Volltext Seite (XML)
^ 177, 1. August 1912. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt». d. Dtschn. Buchhandel 8933 Aufsatz zu bringen und den früheren Redakteur der! Allgemeinen Buchhändlerzeitung gegen den jetzigen Redakteur des Börsenblattes auszuspielen. , Es war gewiß nicht nötig, den 1909 geschriebenen Artikel in seinem vollen Umfange abzudrucken, und ich lege auch kein GewiHI auf die Weglassung der Einleitung, wohl aber darauf, daß Herr Br. den Schluß, der überhaupt erst eine Vergleichsmöglichkeit mit dem Artikel »Volksbildung und Buchhandel« gestattet, seinen Lesern einfach unterschlagen har. Diese von Br. nicht abgedruckten, zur Würdigung seiner Behauptung aber unbedingt nötigen Ausführungen lauten im unmittelbaren Anschlüsse an den mit so außergewöhn lichem Lob bedachten Auszug aus dem erwähnten Artikel wie folgt: »Wenn erst nach dieser Richtung hin freie Bahn geschaffen ist, dann werden wir uns auch leichter mit den gemeinnützigen Vereinen und Gesellschaften verständigen können, die die Ver breitung guter Literatur auf ihre Fahne geschrieben haben und die Absicht zu erkennen geben, ein gutes Verhältnis zum Buch handel zu gewinnen. Als eine Folge der Mißstimmung gegen den Buchhandel wird man auch die zum Teil weit übertriebene Einschätzung ihrer Tätigkeit gegenüber den gleichen Be strebungen des regulären Buchhandels ansehen müssen. Unter nehmungen wie Reclam, Meyer, Hesse, Schauenburg, Hendel, Hillger u. a. verdienen — abgesehen davon, daß sie weit älteren Datums sind — doch mindestens ebensoviel Aner kennung wie die Vereinspublikationen, in deren Empfehlung Ministerien, Behörden und Landratsämter sich heute nicht genug tun können. Sie liefern zudem den Beweis, daß es nicht erst des Klingelbeutels zur Durchführung gemeinnütziger Zwecke bedarf, die oft nur als Deckmantel für egoistische Sonderbestrebungen dienen, und daß die Rücksicht auf reellen Verleger- und Sortimentergewinn vielfach eine weit bessere Bürgschaft für das Gelingen ist, als dilettantische Philanthropie oder ehrgeiziges Strebertum«. Nun frage ich jeden denkenden Menschen, frage Herrn Brunckhorst, worin der Widerspruch zwischen diesen Aus führungen aus dem Jahre 1909 und denen von 1911, zwischen dem früheren Redakteur der Allgemeinen Buch händlerzeitung und dem gegenwärtigen Redakteur des Börsenblattes besteht. Berücksichtigt man noch, daß zwischen dem Appell an den Böcsenverein und dem Artikel aus 1911 mehr als 2 Jahre liegen, in denen der Börsenverein eine staunenswerte Tätigkeit entwickelt hat, von der später noch die Rede sein wird, und daß der Kampf gegen die Schundliteratur in dem späteren Artikel überhaupt nicht berührt wird, weil dieses Thema gar nicht dazu gehörte, wenn nicht alles wie Kraut und Rüben durcheinander ge worfen werden sollte, so kann man sich ein anschauliches Bild von der Methode des Herrn Brunckhorst machen. Sie berührt umso eigenartiger, als ich zu keiner Zeit ein Hehl daraus gemacht habe, daß ich die von den Prüfungs ausschüssen angestrebte Bevormundung als des Buchhandels unwürdig erachte. So finde ich beim Durchblättern des letzten von mir herausgegebenen Jahrganges (1910) der ABZ den nachstehenden Artikel, in dem ich mich speziell mit dem Verhältnis des Verlags zu den Prüfungsausschüssen des Hamburger Vereins beschäftigte (Nr. 46 vom 17. Nov. 1910) und dessen »frische, energische Worte der Aufmunterung an den Buchhandel« auch heute noch nicht verblaßt sind: »Es wäre ungerecht, das Verdienst der deutschen Lehrer schaft an dieser Wandlung (zum besseren in der Jugend schriftenfrage) nicht anerkennen zu wollen. Aus ihren Kreisen heraus ist zuerst der Ruf nach einer gründlichen, durch greifenden Reform auf diesem Gebiete ergangen, wenn auch neben Minderwertigem manches Gute zugleich von ihnen über Bord geworfen wurde. Übertreibungen liegen im Wesen jeder Reformbestrebung, und es erscheint nur natürlich, daß man die Forderungen überspannte, um wenigstens einen Teil derselben durchzudrücken. Storms geistreiches Paradoxon: .Wenn du für die Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 79. Jahrgang. Jugend schreiben willst, so darfst du nicht für die Jugend schreiben', das Heinrich Wolgast, der Führer dieser Bewegung, seiner Schrift ,Das Elend unserer Jugendliteratur' (1898) voranstellte, hat viel Verwirrung in den Köpfen unserer Jugendbildner an gerichtet und ist auch heute noch schuld, daß die Parteien zu keiner Verständigung gelangen können. Denn so richtig es einerseits ist, daß die spezifische Jugendschrift in den seltensten Fällen ein dichterisches Kunstwerk ist, so richtig ist es andrer seits, daß nicht jedes dichterische Kunstwerk sich für die Jugend eignet, auch wenn es in sittlicher Beziehung durchaus einwandfrei ist. Wir haben eine ganze Reihe angesehener Dichter, die nie imstande sein würde, für die Jugend zu schreiben, weil ihrer Art und Wesenheit diese Aufgabe voll ständig fernliegt. Nur wer Kinder versteht und in ansprechender Form von dem zu ihnen zu sprechen weiß, was sie interessiert, kann auf ihren Beifall rechnen, den ihm dann auch die Erwach, senen nicht vorenthalten werden. Das ist in der mündlichen Unterhaltung nicht anders wie mit dem Buche. Und alle schönen Reden über die .Erziehung des Kindes zum künstlerischen Sehen' und die Notwendigkeit .dichterischer Stimmung' ändern nichts an der Tatsache, daß das Kind denjenigen Büchern den Vorzug gibt, die sich durch Schilderung außerordentlicher Schick sale oder fremder Länder und Völker auszeichnen und es aus seiner gewohnten Umgebung in eine Welt voll spannender Er lebnisse versetzen. Die Forderung nach klarem, gutem Stil und dichterischer Auffassung bei stärkerem Wirklichkeitssinn wird man dagegen ohne weiteres unterschreiben können. Sie ist auch längst seitens der maßgebenden Kreise anerkannt und steht nicht mehr wie ehedem im Mittelpunkt der Diskussion zwischen Lehrerschaft und Verlag. Was den letzteren mit Recht verstimmt, ist das Verhalten der Lehrerschaft bzw. der von ihr eingesetzten Prüfungs- ausschüsse und deren Einmischung in rein geschäftliche Verhält- nisse des Buchhandels. Die Anforderungen an die Opferfreudig keit des Verlags in bezug auf die Hergabe von Freiexemplaren zu Rezensions-, Prüfungs- und Ausstellungszwecken haben nach- gerade einen Umfang angenommen, der eine Verständigung und Stellungnahme der Jugendschriftenverleger in ähnlicher Weise geboten erscheinen läßt, wie sie seitens der Schulbücher- Verleger vor kurzem erfolgt ist. Daß es unter den Lehrern einige fähige Köpfe gibt, die imstande sind, Wert und Be- deutung einer Jugendschrift richtig zu erkennen und einzu schätzen, soll nicht geleugnet werden, die Lehrerschaft als solche aber kann auf diese Befähigung selbst dann noch keinen Anspruch erheben, wenn sie sich aus geschäftlichen oder privaten Gründen für die Frage der Jugendschriftenliteratur interessieren sollte. Auch die Zugehörigkeit zu einem der zahlreichen Prüfungsausschüsse ist noch keine ausreichende Legitimation für die Befähigung zur Be urteilung von Jugendfchriften, ganz abgesehen von dem echt schul- meisterlichen Mechanismus der Abstimmung durch Majoritäts- beschluß. Nach den Satzungen bezwecken die .Vereinigten deutschen Prüfungsausschüsse für Jugendschriften': 1. die Zusammenfassung, Kräftigung und Fruchtbar machung aller derjenigen Bestrebungen, welche auf die Ver- breitung guter und Zurückdrängung schlechter bzw. minder wertiger Werke für die Jugend ausgehen, und 2. die Gewinnung und Verbreitung richtiger und einheit licher Grundsätze für ihre Beurteilung. Eine Mitarbeit in diesem Sinne könnte sich der Buchhandel wohl gefallen lassen; schade nur, daß sich in ihnen nicht da- Programm der Prüfungsausschüsse erschöpft, wenn wir es auch nicht für ausgeschlossen halten, daß durch eine Reihe ungebetener Mitarbeiter, die sich als .Prüfungsausschüsse' konstituieren, die Sache der Lehrerschaft diskreditiert wird. In jedem Falle wird man es nicht als in dem Rahmen der Aufgabe dieser Prüfungs ausschüsse liegend erachten, daß sie über die Buchhandlungen einer Stadt hinweg Verkaufsstellen für Jugendschriften ein richten*) und ihre Verzeichnisse als allein maßgeblich hinstellen. *) In dieser Beziehung scheint man sich heute — wahr scheinlich infolge schlechter Erfahrungen — zu anderen An schauungen zu bekennen. 1166