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Zweites Blatt Sächsische Volkszeitung vom 17. Mai 1S11 Nr. 112 Deutscher Reichstag. Sitzung vom 15. Mai, 12 Uhr 20 Minuten. Die -zweite Lesung der Ncichsvsrsicherungsordnung wird beim zweiten Buche: Krankenversicherung '8 -108, Aufsicht) fortgesetzt. Die Korninissionsbeschlüsse werden nach kurzer Debatte angenommen Es folgt der Abschnitt Aufbringung der Mit tel (8 411 bis 420). Die Kommission beantragt, zwei Drittel den Arbeitnehmern und ein Drittel den Arbeit gebern aufzulcgen. — Abg. S ch in i d t - Berlin Soz.)- Wenn eine Kasse höhere Unterstützungen leistet, dann kommt sie mit 4)^. Prozent Beiträge des Grundlohnes nicht aus; man muß bis zu 6 Prozent gehen können. Wir beantrage», dies daher, um den Kassen mehr Bewegungsfreiheit zu geben. Das muß im Gesetze festgelegt werden, weil sonst die Unternehmer nur schlecht für höhere Leistungen zu haben sind. — Abg. I r l (Ztr.) ist gegen den Antrag, da er namentlich den Mittelstand schwer belaste. — Nach kurzer Debatte wird der Antrag der Sozialdemokraten abgelehnt. — Die Paragraphen bis zu 436 werden ohne Debatte an genommen. Es folgt der siebente Abschnitt: Kassen verbände, die für ganze Bezirke gebildet werden können. Die Kom missionsanträge werden angenommen. Beim achten Abschnitt, Besondere Berufs grenze, verteidigt Abg. Arnstadt (Kons.) den Kom missionsantrag von der Versicherungspflicht landwirtschaft liche Arbeiter zu befreien, die einen Rechtsanspruch auf eine gleichmäßige Leistung haben. Der Arbeiter hat dann keine Beiträge zu entrichten und erhält dann volle Unterstützung für den Fall der Krankheit. — Abg. Bnsold (Soz.) steht diesen Ausnahmebestimmungen ganz ablehnend gegenüber. Abg. Fegter (Vp.): Diese Vorschrift ist nur für die Großagrarier da und schafft für sie neue Privilegien. Die ganze Regelung wird einen Zankapfel in die Reihen der Landwirtschaft werfen;'wenn jemand für nicht leistungs fähig angesehen wird, wird man ihn über die Schultern an- sehen. Die Vorschrift soll den bäuerlichen Mittelstand an den Bund der Landwirte ketten. Die besten Risiken nimmt dann der Gutsbesitzer weg und die schlechtesten läßt er der Landkrankenkasse. Abg. Nenner (Ntl.): Ein Ausnahmegesetz ist dies nicht, es handelt sich hier um eine besondere Bestimmung für eine neu in die Versicherung einbezogene Vernfsklasse. — Abg. Schmidt-Berlin (Soz.): Der Einwand, man besitze keine Erfahrung bezüglich der Versicherung der Land arbeiter, ist hinfällig, bei den Landarbeitern treffen die selben Voraussetzungen zu, wie bei den gewerblichen Ar beitern. — Abg. Dr. Mngdan (Dp.): In vielen Bundes staaten besteht die Versicherung der Landarbeiter schon heute. Die Landkrankenkasscn im ganzen werden durch die Para graphen, die die schlechtesten des ganzen Gesetzes sind, so gut wie ausgeschnltet. Nach weiteren Bemerkungen der Abg. Molkenbuhr (Soz.). Fegter und Mngdan (Vp.) schließt die De batte. Die namentliche Abstimmung über diese Bestim mung, sowie den 8 450, der zurückgreift auf 8 447, wird zu rückgestellt. 8 452 sieht die Möglichkeit der Herabsetzung des länd lichen Krankengeldes für die Wintermonate vor. Abg. Arnstadt (Kons.): Der Verdienst ist in den Wintermonaten geringer als im Sommer; um eine Simu lation auszuschalten, ist es nötig, auch das Krankengeld herabzusetzen. — Abg. Zubeil (Soz.) befürwortet einen Antrag auf Streichung. — Nach kurzer Bemerkung des Abg. Fegter (Vp.) bleibt der Paragraph unverändert. — Die 88 454 bis 462 werden nach kurzer Debatte erledigt. Die 88 463 bis 468 „Dienstboten" bleiben unverändert 88 460 bis 486: „Unständige Beschäftigung". — 8 469 bestimmt, daß als unständige Beschäftigung eine solche an zusehen ist, die auf weniger als eine Woche beschränkt ist. — Abg. Pan ly-Cochem (Ztr.): Diese Bestimmungen bringen den Arbeitgebern sehr viel Unannehmlichkeiten. Ministerialdirektor Caspar: Die Befürchtungen des Vorredners sind nicht zutreffend. — Der Abschnitt wird unverändert angenommen. Die 88 487 bis 493 „Wandergewerbe" und 494 bis 520 „Hausgewerbe" werden nach kurzer Debatte angenom men. ebenso in namentlicher Abstimmung die zurückgestcll- ten 88 116 r» und 447 und 447 r» mit 218 gegen 86 Stimmen bei einer Enthaltung. Ohne Debatte werden die 88 616 bis 620 a erledigt. > Darauf wird die Weiterberatung auf Dienstag 11 Uhr vertagt. — Schluß N.7 Uhr. Aus Stadt und Land. (Aortsetzunq au» dcm Hauptbiatt) —* Sritdcm das Subinissionsaint für das Königreich Sachsen seine Tätigkeit ausgenommen hat, schwirren ihm die Blüten und Blumen des SnbmissionsnnwesenS in lästig reicher Fülle ans allen Ecken und Enden zu. Hier nur einige Beispiele: Beim Ban des neuen Stratzenbahndepots im Sendlinger Oberfcld (bei München) betrug das höchste Angebot für Anstreicherarbeiten 26 000 Mark, während der billigste Bewerber die Sache schon für 8000 Mark tadellos ansführen wollte. Die vergebende Stelle machte von dem billigen Angebote keinen Gebrauch, weil sie selbst wußte, daß allein die Farbe und die Rüstung mehr als 8000 Mark erforderte. Den Zuschlag erhielt der Viertbilligste mit 12 400 Mark. — Noch krasser ist folgender Fall: Unter den 14 Bewerbungen für die Eisenbetonarbeiten bei den Neu bauten der Heilanstalt Lohr lautste das niedrigste Angebot auf 97 000 Mark und das höchste auf 203 000 Mark (!). Tie Differenz betrug demnach „nur" 106 000 Mark, also mehr wie die Summe des Mindestangebotes überhaupt. — Bei einem Lose der Tischlerarbeiten für den Neubau einer Feuerwache in Bromberg schwankten die Angebote von fünf Bewerbern zwiscl-en 2000 und 6500 Mark. — Für den Bau eines Bismarckturmes forderte eine Bromberger Firma 12 657 Mark, während die Mitbewerber bis zu 37 400 Mark gingen. Die erste Firma hätte also auf Wunsch ein Viertel dutzend Bismarcktllrme für die 37 400 Mark ausgeführt. — Bei einer Vergebung von Matratzen und Kopfkissen durch die Garnison Metz wurden von ortsangesessenen Handwer kern Preise gefordert, die billiger waren als Gefängnis- angebote (l). VV. —* Mit dem Kanossamiirchcn als einer Demütigung des deutschen Kaisertums räumt der bekannte Berliner Jurist Köhler im „Tag" ganz gründlich auf; er schildert die Vorgänge u a. folgendermaßen: „Gregor selbst war in größter Verlegenheit. Er fühlte sich einerseits den Fürsten gegenüber gebunden, andererseits konnte er, wenn der König wirklich büßte, nicht umhin, ihn vom Banne zu lösen. Das war die Schwäche der päpstlichen Macht; denn, so mächtig der Bann ist — das zerknirschte Herz dessen, der Buße tut, ist noch mächtiger: es hat ein Anrecht auf Befreiung; das ist göttliche Ordnung. Es mag schwer in der Brust des Papstes gekämpft haben. Ein scharf sichtiger Diplomat, wie er mußte erkennen, daß, wenn ec jetzt de» König vom Banne löste, die politischen Verhältnisse sich zum Nachteile des Papsttums wendeten, ja das Ver hängnis ihn selber erfassen werde. So war es auch: mit der Lösung vom Banne Unterzeichnete der Papst sein eigenes Todesurteil. Aber das Verzeihen und Vergeben ist gött liche Ordnung und die unausbleibliche Pflicht des Seel sorgers gegenüber dem Beichtling. Sicher durchschaute der Menschenkenner Heinrichs Seele; er wußte wohl, daß wahre Buße und innere Zerknirschung dem Büßenden fern lag. daß es sich nur um einen, rein politischen Schachzug handelte, bei dem der Ränkevolle mit dem Heiligsten spielte; ihm konnte nicht entgehen, daß der König nach Lösung vom Banne, des gewonnenen Vorteils froh, sofort sein Wort brechen und seine Kräfte zur Vernichtung des Papsttumes sammeln werde. Doch nur Gott sieht in das Herz; der Seel sorger kann auf Grund dieser Annahme die Absolution nicht verweigern. So willigte der Papst am dritten Tage, nach dem der König in der Nikolauskapelle von Mont Giovanni inständig mit Mathilden und dem Abt Hugo von Cluny ver handelt hatte, in die Lösung vom Banne, sofern der Kömg sich der üblichen Buße unterwerfe. Es war höchste Zeit; das verhängnisvolle Jahr war am Verstreichen — und Ver sprechen und Halten sind zweierlei. So erfolgte am 26., 26. und 27. Januar 1077 der weltgeschichtliche Vorgang, daß Heinrich innerhalb der zweiten Mauer von Kanossa vor ver schlossener Pforte dreimal von morgens bis abends barfuß in wollenem Kleids seine Buße tat. Die gewöhnliche An schauung, die in der Buße Heinrichs eine Entwürdigung des Königtums und eine Ueberhsbung des Papsttums er blickt, beweist nur, daß man von der Denkungsweise jener Zeit keine Ahnung hat, und daß das Verständnis für die Lehren der katholischen Kirche, die doch damals alle Welt beherrschte, völlig fehlt. Wer büßt, der büßt nicht dem Seelsorger und dem Papste, sondern er büßt Gott. Vor Gott aber sind alle gleich; der Sünder hat zu büßen, mag sc König oder Bettler sein. . . . Der ganze Vorgang war daher nicht eine Entwürdigung des Königtums, sondern ein schlauer Schachzug Heinrichs und eine freche Verhöhnung der kirchlichen Buhübung, denn was er tat, tat ec in der sicheren Absicht, bei nächster Gelegenheit den Vorteil zu benutzen und — 56 — „Janohme hat bei Mutter Aiwa sein Messer gefunden, mit dem die Tot vollfllhrt wurde. Auch das spricht gegen Franz, der ja kurz zuvor hier bei euch war. Das Schlimmste ist die Aussage des Gestochenen, der Franz direkt als Täter bezeichnet." „Er lügt!" schreit das Heidekind auf, drohendes Feuer lodert in den Augen. „Beruhige dich, Kind, die Wahrheit wird an den Tag kommen." Lieb kosend streicht Lisa die Hand des erregten Mädchens, das in plötzlichem Zu- sammenbruch wild aufschluchzt. Um von dem gefährlichen Gegenstand abzulenken, schlägt Lisa einen kleinen Spaziergang vor. Sie streifen durch die Heide und gelangen zu einem Sumpftümpel, der infolge der Regengüsse der letzten Tags mit Wasser hoch «»gefüllt ist. Breites Schilf ragt im Uferrand. Lisa sucht einige Blätter zu brechen, aber der scharfe Blattrand schneidet in ihre Hand, so daß einige Tropfen Blut hervorquellen. „Blut!" Mit der Gebärde des Entsetzens blickt Mitz auf die Wunde. „Närrchen, wer wird sich darüber aufregen!" begütigt dis Freundin. .Das hat mein Ungeschick selber verschuldet: die Strafe ist verdient. — Die Schilfblätter find so hübsch," setzt sie bedauernd hinzu. Flugs beginnt Mitz einige auszureißen, mit besserem Erfolge als Lisa. „Hab acht, daß du nicht zu weit gerätst," warnt diese, als ihr Pfleg ling sich über den Uferrand beugt. Als sie nach kurzer Streife wieder zu Hause anlangen, verabschiedet sich vor der Türe der Arzt. „Wie ist's mit der Bleß?" fragt Lisa. Jan bewegt ernst den Kopf. „Der Doktor behauptet, das Tier habe was Giftiges gefressen. Kann's mir nicht erklären." Mitz ist ins Haus gegangen. „Was jagt Ihr von der?" fragt Jan schmerzlich. „Armes Kind!" erwidert Lisa. „Sie hat ihr Gleichgewicht noch nicht wiedergcfunden." „Will'S meinen. Nach der Bleß fragt sie nicht mal. War früher nicht denkbar." Er blickt finster in die Heide. Ein klägliches Gebrüll aus dem Stalle treibt ihn alsbald dorthin. Lisa will im Hause nach ihrer neuen Freundin schauen. Sie findet sie init einer Düte beschäftigt, die sie schleunigst verbirgt, als Lisa hinzutritt, um dann inc Schlafzimmer zu verschwiirden. Das merkwürdige Gebaren fällt der freiwillige«» Krankenpflegerin nicht weiter auf, sie schiebt eS auf den Zustand. — Airs dem Boden liegt ein Blatt, von dem fliehenden Mädchen wohl vergessen. Lisa hebt es auf und liest den Anfang eines Briefes. Die paar Worte dünken ihr die einer Irren: „Die Blutschuld Uber dich. Nichtswürdigerl Wenn die Stunde kommt, werde ich sprechen. So wahr ein Gotk lebt, seine Strafe wird dich treffen . . .1" — 53 — OanKnIatrix akkliatornm I Zur Trösterin der Betrübten kommen sie. Trost wollen sie, neue Kraft zum Schaffen und Kämpfen, echtes Lebenselixier! Wer nach Kevelaer kommt, wird auch den Kreuzweg gehen, der vor dem Tore des Städtchens beginnt und bis zum anderen Tor sich durchs Feld zieht, prächtig gelegen im Schatten der Bäume und Sträucher. Welch ein Gegensatz: Der liebliche, durch die grünende und blühende Na tur sicht schlängelnde Weg — und die schmerzvollen Haltepunkte der vierzehn Stationen! Den Pilger umjubelt der Vögel Lied aus dem Gezweig und ihn umschimmert der Sonne durchblitzender Schein — da tritt er an das sich über jeder Station wölbende Kapellchen, und das bleiche blutige Antlitz des Herrn grüßt ihn traurig. — O Welt, wie bist du schön! O Haupt, voll Blut und Wunden! Lena schreitet betend von Station zu Station. Wie die Natur rings ist ihre Jugend, lockend und verheißend — und wie der Heiland muß sie einen entsagungsvollen Schmerzensweg wandern. Sie langt am Kreuzbaume an, einer mächtigen Linde, die mit ihrem breiten Laubdache die zwölfte Station, den Kalvarienberg und einen «veiten Umkreis überschattet. Hoch ragt aus dem Berge von Grottensteinen das Kreuz, an dem des Herrn Leichnam hängt, zu seinen Füßen die Mutter und Johannes. Dicht »»eben ihm ist eine Naturkanzel, von der eben ein Priester zu seiner ringsum stehenden oder knieenden Gemeinde spricht. Eine Holländerprozession ist es. Heringsfänger von der Nordsee. Kräftige, wetterbraune Männer mit ernsten Gesichtern und treuen Augen, die Hände in den breiten Hosen vergraben; frischwangige Frauen und Mädchen in buntem Rock und schwarzen» Mieder, aus dem gescheitelten Haare die schnee weiße, zuweilen mit Goldblech verzierte Flügelhaube. Sie stehen alle unter dein Banne des Priesterwortes. Der Greis da oben hat, wer weiß wie viele Jahre, unter ihnen und mit ihnen gelebt und gelitten; sie kennen ihn, wie er sie kennt. Nun spricht er von ihrem Heimat dorfe am Nordseestrande, von wo sie hergepilgert sind nach Kevelaer. Wie sie ausziehsn — so schildert er — zum Heringsfang in die hohe See, und wie auf den heimatlichen Dünen die Frauen jeden Morgen und jeden Abend nach ihnen ouslugen, ob sie noch nicht heimkehren: wie sie auf dein Ozean kämpfen mit Wind und Wogen, hart und verzweifelt, um Brot und Leben für die Lieben daheim: und wie sie dann oftmals im schweren Ringen mit Sturin und Wassernot die Hand verzagend sinken lassen vom Ruder und Segel. Die Stimme des Greises schwillt an, als ob er auf dein schwankenden Fischerboote mitten unter ihnen stände: „Da schaut ihr durch Nacht und Sturm ein Licht über dem Wasser, einen Stern von Hellem Glanze, einen rettende»» Bahnweiser. Mit neuem Mute legt ihr Hand an und steuert, den» Sterne folgend, glücklich heim, beutebeladen, in die Arnie eurer Lieben! Dieser Stern auf eurer Lebensfahrt, wo die Stürme der Leidenschaften uns um brausen und die Wasser mannigfacher Not uns umprallei», ist Mariä! maris stellr»! Mcerstern, sei gegrüßt! Maria wandelt auf dem Meere, e»n Licht von wunderbaren» Leuchten, das alles Dunkel durchdringt und in jedes Herz Trost und Hoffnung strahlt! Maria schwebt über den» Wasser, in den» wir Schiffbrüchige ringen, und reicht uns die Hand! Ergreift die Hand ihr alle, die ihr zu versinken droht ^"t und Nnd!" " „Ueber Wasser 15