Volltext Seite (XML)
37. Jahrgang Leipzig, den 1. August 1928 Nummer 8 vcir irao^üaircir Organ für das gesamte Radfahrwesen, für Sport, Industrie und Handel Amtliche Zeitung des Sächsischen Radfahrer-Bundes Schristleitung und Anzeigen-Annahme: Kurt Adl-er, Leipzig 0 1, Hainstratze 16, IV. — Fernruf 16889. Der Weg zur Einigkeit im Radsport. Von Max Naundorf. Unzählige Versuche sind seit Bestehen der großen Verbände unter nommen worden, um der radsportlichen Zerrissenheit Deutschlands Halt zu gebieten. Wiederholt ist versucht worden, 'wenn nicht zu einem Ein heitsverband, so doch wenigstens zu sportfördernder Gemeinschaftsarbeit zu kommen. Den vielen Fehlschlägen in dieser Hinsicht ist erfreulicher weise keine Resignation gefolgt, sondern die Verantwortlichen im deut schen Radsportleben haben immer wieder versucht, eine günstige Ver handlungsbasis zu schaffen mit dem Ziel einer großzügigen Zusammen arbeit. Vier Jahre lang sind die drei großen Verbände: Arbeiter-Rad fahrerbund „Solidarität", Bund Deutscher Radfahrer und Vereinigung Deutscher Radsport-Verbände ihre eigenen Wege gegangen, ja, haben sich zum Teil sogar bekämpft. Damit haben die Verbände nicht nur gegen ihre eigenen Interessen, sondern auch gegen die Gesamtinter essen der deutschen — auch der nicht organisierten - Radlerschaft ge handelt. Nach vielen Vorverhandlungen ist es dann endlich den Herren Eggert und Vudzinski vom BDR., dem Präsidenten der VDRV. und des SRV., Max Bergmann, dem 1. Vorsitzenden der Con cordia, Haas, in Gemeinschaft mit den Herren von der „Solidarität", der Industrie, dem Bund deutscher Verkehrsvereine und dem Reichs verband Deutscher Mechaniker gelungen, die Wege soweit zu ebnen, daß die Gründung einer Behörde für Radfahrver - kehr und Radsport ins Auge gefaßt werden konnte. Am 13. 2. d. I. beschlossen die Vertreter der Verbände, zwecks gemeinsamer Wahrnehmung der gesamten Belange des Verkehrs und Sports die schon seit langer Zeit angestrebte Radfahrerbehörde zu bilden. Die eigentlich konstituierende Tagung hat im vergangenen Monat, am 19. Juni, in Berlin stattgefunden, wo die bereits seit Monaten vorliegende Geschäftsordnung bestätigt wurde. Die Erledigung der ge samten Geschäfte, die sicher bald einen großen Umfang annehmen werden, wurde einem Arbeitsausschuß übertragen, bestehend aus den Herren Eggert (BDR.), vr. Timve (VDFJ.), der als Schriftführer fungiert, Jrmisch („Solidarität") und Bergmann (VDRV.). Nachdem bisher alle Verschmelzungsversuche zwischen den Rad fahrerverbänden erfolglos gewesen sind und auch kaum nur vorüber gehende positive Zusammenarbeit geleistet worden ist, muß die Grün dung dieser Radsportbehörde auf breiter Basis aufs freudigste begrüßt werden. In ihr wirken alle maßgebenden Faktoren mit. Die wichtigen Radsportfragen sind nur in Gemeinschaft mit den Jndustrieverbänden zu lösen, und bei allen Verkehrsfragen ist nun auch die Mitwirkung des Bundes Deutscher Verkehrsvereine und der Zentralstelle für Rad fahrwege möglich. Es existiert jetzt also ein radsvortliches Gebilde, das für den gesamten Radsport segensreich wirken kann, wirken muß, das vor allem auch den Behörden, die oft noch gegen den Radsport ein gestellt sind, zeigen wird, daß die Radfahrer eine große Macht dar stellen, daß der Radsport ein wahrer Volkssport ist und Anspruch hat, mit demselben Wohlwollen behandelt zu werden, das man anderen Sportarten entgegenbriugt. Die deutsche Radlerschast wird mit Interesse die Arbeit der Rad- sportbehörde verfolgen. Sie hat ein Recht, zu verlangen, daß es sich hierbei nicht bloß um ein loses Gebilde handelt, sondern daß sich oie Radsportbehörde ernstlich an die Lösung all der vielen Fragen macht, die das radsportliche Deutschland bewegen. Die Radsportbehörde mutz sich dessen bewußt sein, daß sie eine große Macht darstellt, wenn sie ihre Aufgabe richtig erfüllt. Von all den vielen Obliegenheiten, die der Erledigung durch die Behörde harren, seien nur die folgenden genannt: Vereinheitlichung der Amateurbestimmungen, deren strikte Durchführung durch die Ver bände, gegenseitige Achtung der Beschlüsse der Verbände bei Bestra fung von Amateuren, die Schaffung einer wirklichen deutschen Meister schaft aus Bahn und Straße, überhaupt der gemeinsame Start aller Amateure bei besonders zu bezeichnenden Rennen, und Verhandlungen mit den Behörden zwecks Erschließung von Radfahrwegen. Eine Vereinheitlichung der A m a t e u r b e st i in m u n - gen ist bisher deswegen nicht zustande gekommen, weil die in Frage kommenden Verbände ihre Sonderinteressen verfolgten und jeder für sich niit der Industrie, deren Mitwirken gerade bei dieser Frage von großer Wichtigkeit ist, verbandelte. Jetzt können und müssen sich alle Radfahrerverbände mit der Industrie an den gemeinsamen Verhand lungstisch setzen. Es kann und mutz einmal klipp und klar feskgelegt werden, welche Unterstützung und in welcher Form diese ein Amateur an nehmen darf. Wird dieser „E i n h e i t s a m n t e u r" geschaffen, dann sind wir, was den Radrennsport betrifft, bereits ein großes Stück vorwärts gekommen. Dann ist es auch nicht möglich, das; ein fortwährendes Wechseln des Verbandes von feiten gewisser Amateure vorkommt, da ja in jedem Verband der Amateurbegriff derselbe ist. Ebenso wichtig wie die Schaffung einheitlicher Amateurbestimmungen ist ein anderer Punkt: die gegenseitige Anerkennung der Strafen, die über Amateure verhängt werden, die gegen die A m a t e u r b e st i m m u n g e n v e r st o ß e n. Die Aufnahme der vom BDR. bestraften Fahrer durch die Union hat viel böses Blut gemacht. Eine Strafe hat in erster Linie den Zweck, erzieherisch zu wirken und dem Betreffenden zu zeigen, daß er sich selbst schädigt, wenn er gegen die Amateurgesetze verstößt. Dieser Zweck wird natürlich nicht erzielt, wenn die Fahrer wissen, daß sie bei sportlichen Vergehen jederzeit Ge legenheit haben, sich einem anderen Verband anzuschließen und dort auch sofort an Wettbewerben teilnekmen zu können. Nur, wenn die Bestrafungen der Verbände gegenseitig anerkannt werden, wird die sportliche Moral, deren Hochhalten oberster sportlicher Grund satz sein mutz, gehoben, und zugleich die Macht und das Ansehen der einzelnen Verbände gestärkt. Eine der Hauptaufgaben der Radsportbehörde mutz sein: die Schaffung einer wirklichen deutschen Meisterschaft a u f B a k n u n d S t r a tz e. Es darf im nächsten Jahre nicht wieder eine „deutsche" BDR.- und „deutsche" VDRV.-Meisterschaft geben. Durch Austragung von getrennten Meisterschaften, die keine deutschen sind, gar keine sein können, geben wir den Gegnern des Radsports nur Gelegenheit zum Spott. Wenn es eine deutsche Radsportbehörde gibt und diese ihren Zweck erfüllen soll, so mutz sie auch dafür sorgen, daß dem deutschen Radsport endlich Meisterschaften beschert werden, die tatsächlich die Bezeichnung „deutsch" verdienen. Die Art der Aus tragung und der Lizenzierung der für die deutschen Meisterschaften in Frage kommenden Fahrer — diese müßte durch die Radsportbehörde selbst erfolgen — wird bei allseitig gutem Willen schnell festnelcgt werben können. In allen wichtigen Radsportfragen, deren Lösung in Gemeinschaft mit den Behörden zu erfolgen bat, mutz lediglich die Radsportbehörde verhandeln. Ganz besonders wichtig wären Verhandlungen zwecks Schaffung neuer Radfahrwege. Hier hat die Zentralstelle für Radfahrwege schon viel Gutes geleistet, aber es dürste einleuchtend sein, daß eine Organisation, die alle großen Radsvortkorvorationen umfaßt, bei den Behörden einen ganz anderen Druck ausüben kann als ein einzelner Verband. Ebenso müßte die Radsportbehörde alle Fragen mit den Behörden regeln, soweit sie den gesamten Radsahr- verkebr in Stadt und Land betreffen. In großen Zügen dürste das das umfangreiche Programm sein, das Zweck und Ziele der Radsportbehörde darstellt. Es ist durchaus wünschenswert, daß die Behörde bald ihr Programm der Öffentlich keit bekanntgibt, die bisher fast gar nichts von der Existenz und dem Wirken dieser Radsportbehörde erfahren bat. Es wäre auch wünschens wert, daß Tagungen, soweit sie nicht rein interne Interessen haben, nicht unter Ausschluß der Presse stattfinden. Gerade die Presse ist dazu berufen, die Arbeit und Bestrebungen der Radsport behörde zu unterstützen; sie kann diese Mitarbeit an der Sache aber nur dann erfüllen, wenn sie sich aus eigener Anschauung ein Bild von der Tätigkeit der Radsportbehörde machen kann. Der Wen zur Einigkeit im Radsport war ein dornenvoller, möge er jetzt endlich zum Ziele führen, zum engeren Zusammenarbeiten und schließlichem Zusammenschluß aller deutschen Radsportverbände!