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8. Etnen veflimmten Plan, Me er seine jetzige Aufgabe lösen könnte, hatte er freilich noch nicht. Aber so viel nahm er sich vor allem anderen vor, die Sache mit der Lawine und den jungen Eibenstämmen näher zu prüfen. Er ging also nach der Richtung, wo die Lawine liegen mußte. Das war ein seichter Taleinschnitt, in dem sonst ruhig ein silberklares Bacherl in die Tiefe rann. Er er» innerte sich, daß dieser Einschnitt ganz in der Nähe der Hütte eine von Felstrümmern umrahmte Mulde bildet, die als Tränkplatz für das Vieh nicht schöner und passender zu finden war. Dort angekommen, sah er, daß die kleine Mulde mit Wasser ganz ausgefüllt war. Der Grund war aber weder felsig noch erdig, sondern ganz eigentümlich dunkelbraun. Er untersuchte das näher und fand, daß der Muldenboden mit harten, gefrorenen Eibennadeln vollständig übersäet war. Oberhalb dieser Mulde lag die halb abgeschmolzene Lawinenzunge, schmutzig wie jede Lawinenzunge. Auf fällig waren nur dis vielen Eibsnnadeln, die gleichsam einen kleinen Wall vor dem schmutzigen Schnee bildeten. Dann ging er der Lawine entlang bergauf. Die Unge heuere Schneemasse mit ihrer schmußigen, steinharten Ober fläche ließ erkennen, daß die Sonne ihr schon ordentlich zu- gesetzt hatte. Aber wo in diesen Höhenlagen vermag die Sonne eines Sommers solche steinhart zusammengepreßte Schneemasscn völlig zu schmelzen? Das kleine Wässerlein, das unter der Lawine durchfloß, hatte sich seinen kleinen Tunnel selbst gefressen; da, wo es auf die Lawine stieß, war es klar und rein. Die Lawine scheint also die jungen Eiben pflanzen, die ja noch keinen Widerstand leisten konnten, nur vor sich her geschoben zu haben. Die Bäumchen sind gefroren und haben ihre Nadeln verloren. Ter Bracher Hans wollte eben weitergehen, da hörte er die großen Almglocken. Die Kühe kamen zum Melken vor die Hütte, wie sie es täglich tun, und um vieles pünktlicher wie die Aschauer Kirchcnuhr, dis manchmal eigensinnig war und stehen blieb oder gar aus einer Stunde fünf Viertel machte. Beim Melken war er heute notwendiger, dünkte ihm, und so ging er der Hütte zu. Es dauerte heute aber viel länger, denn der Hans ließ sich von jeder Kuh die Milch zeigen, füllte sie in kleine Glasröhrchen, machte sich Notizen und durch seine vielen Fragen die Melker ganz müde. Es ergab sich unzweifelhaft, daß die Kühe zwar nicht Blut statt Milch gaben, aber daß ihre Milch mit Bluts- tropfen vermischt war, was ihr ein ganz unheimliches Aus sehen gab. Der Hans wurde immer vergnügter, je langer das Melken dauerte, und schließlich, wie grad der Senn mit dem trübseligsten Gesicht von der Welt vor ihm steht mit der Milch von der letzten Kuh, da tut der Hans einen lauten Juchzer. Der Bub aber, der den: Pfarrer die Milchprobe bringen sollte, bekam folgendes Brieferl mit: „Liabs Pfarrerle! Die Sache, wie ich sie bis jetzt gefunden habe, scheint mir folgende zu fein. Die Kühe geben blutige Milch, und zwar alle ohne Ausnahme. Seuchenartig ist die Erschei nung aber nicht. Die Tiere sind zwar sehr herunterge- kommen, aber sic sind so gesund wie nur möglich. Da alle Kühe unter diesem Milchfehler leiden, muß eine Ursache vorliegen, die auf alle gleichmäßig cinwirkt. Das Futter kann cs nicht sein, denn sonst wäre der Fehler, da hier die meisten Futterpflanzen perennierend sind, auch voriges Jahr beobachtet worden. Ich werde also die Ursache in etwas, was allen Tieren zugänglich ist und was voriges Jahr noch nicht auf der Alm war, in erster Linie zu suchen haben. Solche Ursachen kann es aber nickt viele geben. — Also sei nit verzagt und grüß mir 's Veverl. Dein alter Freund und derzeit beeidigter Hexcnfucher." Unser Hexensucher wurde am nächsten Morgen recht unsanft durch das Geschrei des Melkerbuben geweckt. »Ja. was gibt's denn scho wieder? Nit amal schlafe» laßt oan so a Tropf!" Mit diesen Worten fuhr er auf. „I bitt di um Gott'swillen, kimm, Hans; d' schönst Kuah hat sih heut nacht zerfallen!" ") bettelt der Melkexbug in allen Aengsten. ^ Der Hans springt aus dem Heu und ruft: g „Hurra! Na. grad heut muaß sie sih zerfallln, ü» größer» G'fallen könnt's mir gar nit tun." „Bist verrückt! Scheint's, du freust dih noh über döß Unglück." moant der Bua mit offenem Mund. „Und wia!" sagt der Hans, wirst seinen Mikroskop- kästen und sein Sezierbesteck in den Rucksack und laust, als ob's wo brennt. „Ja," sagt der Bua, — „die Dorderfüß Und a paaL Rippen sein krochen. Der Nazi hat's scho abg'stochen." ' „Guat is, schön is, Bua!" Am Unglücksplatz angekommen, schafft der HanSZ „Geht's an die Arbeit, Leut; was bei der Kuah z' tuan iS« dös machen der Jörg und ih alloan." — Den Leuten war das lieb. Wie sie alle verschwunden waren, da meint der Hans nachdenklich: „'s wird doh besser sein, wenn der Wirt das Unglück glei Verfahrt, Jörg. Geh, lauf du ins Dorf und sag ihm's. Bei der Hütt'n brauchst nimmer zua z' kehren." ' ^ Der Jörg sagt nix und geht. Den ganzen Vormittag war der Hans allein bei der ge stürzten Kuh. Als er endlich mit seinen Untersuchungen zvl Ende war, nahm er eine ganze Menge Eibennadeln mit zur Hütte, die er in den Weichteilen des Tieres gefunden hatte. — „Schau, schau," sagte er zu sich selbst, „mindestens drei Tage braucht so eine Nadel, bis sie der Magensaft aufweicht. Nun kommt's nur noch aufs Experiment an." Dann ging er zur Hütt'n und spielte mit dem Nazl Karten. — Zu Mittag kommt der Jörg wieder. „Du, Jörg," sagt der Hans, „sobald 'gessen hast, gehst abi zur Tränk und machst an Zaun drum, aber an starken, daß koa Kuah mehr zum Wasser kimmt. Verstehst mih?" „Z'weg'n was denn dös?" fragt einer der Knechte. „'s kunnt ihnen 's Master nit passen, den Küah'n," ant wortet der Hans. „Ja, wia kimmst mir denn itzt für?" moant der Nazi« — „wo die Almküh überall Schneewasser kriag'n." „Schau. Nazl," sagt drauf der Hans ganz freundlich, aber schrecklich ernsthaft, — „dös verstehst du nit! Schnee kummt gradenwegs vom Himmel, alsdann is 's Schnee- Wasser 's unschuldigst Wasser, dös du dir denken kannst. Döß aber woaßt du doh selber, daß die Hexen grad mit die un schuldigen Sachen, wia mit 'n unschuldig'» Kinderbluat, 'S ärgste Unfurm machen, gelt?" Der Nazl hat aufg'merkt und auf einmal geht's wie Sonnenglanz über sein G'sicht. „Do hätt ih itzt nit drauf denkt! Aber recht hast, ganz recht." Nach einer Weil fahrt er fort und streckt dem Hans die Hand hin: „Na. bist du q G'scheiter! Koan' G'scheiter'n find't ma nit wie dih, Hans, Grad a Dertraun kunnt ma zu dir kriag'n, a ganz a grau- sig's. Schad, daß d' koa Doktor bist, — sixt, vo dir ließ ih mih g'schwind kuriern." Der Hans druckt dem Nazl seine Hand und moantZ „Schau, Bua, dös is gar koa Wunder nit, daß unseroans 6 bissl g'scheiter is. Woaßt. unsere Professor, die sein gor so! g'scheit. I sag dir, alls wissen die Leut!" „Ja, g'scheit müastcn dö Leut sein," sagt der Nazl voll Bewunderung. „Aber paß auf, itzt haben wir die Hex'n. Ganz g'wiß." *) Zu Tode geküßt (über einen Abhang). — Das Vieh blieb auf den Almen meist über Nacht im Freien.