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Beilage zu Nr. M der „Sächsischen Volkszeitung" Vermischtes. V Die Sozialdemokraten als Arbeitgeber. Der frühere Genosse Lebins erzählt in der „Sachsenstimme", daß er für die sozialdemokratische Presse über den Tabak- arbeiterkongreß, der im vorigen Jahre in Dresden tagte, berichtete. Das „Volksblatt" in Halle verwendete 087 feilen seines Berichtes; er hätte nach den Satzungen des Vereins „Arbeiterpresse" 40 Mk. 08 Pf. zn fordern gehabt. Aber er bekam überhaupt nichts. Als er nach vier Monaten vergeblichen Mahnens durch einen Rechts- anwalt mahnen ließ, erhielt er von dem Neichstagöabge- ordneten Thiele, dem Chefredakteur der „Volköstimme", eine Postkarte, in der es hieß: „Um Ihnen das Ver gnügen an lehrreichen Experimenten nicht zn kürzen, weigert sich der Verlag, früher mit Ihnen die Sache zn regeln, als der Anwalt ausgeschaltet ist." Lebins klagte trotzdem; aber der Prozeß zog sich 0 Monate lang hin; der Kläger schreibt darüber: „Thiele war als Zeuge nicht zn erlangen, weil er seine Abgeordnetentätigkeit stets vorschützte." Endlich bekam Lebins vom Gericht 7.00 Mk. zngesprochen. hatte aber die Kosten der Beweisführung, die er inehr als 100 Mk. schätzte, zn tragen. Dieser Vorgang wird noch dadurch besonders pikant, daß der Reichstagsabgeordnete Thiele zugleich Vorsitzender des Vereins „Arbeiterpresse" ist. So sieht die Theorie und Praxis bei den Sozial demokraten aus! v Aerzte und Kurpfuscher in Sachsen. Tie ,,frankfurter Zeitung" macin in einem längeren Artikel über den Leipziger Aerztestreik n. a. folgende bemerkens werte Mitteilungen: ,.Jn IO fahren ist die Zahl der staat lich geprüften "Aerzte in Sachsen von lOOK auf 0208, somit tim 0l>0 gestiegen; die der Zivilmediziner allein um 770. Von diesen l 00 t Zivilärzten entfielen ans die drei größeren sächsischen Städte 00«!, also fast die Hälfte, und zwar waren tätig in Dresden 110, Leipzig -102 und Chenmip lll. Noch weit stärker aber als die Zahl der Aerzte ist die der — Kurpfuscher gewachsen. Tie Ziffern der sächsischen Mediziualstatislik, wie sie vom Landesmedizinal-Kollegimn regelmäßig veröffentlicht werden, bleiben weit hinter der Wirklichkeit zurück, da mir solche Kurpfuscher gezählt find, die ihre Tätigkeit als Gewerbe angemeldet haben. Sachsen ist das goldene Land der Kurpfuscher. Sie genießen in allen Bevölkerungsschichten bis in hohe kreise hinauf er hebliches Ansehen. Ihre .Kuren bilden in den besten Ge sellschaftsschichlen den Gesprächsstoff und in der sächsischen Residenz und ihren Villenkolonien gibt es Kurpfuscher entkommen, die weit über die Bezahlung unsrer höchsten Staatsbeamten humusreichen. Mit diesen vornehm ge wordenen .Kurpfuschern können sich nur wenige sächsische Aerzte im Einkommen messen, aber selbst in kleineren Städten und namentlich in den erzgebirgischen engbevölkerlen Jndnstrieorten sind viele Kurpfuscher weit besser als die staatlich geprüften Aerzte beschäftigt. Tiefer starke und oft sehr skrupellose Mitbewerb macht auch dem gewissenhaftesten Arzt das Leben oft recht schwer. Das kleinste Torf hat in Sachsen seinen.Kurpfuscher; nach meinen Beobachtungen bin ich zn der Annahme gelangt, daß die Zahl dieser Heil beflissenen mindestens dreimal so groß als die Zahl der Aerzte ist." v Das Käppchen des Papstes. Durch die Blätter läuft folgende Notiz: „Eine piemontesische Marchesa hatte sich mit einein weißen „/.mwiwttn", einem .Käppchen von höchster Feinheit, versehen zum Vatikan begeben. Pins X. empfing sie mit ausgesuchter Freundlichkeit. Er ließ sie Plah nehmen und erkundigte sich nach dem Ergehen ihrer Familie. Als die Audienz beendet schien, erhob sich die Marchesa, um sich zn verabschieden, und der Pacht reichte ihr die Hand zum Kusse. Ta rasste die Besucherin ihren ganzen Mut zusammen und sagte: „Heiliger Vater, vor meinem Fortgehen habe ich noch um eine große Ginnt zn bitten." „Um welche, meine Tochter?" „Wollen Sie ein willigen, dieses xueclrokto hier" — dabei zeigte sie ihr kleines Käppchen ans feiner Seide — „mit dem zn ver tauschen, das Sie tragen?" Ter Papst sah sie an, lächelte und sagte: „Der Austausch ist unmöglich, Marchesa, sehen Sie nur" — und dabei griff er an das .Käppchen von grober Wolle, das er gewöhnlich trägt und das den ganzen Kopf bis zur Stirn bedeckt. „Wenn Sie mir ein ähnliches Käppchen bringen, wie dieses hier. Marchesa. dann — aber nur dann können wir den vorgeschlagenen Tausch vor nehmen." Obgleich die Marchesa enttäuscht war, nahm sie den Papst doch beim Wort. Sie steckte ihr feines „mw- oliokto" wieder ein und sagte: „Heiliger Vater, ich werde mit einem wollenen Käppchen wiederkommen, und Eure Heiligkeit wird mir nicht mehr die Gunst versagen können, um die ich bitte." Pins X. lächelte, wiederholte sein Ver sprechen und begleitete seine Besucherin bis an die Türe." v W ie die Kolp o r tage mit k atholi s ch e n A » d a ch t s büchern trotz aller Warnungen seitens der kirchlichen "Be Hörden und der Presse immer noch getrieben wird, zeigt folgendes "Beispiel. Kürzlich gingen marktschreiende Annoncen durch die Zeitungen mir der Aufschrift: „100 fl. Verdienst monatlich. Nähere Auskunft bei Sch. ch Eie. in Cöln." Es handelt sich um den Vertrieb eines Buches „Ter Pilger stab des römisch katholischen Christen", welches für die Ver lagsfirma Schasslein ch Ew. in Cöln, deren Inhaber prote stau tisch ist, durch Agenten in Deutschland und "Teüerreich bis in die entlegensten Gebirgsdörfer verkanü wird. Natür lich sucht die kirchenseiudliche Presse an: dieser .Kolportage Kapital zn schlagen. So erzählen österreichische Zeitungen, z. B. das ...Kärntner Wochenbl." >Nr. 20. vom G April >. der Erzbischof von Eöln beziehe ans dein Verkauf des Buches Stiftnngskapitalien und es nennt die Kolporteure „Hausierer des Erzbischofs von Eöln!" — Das Buch trägt allerdings die Trnckerlanbnis vom Cölner Generalvikariat (nicht vom Kardinal Erzbischof», wodurch bekanntlich nur » besagt wird, daß in dem Buche nichts gegen die katholische Glaubens- und Sittenlehre enthalten ist; es enthält aber durchaus nicht die Erlaubnis, das Buch mit Provision für kirchliche Zwecke zu kolportieren. Eine solche Erlaubnis ist überhaupt niemals erteilt worden, weder durch den Herrn Erzbischof noch durch das Geueralvikariat. Im Gegenteil ist die Kolportage mit Provision für kirchliche Zwecke in der Erzdiözese Cöln ausdrücklich verboten. Als daher der Erzbischöflichen Behörde bekannt wurde, daß die Verlags firma Schasstein Cie. eine derartige .Kolportage in der Erzdiözese Cöln betrieb, hat sie durch energisches Einschreiten diese Kolportage innerhalb der Erzdiözese unterdrückt und die Firma wiederholt ansgeforderl, dieselbe einznstellen. Demgemäß ist es unwahr, daß der Erzbischof von Cöln Stistnngskapitalien durch den Kolportagebetrieb der Firma Schasstein L Cie. sammelt. v lieber den Anarchisten Arial. der das Attentat ans den spanischen Ministerpräsidenten in Barcelona ver übte, ließ sich am l I. Avril die „N. Fr. Presse" durch Privattelegramm ans Madrid melden, der Verbrecher sei „früher zwei Jahre in einem Prieslerseminar" gewesen. Wie der „C. A." von ihrem Madrider Gewährsmann mit geteilt wird, war Arial niemals in einem Seminar, ge schweige denn in einem Prieslerseminar. Als kleiner, ver wahrloster.Knabe weilte er einige Zeit in einem Kinderashl, das wie fast alle charitativeu Anstalten Spaniens unter der Leitung von Ordenslenten steht. v "Malinesinnt einer christlichen Frau. Das Ministerium Combes hat bekanntlich seinem freimanrerisch- radikal sozialistischen Anhang zn Eiebe am .Karfreitag und den folgenden Tagen den Befehl erlassen, die Kreuze ans den Gerichtssälen zn entfernen, um auch äußerlich die Ent christlichnng Frankreichs darznlnn. Einem Pariser Berichte vom lO. d. "M. zufolge schlägt nun eine Zeitung in Bordeaux ihren Lesern bei künftiger Eidesleistung das folgende Bei spiel zur Nachahmung vor: „Vor kurzer Zeit erschien vor einem Zivilgericht der Unterpräsektnr, wo man, ohne die Zirkniarnote des Jnslizminnters Vallö- abznwarten, bereits das .Kruzifix entfern! halte, eine wegen ihrer Ehrenhafligkeit, aber auch nicht minder wegen ihres Freimutes bekannte Gemüsehändlern! als Zeugin. Als der Tribnnalpräsident sie ansforderte, die Hand dafür zum Schwure zn erheben, daß sie „die Wahrheit, die ganze Wahrheit" sagen werde, rief die wackere Frau ans: „Schwören? Tie Hand erheben, Herr Richter? Vor wem? Vor Ihnen? Aber da muß ich schon bitten, in dieser Beziehung sind Sie nicht mehr als ich." Sodann zog die Gemüsehändlerin triumphierend einen Rosenkranz ans ihrer Tasche hervor, hob dessen .(kreuz in die Höhe und sagte: „Hier, Herr Richter, ist derjenige, vor dein allein man schwören kann, und vor ihm erhebe ich die Hand und schwöre, daß ich die Wahrheit, nichts als die Wahrheit und die ganze Wahrheit sage." Ans dieses- stolze Glaiibcnskenntnis hin brach der ganze Saal in "Beifallsklatschen ans. — 112 — Mitleid mit der Aermsten, sie ist unglücklich Jones, ihr ganzes Wesen verriet cs mir." „Im Komplott ist sie mit ihrem Verlobten, diesem famosen Walten- borg, welcher den: Alten von Blankenstein soeben die Nachricht brachte, daß fein verlorener Sohn wiedergefnnden sei. Ja, ja, staune du nur. Ter Kampf ist bereits entbrannt, auch ohne dein Dazwischenkommen, ein wider wärtiger Kampf, versichere ich dich! Reise wieder ab, mein Freund, ver brenne alle Brücken hinter dir und erspare dir unliebsame Erfahrungen." „Ich möchte meinen Vater Wiedersehen, ich kann nicht glauben, daß sein Herz so ganz verhärtet ist, um sich dem Kinde zn verschließen." — Heinz hatte leise gesprochen, seine Stimme kämpfte mit anfsteigendcn Tränen. „Aber du bist so überflüssig dort. Du hörst doch, daß Waltenberg be hauptet, den verlorenen Sohn gefunden zn haben —" „Ich kann es kaum fassen, daß Dreistigkeit so viel wagt!" „O, da gibt es überhaupt keine Grenzen, du kennst die Menschen noch nicht. Und deinen — Vater hättest du hören müssen, in welcher Weise er von dem heimkehrendcn Sohne sprach. Poche auf dein Herz und deine Selmsncht, und inan wird dich für einen Narren halten." Und Jones berichtete in einer schonungslosen Darstellung den Ans- tritt, wie er sich zwischen den Familiengliedern ans dem Blankenstein abge spielt hatte. Heinz hörte mit gesenktem Kopfe zn. Das Blut war ihm ins Gesicht gestiegen nnd dann wieder zum Herzen znrückgeströmt. „Du weißt, Jones, daß ich keine Vorteile erbeuten will, das ändert viel an der Sache; wenn man erfährt, daß ich Vermögen besitze, wird man mich ohne Vorurteil empfangen." „Und an einer solchen Art des Willkommens ist dir gelegen?" brauste Jones ans, „unter dem Schein des tiefsten Elends müßtest du an das Herz deines Vaters und deiner Verwandten pochen, nnd wenn man dich abweist, die Karten anfdecken nnd ihnen deine Verachtung ins Gesicht schlendern." „Mein Stolz läßt es nicht zn, daß ich dort als Lump erscheine, nnd dann kommt auch nichts heraus bei einer solchen Komödie." „Das heißt, du willst der Schcinheiligkeit und Heuchelei alle Tore öffnen? Weiß der Himmel, auf eine solche Verwandtschaft, die mich nur meines Geldes, meiner Stellung wegen anerkennt, würde ich pfeifen!" „So urteilst du. mein bester Jones, dem alle Liebe und Aufopferung zärtlicher Eltern zu teil wurde. Die Bödows sind nach meinem Dafürhalten nicht halb so schlimm, wie dn vermutest. Es ist mir natürlich, daß sie ihren Vorteil wahren und einem Eindringling gegenüber ihre Position verteidigen. Gib acht, ob ich nicht Recht behalte! Wenn sie meine Uneigeimützigkeit nnd meine wahrhaft guten Absichten erkannt haben, werden sie uns beweisen, daß sie nicht ohne Gemüt sind." „Kunst!" spottete Trollopn. „Wogegen Waltenberg, sofern ich seine Freundschaft suchte, mich immer ausnützen würde. Das ist ein gefährlicher Bursche, habgierig und gewissen- los. nnd dennoch — wer weiß, ob nicht auch er eines echten Empfindens fähig ist — es gibt doch wohl reichere Mädchen als Ilse von Lnkado." — >00 — „Wir haben das gleiche Ziel", sagte er, ein reichbelegtes Brödchcn ans der Hand der Tante cntgegeimclnnend — von Map wäre es ihm noch lieber gewesen — „meine Eltern leben seit kurzem in Erlau. Mein Vater wollte mich vor einigen Wochen in B., wo ich Leiter eines technischen Büros bin, besuchen, traf mich aber nicht an, da ich auf einer Geschäftsreise begriffen war. Inzwischen hat meine Schwester sich verlobt, und ich sehne mich nach einen: Wiedersehen. Ich komme ganz unerwartet." Die alte Dame nickte. „Auch wir wollen überraschen. Aber Erlau muß doch ein ganz kleiner, unbedeutender Ort sein", nnd sich an Map wendend, fügte sie hinzu: „ich begreife nicht, daß Heinz dort solange sich anf- hält. Ob es Theater nnd Konzerte dort gibt?" „Das glaube ich nicht, gnädige Frau, in Erlau befindet man sich ans dem Lande, frische Luft und tiefe Ruhe sind in vollen Zügen zn genießen, mit den Zerstreuungen aber wird es schlecht bestellt sein. Mein Papa möchte auch lieber heute wie morgen wieder fort ans dem Neste, aber er hat sich fest angetanst und bisher hat sich trotz aller Bemühungen kein Abnehmer für das Eigentum gefnndcn. Haben gnädiges Fräulein Gefallen am Land leben?" Aber Map schien so angelegentlich in den Anblick der Landschaft ver sunken, daß sie die Frage überhörte. „Gott bewahre!" antwortete statt ihrer die Tante, „Mar, ist an den Luxus und die reiche Abwechselung der Großstadt gewöhnt und wird sich kreuzunglücklich fühlen in der Umgebung eines kleinstädtischen Gasthofes. Aber ihren Willen mußte sie ja doch haben. Es ist nämlich schon jemand ans unserer Fanrile in Erlau —" „Tante!" ries Map ärgerlich dazwischen, „Dn vergißt wohl, daß der Herr dir ganz fremd ist?" Die alte Dame bemerkte verwundert die Erregung ihrer Nichte. Um dcir jungen Mann für Maps Unart z» entschädigen, suchte sie ihm das beste Brödchen ans, und zu Maps Entrüstung langte er tapfer zn. Ihm war froh und leicht mnS Herz, während das junge Mädchen mit ihrem Stolz rang. Tie hatte erraten, daß sie in dem Dichter Richard Adler einen sremden Mann liebte, sie hatte ihr Herz offenbart und war dafür nach ihrer Meinung verspottet worden. Schau: und Empörung stritten in ihr. sie wäre nicht imstande gewesen, auch nur ein einziges Wort an „ihren Dichter" zu richten. aber daß sie bereits verlobt war, sollte er auch nicht erfahren, ilir Herz ließ es nicht zu. Im tiefsten Innern war sic doch froh, daß es mit dem verhutzelten Oiesicht und den: eisgrauen Haar, sowie den schielenden Augen nichts war. Ja, sic konnte sogar heimlich in sich hinein lächeln, nur wenn .Theodor sie ansah, erschien sie unnahbar. Tante Betsep unterhielt sich inzwischen ans daS lebhafteste mit dem jungen Mann. Sie wußte nichts von seinen schriftstellerischen Erzeugnissen, darauf aber, daß er ein guter, prächtiger Mensch war, hätte sie geschworen. Endlich nahm auch diese Fahrt ein Ende. Theodor hörte zn seinem Staunen, daß die Damen den Hotclwagen vennpen wollten. Er hatte es für selbstverständlich gehalten, daß sie sich zn einer befreundeten Familie be- geben würden.