Volltext Seite (XML)
^5 177, I. August 1912. Nichtamtlicher Teil. ««r>m»I»U I. b rtschn. «uchhand-r 8935 verrate, daß von dem Betrage, der dem Börsenblatt alljähr lich durch Zurückweisung von mehr oder weniger unsittlichen Anzeigen entgeht, ein kleiner Zeitungsverleger mit Familie ganz gut leben und jedes Jahr noch eine hübsche Eommerreise machen könnte. Da ich sicher sein darf, daß Herr Brunckhorst es nicht ausplaudert, weil es ihm so ganz und gar nicht in den Kram passen würde, so will ich ihm zurJllustrierungseinerBehauptung, daß der Börsenverein »nicht die Kraft hat, Verleger von offenbarer (I) Schundliteratur aus seinen Reihen auszu- schließen», eine kleine Geschichte erzählen: Im Jahre 1910 sollte ein bekannter Wiener Verleger, der lange als Stern am Himmel der pornographischen Literatur geglänzt hatte, aus dem Böcsenoerein ausgeschlossen werden, ob wohl kein Staatsanwalt, kein Richter gegen ihn ausgetreten war. Der Mann kam noch in demselben Jahre seinem Ausschluffe durch freiwilligen Austritt zuvor. Als dann 2 Jahre später gegen ihn Anklage wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften erhoben wurde, sprach ihn das Gericht frei, und der Vorstand des Börsenvereins kann von Glück sagen, daß der Mann gezwungen-freiwillig ging und nicht eins Schadenersatzklage gegen ihn anhängig machte, deren Ausgang durchaus nicht so sicher gewesen wäre, wie es der Laienverstand annehmen könnte. Denn der gute Wille des Vorstandes, Remedur zu schaffen und den literarischen Falschmünzern das Handwerk zu legen, findet seine Grenze an der Gesetzgebung, daran, daß es an jeder klaren Be- stimmung über den Begriff des Unzüchtigen und Unsittlichen fehlt und daß selbst der gewagtesten Publikation noch ein sitt liches Mäntelchen umgehangen werden kann. Nicht besser, eher schlimmer ist die Redaktion bei der Ausnahme bezw. Zurückweisung von Inseraten gestellt, da sie nicht aus dem angezeigten Werke, sondern aus dem Inserat sich ein Urteil bilden muß. Erwischt Herr Brunckhorst einen Schüler seiner Klasse bei der Lektüre einer von Hamburg nicht approbierten Jugend- schrift, so wird kein Mensch großes Geschrei erheben, wenn der Verbrecher zur höheren Ehre der Vereinigten Deutschen Prüfungsausschüsse durchgebläut wird, voraus gesetzt, daß Herr Br. nicht so unvernünftig auf ihn los drischt wie auf das Sortiment. Für besonders schwere Fälle — nehmen wir an, daß das Buch von Gg. W. Dietrich in München verlegt sei — könnte vielleicht auch der Ausschluß aus der Schule beantragt werden. Ob Herr Br. Glück damit haben würde, ist freilich eine zweite Frage. Recht geschähe dem Jungen schon, denn wer sich derart vergeht, ist schließlich zu allem fähig. So einfach liegen die Dinge im Börsenverein nicht, denn die Mitglieder sind keine Schuljungen und der Vorstand kein Prügelmeister. Sie sind auch für den Sortimenter nicht so einfach. Denn wie ich schon früher (Allg. Buchhändler- zcitung ISIS, Nr. 11> aussührte, kann wohl in 80 von loo Fällen an äußeren Merkmalen, wie sie in der Art der An kündigung. der Ausstattung des Buches, dem Namen des Autors und des Verlegers gefunden werden, mit einiger Sicher heit erkannt werden, wes Geistes Kind ein Buch ist, nicht aber, wie es sich mit dem Rest von 20"/„ verhält, der zu tragen oft so peinlich ist. Wo holt er sich Rat, da er wohl die Besorgung eines anstößigen Buches ablehnen kann, nicht aber die Beschaffung einer Literatur, über die er sich schon deswegen kein Urteil erlauben darf, weil er sie dem Inhalte nach gar nicht kennt und Titel und Autor oft nicht den ge ringsten Anhalt bieten? Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Auf diesen Satz kann sich der Sortimenter nicht berufen. Ein Buch, das unangefochten in Kiel vertrieben werden kann, wird in Bres lau verboten, und was in München als erlaubt gilt, wird in Posemuckel unter Strafe gestellt. Das muß der Sorti menter wissen: woher, mögen ihm die Götter sagen. Und er muß, dem ahnungsvollen Engel gleich, auch rechtzeitig darüber orientiert sein, was morgen oder übermorgen ver boten, vier Wochen später aber — weil auch Staatsanwälte irren können — wieder erlaubt ist. Daß das unhaltbare Zustände sind, wird jeder zugeben müssen, der den Sortimenter den Poiizei- organen gegenüber nicht für vogelsrei ansieht und zwischen der »Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns« und den Schwierigkeiten einer Wertung literarischer Dinge zu unter scheiden vermag. Ist ein Buch unzüchtig, so verbiete man es, verstopfe die Bezugsquelle und mache das Verbot aus reichend bekannt. Dann mag jeder, der, trotz dieser Kenntnis, für seinen Vertrieb noch einen Finger rührt, bestraft werden von Rechts wegen.') Wenn es heute möglich ist (vgl. Bbl. Nr. 121 und 163), daß ein vom Gericht in eingehender Verhandlung unter Hinzuziehung von Sachverständigen als hervorragende künst lerische Schöpfung bezeichneles Werk nicht freigegeben wird, weil in einem früher anhängig gemachten Verfahren gegen einen Dritten ganz nebenher auch auf Einziehung und Unbrauchbar machung dieses Werkes erkannt wurde, so wird man von einem zur Vertretung der Interessen des Buchhandels berufenen Organ nicht erwarten dürfen, daß es sich zu dieser Auffassung bekennt oder gar dafür Propaganda macht. Das hieße nur die Rechtsunficherheit vergrößern helfen und Wasser auf die Mühlen derjenigen treiben, denen es anscheinend gar nicht auf eine ernste Bekämpfung des Schmutzes, sondern auf ganz andere Interessen ankommt. Ich habe meine Stellung im Kampfe gegen die Schundliteratur nicht geändert, wohl aber hat sich in der letzten Zeit dieser Kampf selbst geändert, indem er Dinge einzubeziehen sucht, die nichts damit zu tun haben und Formen angenommen hat, die weit über Maß und Ziel hinausgehen. Nach wie vor wird das Börsenblatt an dem Kampfe gegen die unsittliche Literatur teil nehmen und für die Verbreitung guter Schriften eintreten, aber man erwarte nicht, daß es die Geschäfte von Leuten besorgt, deren letzte Ziele ebenso verwerflich sind wie die der Schundliteraturfabrikanten. Ich sehe vielmehr — wie die Dinge gegenwärtig liegen — seine Aufgabe in nächster Zeit darin, auf eine Sicherung des Buchhandels hinzuwirken, der gar nicht daran denkt, sich mit unsittlicher Literatur abzu geben, aber von heute auf morgen wegen Verbreitung un züchtiger Schriften in Anspruch genommen werden kann, weil es nicht nur an jeder festen Grundlage für ihre Beurteilung, sondern auch an einer ausreichenden Bekanntmachung der Verbote fehlt. Ich halte es weiter für erforderlich, daß von ollen gegen angeblich unzüchtige Schriften anhängig gemachten Gerichtsverfahren dem Verleger Kenntnis gegeben wird, damit er seine Interessen rechtzeitig wahrnehmen kann Das scheinen mir wichtigere, wenn auch schwierigere Aufgaben als der Nach druck von Zeitungsnotizen über angebliche »Opfer der Schund literatur» oder die Zurückweisung der Behauptung, daß in Deutschland »30000 Kolporteure für die Verbreitung porno graphischer Schriften tätig sind». Ja, ich halte sie sogar für so wichtig, daß sich auch Herr Brunckhorst damit beschäftigen könnte, bevor er wieder dem Buchhandel etwas am Zeuge zu flicken sucht. Ik. Kleine Mitteilungen. Jubiläen. — Der I. August, der im allgemeinen lm geschäst- lichen Leben nicht als »Termin» angesehen wird, ist in diesem Jahre doch für die nachstehenden Firmen ein GedenIIag. ') Eine kleine Handhabe hoffen wir den Lesern durch Ver öffentlichung einer alphabetischen Zusammenstellung verbotener Bücher aus den letzten 10 Jahren nach den Bekanntmachungen im Börsenblatte bieten zu können, die, wenn möglich, noch in diesem Jahre erscheinen soll 1165»