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8932 Börsenblatt f. d. Dlschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 177. 1. August 1912. .Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel', unterstützt diesen« Widerstand nach Kräften. Anstatt auf einer hohen Warte zu stehen, den Blick schweifen zu lassen, neue Aufgaben für den Buchhandel zu stellen, neue Gebiete des Absatzes zu finden und neue Wege zu zeigen, auf denen man in diese Gebiete hinein kommt, weiß das .Börsenblatt' nichts weiter zu tun, als ängst lich alles abzuwehren, was den geheiligten Formen und Para graphen der jetzigen Organisation nicht entspricht, mögen dabei der praktische Buchhandel und die Volkskultur auch darben müssen (!). Ist es nicht sonderbar, daß der Börsenverein der Deutschen Buchhändler und sein Organ, das .Börsenblatt', zwar wiederholt mit ernsthaften Worten gegen die Schund- und Schmutzliteratur öffentlich Stellung genommen haben, daß Schundliteratur hingewiesen, geschweige denn das Eintreten dafür den Mitgliedern des Vereins nachdrücklich empfohlen worden ist? Ist es nicht in demselben Sinne bezeichnend für den Börsenverein— am guten Willen zweifeln wir gar nicht—, daß er trotz seiner ausgesprochenen Stellungnahme gegen den Schund auf literarischem Gebiete nicht die Kraft hat, Verleger von offenbarer(I) Schundliteratur aus seinen Reihen auszuschließen, sondern daß er ihnen gar nock gestattet, ihre Schunderzeugnisse nach wie vor im .Börsenblatt' zur Anzeige zu bringen?^ Es müssen die Bande der Organisation und die Para jetzige Redakteur des Börsenblatts, der im Jahre 1909, als er noch Herausgeber der Allgemeinen Buchhändler-Zeitung war, so frische energische Worte der Aufmunterung an den Buch handel richten konnte*), jetzt gegenüber Walter Aßmus — der in der »Hilfe« (1911, Nr. 47) die Gleichgültigkeit des Buch handels gegenüber den Volksbildungsbestrebungen tadelt — nichts weiter zu tun weiß, als ihm seine Jugend vorzuwerfen und ihn einen unpraktischen Ideologen zu schelten!« Wenn man diese Ausführungen liest, so wird man leicht verstehen können, daß das Sortiment das »Verlangen« u Auf diesen Widerspruch zwischen den Worten und den Taten des Buchhändlcr-Börsenvereins machte zuerst Di-. E. Schultze in seinem Buche über die Schundliteratur aufmerksam. (II. Auf lage, S. 145 u. f. Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses, Halle a. S.) *) Allgemeine Buchhändler-Zeitung vom 10. Juni 1909: »Wir haben dieserSache (Bekämpfung der Schundliteratur. D.Verf.) bisher nicht die rechte Aufmerksamkeit zuwenden können, weil wir von inneren und äußeren Kämpfen um unsere Existenz und die Anerkennung unserer Forderungen derart in Anspruch ge- nommen waren, daß für große auf das Gemeinwohl gerichtete Ziele nicht viel Zeit übrig blieb. Jetzt aber gilt es, das Ver säumte nachzuholen, wenn der Buchhandel nicht in den Verdacht kommen will, daß kleinlicher Krämergeist und Eigennutz ihn unfähig zur Erfüllung idealer und nationaler Pflichten mache. Nicht nur in akademischen Kreisen macht sich eine bis zur Animosität gesteigerte Mißstimmung gegen ihn geltend, die leicht verschmerzt werden könnte, da sie mehr persönlicher als sachlicher Natur ist, auch im Publikum hat das Mißtrauen Platz gegriffen, weil der Buchhandel da zu versagen scheint, wo es gilt, große Gesichtspunkte im Allgemeininteresse ins Auge zu fassen. Wir haben früher bereits einmal ausgesprochen, daß es nicht darauf ankomme, ob der Börsenverein 2000 oder 4000 Mitglieder zähle, wohl aber, ob er als eine moralische Macht in unserem Geschäfts und Gesellschaftsleben angesehen werden kann. Heute stehen wir beschämt vor jenen Männern, die auf der Kantateversammlung 1827 die unsittlichen Schriften ihrer Berufskollegen, an denen sie Ärgernis nahmen, verbrannten und sie in Acht und Bann er klärten. Diese Auffassung beruflicher Pflichten hat den Börsen verein groß gemacht, und wenn wir uns wieder auf sie besinnen, so wird man auch von unserer Zeit einst sagen können, daß das Spekulantentum sie nicht ausschließlich beherrscht habe. An Mitteln und Wegen zu seiner Bekämpfung fehlt es nicht, denn wenn den Schleuderern beizukommen ist, um wie viel leichter kann durch Verweigerung der Benutzung aller Vereinsinstitutionen gegen die Fabrikanten von Schundliteratur vorgegangen werden.« so sachkundiger Berater, »sich in den Dienst der Volkskultur«, d. h. des Hamburger Vereins zu stellen, energisch ablehnt. Denn wenn auch die Frage der Volksbildungsarbeit und ihrer Förderung durch den Buchhandel viel zu wichtig ist, als daß seine Stellungnahme durch persönliche Verstimmungen beeinflußt werden sollte, so scheint mir diese Art der Ein mischung doch mit dem Ansehen und dem Selbstbestimmungs- recht des deutschen Sortiments ebenso unvereinbar wie die Mission dieser Bildungsapostel mit ihrem Können. Soll, um an den letzten Satz der Br.'schen Ausführungen an zuknüpfen, das Sortiment die Arbeit der Volksbildungs oereine als eine Förderung seiner Aufgabe ansehen, so kann das nur unter der selbstverständlichen Voraussetzung geschehen, daß ihm bei praktisch durchführbaren Aufgaben nicht die Rolle des Handlangers, sondern die eines Gleich berechtigten eingeräumt wird, in dessen freie Entschließung es gestellt sein muß, sich für oder gegen eine Beteiligung zu entscheiden. Das gilt besonders in den Fällen, wo Opfer gebracht werden müssen und geschäftliche Erwägungen nicht ohne weiteres hinter ideale Bestrebungen zurücktrelen können. Ich selbst würde es mit Freude begrüßen, wenn überall da. wo es die Verhältnisse gestatten, der guten billigen Volksliteratur ein entsprechender Platz im Schaufenster eingeräumt und durch Plakate darauf hingewiesen würde, aber ich halte es für verkehrt, zugunsten neuer mutmaßlicher Interessenten die jetzigen tatsächlichen Bücherkäufer zu vernachlässigen. Dieser Standpunkt ist natürlich den Herren Vrunckhorst und Genossen schon deshalb unbegreiflich, weil es ja ihrem Geldbeutel nicht weh tut, wenn die Zeche vom Sortiment bezahlt wird. In folgedessen steht er auch völlig begriffsstutzig der Tatsache gegenüber, der ich in dem inkriminierten Artikel »Buchhandel und Volksbildung« in Nr. 289 des vor. I. Ausdruck in den folgenden Sätzen gegeben habe: »Die Hebung der Volksbildung, wie sie einzelne dieser Vereine verstehen, ist gewiß ein wichtiger Teil unserer Tätig keit, aber doch nur e«n Teil, und erst dann in großem Maß stabe durchführbar, wenn das Publikum durch seine Stellung nahme zum Buche die Voraussetzungen dazu schafft. Der Hinweis, daß die Masse der billigen Verkäufe es bringen müsse, kann nicht als zutreffend angesehen werden, solange der Pfennignutzen dem Sortimenter nicht einmal die bescheidenste Existenz gewährleistet«. Es ließe sich sogar darüber streiten, ob die Hebung der Volksbildung im Sinne einzelner Vereine überhaupt Auf gabe des Buchhandels sein kann: sie ist es m. E. nur inso weit. als darunter ein Eintreten für die Verbreitung des guten Buches im Gegensatz zu minderwertigen Erzeugnissen verstanden wird. Denn soweit es sich um die Vor bedingungen für die Aufnahme guter Literatur handelt, ist Lehrern und Geistlichen weit mehr Gelegenheit zur Geltend machung ihres Einflusses geboten als dem Buchhandel, der den meisten seiner Kunden erst dann nahe tritt, wenn ihre »Erziehung« bereits abgeschlossen ist. Um sich nicht selbst der Unwahrheit zu bezichtigen, druckt Herr Br. den oben erwähnten Artikel, den Inter essenten a. a. O. Nachlesen mögen, nicht ab, sondern sucht seinen Lesern weiszumachen, daß darin lediglich Herrn Aßmus seine Jugend vorgeworfen und er ein unpraktischer Ideologe gescholten werde. Dabei umfaßt der Artikel drei Spalten und sucht in eingehender Weise darzutun. was es mit den gegen den Buchhandel erhobenen Vorwürfen für eine Bewandtnis hat. Eine darauf erschienene Erwiderung wird dagegen gewissenhaft und in der Hauptsache wörtlich zitiert. Es kommt indes noch schlimmer. Da den Lesern seiner Broschüre jede Vergleichsmöglichkeit genommen oder doch so erschwert ist, daß die meisten darauf verzichten werden, so glaubt er es ohne Gefahr wagen zu dürfen, diesen Artikel in einen Gegensatz mit einem von mir im Jahre 1909 verfaßten