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Ser Mrd an dem Abg. Gareis. Der mutmaßliche Täter verhaftet. Am 9. Juni 1921 wurde der sozialdemokratische bayerische Landtagsabgeordnete Gareis in München er mordet. Er wurde am späten Abend gegen Mitter nacht vor seiner Wohnung Lurch vier Schüsse getötet. Jetzt, nach fünf Jahren, wurde der mutmaßliche Täter verhaftet. Es handelt sich um einen früheren Leutnant Hans Schweighardt. Wie amtlich bestätigt wird, ist eine Voruntersuchung gegen ihn eingeleitet worden. Schwetghardt wurde auch noch wegen eines Feme mordes an dem Dienstmädchen Sandmeier steckbrieflich verfolgt. Die Sandmeier hatte geheime Waffenlager -er damaligen Einwohnerwehr an die Entente ver raten und war im Forstenrieder Park ermordet wor den. Nach der Tat war Schweighardt ins Ausland ge flohen, wie es heißt, mit einem falschen Patz, den chm der jetzige Reichstagsabgeordnete Frick in seiner Eigen schaft als Leiter der Münchener Abteilung VI verschafft haben.sott. Gareis war es nun, der dazu trieb, die Untersuchung des Mordes mit größerer Energie zu führen, als es bis dahin nach seiner und seiner Freunde Meinung geschehen- war. Es hat sich nun vor kurzem ergeben, datz Schweighardt mit einem falschen Patz am 7. Juni 1921 nach München zurückgekehrt ist und, nach dem am 9. Juni Gareis ermordet worden war, am 11. München wieder verlietz. Datz er unter diesen Umstän den in erster Linie anch als Mörder Gareis' in Frage kommt, ist selbstverständlich. Ein dreister VeiWrnngsschwindel. Versicherungen für die eigene Tasche. Ein großer Berficherungsschwin-el ist soeben von -er Berliner Kriminalpolizei anfge-eckt worden. Im Mittelpunkt der Affäre steht der Syndikus und General sekretär des Rcichsverbandes der deutschen Lichtspiel- theaterbesitzer, Dr. Rennert, der unter dem Verdacht -es Versicherungsschwindels festgcnommen worden ist. Kym wird zum Vorwurf gemacht, datz er sich fälsch lich als Agent der dem Lloyd-Bersicherungskonzern nahestehenden Londoner Versicherungsgesellschaft Gard ner, Mountain n. Co. ausgegeben und Versicherun gen abgeschlossen habe, wobei er die zum Teil sehr beträchtlichen Prämien in seine eigene Tasche fließe« ließ. Rennert, der durch sein Amt über gute Beziehun gen zu prominenten Angehörigen der Filmindustrie verfügte, verstand es, zahlreiche Persönlichkeiten zu be reden, ihre Filmateliers, Kinotheater, Wohnungen usw. Ziegen alle möglichen Schäden zu versichern. Er stellte Policen aus, die angeblich von der genannten englischen Firma stammten. Die zum Teil sehr hohen Prämien kreß er sich selbst auszahlen. Im Laufe der letzten Zeit Zeit tauchten Gerüchte auf, datz es mit diesen Versiche rungen nicht geheuer sei. Die Kriminalpolizei nahm daraufhin die Ermittlungen auf und stellte fest, datz Neunert nie von der genannte« englischen Firma beauftragt worden sei, in Teutschland Bersiche- runge« abzuschließen. Kral Romanones, der Führer der spauischen Liberalen, der in das letzte Komplott gegen die Diktatur Primos de Rivera verwickelt war und deshalb über die Grenze nach Frankreich geflohen ist. Die Londoner Firma kennt ihn überhaupt nicht und lehnt jede Verantwortung für den von Rennert an gerichteten Schaden ab. Bei seiner Vernehmung gab Rennert an, die Formulare von einem gewissen Wil liam Wrings erhalten zu haben, der sich ihm gegenüber als Generalagent des Lloyd-Konzerns ausgegeben und und ihn als Unteragent verpflichtet habe. Einen Mann dieses Namens kann die Kriminalpolizei jedoch nicht ausfindig machen. Die weitere Untersuchung wird er geben müssen, ob diese Angaben auf Wahrheit beru hen oder ob es sich bei dem Wrings nur um eine erdichtete Persönlichkeit handelt. Wie verlautet, sol len mehrere hundert Personen auf den Schwindel her eingefallen sein. Die Höhe der veruntreuten Summen soll in die Hunderttausende gehen. Sas llnwetter wütet weiter. Drei Wolkenbrüche innerhalb vier Tagen. Die Gewittertätigkeit in Deutschland hält mit un verminderter Heftigkeit an. Jeder Tag bringt neue Un wetterkatastrophen, durch die vielfach große Schäden an den Feldfrüchten angerichtet werden. Beson-ers schwer ist in dicsen Tagen Mittel-eutsch-- land heimgejucht worben. So ist z. B. über die Stadt Delitzsch und deren Umgebung am Mittwoch abend das dritte wolkenbruchartige Gewitter innerhalb vier Ta gen niedergegangen. Die tiefer gelegenen Straßenzüge sowie sämtliche Keller stehen unter Wasser. In vielen Straße« steht das Wasser über eine« Meter hoch u«d ist in die Häuser eingedrungen. Sämtliche Möbel schwim men in den Stuben umher. Die Kewer und Wiesen, die kaum abgetrockuet waren, sind wieder weithin überschwemmt. Die Ernte dürfte nach der nochmaligen Ueberflutung nunmehr völlig vernichtet sei«. Zu dem schweren Gewitter in der Grafschaft Ho henstein (Untereichsfeld) wird noch mitgeteilt, daß das ganze Gebiet zwischen Wülfingerode und Bernterode einens gewaltigen See gleicht. In Wülfingerode steht oas rwaner uver einen Meter auf der Straße. In den Straßen von Bernterode steht es fast eineinhalb Meter hoch. Am schwersten wurde Niederorschel betrof fen, wo das Wasser einen Stand von drei Metern er reichte und durch die Fenster in die Wohnungen ein drang. Zahlreiches Vieh ist ertrunken. Infolge eines Dammbruches konnten die Einwohner nur das nackte Leben retten. Aus Worbis wird gemeldet, daß dort durch die Gewalt des Wassers die Zementstraßen auf gerissen wurden. Die Strecke Northeim—Nordhausen wurde an verschiedenen Stellen überflutet. Allerlei aus aller Well. * Einladung des -Oberbürgermeisters von New Hort zu einem Stapellauf in Hamburg. Der General direktor der Hamburg-Amerika-Linie Dr. Cuno lud den Oberbürgermeister Walker mit Gattin persönlich dem Stapellauf des Hapagdampfers „New York in Hamburg im Oktober teilzunehmen und bei der Taufe der „New Mork" den Vorsitz zu übernehmen. Walker dankte für die Einladung und erklärte, er wolle die Einladung in Erwägung ziehen. * Ein Flugzeug verbrannt. Auf der Pötenitzer Wiek bei Travemünde geriet ein Flugzeug der Casper- Flugzeugwerke infolge Bruchs des Benzinzuleitungs rohrs in Brand. Der Führer und der Chefkonstrukteur der Casper-Flugzeugwerke kletterten auf die Tragflächen und wurden von einem Motorboot der Casper-Flug zeugwerke gerettet. Das Flugzeug verbrannte fast voll ständig. * Einen schlechten Scherz machte sich der Freund eines Gastwirts in dem Ort Förderstedt (Prov. Sachsen). Er wußte, daß der Gastwirt mehrere Lose der Zerbster Pferdelotterie spielte: Am letzten Ziehungstage weilte nun der Freund in Zerbst und sandte eine Depesche mit der Glücksnachricht, der Gastwirt habe das Los in Gestalt einer vierspännigen Equipage gewonnen. Glückstrahlend schenkte der Wirt für alle Gäste des Lo kals ein. Alle ließen es sich gut schmecken, und es wurde lustig drauflos gezecht. Da erschien noch in vorgerückter Stunde der Freund aus Zerbst und er klärte, daß er sich nur einen Spaß mit der Depesche geleistet habe. Um den aufgebrachten Wirt zu be sänftigen, mußte er sich wohl oder übel dazu entschlie ßen, die gesamte Zeche selbst zu bezahlen. * Flugzeugmanöver bei London. Auf dem Flug platz Hendon fanden vor etwa 100 000 Zuschauern die großen Flugmanöver der englischen Luftflotte statt, an denen zahlreiche Geschwader von Kampf-, Bomben- und Aufklärungsflugzeugen teilnahmen. Unter den Zu schauern befanden sich das englische Königspaar, die spanische Königsfamilie und der Exkönig und die Ex königin von Griechenland und das diplomatische Korps. Bei dem großen Andrang kam es zu verschiedenen ernsten Unfällen. So fiel ein Omnibus um, der mit Knaben einer Schule voll besetzt war, die sich auf dem Wege zum Flugplatz befanden. Sämtliche Knaben muß^ ten ins Hospital gebracht werden. Ein weiterer Un fall ereignete sich in der Nähe des Flugplatzes, wo ein Flieger in ein Automobil hinein landete. Sowohl die Dame, die den Wagen lenkte, als auch der Offizierpilot des Flugzeuges waren sofort tot. Dresdner Brief. —e. Dresden, am 8. Juli 1926. Draußen auf den Elbwiesen juchzt, kreischt und quiekt <s Es ist Dresdens »tolle Woche.' Trompeten und Fanfaren tönen aus Bierzelten, dazwischen mischen sich die Klänge unzähliger Leierkasten und Drehorgeln. Es geht choch Hec. 3«, die liebe, alte gute Vogelwiese. Von Jahr zu Jahr ist die riesige Buden- und Zeltstadt größer geworden. Kaum findet man sich zurecht .... Doch das ist auch in unsrer schönen Stadt so. Am 1. Juni hat man nämlich in Groß-Dresden, von Oberlosch' cvitz bis Mockritz, von Zschertnitz bis Briesnitz, von Gorbitz bis Prohlis von Kaitz und in anderen Stadtteilen, 266 Straßen von den 1020, die Dresden überhaupt hat, andre Namen gegeben, ja in mancher Straße sind sogar die Haus- nummern geändert worden. Diese ganz bedeutende Um gruppierung und Umnummerierung hat natürlich große Verwirrung hervorgerufen. Wie viele Geschäftsleute mußten Ihre Firmenschilder, Briefköpfe, Stempel usw. ändern, und mancher Brief ist schon von Postamt zu Postamt her- umaelrrt, um den Adressaten zu finden. Es war eine sumfassende Veränderung, aber sie war nötig. Denn Dresden brauchte viele neue Straßennamen. Seit den verschiedenen Eingemeindungen waren ja im Stadtgebiet Groß-Dresdens gleiche Straßennamen manchmal drei- und viermal vorhanden, ja, in einem Falle sogar zwölfmal. Das erschwerte die Arbeit der Behörden, war aber auch verwirrend für Fremde und Einheimische. Die neueinge- führten bezw. umgeänderten Straßennamen sind sozusagen «in Kompromiß mannigfaltigerjErwägungen und Anregungen. Biele Wünsche wurden laut. Und es war für den Rat schwer, ein gewisses Sststem festzustellen, denn bekanntlich ist es eine große Kunst, es allen Menschen recht zu tun. Und es ist bezeichnend für Dresdens Bevölkerung, daß won sehr vielen Seiten der Gedanke warm befürwortet mrurde, die Namen von Städten und Orten, aus den durch -en Weltkrieg verlorenen Gebieten und aus deutschstämmigen Gebieten außerhalb Deutschlands, die sich treu zum Deutsch tum bekennen, zu verwenden. Dieser Gedanke ist von einigen Verwaltungsbezirken mit Liebe aufgegriffen und durchgeführt worden. Die Verwendung solcher Namen hat derart stattgefunden, daß sie je nach ihrer Lage zur deutschen Grenze um dasDresdnerStadtgeblet herumgelegtwordensind, beginnend mit den ostpreußischen Städtenamen in Bühlau, daran anschließend Namen aus den Sudetenländern und den Alpengebieten in Laubegast und im Süden; weiter tm Westen Namen aus den besetzten Gebieten im Rhein ¬ land bis im Norden — Briesnitz und Stetzsch — einige Namen aus Schleswig die Reihe beschließen. Weiter sind dann noch verwendet worden im Weißer Hirsch und Oberloschwih die Namen von Malern und Künstlern, die dort gelebt haben, und von einigen Heerführern und In dustriellen ; in Blasewih einige Komponisten (Becker, Jüngst, Kretschmer, Max Reger und Dräsecke) und andere Männer von Bedeutung, wie z. B. Avenarius; in Klein-Zschach witz die Namen einiger der volkstümlichen Krlegshelden: Weddigen, Boelke, Spee und Richthosen seine Immel- mannstraße besteht bereits an der früheren Fliegerkaserne); in Leuben Erfinder und Techniker (Lilienthal, Stephenson, Reis, Guericke, Hertz, Diesel, Klette und Zamenhof); in Dobritz, wo bereits eine Karl Marx- und Friedrich Engels- Straße bestehen, Namen von bedeutenden Arbeiterfüh rern, wie Lassalle, Bebel usw.; in Leubnih-Neuostra be rühmte Maler im Anschluß an ein bereits bestehendes Maleroiertel (Spitzweg, Rembrandt, Uhde). Man ist dabei zur Hauptsache von dem Standpunkt ausgegangen, die Namen möchten möglichst dauerhaft sein, nicht zu rasch erblassen; deswegen sind fast grundsätzlich Ortsnamen Personennamen vorzuziehen. Gewisse Vor sicht war vor dem sogenannten »berühmten Mann" am Platze. Daher ist es von jeher in Dresden beobachteter Grundsatz gewesen, daß Personen in der Regel nicht bei Lebzeiten mit Straßenbenennung geehrt werden sollen. Seit dem Aufblühen der Siedlungsbewegung namentlich in den Vororten ist in die Straßenbenennung ein neuer Typ gekommen. So sind an geeigneten Stellen folgende recht bezeichnede Namen gekommen: Am grünen Zipfel, Kirsch leite, Morgenleite, Winkelsprung usw. Auch manche alte historische Bezeichnung ist wieder eingeführt worden. Gerade darin ist ja Dresden so reich. Man findet viele alte Namen, obgleich so mancher historische Name aus Altdresdner Zeit verschwunden ist. Straßenumbenennun- gen sind ja so alt, wie die Straßen selbst. Was hat sich da im Laufe der Zeiten nicht alles geändert. Aeltere Stadtbeschreibungen wissen uns davon zu erzählen, daß sich einst um 1450 herum weit vor dem Seetore eine ein sam gelegene Herberge, genannt »Zur Eule", befand, die an der „Halben Gasse" lag; der Volksmund aber nannte sie .Eulengasse". Heute ist es die Bankstraße. Die Morihstraße hieß einst »Herrengasse", der Volks witz taufte sie in »Bettelgasse" um, da sich an ihr vornehme Adlige und reiche Patrizier niederge lassen hatten, denen Kurfürst Moritz Grund und Boden schenkungsweise überlassen haben soll. Als dann die Morihstraße daraus geworden war, machte der Volks mund aus ihr vorübergehend eine »Mohrenstraße." Die noch heute versteckt liegende und mit recht wackligen alten Häusern besetzte Salzgasse hat schon früher nicht zu den bevorzugten Gassen gehört, denn man nannte sie jauch »Tote Hühnergasse', weil man dort gern krepiertes Vieh abzulegen pflegte. Die heutige Münzgasse, an der von 1737 bis 1887 die staatliche Münze stand, hieß die »Große Fischergasse' im Gegenteil zur »Kleinen Fischergasse", der heutigen Brühl'schen Gasse. An der jetzigen Terrassen gasse lagen einst die kurfürstlichen Hofstallungsgebäude. Daher nannte man sie »Gasse an den Klepperställen'. Die Frohngasse wurde mitunter .Büttelgasse" genannt; die Iohanngasse hieß einst .Badergasse", die in der Nähe der Schießgasse tot auslief, sich versackte. Dieses Ende nannte man .das Loch" oder auch »im Sacke'. Der Albertplatz hieß einst »Budissiner Platz'; die jetzige Ka menzer Straße die „Schwarze Gasse'; ihr Gegenstück war damals die .Weiße Gasse", die heutige Görllher Straße. Die Louisenstraße, die nach dem vielbesuchten und viel- berühmten Linckeschen Bade führte, nannte man daher Badegosse. In der Nähe, in der Neustadt, lag die »Sand gaffe", die heutige Forststraße, die ja damals mitten hinein in die Heide führte, und der letzte Teil dieses Weges nach der Heide hieß gar der .Kuhschwanz". Die Bautzener Straße nannte man einst „Bierpromenode" und die heutigen Anlagen an der Bautzener Straße, die damals von tiefen Wasser- und Schlemmgräben durchzogen waren, waren die „Blutegelteiche". In der Wilsdruffer Vorstadt (Altstadt) war die Palmstraße elnst die „Hundsgasse", die Stärken gasse hieß „Unter den Weiden" und der Freiberger Platz war die .Entenpfühe". Auf der „Gasse hinter dem Schlöß chen", die vom Trompeterschlößchen nach dem heutigen Ferdinandplah führte, pflegten die Fleischer ihr Vieh dem Seetor, den Fleischhallen oder den Kuttelhöfen zuzutreiben. Erstere lagen an der heutigen Ecke der Kreuzstraße und Gewandhausstraße, letztere an der Gerberstraße, jetzige Theaterstraße. Was nützte es da, daß die „Gasse der Oberseer" schon seit 1750 amtlich die „Gaffe hinter dem Schlößchen" hieß, wenn sie im Volksmunde nicht anders genannt wurde, als die .Kälbergasse". Und von ihr ging sogar der Name auf die Oberseer-Gemeinde über, die sich gefallen lassen mußte, als Kälbergemeinde dem Spotte der anderen preisgegeben zu sein und selbst der Gemeinde richter wurde zum Kälberrichler. . . . Doch halt, es ist ja Vogelwiese, da wollen wir lieber unsern kleinen Rückblick auf alte vergessene Gaffen Dres dens abbrechen.