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-tr. LLS — Lv. Jahrgang Mtttw-ch den L7. Mai iSlt MchslscheDolksieitung «Meint täglich «ach«, mit «uinahme der Sonn- und Festtage. Elu»«abe I mit .Die Zeit in Wort und Bild- vterteljShrlich «-^0 In Dresden durch Boten 8,4« In «an, Deutschland frei Haus 8 88 in Oesterreich 4,4S L ^ Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserat« werden die „gespaltene Petitzeile oder deren Raum mit IS Reklamen mit S« ^ di- Zeile berechnet, bei Wiederholungen entsprechenden Rabatt. Nachdruck«»«!. Redaktion »nd G«sch«ift4ste0e, Dresden, Pillnttzer Strafte 4». — Fernsprecher ISS« Für Rückgabe nnverlangt. Schriftstücke keine Berbtndltchkeit Redaktions-Sprechstunde: II btS 18 Uhr. srotr oocli nie äuge^vesener Kakkee - leuerunx kostet unser be liebter, vorrüglicber k^amilien-Kafkee nur 150 PL. äas pkunä. kerliiix 8 kockslroli, vresäeo. dlieclerlsgen in allen Stadtteilen. Die Reichsverficherungsordnung. Von M. Erzberger. M. d. R. Zweites Buch: Krankenversicherung. Mehr als zehn Tage hat das Plenum des Reichstages aus die Beratung der neuen Krankenversicherung verwen det, aber diese Zeitdauer rechtfertigt sich, denn in diesem Abschnitte sind die großen bedeutsamen Fortschritte: es werden künftig 7 Millionen Menschen mehr als bisher der Krankenversicherung unterstellt. WaS den Umfang der Versicherung betrifft, so ließ cs der Reichstag bei den 'Kommissionsanträgen, wonach eben „ur Arbeiter der Versicherungspflicht unterstehen und zwar bis zu einem Einkommen von 2000 Mark. Von verschiede nen Seiten hätte man angesichts des sinkenden Geldwertes eine höhere Grenze gern gesehen, aber einmal war hierfür keine Mehrheit zu haben und sodann fangen alle Versiche- mngspflichtigen mit einem geringeren Gehalte als 2000 Mark an; wenn sie dann diese Grenze überschritten haben, können sie sich weiter versichern. Man darf annehmen, daß davon Gebrauch gemacht wird und dann sind die meisten Wünsche beseitigt. Kleine, selbständige Unternehmer, die in der Regel nicht mehr als zwei Arbeiter beschäftigen, kön nen de« Kasse freiwillig beitreten. Die Sozialdemokrateil forderten Ausdehnung der Versicherungspflicht auf der ganzen Linie, fanden aber nirgends eine Gegenliebe. Recht lebhafte Debatten zeitigten die Abschnitte über die Leistungen der Kasse: man muß hier zweierlei Arten unterscheiden: es gibt solche, die das Gesetz für alle Fülle vorjchreibt und solche, die die Satzung einer jeden Kasse ge währen kann: für den Reichstag sind die ersteren die wich tigeren. denn wenn die Kasse sich stark genug fühlt, mehr geben und damit mehr zahlen zu können, so könnte man dein nicht entgegcntreten. Der Kampf drehte sich darum auch fast nur um die gesetzmäßigen Leistungen. Da steht als erste: Arzt und Apotheke frei und als Krankengeld der halbe Grnndlohn, der nach dem Gesetze bis zu 8 Mark, nach den Latzungen bis zu 6 Mark gehen kann: das Krankengeld soll nur pro Arbeitstag und vom vierten Tage an bezahlt wer den. Hier haben die Sozialdemokraten aber den Vogel ab geschossen. Sie brachten einen Antrag ein, der eine Ver doppelung der Kasscnbeiträgc im Gefolge gehabt hätte: denn ec wollte als Krankengeld den vollen Grundlohn schon vom ersten Tage der Erkrankung ab geben und an jedem Tage. Also nehmen wir einmal einen Fall ans dem Leben: Em Arbeiter betrinkt sich an einem Sonnabendabend, was eben so verkommt, wie bei anderen Ständen: er ist am Sonntag, Montag und Dienstag infolgedessen krank: dann erhält er bis zu 18 Mark Krankengeld, während er bei voller Gesund heit nur 12 Mark an den beiden Werktagen verdienen könnte. Einen solchen „Katerantrag" haben die Sozial demokraten im Reichstage gestellt und dann beschweren sie sich noch, tvenn die Mehrheit auf diesen Unsinn nicht ein geht. Die Krankenversicherung gewährt heute schon Wochen geld bis zu sechs Wochen, der Entwurf dehnt es aus auf acht Wochen und überläßt andere Leistungen der Satzung. Die Sozialdemokraten aber wollten durch Gesetz die Kran kenversicherung ausdehnen zu einer ganz allgemeinen Wöch nerinnenversicherung mit Schwangerschaftsgeld. Hebammen- dienste, Stillgeld, Kur in einem Wöchnerinnenheim, wie Anstellung einer Hauspflegerin, was einfach in die Millio nen, selbst in die Milliarden gegangen wäre. Nach ihren! Anträge sollte kein Unterschied zu machen sein, zwischen ver-, heirateten und nicht verheirateten Wöchnerinnen, also die Sache so geregelt sein, daß zum Beispiel eine Magd aus einem Hofe, die ein uneheliches Kind erhält, auch sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Entbindung im Belt liegen könnte, alles gratis erhält: die Bäuerin aber müßte bei einem Wochenbett schon nach zehn Tagen wieder ihre Arbeit tun. Diese Prämien auf uneheliche Kinder wollten die Genossen geben, und der Arbeitgeber, der auf dem Lande in der Regel alle Beiträge bezahlt, hätte znschen können, wie seine Frau sich nbrackert, die Magd aber sich pflegen läßt Daß das Zentrum gegen diesen geradezu krankhaften An trag sich wandte, ist selbstverständlich: er wurde auch abge lehnt. Es geht manchen Kreisen im Zentrum schon zu weit, daß man zwischen ehelichen und unehelichen Geburten nicht scheidet. Alle diese Leistungen vollziehen sich — von dem Kran kengelde abgesehen — durch den Arzt, der in der Kranken versicherung entscheidend ist. Wie soll nun das Verhältnis von Acrzten und Kassen geregelt werden? Diese harte Nuß hat der Reichstag nicht gelöst und völlig versagt: es bleibt hier alles beim alten, so daß beide Teile sich eben verständi gen müssen. Eine gesetzliche Festlegung der freien Arzt wahl ist nicht gelungen: es können also die Kassen vor wie nach bestimmte Kassenärzte anstellen. Die Macht der orga nisierten Aerzteschaft muß sich hier mit den Kassen verstän digen, und wir sagen es offen heraus, daß die Kassen die. Aerzte besser bezahlen müssen. Wenn ein Arzt nur 60 Pfg. für einen Gang und eine Behandlung erhält, so wird ja der Dicnstmann in der Großstadt besser bezahlt. Die Aerzte aber dürfen auch nicht zu terroristisch Vorgehen. Das neue Gesetz sagt nur, daß die Kasse durch ein erhöhtes Kranken geld die ärztliche Leistung ablösen kann, so daß der Kranke seinen Arzt selbst wählt: wenn ihm die Kasse keine Aerzte stellen kann. Wir wollen hoffen, daß die nicht angenehmen Streitigkeiten zwischen Kassen und Aerzten der Vergangen heit angehören werden. Mit den Apothekern wird ein Vertrag abgeschlossen werden und zwar sind die Apotheker des Bezirkes der Kasse bevorzugt: sie müssen den Kassen einen angegebenen Rabatt gewähren. Freigegebene Arzneimittel (Verbandskasse usw.j kann jedermann liefern, nur müssen diese Personen im Be zirke der Kasse wohnen, damit nicht große Warenhäuser alles an sich reißen und ganz Deutschland versorgen. Hier steckt ein großes Stück Mittelstands-Politik. Die Organisation der Krankenkassen führte zu lebhaften Auseinandersetzungen: es gibt künftig Ortskrankenkassen, Landkrankenkassen, Betriebs- und Jnnungskrankenkassen Betriebskrankenkassen dürfen künftig nur für Betriebe mit mehr als 160 Arbeitern errichtet werden, die schon bestehen den müssen mindestens 100 Arbeiter zählen. Die Namen Orts- und Landkrankenkasse sind eigentlich nicht genau, da eine Ortskrankenkasse auch einen ganzen Bezirk umfassen kann und eine Landkrankenkasse selbst in Berlin errichtet werden wird. Man muß daher anders scheiden: in die Ortskrankenkasse, die entweder für eine Stadt oder einen ganzen Bezirk errichtet wird, gehören alle gewerblichen Ar beiter, der Landkrankenkasse sind zugewiesen worden: 1. die in der Landwirtschaft Beschäftigten, 2. die Dienstboten, 3. die Hausgewerbetreibenden, 4. die Wandergewerbetrei benden. Durch Landesgesetz aber können diese vier Gruppen auch der Ortskrankenkasse zugewiesen werden, was zum Beispiel in Baden geschehen dürfte. Wo eine Ortskranken kasse hinwieder sich nicht halten kann, weil sie zu wenig Mit glieder hat, können die gewerblichen Arbeiter der Land krankenkasse zugcwiesen werden. Wer aber seinen Arbeitern ganz auf eigene Kosten all dieses gewährt, was das Gesetz vorschreibt, der braucht sich nicht zu versichern, was auf manchen großen Rittergütern geschehen wird: der Arbeiter zahlt dann gar nichts und erhält doch die gesetzlichen Lei stungen. Wie in den einzelnen Landesteilen diese Organi sation durchgeführt werden wird, kann man heute noch gar nicht sagen, denn dies erfordert sehr viel Zeit und Ueber- legung. Aber im allgenieinen wird der Reichstag mit die ser Abgrenzung das Richtige getroffen haben. (Schluß folgt.) Politische Rundschau. Dresden, den IS. Mai 1911. — Der Rcich-tag führte am Montag die Krankenver sicherung um ein erhebliches Stück weiter und zwar um mehr als 100 Paragraphen. Den Kern der Debatte bildeten die Paragraphen 417 bis 447, wonach landwirt schaftliche Arbeiter von der Bersicherungspflicht befreit werden, wenn der Arbeitgeber gleichwertige Leistungen von sich aus gewährt. Die Linke stürmte gegen diese Bestim mungen an, während die Rechte sagte, daß der Arbeitgeber nur schwerer belastet werde. Die Paragraphen über un- ständige Arbeiter, Wandergewerbe. Hausgewerbe und Dienstboten werden nach den Kommisstonsbeschlüssen erledigt. — Da» preußische Abgeordnetenhaus erledigte am Montag die 2. Lesung des ZweckoerbandSgesetzeS für Groß- Berlin nach den Beschlüssen der Kommission, ohne daß große Aenderungen vorgenommen wurden. Dann befaßte sich das HauS mit der Erledigung von Petitionen, die dem Hause in großer Zahl Vorlagen und zum größten Teile debattelose Erledigung fanden. — Am Dienstag 3. Lesung der Zweckverbandsgesetze. — In der Frage der Organisation der Landkranken- fassen, die durch den Kreistag, Bezirkstag usw. vor sich gehen soll, haben folgende Zentrumsabgeordnete gegen die ihnen zu weit gehenden Kommisstonsanträge gestimmt: Beizer, Birkenmayer. Bitter, Erzberger. Dr. Fleischer. Frank, Göring, Graf Oppersdorfs, Dr. Pfeiffer, Spindler, Strozoda und Will. Sie wollten aus politischen und konfessionellen Gründen mehr Garantien für die Zusammensetzung des Vorstandes dieser Kassen. — Einen offenen Brief an den Abg. Gröber versendet der antiultramontane Reichsverband, d. h. Gras Hoensbroech. Wenn der Abg. Gröber sich mit diesem Herren nicht herum schlägt und einfach schweigt, wird man dies verstehen; die Katholisches Lebensideal und weltliches Berufsleben. i. Es ist ein Märlein, das der Protestantismus seit seiner Väter Tage noch immer mit sich schleppt, daß die katholische Kirche das Lebensideal ihrer Angehörigen inr Kloster suche, d. h. im Ordensstand, und kein Verständnis habe für weltliches Berufsleben. Bestenfalls werde dieses Mduldet als ein Nebel, mit dem man einmal rechnen müsse. Als Beleg niag dienen das Diktum von Uhlhorn, der in seiner Abhandlung über „Katholizismus und Protestan tismus gegenüber der sozialen Frage" schrieb: „Welt flucht ist auch heute noch der Zug der römischen Ethik, und wer es recht ernst meint mit seiner Seligkeit, der geht sicherer, wenn er sich ins Kloster zurückzieht.. Daß man gerade in seiner Berufsarbeit auf dem sichersten Wege zum Heile ist, daß man eben darin Christo nachfolgt, das ist der römischen Ethik auch heute noch verborgen." Wer die Protestantischen Schriften über dieses Thema kennt, weiß, daß die Zahl derer, die so reden, Legion ist, der weiß auch, wie dieses Märlein unausrottbar selbst in den Köpfen von Gebildeten festgewurzelt ist, und der versteht dann auch das zornige Dreinwettern Denifles, das übrigens gar nicht so erfolglos in protestantischen Kreisen, die mit wissenschaftlicher Arbeit in Berührung kommen, geblieben ist, als inan es gerne hinstellt. Auf solchen falschen Darstellungen bauen dann die kleinen Geister des Monismus ihre Deklamationen gegen die Kirche auf und phantasieren sich irgendeinen Popanz zusammen, apf den sie mit aller Wut losfahren. Man höre den Exvorsitzenden des Monistenbundes, Unold- Miinchen, sein Sprüchlein aufsagen: „Dort (auf seiten der Kirche) Bindung und Erstarrung — hier (im Monismus) Freiheit und Entwicklung: dort Ergebung in Gottes Willen durch Glauben und Beten — hier Beherrschung der Natur durch Denken und Arbeiten: dort Stillstand und Rückschritt, Bettelei und Verarmung — hier all- seitiger Fortschritt und beständige zweckmäßige Anpassung an die neuen Aufgaben". (Der Monismus und seine Ideale 41.) Es war daher ein durchaus zeitgemäßes Unternehmen diese Fragen auf dem 3. theologischen Hochschulkurs in Freiburg behandeln zu lassen. (Vergl. die Buchausgabe der Vorträge von Mausbach, Mayer, Mutz, Waitz und Zahn unter dem Gesamttitel „Moralprobleme", Freiburg 1011. Herder.) Wir wollen den Nichtkatholiken mildernde Umstände für ihre Unkenntnis zubilligcn einerseits in ihrer starken erblichen Belastung mit den den Tatsachen nicht ent sprechenden Behauptungen der Reformatoren, aber auch, weil der eine oder andere katholische Schriftsteller in der Begeisterung für die Ideale des Ordenslebens manchmal zu hoch gesungen und nicht immer seine Worte so formu liert hat, wie cs eine scharfe Begriffsbestimmung erheischt, uni< Mißverständnisse zu vermeiden bei Leuten, die von vornherein der Sache mißtrauisch gcgenüberstehen. Nicht wenig Verwirrung in nichtkatholischen Köpfen schafft die katholische Bezeichnung des Ordensstandes als des Standes der Vollkommenheiten, dem man dann kurzer hand einen Stand der Unvollkommenheit, d. h. die welt lichen Berufe gegenllberstellt, und dann ist die Vorstellung von der doppelten Moral der katholischen Kirche fertig. Da wäre es endlich einmal an der Zeit, daß man sich über diese Binsenwahrheiten besser unterrichte. „Es handelt sich nicht," sagt Zahn in dem angeführten Werk, „um die Antithese (Gegenüberstellung): Stand der Vollkommenheit — Stand der Unvollkommenheit. Was einander gegenübergcstellt wird, ist vielmehr die auf dem allgemein christlichen Verhältnis beruhende Verpflichtung zum Vollkommenheitsstreben und die auf der spezifischen Standesübernahme beruhende, zum Streben nach der wesentlich gleichen christlichen Vollkommenheit." (S. 136.) Mit anderen Worten: die christliche Vollkommenheit ist für alle die gleiche, verschieden sind nur die Wege zu ihr. Aus der „Lutherpsychologie" von Weiß hätten die Gegner, wenn sie es noch nicht bei Denifle gelernt hatten, lernen können, wie sich ein Ordensmann selbst über die Sache äußert. Weiß sagt: „Die Vollkommenheit ... ist Pflicht für alle ohne Ausnahme und für alle ohne Ausnahme erreichbar. Es gibt nur eine einzige Vollkommenheit, und diese besteht in der Liebe zu Gott. Die Liebe zu Gott besteht in der Erfüllung des göttlichen Willens. . . Daraus folgt von selber, daß die Vollkommenheit für alle die gleiche ist. Die Wege und Mittel dazu sind so verschieden als die Menschen und ihre Lage . . . Der sine strebt nach der Vollkommenheit in der Ehe, ... der andere sucht sie zu er reichen durch die vollkommene Erfüllung seiner Standes- und Bernfspflichten als Lehrer, als Beamter, als Kriegs- mann. Der dritte übt die evangelischen Räte oder er geht ins Kloster, wenn er findet, daß er für seine Person das Ziel, die Vollkommenheit, anders minder leicht erreichen kann. Verschieden sind die Mittel, eins ist das Ziel." (S. 79 f.) Ganz konkret aus dem Leben deS Alltags heraus zeichnet daher Höveler die katholische Lehre, wenn er schreibt: „Das ärmste Dienstmädchen kann die der kon templativsten Genossenschaft angehörende Ordensschtvester überflügeln und überflügelt sie wirklich, wenn sie treuer ist in der Welt, als jene in der Klausur." (Bei Zahn S. 137.)