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Zweite Beilage zu Nr. 38 der Sächsischen Dorszeitung vom 30. März 1893 Land- und Volkswirtschaftliches. — In der deutschen HeringSsischerei ist in den letzten Jahren eine erhebliche Besserung eingetreten. Bekanntlich hat Deutschland einen sedr starken Verbrauch von Heringen, der indessen säst ausschließlich vom Aui- lande gedeckt wird. Namentlich sind eS Schwede«, Nor wegen und Schottland, die alljährlich etwa 1,180,000 Tonnen Heringe einsühren, so daß etwa 30 Millionen Mark jährlich für Heringe von Deutschland nach dem Aus land« gehen. Der Versuch, der in neuerer Zeit gemacht wurde, um auch Deutschland einen Antheil an dem Herings reichthum der Nordsee zu sichern, indem mit Unterstützung des Reiche- in Emden eine HeringSfischerei-Aktiengesellschast gegründet wurde, schien längere Zeit ohne Erfolg bleiben zu wollen, denn trotz nachhaltigster jährlicher Reich»- ! subventton konnten die Kosten de» zur HeringSsischerei nothwendigen großen Apparate- au» dem Ertrage der Fischerei langd Zeit nicht gedeckt werden. Jetzt ist eine Wendung zum Besseren eiugetreten. Namentlich hat sich i der Gesammtfang der Emdener HeringSsischerei in dem letzten Jahre (1892) so bedeutend gesteigert, daß ein Rein- § -ewinn von 88,000 M. erzielt werden konnte. Der Fang i» Jahre 1892 betrug 20,122 Tonnen im Bruttowerthe von rund 469,000 M- Die Aischerflotte der Gesell- ! sLaft besteht jetzt au» 20 Loqgern und einem Schnell- j Kampfer. Gleichwohl ist der bi» jetzt erzielte Erfolg immerhin «ur ein Anfang zur Deckung de» Bedürfe» für ganz Deutschland durch deutsche Fischerei. Vermischtes. j — Berlin. Die Bank von Schottland hat der berliner Kriminalpolizei jetzt ein Bcrzeichniß der Bank- düet- der englischen Bank übersandt, welche im Betrage vn» 170,000 M. am 16. Februar 1891 in einem Bank« i lause zu London gestohlen worden find; dasselbe ist allen Berliner Bankier- zugestellt worden. Auf die Ergreifung dkl Thäter- und die Wiederherbeischaffung der gestohlenen Bonkbillet» hat man eine Belohnung von 20,000 M. au-- ! geletzt. — Die Zahl der in Berlin täglich eingehenden ' Brnfsendungen bezifferte sich im Jahre 1872 aus rund 80,000 Stück und ist jetzt auf 500,000 Stück gestiegen. Die rasche Abwickelung de- Bestelldienste- für diese Bries« - Mafien bietet sehr erhebliche Schwierigkeiten. Trotzdem hat die Zahl der gänzlich unbestellbar bleibenden Sendungen nicht zugenommen, sondern sich verhältnißmäßig verringert. Während nemlich im Jahre 1872 täglich */, Proceut der Briese wegen ungenauer Aufschriften zurückgehen mußte, ! sind gegenwärtig au- dem gleichen Grunde von den LOO,000 Stück täglicher Briefsendungen im Durchschnitte nur 1711 Stück oder '/, Procent unbestellbar geblieben. Laber fällt in'- Gewicht, daß die Zahl der Briese mit unvollständigen Aufschriften in neuerer Zeit wieder zuqe- nowmen hat Gegenwärtig befinden sich unter den tägl ch in Berlin zu beüellenden Briesen noch immer durchschnitt lich 24,694 Stück, deren Aushändigung wegen mangelnder Bezeichnung der Wohnung deS Empfänger» nicht ohne Weiteres erfolgen kann. — Hamburg, 24. März. DaS hiesige Strafgericht verurtheilte den Redakteur Hübner der antiie-muschen „Abwehr" wegen Beleidigung der Verwaltung deS israeli tischen Krankenhauses, der er scheußliche Handlungen zu- geschrieben hotte, zu 350 M. Geldstrafe. Die» in der erste Fall, in dem ein antisemitischen Motiven entspringrnde- Bergehen da» hiesige Gericht beschäftigte. — Altona, 27. März Im Geschä'tSlokale eine- Krämer» in der WUHelmstraße «xplodlrte gestern Abend ein gefüllter Petroleumbehälter. Al» die davon m kenntniß ge setzte Feuerwehr da- GZchäftSlokal betrat, erfolgte eine abermalige Explosion, infolge deren der städtische Brand meister und zwei Feuerwehrleute gefährliche Brandwunden davontrugen. Die Ursache der Explosion ist noch un aufgeklärt. — Stargard in Pommern. Im Drcember v. I. erstickten der Handlungsgehilfe Rö^yer aus Kötlin und ein Handlungslehrling in einem Zimmer im Hause ihreS Principal», de» Kaufmann» Karl Kahn zu Plathe, an Kohlendunst (nachdem schon früher ein Halbbruder de- letzteren auf gleiche Weise den Tod erlitten hatte), weil in dem betreffenden Ofen sich den polizeilichen Vorschriften zuwider noch immer eine Ofenklappe befand. Der Besitzer de» Haufe», Karl Kühn, ist dieserhalb wegen fahrlässiger Tödtung angeklagt und, wie die „köSl Ztg." meldet, in diesen Tagen von der Strafkammer de- hrefigen königl. Landgericht- zu einer Gefängnißstrafe von 1 Jahr ver- urtheilt worden. — Pofen. Da» Märchen vom Ritualmord, da» in Xante«, wie au» dem Buschhof - Proceffe noch genügend bekannt fein dürste, vor zwei Jahren zu so erregten Scenen führte, hätte am Donnerstag Abend der vor. Woche hier beinahe ähnliche traurige Erscheinungen gezeitigt. Der Ar beiter Max Przychalla wollte nemlich gleich nach 8 Uhr den kleinen dreijährigen Jungen eine» seiner Verwandten nach seiner Wohnung, Bre»lauer Straße 10/11, bringen. Er hatte, da der Kleine laut schrie, ihn auf seinen Arm genommen und suchte ihn so viel al- möglich zu besänf tigen. Sein eiliger Schritt sowohl wre sein etwa- jü- dische- Au-sehen müssen jedoch den Verdacht der Paffanten erregt haben. E- verbreitete sich plötzlich mit Blitzes schnelle in der Straße da» Gerücht, daß da» Kind ent. führt sei und von den Juden zu Ritualzwecken geschlachtet werden solle. Im Augenblicke hatten sich Hunderte an gesammelt, die auf den Mann eindrangen und ihm den Knaben zu entreißen suchten. Der Arbeiter murde zu Boden gestoßeu und wäre schwerlich mit dem Leben da von gekommen, wenn nicht die Polizei dazwischen getreten wäre und ihn vor der Wuth der Menge geschützt bäte. Erst nachdem die Schutzleute, welche den Mann kannten, die Leute über den Sachverhalt aufgeklärt hatten, gelang e», die Ordnung wieder herzustellen. Przychalla hatte in« dessen derartige Verletzungen davon getragen, daß er nach dem städtischen Krankeahouse gebracht werden mußte. Diese» Vorkommniß wirft ein intereffan'e» Licht aus die Entstehung derartiger Beschuldigungen, wie sie in dem Buschhof-Pro- ceffe eine Rolle gespielt haben. — Mannheim, 27. März. In dem benachbarten Orte Achern wurde die Ehefrau de» Steuereinnehmer» Braun von ihrem Schwiegersöhne ermordet. — München, 26. März. Biertausevdjährige Toi lettengeheimnisse hat der derzeitige Rektor der Münchmr Universität, Professor der Chemie vr. Baeyer, enthüllt, indem er Schminken au» den Mumiengräbern zu Achmin chemisch untersuchte und dabei zu höchst interessanten Ent deckungen kam. Die ägyptischen Schönen benutzten zu ihren Schminken Bleipräparate, welche aus sehr umständlichem, von Professor Bwyer m allen Einzelheiten nachgespürtem Wege sehr geschickt verarbeitet wurden. Die Bleierze, welche sich in Aegypten nirgend» finden, find jedenfalls au» In dien bezogen worden, wa» einen weiteren Beweis dafür liefert, wie viel Mühe und Kosten man vor 4000 Jahren schon auf die Täuschung der Männerwelt verwandte. D e „Aerztl. Rundschau" berichtet auch über die Bestandtheile und Zubereitung von einer grünen Schminke, mit welcher die ägyptischen Prinzessinnen da» Weiße ihrer Augen (!) in einem feuchten grünlichen Schimmer erscheinen ließen, eine Sitte, die sich heute noch unter den taurifchen Tar- 1ari«nkn und Araberinnen finden soll. Solche grüve Schminke wurde im Körper der vor 3600 Jahren ver storbenen Prinzessin Ast nachgewiesen. — Aug»burg, 27. März. In vergangener Nacht wurden mehrere außerdienstlich durch die Provino Straße gehende Soldaten nebst einem llnterosficier von Arbeitern insultirt, wobei der Unterofficier, von einem der Arbeiter angegriffen, sein Seitengewehr zog u«d drn Arbeiter mitten ins Herz stach, so daß der Tod sofort erfolgte. — Die Erfindung einer kugelfesten Uniform in Mannheim bringt folgende Anekdote wieder in'» Ge- dächtniß. Ein Fremder wurde ein«» Morgen» beim Herzog von Wellington vorgelafien. Er legte demselben eine kugel feste Jacke vor und ersuchte ihn, dieselbe bei der Armee einzuführen „Gut," sagte der Feldherr, „ziehen Sie die Jacke an." Der Fremde that e». Der Herzog schellte: ein Officier erschien. „Sagen Sie dem Hauptmann Soundso, er soll zwei Soldaten mit geladenen Gewehren hierher senden." Al» der Erfinder diese ominösen Worte hörte, verschwand er.