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Ar. S12 Sette 2 .Dresdner Aach richten Dienstag. 1. November 1927 Ein neuer polnischer Uebergrifs. Die Kallowiher Ska-lveror-nelen- oerfammlung aufgelöst. Kattowitz. 31. Okt. In einer anßerordentltche« «An», »es WoiwodschastSrateS. die «»«nahend «Mas ftnttsand. wurde die Auslösung der Kattowitzer Stndtverorönetenve«, sammlung delchloffen. Die aufgelöst« Stadiverordnetenver, sammlung wurde am 11. Novemder 1»»» gewählt «n» halt«' eine deutsche Mehrheit. Die dentsch«« Parteien ver, fügten in ihr über 84 Kitze, die polnische« nnr iider 26. Die Auflösung kvmmt nicht überraschend. da sie seit der Stadtverordnelensitzung vom 8. September, in der e» wegen der Eröffnung der untersten Klassen der Mittelschulen zu einem von polnischer Seite provozierten Konflikt kam und von der ab die polnischen Parteien aus völlig unberechtigten Gründe» jede weiiere Mitarbeit ablebnten. täglich von der polnischen Presse angekündigt worden ist. Die Auflösung stellt einen erneuten IlnterdrückungSversuch gegen di« deutsche Mehrheit in Kattowitz dar und will die Ausschaltung der Deutschen von allen kommunalen Angelegenheiten er zwingen. An Stelle der aufgelösten Stadtverordnetenversammlung tritt eine sogenannte kommissarische Stadtverord netenversammlung. der zehn Polen und nur fünf Deutsche angehören sollen. Diese Sttzverteilnng in der kom missarischen Vertretung, die dem tatsächlichen Stimmenver hältnis in Kattowitz geradezu ins Gesicht schlägt, zeigt am bellen als wahren Grund der Auslösung die von -er polnischen Negierung unaufhörlich systematisch betriebene Sabotage der deutschen Mehrheit in Kattowitz. Unschuldig in polnischer Ilnkersuchungshaft. Kattowitz, 3l. Oktober. Am 4. April mar durch die Kattowitzer Kriminalpolizei der deutsche Üieichsangehörige Etrzecha, Schlächtermeister in Hindenburg. wegen Ver dachts der Spionage zugunsten Deutschlands verhaftet worden. Jetzt muhte er ans der Untersuchungshaft nach sieben Monaten auf freien Fuß gesetzt werden, da die Ermittlungen völlig ergebnislos verlaufen waren. Ein neuer Konflikt zwischen Sejm und Reglerung? Warschau, 3l. Okt. Heute, am Tage de? Ablaufes der verfassungsmähig vorgeschriebcnen Frist, ist vom polnische» Finanzministerium in der Kanzlet des Landtages der S t a a t s v o r a n s ch l a g für das kommende Finanzjahr E8/2Ü cingebracht worden. Er sieht Einnahmen in Höhe von 2350 Millionen und Ausgaben von 2228 Millionen Zloty vor. Gegenüber dem vorjährigen Budget bedeutet dies eine Ansgabensteigerung von 237 Millionen. Der heute von der Negierung eingebrachte Staalsvoranschlag erschöpft nicht, wie eS bisher der Fall mar, alle Positionen, sondern enthält bloh allgemeine Einnahme- und Ausgabenziffern. In Sejmkreisen, vor allem aber in seinem Präsidium, ist man jedoch der Auffassung, daß der Voranschlag vollständig sein müsse. E» entsteht somit hier die Möglichkeit «Ine» neuen Konflikte» zwischen Regierung und Landtag. Da» Adenb- blatt halt sogar ein« neue Vertagung »de, ein« >uf. ldsung de» Sejm» für möglich. Schändung eines deutschen Kriegersrledhos» in Lettland. Kon»«». »1. Oktober. Der deutsche Krtegerfrtedhof an der Lorupe bet Riga und Segewold. aus dem sich 67 beut, sche Kriegergräber befinden, ist von unbekannten ver» brechern verwüstet worden. Die Grabschänder haben vier- zehn Kreuze auö der Erde gerissen, zum Teil zerbrochen, teil» durcheinandergeworfen. Die Grabhügel wurden von den Schändern eingetreten und eine junge, frisch angepflanzte Birkenallee, die au» 70 Bäumen bestand, zur Hälfte ab- gebrochen. Die Brücken, die den Friedhof mit der Landstrabe verbinden, sind zertrümmert. Der Friedhof ist mit Mitteln de» Deutschen Reichs angelegt worden und wird auch mit solchen Mitteln tnstandgehalten. Der Staat Lettland hat sich verpflichtet, diese Kriegergräber zu schützen. Teilnahme Rußlands an -er Abrüstungs konferenz. Mens, 3l. Oktober. Der russische Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten. Tschitschertn, hat den Generalsekretär des Völkerbundes soeben telegraphisch von der Absicht der Somjetregterung, an der nächsten Tagung der vorbereitenden A b r ü st u n g s k v m m t s s i o n des Völker- bundes tetlzunehme», in Kenntnis gesetzt. Das Telegramm besagt, der russisch-schweizerische Konflikt, der die Sowjet- regierung früher verhindert habe, den auf schwelzertschem Bode» tagenden Sessionen der Kommission beizuwohnen, sei, durch das gemeinsame Protokoll der beiden Staaten vom 14. April d, I. bcigelegt worden. Die russische Regierung könne nunmehr auf die Einladung des Rates vom 12. De zember 1925 zurückgretfen. ES werbe nur noch um Bekannt, gäbe des Ortes und des Datums, sowie um die TageSorb- nung der nächsten Session gebeten. Da diese Tagung der Kommission kürzlich von Ihrem Präsidenten London sHolland) für den 80. November nach Genf einberufen worden ist, sieht man nunmehr der Er nennung der russischen Delegierten mit grobem Interesse entgegen. Dem Beschluß der Sowictregternng, sich ln Zu- knnst an den Arbeite» der Kommission zu beteiligen, wird hier die weittragendste Bedeutung betgelegt. Finnlands neuer Gesandter in Deulschland Helsingsors. 20. Oktober. sAmtlich.) Verkehrsminlster Wuoltjoki, der zum Bevollmächtigten Finnlands in Berlin ernannt worden ist, wird voraussichtlich Mitte November ln Berlin etntresfen. Wuoltioki bat gestern dem deutschen Gesandten tn Helsingsors einen Besuch abgestattet. Um die Nachsolqe v. Malhans. Berlin, 31. Okt. Eine Entscheidung über die Besetzung des BotschaftcrpvllenS in Washington ist bisher noch nicht erfolgt. Unter den Persönlichkeiten, die als Nachfolger des Freiherr» v, Malya» in Frage kommen, stehen in erster Linie Gras Welczeck, der deutsche Botschafter tn Madrid, und der Gesandte Dr. v. P r t t t w i tz und Gaffron, der seit sieben Jahren als Erster Botschaftsrat bet der Botschaft in Rom fungiert. Nach anderen Meldungen soll allerdings Gras Welczeck die Ucbernahme des WashingtoneS Postens aus persönlichen Gründen abgelehnt haben, so daß im Vorder gründe der Kandidaten jetzt nur noch Herr v. Prtttwitz und Gasfron stände. Slrenoere Prüfung der Ausländsanleihen? Berlin. 81. Oktober. Die Beratungsstelle für Ausländsanleihen nimmt morgen ihre Tätigkeit wieder auf. Ans diesem Anlaß hat heute eine Besprechung zwischen Finanzministcr Dr. Köhler, Wirtschastsmintster Dr. EurtiuS. dem Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht und Parker Gilbert stattgefnnden. Die Besprechung galt der Arbeit der Beratungsstelle. Die Germania" glaubt an» nehmen zu können, daß für deren zukünftige Tätigkeit die Grundsätze maßgebend sein werden, die Köhler und EurtiuS tm HauShaltausschnß des Reichstages vertreten haben. ES ist also damit zu rechnen, daß tn Zukunft ein strengerer PrüfungSmaßstab an die Anleihegesuche gelegt werden wird. Der Großhandelsindex. Berlin, 81. Okt. Die ans den Stichtag de» 26. Oktober berechnete Großhandels! ndexztfser des Statistischen Netchsamtes ist hauptsächlich infolge satsonmüßtg bedingter Preisrückgänge landwirtschaftlicher Erzeugnisse gegenüber der Vorwoche um 0,4 v. H.. von 139,9 auf 139,4, gesunken. Von den Hauptgrnppen weist die Indexziffer für Agrar, st offe einen Rückgang um 1,8 v. H., von 187,6 auf 186,8, auf. Die Indexziffer für Kolonialwaren hat um 0,4 v. H-, von 132,6 ans 132,5, angezogen. Schwere Sturmschäden i» Snglaud uud Irland. Loußo«. 81. Oktober. Die Zahl der roßesopfe«, die der verheerende Wtrbelsturm forderte, der t« der Nacht »um Sonnabend dt« britischen Inseln hetinsucht«. wird nunmehr auf kttns««dsteb»ia geschätzt. Da» schwerste Unglück, da» oieser Orkan verursacht^ ereignete sich an der Westküste Irland». In der Lackan.vai wurde nacht» eine Fischer, slottille vom Unwetter überrascht. Mau muß leider bestirchten. daß fast sämtliche v«»t« «tt »V Mau« Besatzung unter» aegange» find. L» handelt sich um da» furchtbarste Unglück, da» tn den britischen Gewässer« fett stebztg Jahren zu ver. zeichnen ist. In der Nacht, al» bi« Ftscherboote losmachten, um auf den Fischfang zu gehen, war zunächst vollkommen klarer «ternenhtmmeL Dle Fischer segelten etwa dreitausend Meter tn» offen« Meer, um dort ihre Netz« augzuwerfen. Plötzlich fegten heftig« Windstöße über da» Wasser, die sich bi» zum Orkan steigerten. Gin Frachtbampfer, der von Liverpool nach Irland unterwegs war, geriet tn der gleichen Nacht tn den Orkan. Eine Explosion verursachte tn der Kabine einen Brand. Der Wind entfachte da» Feuer, und das ganze Schiff war bald tn Flammen gehüllt. Fünf Mann der norwegischen Besatzung kamen dabei umS Leben. Die Rettungsboot« mit den übrigen neunzehn Mann wurden gerettet. Ein Keuerschtfs, da» tn der Nähe der Insel Anglesey verankert war, wurde loSgertssen. Achtzehn Stunden lang wurde da» Boot von dem furchtbaren Sturm hin» und hergeworfen. Zwei Mann der Besatzung starben vor Kälte und Erschöpfung. An vielen Stellen find die Deiche gebrochen und die Marschen überflutet worden, viele der Marschbauern haben schwere Verluste an Bteh zu beklagen. In dem Städtchen Heysam unterspülte bas Meer den Kirchhof. Viele Särge und die Gebeine der Toten wurden fretgelegt. Auch tn M t t t« l« n g l a n b ist der Schaden außervrdent- lich groß. Hotels und Prtvathäuser stehen unter Wasser. Stellenweise ist die Lebensmittelversorgung unterbrochen. In Wale» fuhr ein Personenzng l« «in Gewühl von um- geworsenen Bäumen, unmittelbar nachdem er einen Tunnel verlassen hatte. Sämtliche Fensterschetben wurden von den Zweigen Zertrümmert und der ganze Zug war von Astwerk bedeckt. Glücklicherweise kam niemand zu Schaden. In Blackpool erreichte der Wirbelsturm die Windstärke 12 mit einer Stundengeschwtnbtgkett von 145 Kilometer. Der Gesamtschaden ist gewaltig und läßt sich noch immer nicht annähernd übersehen. Rückkehr der Wannfchafl der „Mafalda". IDnrchyunksprnch.l Rom. 81. Okt. Nach einer Meldung der Agencia Stefant aus Rio de Janeiro schifften sich die Ueberlebenben der Mannschaft deS untergegangenen Dampfers „Ma- falba" an Bord de« Dampfer» „Cvnte Verde" ein, um nach Italien zurückzukehren. Bet der Abfahrt wurde ihnen von der Volksmenge eine Sympathiekundgebung bereitet. Vertreter der brasilianischen Behörden entboten der ttaltent- schen Mannschaft ebenfalls ihre Grüße. Der italienische Bot- lchafter hielt eine Rede, tn der er die Haltung der Mann- schuft rühmte. — Der hier «ingetroffene Dampfer «Principe Ubinc" warf an der Stelle, wo der Dampfer «Mafalda" unter gegangen war. einen Kranz in» Meer. sw. T. v.) - ^,>lIIIIIlI>IIIlIIIIIIl>l!IIIIIIiIIIIIIIIIIIII>iIIiIINIII,,IMi!III,IIIIIII„!II»i,il,I,MiIl»i»»i»II»I!IIu I Slstusr Sss z Pslssl-Nolol Webs K vionelog frais Z SsssilseksflZsbsnö mit lan ounk!», «rd«t»u /Vllsdsncjllofi lafslmuslk 8 „Ionny spielt aus" in der Dresdner Oper. Erstaufführung am 29. Oktober. Ein üassensiiick. Vor zehn Monaten, im Februar 1927, hat das Stadt- thcater in Leipzig Kreneks Oper „Jonny spielt aus" zur Ur aufführung gebracht. Innerhalb dieser Zeit ist das Stück von über fünfzig Bühnen zur Ausführung angenommen worden. Dresden ivar gerade die fünfzigste. Ein verblüffen der Erfolg jedenfalls,- ob auch ein erfreulicher, das steht aus einem anderen Blatt. Schon am ersten Abend waren sich die Fachleute darüber einig, daß der Opernbühne hier wieder ein mal ein „Kaffenstück^ beschert worden sei. Kassenstücke müssen nicht unbedingt schlecht sein, nur sind sie immer ein gewisser Spiegel des Zeitgeschmacks. Der Geschmack unserer Zeit braucht sich aber nichts daraus einzubilden, daß und wie er sich im »Ionny" spiegelt. .Was im „Ionny" log ist. Das wurde vom Unterzeichneten schon einmal vor zehn Monaten ausführlich erzählt. Da aber geistreicher Weis heit meist das Los des Vergcssenwcrdens zufällt, sei das Wichtigste hier nochmal tm Erinnerung gebracht. Ein schwarzer Jazzbandgeiger ist der Held, Triumph der Neger kultur über die weiße Zivilisation der Sinn des Stückes. Im phantastischen Schlußbilb steht der Iazzbandgeiger Ionny über der sich drehenden Weltkugel, und ein Gesangsensemble verkündet in philosophierenden Worten, daß das „Leben ein Spiel" sei, angeführt von Ionnys Geige. Daß diese Geige eigentlich einem „ernsten" Virtuosen gestohlen ist, mag man auch symbolisch deuten. Ebenso, daß dieser Virtuose von den Rädern eines heranbransenden Schnellzuges zermalmt wird, daß der idealistische Komponist Max als falsch verdächtigter Dieb in Gefangenschaft gerät und seine idealistische Geliebte, die Opernsängerin, im entscheidenden Moment tierischen Trie ben unterliegt. Im Heretnziehen der durch die Majestät der Gleticherwelt verkörperten Naturgröße ist ein Gegenpol sol chen menschlichen Kleinlcbens gesucht. Alles bas ist durch- einandergemirbelt mit einer vor keiner Groteskwirkung zu- rückschreckendcn Phantasie. Noch eben hat zn dem einsamen Bergsteiger die Stimme des Gletschers gesprochen, da hört man unten vom Alpenhotel den Lautsprecher verkünden: „Achtung! Welle flinfhundertzehnl Jazzband!" Seit Schrekers „Fernem Klang" ist überhaupt die nackte Realistik und Prosa des Lebens wohl nicht so ungeschminkt aus das gesungene Theater gekommen wie hier. Im „Intermezzo" von Strauß, an das die äußere Szencnbilbnng gemahnt, ist schließlich alles leichter Scherz, hier dagegen, trotz satirisch parodlstischen Ein schlages, vielfach Ernst. Aber die ganze dramatische Technik dieser in elf knappen Szenen vornehmlich in Hotels, auf Bahnhöfen, an Antohalteplätzen und so weiter spielenden Handlung hat teilweise mit Operndramaturgte, auch modern realistischer Operndramaturgie, überhaupt nicht» mehr zu tun. Es ist einfach vcropcrter Film, woran der dazwischen gemenate Symbolismus nichts ändert. Die ganz« DicbeS- geschichte mit ihren Zwischenfällen lebt ja förmlich von Kino- «fsekten: der Spitzbube schlägt den Polizisten nieder, setzt sich statt seiner anfs Anio, befreit so tn rasender Abeniencrfahrt «inen Gefangenen, steigt zum Fenster ein, öffnet Türen mit Nachschlüsseln, vertauscht Gepäckstücke, um die Polizei irre- zuführen. Der Befreite springt im letzten Moment auf den schon in Fahrt befindlichen Schnellzug, der Nebenbuhler wirb von der Lokomotive überfahren, — und so weiter mit Grazie. Beim Schlußbild, mit dem auf der Weltkugel geigenden Jonny und der ihn zu allen möglichen Lichteffekten um- jazzendcn Menschheit, kommt zum Filmgetst noch der Revue- efsekt. Musik ist auch dabei. Allerdings. Dadurch gewinnt Las Ganze wenigstens äußerlich die Form einer Oper. Und die Musik ist nicht einmal das schlechteste an der Sache, womit freilich keines wegs gesagt ist, daß sie viel wert sei. Immerhin: Krenek schwelgt wenigstens nicht mustkantenhaft tn Dacapo-Arien und Ostinato-Variationen. Er schreibt einfach Thcatermnstk, teilweise recht leicht hingeworfene, primitive, teilweise ge wähltere, nie aber vom Geiste kontrapunktischer Schwere be lastete, sondern stets klar und durchsichtig der Szene dienende.*) Der Stil: trotz aller Linksrtchtung gar nicht übermäßig kakophon, streckenweise sogar mit ganz normaler Harmonik. Die Rhythmik vielfach sehr jazzmäßig betont, ebenso wie der saxophoiidurchheulte Orchesterklang. Melodisches Eharakteri- sierungomittel: der deklamierende Sprechgesang. Geschloffene Melodik in den Singstimmen selten, wenn aber, dann gleich hahnebüchen deutlich: so der arienhafte 6-Dur-Triumph- gesang. den Jonny anstimmt, wenn er die Geige glücklich ge stohlen hat, oder der Schlußgesang: „Es kommt die neue Welt übers Meer gefahren", der eines der bekanntesten Motive ans der „Bohöme" des seligen Pucclni aufnimmt. Bvn älteren Opernformen findet nur das mehrstimmige Ge» sangScnscmble reichlich Anwendung, doch in neuer „linearer" Fassung, daS heißt mit rücksichtsloser Selbständigkeit der ein zelnen Stimme. Der musikalische Ausdruck im ganzen ist am lebendigsten, wenn er leicht satirischer, witziger, parodtstl- scher Zeichnung gilt, oder schlechtweg jazzen darf, am schwäch sten, wo eigentliches Gefühlsleben aufblühen sollte. Natür lich; denn die „Neue Musik" ist sa aller Gefühlswerte bar. Die lange sentimentale Soloszene des Liebhaber», die den zweiten Teil eröffnet, wirkt auch in der gebotenen gekürzten Form langweilig genug, stimmungsvoller die Gletscher- episodcn, besonders die zweite mit dem tzrauenchor. obschon das Format solcher Natursttmmungen nicht erreicht wird. Zwilchen Witz und Gefühl steht die Tonmalerei, dle mit einer an die viclbernfcne Lokomotivensinfonie HoneggerS gemahnen den Realistik zu Werke geht. Der vier Szenen umfassende erste Teil ist der stilistisch geschloffener«, auch noch einheit lichere ans satirischen Lustspielton mit stets durchbrechendem Humor gestellt. Im zweiten Telle beginnt dann erst der eigentliche Höllenstrudel von Sentimentalität. Ulk, Film spannung und Rcvuezauber, der nun natürlich auch die Musik von einem Extrem ins ander« jagt. WaS hat nun den Erfolg gemacht? Die Musik jedenfalls nicht. Diese ist untergeordnetes Mittel zum Zweck. Vielfach nnr Begleitungsgeräusch. Man würde erschrecken, wenn sie plötzlich aufhürte, wie der Müller erwacht, wenn die Mühle nicht mehr klappert. Aber man »> Der KlavicrauSzug Ist im Verlag der Universakebltlon «Wiens erschienen. muß ich, solange sic weitergeht, manchmal richtig z> „ . auf sie zu achten. lNämllch, wenn man sie beurteilen will; wer dies nicht will oder muß, kann ohne wettere» über sie hin- weghvren.) Das, womit sie sich in diesem Tohuwabohu allein hätte selbständig durchsetzen können, einen wirklichen Jazz schlager, hat sie nicht. Das kleine Duo: „Leb' wohl, mein Schatz, leb' wohl," daS so etwas AehnltcheS sein möchte, geht tn bedeutungsloser Kürze vorüber. Also was bleibt? Das Stoffliche, die Aufmachung, kurz, das Theatererlebniö als solches. Und hier setzt nun die beschämende Seite der Angelegenheit ein. Denn was bietet dieses Theatererlebniö? Als Grundidee: geistige und körperliche Versklavung der weihen Raste unter schwarze Brutalität, Brunst. Gemeinheit. Abscheulich! sollte man sagen. Aber nein, die Gesellschaft unserer Tage jubelt tn perverser, seelischer Selbstzerfleischung solchem Motto zn! Und die Form, tn die diese Idee gefaßt erscheint? Sin Zusammenraffen aller Effekte entfesselter Theatertnstlnkte, wie sie im Kino, tm Ztrkuö, tm Bartels, Im Film, in der Revue nur je sich auSwuchse«. Talentlos ist daS natürlich nicht; ersonnen, gemacht, gekonnt will so etwas sein! Die weiland Meyerbeersche Oper war sa auch nicht talentlos, weiß Gott nicht — aber ihr Kulturwert ist doch recht negativ gewesen. Und dabei erscheint ihre Ge schmacklosigkeit noch als Zwerg gegen den Rtesenunsng, den Kreneks entfesselte« Theater los läßt. Biel schärfer, als etwa bet der Uraufführung, drängen sich jetzt diese Erwägungen aus. wo man vor der histo- rischen Tatsache steht: s o also muh ein« — Oper kann man gar nicht sagen, also ein tn Opernrahmen ausgeftthrtes Stück auSsehen, wenn eS heute „Kaffe machen" und deshalb inner- halb etlicher Monate von fünfzig Bühnen angenommen wer- den soll! Wir dürfen mithin wiederholen: der Geschmack unserer Zeit braucht sich nichts darauf etnzubilden, daß und wie er sich tm „Jonny" spiegelt. Schwarze Schmach ist »ergängNch. „Die schwarze Schmach auf der Opernbühne": so haben eifrige Kunstrichter den verhängnisvoll erfolgreichen „Jonny" benannt. Man soll ein furchtbar ernstes „politisches" Schlag wort nicht leichthin brauchen. Sonst aber läge ein ganz klaffender Sarkasmus darinnen. Immerhin: die Sache ist auch wieder nicht zu tragisch zu nehmen. Genau besehen, er. scheint ja di« ganze Dttuatiom au« der „Jonny" entwachsen ist, tn unserer schnellebigen Zeit schon wieder überwunden. Der Jazz mit allem Drum und Dran spielt 1927 längst nicht mehr die Rolle, die er etwa 1925^6 spielte. Der „Jonny". Erfolg hinkt also den Tatsachen schon etwa» nach Und die Zelt wird weiter enteilen, und er wirb immer weiter zurück- bleiben. Und so bald er so den Zauber der Augenblicks- sensatton verloren hat. wirb da» Strohfeuer seine» Sieges in sich selbst zusammenbrechen. Realer gesprochen: sobald tn jeder Theaterstadt all« Theaterinteressenten einmal ihre Neugierde an ihm befriedigt haben, geht niemand mehr 'rein. Und bann wird dieselbe Theatermacht, die ihn jetzt auf den Podest hob, ihn tn den Orku» b«S Theaterarchivs schlendern: der Herr Kassengewaltlge nämlich. Warum und wie Dresden Jonny nnssptele« ließ. Warum? Nur. um eben jenem Herrn Kasiengewaltige« eine Freude zn machen. Das Defizit wächst, helfe also, wa»