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121, 28. Mai 1912. Nichtamtlicher Teil. vvrsenblatt f. d. Dtschn. vuchyandel. 6525 Kleine Mitteilungen. Deutsche Zeutralbibliothek. — In der I. Sächsischen Kammer hat Herr Albert Brockhaus.Leipzig am 22. Mai bei Besprechung des Ergänzungsetats in einer eindrucksvollen Rede zu der Gründung der Deutschen Zentralbibliothek (Reichs- bibliothek) Stellung genommen. Wir geben seine Ausführungen nach der »Leipziger Zeitung«, dem offiziellen Organ der sächsischen Regierung, wieder (Nr. vom 24. Mai) und schließen ihnen die Rede des Herrn Oberbürgermeisters vr. Dittrich-Leipzig an, dessen warmes Eintreten für das Projekt schon auf dem Kantate festmahl mit Genugtuung begrüßt wurde: Herr Albert Brockhaus: In den Millionensummen des Ergänzungsetats befinde sich eine verhältnismäßig kleine Summe unter Titel Sb in Kap. 60, Begründung einer deutschen Zentralbibliothek. 40 Jahre sei es her, daß die deutsche Schriftstellerwelt und der deutsche Buchhandel den Wunsch ausgesprochen hätten, man möge im Deutschen Reiche eine ähnliche vorbildliche Sammlung alles dessen, was in deutscher Sprache geschrieben werde, errichten, wie sie in London im British Museum für die englische Sprache, in Washington für den amerika nischen Teil und in Paris in der Uibliot-begus klationLls seit Jahrzehnten und Jahrhunderten bestehe. Es sei bei Verab schiedung des ersten Preßgesetzes gewesen, wo man wiederholt darauf hingewiesen habe, daß nunmehr, wo Deutschland geeinigt sei, die Verbindlichkeit für uns bestehe, unsere Sprach- und Literaturschätze zu sammeln. Der Weg. auf dem man damals versucht habe, zur Gründung einer deutschen Nationalbibliothek zu gelangen, habe sich als Sackgasse erwiesen, und alle die anderen Wege seien ähnlich verlaufen, so daß man heute in Deutschland noch nicht wesentlich weiter sei damit als Anfang der 70er Jahre. Der Vorstand des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler sei es gewesen, der sich dieser Sache neuerdings sehr warm angenommen habe und, gefördert durch das liebenswürdige Entgegenkommen des Rates und der Stadtverordneten in Leipzig, eine Denkschrift ausgearbeitet habe, welche die Angelegenheit nunmehr in eine Bahn gebracht habe, wo zu erwarten sei, daß sie die allseitige Billigung, sicher die der Schriftstellerwelt und des Buchhandels, hoffentlich auch die erforderliche Zustimmung der Behörden finden werde. Außer- ordentlich dankbar sei er, daß die Stadt Leipzig Grund und Boden zur Verfügung gestellt und die sächsische Regierung schon bei Er öffnung des Landtages geäußert habe, daß in den Ergänzungsetat eine erste Rate, die man nun mit 475 000 finde, eingestellt werden solle. Was solle eine deutsche Bibliothek, wo man doch so viele Universitäts- und andere Staatsbibliotheken habe, wo man neulich erst gehört habe, welche verhältnismäßig großen Bestände in diesen Bibliotheken schon gesammelt seien! Es erschienen im Jahre ungefähr 33 000 Bände in deutscher Sprache, eine Zunahme von ungefähr 2,65 Prozent pro Jahr, so daß vorauszusehen sei, daß in 10 bis 20 Jahren wohl ein wesentlich größerer Teil von Werken erscheinen werde. Die ganze deutsche Literatur von Erfindung der Buch druckerkunst an bis zum heutigen Tage dürfte ungefähr 1200 000 Bände umfassen, die Literatur aber, die vom Jahre 1913 auch nur für den 20jährigen Zeitraum als voraussichtlich erscheinend in Betracht zu ziehen sei, betrage nach den Berech- nungen ungefähr 1 250 000 Werke. Von dieser enormen Pro- duktion, über deren Wert und Unwert bei den Sammlungen ja nicht zu entscheiden sei, sondern deren Wert und Unwert sich erst nach Jahrzehnten Herausstellen werde, werde verhältnismäßig nur ein geringer Teil bisher gesammelt, und der Wunsch des deutschen Schriftstellertums und des deutschen Buchhandels sei es, ein voll- ständiges Archiv, eine Präsenzbibliothek desjenigen zu haben, was in der deutschen Literatur erscheine. Die Schwierigkeiten, die sich dem Plan entgegengeftellt hätten, seien sehr mannigfach gewesen. Zunächst habe man nicht gewußt, auf welchem Wege man zu den betreffenden Beständen kommen solle, da wenigstens in Kreisen der Schriftsteller und des Buchhandels es höchst unsympathisch begrüßt werden würde, wenn abermals ein neues Pflichtexemplar hätte erhoben werden sollen. Deshalb sei der Gedanke aufgetaucht, daß man durch freiwillige Lieferungen auf eine ziemliche Vollständigkeit dieser Bücherei zukommen könne. Daß dabei große Lücken vorhanden seien, sei klar. Nun Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 79. Jahrgang. sei man auf den Gedanken gekommen, an das Deutsche Reich heranzutreten mit der Bitte um Erlaß eines Reichsgesetzes. Auch da seien die allergrößten Schwierigkeiten vorhanden. Für eine Pflichtexemplargesetzgebung sei nach dem Pressegesetz die Partikular gesetzgebung zuständig. Es würde also nicht weniger als 26 neuer Landesgesetze bedürfen, wenn man für die in Leipzig zu gründende, im Königreich Sachsen domizilierende deutsche Bücherei die Exem plare vollständig haben wollte auch nur in der deutschen Literatur. Das würden ungefähr 86 bis 87 Prozent sein. Es würden wegfallen in Österreich 10 Prozent, in der Schweiz 3 Prozent, im ferneren Auslande 1 Prozent. Auch dafür müsse noch etwas Besonderes gesucht werden. So bleibe wohl nichts weiter übrig als die Kombination des einen in das andere, daß gesucht werde, einen Weg zu finden, auf dem man in der Lage sei, sich das herbeizuschaffen, was man für notwendig halte. Nachdem die sächsische Staatsregierung in hochherziger Weise ihr Entgegen kommen gezeigt habe im Anschluß an die Stadt Leipzig, könne er es wohl aussprechen, daß die deutsche Bibliothek, die der Traum gewesen sei der Schriftsteller und der Buchhändler, erstehen werde, ob auf die eine oder auf die andere Weise, das lasse er jetzt dahingestellt. Darüber würden Verhandlungen zu pflegen sein mit den in Betracht kommenden Körperschaften. Er danke der Staatsregierung ganz außerordentlich dafür, daß sie den Grundstein legen wolle zu einer Bibliothek, die in ganz kurzer Zeit der Stolz Deutschlands sein werde und die als die Einlösung einer Ehrenschuld betrachtet werde, die man der deutschen Literatur gegenüber habe. Nicht Lokalpatriotismus, weder von Leipzig noch von der Staatsregierung, sei es, wenn sie den Wunsch gehabt hätten, daß die Bibliothek in Sachsen, in Leipzig gegründet werde. Es seien das realpolitische Er wägungen, die aus den Kreisen der Schriftsteller und des Buch handels längst geäußert worden seien. Ein Schrifttumsarchiv, ein Buchhandelsarchiv gehöre nicht nach Bayern, nicht nach Elsaß, nicht nach Preußen oder nach anderen Staaten, das ge höre dahin, wo die Zentrale, die Metropole des deutschen Schrift tums sei, nach Leipzig. Herr Oberbürgermeister vr. Dittrichr Dem Dank des Herrn Vorredners schließe er sich allenthalben auch in Vertretung der Stadt Leipzig an. Es handle sich durch aus nicht um eine spezifisch Leipziger Angelegenheit. Die ganze Angelegenheit lasse sich nur durchführen, wenn im Wege des Reichsgesetzes vorgegangen werde. Deshalb gehe seine Bitte dahin, daß seitens der Staatsregierung nunmehr auch im Reiche und beim Bundesrat die erforderlichen Schritte getan würden. Er vertraue, daß der Bundesrat und die Reichsregierung, wie sie in öffentliche Fragen — er erinnere z. B. an das Deutsche Museum in München — fördernd eingegriffen hätten, auch in dieser für unsere deutsche Wissenschaft und für unseren deutschen Buchhandel so hochwichtigen Frage ihre Unterstützung nicht ver sagen würden. »Die Verführten.« (Vgl. Nr. 109.) — Von maßgebender Seite geht uns soeben nachstehendes Schreiben zur » In dem rechtskräftigen Urteile der 4. Strafkammer des Königlichen Landgerichts I in Berlin vom 19. Dezember 1911 in der Strafsache gegen den Buchhändler Walter Meyer — 38. 1. 1042. 11 — ist die Unbrauchbarmachung aller Exemplare des genannten Werkes angeordnet worden auf Grund der §§ 184 Ziffer I, 41 St.G.B. Diese Anordnung ist im Deutschen Fahn dungsblatte vom 6. Januar 1912 (14. Jahrgang, Stück 3895) ver öffentlicht worden und wird demgemäß auch im Laufe des Januar 1912 in dem Börsenblatte mitgeteilt worden sein^l Auf den Rechtsbestand dieses Urteils ist es ohne Einfluß, daß später ein anderes Gericht, wie hier das Landgericht III in Berlin, das Werk nicht für unzüchtig erachtet. Vielmehr unterliegen alle Exemplare, die sich im Besitze des Verfassers, Druckers, Heraus gebers, Verlegers oder Buchhändlers befinden und die öffentlich ausgelegt oder öffentlich angeboten sind (§ 41 St.G.B.), in Voll streckung des erwähnten Urteils vom 19. Dezember 1911 der Un- brauchbarmachung, ohne daß es einer besonderen Entscheidung des Gerichts, insbesondere einer Prüfung seines Charakters be darf. Vielmehr können alle Polizeibehörden alle vorbezeichneten *) Vergl. Verbotene Bücher im Börsenblatt 1912, Nr. 6. 861