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15756 VVrsenblatt f. d. Dlschn. Buchhandel. Mchtamtlicher Teil. 28k, S. dem Buche sprach. Sechs oder sieben Mann haben dann die Novellen nacheinander gelesen; alle mit gleichem Eifer und gleichem Interesse. Dann kam Frenssens Peter Moor, der da mals gerade erschienen war, an die Reihe. Das zündete auch. Mochte auch vorwiegend das stoffliche Interesse die Leute an die beiden Bücher fesseln, so war doch immerhin auch zu be merken, daß die Art der Erzählung gefiel. Die Kriegserin nerungen in dem Soldatenblättchen, das wöchentlich geliefert wurde, ließen die Korporalschaft durchaus kalt. Nach dem »Peter Moor« brachte ich »Die letzte Reckenburgerin« der Louise von Francois in die Kaserne. Ich wählte mit Absicht ein Buch, das aus reicher, bewegter Handlung zu schlichteren Erlebnissen führt, und wurde nicht enttäuscht, über die »Söhne des Herrn Budiwoj« von August Sperl und Scheffels »Ekkehard« (der allerdings von einigen znrückgewiesen wurde) kam ich schließlich zu Fontanes »Vor dem Sturm«, zum »Hungerpaslor« und — zu den »Leuten von Seldwyla«. Mit einem von der Stube, einem jungen Landwirt ans dem Hannoverschen, stand ich noch lange in Korrespondenz; ich habe alle Ursache, anzunehmen, daß wenigstens bei diesem einen von meinen »Abonnenten« die Verbindung mit unserem Schrifttum nicht wieder abreitzen wird, und erhoffe von zwei oder drei anderen ein Gleiches. Ich glaube Wohl kaum sehlzugehen, wenn ich meinen Fall für einen typischen halte. Was unseren jungen Soldaten in der Kaserne an Lektüre geboten wird, ist großenteils durchaus ungeeignet; es langweilt die Leute und bringt ihnen von un serem Schrifttum die schlechteste Meinung bei. Die praktische Konsequenz ist natürlich, daß die Kaserne schwerlich ein Men schenkind zum Bücherkäuser macht. Sollte Wohl der Buch handel nicht versuchen können, Abhilfe zu schaffen? Ich habe im Kämmerlein allerlei Plänchen ausgeheckt und allerlei Ge danken Revue passieren lassen, die ich in aller Bescheidenheit nun vorzutragen mich unterfange, vielleicht geben sie, mögen sie auch an sich verworfen werden, doch eine brauchbare An regung. Die ganze Angelegenheit scheint mir wichtig genug zu sein, daß man sie an dieser Stelle zur Sprache bringt. Wäre der Buchhandel ini Reichstage vertreten, so wäre es gewiß ein Leichtes, gelegentlich der Beratung des Militär etats die Angelegenheit zur Debatte zu stellen. Leider Gottes fehlt ein buchhändlerischer Reichsbote, und man wird des halb wohl, wenn man der Sache wirklich nähertrete» und nicht anderen die Initiative überlassen will, den viel umständ licheren und a priori weniger aussichtsreichen Weg einer Ein gabe an die höchsten Kommandostellen, die Kriegsministerien der Bundesstaaten, wählen müssen. Die beizugebende Denk schrift würde zunächst einmal den Werl einer guten Bücherei sestzustellen und zu begründen haben; sie müßte ferner, weil das Ganze wahrscheinlich letzten Endes aus eine Geldfrage hinauslaufen wird, mit aller Deutlichkeit und an der Hand von Beispielen darauf Hinweisen, daß man heutzutage keine großen Kapitalien mehr mobil zu machen braucht, wenn es gilt, den Grundstock für eine gute Bibliothek zu beschaffen. Wir haben im Reich, wenn ich nicht irre, zu Friedenszeiten ungefähr 1280 Bataillone und bataillonsähnliche Verbände. Für jedes Bataillon würden zur Gründung neuer oder zur Ausgestaltung etwa vorhandener Bibliotheken für den Anfang >00 Mark genügen; demnach wäre ein Kapital von 120 000 bis (wenn man die Lazarettbibliotheken usw. berücksichtigt) 150 000 vorläufig einmal in den Etat einzustellen, eine Bagatelle den riesigen Summen gegenüber, die jahraus, jahr ein im Reich für Zwecke der Landesverteidigung bewilligt und ausgegeben werden. Die Lieferung der Bücher hätte natür lich durch den Sortimentsbuchhandel der einzelnen Garni sonen zu erfolgen. Ich weiß nicht, ob ich wieder einmal in Utopia prome niere, wenn ich glaube, eine solche Eingabe müßte, wenn sie mit dem nötigen Nachdruck vorgetragen und gegebenenfalls auch wiederholt wird, bet vernünftigen Menschen schließlich Erfolg haben. Die Einsicht, unseres Volkes bestes Blut müsse beim Militär rein erhalten und den Zielen unserer Kultur nähergebracht werden, ist bei den Behörden fraglos vorhan den, sonst würde nicht so viel von dem erzieherischen Berus der Kaserne gesprochen werden. Sollte man dann aber den besten Erziehungsfaktor, als der sich das gute Buch erwiesener maßen präsentiert, mit Fug auf die Dauer vernachlässigen dürfen? Ich bin bei Buchhändlern, mit denen ich über diese Dinge gesprochen habe, vielfach der Ansicht begegnet, für 100 Mark könnte man schwerlich eine entsprechende Bibliothek liefern, wenn man nicht etwa zu den klein gedruckten Reclam- oder Hendelbändchen greifen wolle. Ich habe eine kleine Soldaten bücherei für 100 Mark zusammengestellt und teile das Verzeich- nis hier mit, um etwaigen Einwänden zu begegnen. Meine Bibliothek besteht aus folgenden Büchern: Die Bibel. Das Nibelungenlied, neuhochdeutsch. Grimmelshausens Simplizissimus (in einer Bearbei tung). Goethes Werke in einer Auswahl (etwa die sechsbän dige des Insel-Verlags). Schillers Werke in einer Auswahl. Lessings Werke in einer Auswahl. Uhlands Werke in einer Auswahl. Hebbels Werke in einer Auswahl. Kleists Werke in einer Auswahl. Eichendorff, Aus dem Leben eines Taugenichts (Hesse). Alexis, Hosen des Herrn von Bredow. Jmmermann, Oberhof. Droste-Hülshoff, Judenbuche. Hauff, Lichtenstein. Mörike, Mozart auf der Reise nach Prag. Kügelgen, Jugenderinnerungen eines alten Mannes. Otto Ludwig, Heiterethei. Franqois, Die letzte Reckenburgerin. Reuter, Ut Mine Stromttd. Gotthels, Uli der Knecht. Keller, Die drei gerechten Kammacher, — Pankraz der Schmoller. C. F. Meyer, Jürg Jenatsch. Raabe, Hungerpastor. . Ebner-Eschenbach, Das Gemeindekind. Sperl, Die Söhne des Herrn Budiwoj. Rosegger, Schriften des Waldschulmeisters. Liliencron, Kriegsnovellen. Klein, Fröschweiler Chronik. Frenssen, Peter Moors Fahrt nach Südwest. Eyth, Hinter Pflug und Schraubstock. Wegener, Wir jungen Männer. Carlyle, Arbeiten und nicht verzweifeln (Langewiesche). Kluge, Unser Reich (Quelle L M.). Einharl, Deutsche Geschichte (wogegen allerdings Be denken erhoben werden könnten). Bismarck, Reden und Briefe in Auswahl (Ehlermann). Avenarius, Das fröhliche Buch. Vom goldenen Überfluß. Will Vesper, Aus tausend Jahren. Wenn man berücksichtigt, daß in den Kasernenstuben gemeinsame Lektüre getrieben werden kann, bei der einer füns bis zehn anderen vorliest, und daß ferner aus dienstlichen Gründen vorwiegend nur die »alten Leute«, knapp die Hälfte der Mannschaft, in Betracht kommen, so wird man Wohl zu- gcben müssen, daß diese Sammlung für den Anfang genügt. Einiges von Busch, Gustav Freytag und Scheffel, das ich gern ausgenommen hätte, habe ich fortlassen müssen, weil es schließlich doch zu teuer war.