tvert, das auszuprobieven." Immer tvar in Mglinskys Gedanken irgend etwas derartiges, tvas zu Probieren der Mihe wert gewesen tväre, doch niemals erlaubten es ihm seine Mittel, und dann wurde die Idee bald von einer anderen, noch interessanteren, verdrängt, und so ging es immer weiter. Mit Andreas befreundete sich Mglinsky, wie es schien, ohne jede be sondere Veranlassung. Sie trafen sich in der Universität und fanden Gefallen aneinander. Andreas tvar in der mathematischen Abteilung, und sie stimmten eigentlich in ihren Neigungen nicht überein. Doch das verhinderte sie nicht, bald zum „Du" überzugehen und in den aller-freundlichsten Beziehungen zu stehen. Andreas gefiel Mglinskys bestimmte praktische Richtung. „Er tveiß doch wenigstens, tvas er will," sprach er. Er hatte immer eine instinktive Achtung vor Menschen, welche wußten, tvas sie wollten. Er hatte das selbst bis jetzt nur ziemlich ungenau getvußt. Ihn störte dabei der Umstand, das; er für niclsts selber sorgen mußte. Sogar die Aus- Wahl seines Faches tvar ihm nicht persönlich überlassen gen>esen. Im Gymna sium verstand er gut und schnell alle mathematischen Ausgaben zu lösen, und daraus wurde geschlossen, daß er eine besondere Neigung zur Mathematik lmbe. überhaupt »rxiren seine Neigungen damals noch nicht bestimmt Irervor- getreten. Nunmehr, dank den so plötzlich umgeNxrndelten Verkhiltnissen, wußte er auch sogleich fast genau, tvas er wollte. Er wußte cs freilich noch nicht in ganz konkreter Form, doch das wußte er, daß er sich eine unabhänige Stellung er ringen wollte, die er nur sich selbst zu danken hätte. Deslxstb vielleicht tvar der erste, an den er nach seiner Veränderung im Hause dachte, zu dem es ihn hinzog, Mglinsky. Es tvar ihm, <ils müßte gerade er ihn beim zweiten Wort verstehen. „Nun, jetzt," sagte Andreas, „da ich ein Obdach gefunden habe, werde ich gehen und zum letzten Male mit meinen alten Freunden zu Mittag essen." „Wer sind sie?" fragte Mglinsky. „Der echte Sareptoff, der Sohn des Wirklichen Staatsrates Sareptoff, Michel, ein liebenswürdiger junger Mensch, aber ohne alle Aussichten, daß ans ihm jemals ettrxis anderes würde, als ein liebenswürdiger ertvachsencr Mensch nnd später ein liebenswürdiger alter Mensch. Und dann Katja, eben- falls ein Pflegekind der Sareptosfs, ebenso wie ich. Sie ist auch ein liebens würdiges Geschpf, doch ohne jede Fähigkeit zum Widerstand gegen ihre Um gebung-" „Doch sage mir, hast du keine Angst, einen solchen entscheidenden Schritt zu tun?" fragte Mglinsky. „Nicht eine Spur von Angst. Weshalb denn auch? Ich bin gesund, und meine Kräfte langen, um Not nnd Drangsale zu ertragen. Was sollte ich denn fürchten? Alles, »rxis ans der Welt geschieht und geschhen kann, ist das Leben. Dem Leben kann man ja nicht davonlanfen — nun, was soll da die Angst nützen? Also tverdc ich mich heute noch mit meinen .Habseligkeiten bei dir cinfinden nnd übernachten." Zu Hause erschien Andreas um 6V-: Ubr. Man crtrxirtete ihn schn zum Mittagessen und setzte sich sogleich zu Tisch Michel sah aus wie ein Kranker. Alles daS, tvas vor sich ging, über- »Au» eigener Kraft.* 18