Volltext Seite (XML)
Viertes Blatt Ar 45 Dienstag, den 25. Februar 4952 Aus aller Wett Sine erschütternde Ttattstik deS Elends bat soeben das Statistische Amt der Stadt Berlin ausgefüürt. Danach gibt es in Groß-Berlin nicht weniger als 35 886 ver krüppelte Personen, 17 489 sind davon männlichen und 18 397 weiblichen Ge schlechts. Die Mehrzahl all dieser in ihrer körperlichen Betätigung mehr oder weni ger behinderten Unglücklichen wurde in offener Fürsorge, d. h. ambulanter Be- bandlung betreut. Viele tausend weitere Leidende befinden sich in fürsorglicher Be obachtung oder wurden durch Privatärzte behalldclt. 430 verkrüppelte Personen müssen dauernd in Krankenhäusern oder Arüppelheimen untergebracht sein. 5000 DetrugSanzeigeu. Die Berliner Po lizei hat die Brüder Lothar und Hasso Pichl verhaftet, gegen die etwa 5000 BetrugSan- zeigcn bei der Staatsanwaltschaft vorliegend Sie hatten fünftausend Menschen um je zwei Wark betrogen und damit 10 000 Mark »ver dient". Die beiden Brüder hatten ein »Lite rarisches Büro" gegründet. Iu Ankündigun gen versprachen sie Heimarbeit, bei der 10 bis 30 Marl täglich verdient werden könn ten. Aus allen Teilen des Reiches haben sich die Interessenten, meistens Arbeitslose, an das »Literarische Büro" gewendet. Die Brüder schickten daraufhin ein Schreiben, in dem sie geheimnisvoll andeuteten, daß Neu gierige und Horcher ausgeschaltet werden müspen, für sie könnten nur ernsthafte Be werber in Frage kommen. Zum Beweil dafür wurden die Leute, die sich an das »Li terarische Büro" gewandt hatten, ersucht, zwel Mark cinzusenden, woraus die Areeits- zuteilung erfolgen würde. Nach Empfang des Eeioes Netzen die Betrüger aber nichts mehr von fich hören. Dartmoor, die vor kurzem zu aufsehen, erregenden Unruhen in dem Gefängnis ührte, ist noch nicht behoben. Jetzt ver. anstalteten die Rädelsführer des letzten Aufruhrs und 70 Gefangene, die in dem Aefängnis seit fast einem Monat Etnzel- >aft verbüßen, lärmende Kundgebungen. Der Lärm die Rufe und Flüche der Ge- ängenen vielten den Ort Princetown die ganze Stacht wach. Es sind alle Borkehrun- en getroffen worden, um jeder Schwie- rigkert gerecht zu werden. Auf ein Alarm- Das nennt man Pech. DaS neue ameri kanische Ptarinelustschiff wurde am Mon- tag, als es aus der Halle zum Ankermast geschleppt wurde, von einer Bertikalböe erfaßt und an den Stabilisierungsflächen leicht beschädigt. Außerdem wurde die Hülle aufgerissen. Zwei Leute der Halte- mannschast wurden leicht verletzt. Das Luftschiff sollte mit KongreßmiMliedern, die einem Ausschuß zur Untersuchung der Brauchbarkeit des Luftschiffes angehorten, eine Fahrt unternehmen. Auf 4>er Fahrt durch die Landeshauptstadt d»° ° »°hr Eine Holzmehlfabrik in die Luft geflo gen. Mvnmg gegen 17 Uhr explodierte in der Holzmehlfabrik Zinßer, die im Bremer Jnbustriehasen liegt, aus bisher noch nicht bekannter Ursache, vermutlich Mehlstaub. Durch zwei Explosionen flog Las Dach in die Luft; zwei Seitenwände des Ge bäudes wurden völlig zertrümmert. Da die Explosionen glüellichertvcife nach Ar- beitsschiuß erfolgten, wurde nur ein Manu schwer verletzt. Ten neuen Beruf des „Bierschleppers hat der Hamburger Bierkrieg gezeitigt. Die Aufgabe des Bierfchleppers ist, den Durstenden zu heimlich fließenden Bier quellen zu führen, denn augenblicklich ist es wirklich nicht einfach, in Hainburg zu einem „kleinen Hellen" zu kommen. Durch eine verirrte Kugel getötet. Ein Polizist überraschte in Ler Nacht Lrei Männer am Lteindamm in Hamburg bei einem Geschästseinbrnch. Da die flüchten den Einbrecher trotz Haltruse nicht stehen blieben, gab der Beamte Schüsse ab. Von einer verirrten Kugel wurde Labei der 42Mrige Kaufmann Zimmermann ge troffen. Er erlitt einen Hüftschuß und starb ans dem Transport ins Kranken haus. Die Einbrecher wurden von Len Beamten festgenommen. Nene Userabstürze bei Saßnitz. Unent wegt nagen See und Sturm an Lem Steil ufer der rügenschen Küste. In Ler Nähe -er Eäciliensicht, wo schon Anfang dieses Jahres grünere Erdmassen in die Tiefe gerissen wurden, stürzten aus 30 Meter Hohe erneut Kreidemassen und Waldboden mitsamt einigen größeren Bäumen mit Wurzettverk aus den Strand und bedecken ihn in einer Breite von 10 bis 12 Meter Ter Hvchnferweg nach Stubbenkammer ist dadurch abermals unterbrochen und muß verlegt werden. ignal hin werden zweihundert Polizisten nach Princetown in Marsch gesetzt werden, und außerdem werden Truppen in Bereit schaft gehalten. Alkoholdampser drei Monate in Seenot Ein Dampfer mit einer aus Rum und Whisky bestehenden Ladung ist in den Hafen von Halifax eingeschleppt worden, nachdem er drei Monate infolge von Ma- fchinendesekt hilflos umhergetriebcn wor den war. Da die Wasser- und Lebens- mittclvorräte nach kurzer Zeit zu Ende gegangen waren, hatte die Mannscl-aft die letzten 16 Tage von kleinen Brotresien ulrd alkoholischen Getränken leben müssen. Eine Königstochter heiratet. Der frühere spanische König Alfons, der sich voriges Jahr geweigert lsatte, feine Zustimmung zu der Hock>zeit seiner ältesten Tochter, der Infantin Beatrice, mit ihrem Neffen, dem Prinzen Alvare von Bourbon-Orleans, zu geben, hat nunmehr seine Zustimmung erteilt. Die Hochzeit soll am 15. Juli im Fontainebleau stattsinden. Wie verlautet, wird die Infantin als Brautscl)atz Ju welen im Werte von über einer halben Million Mark crl)alten, die der Infantin Eulalia, Ler verstorbenen Tante Alfons', gehört haben. Sechs Mönche bauen eine Abtei. Bucksast Abbey (Devonshire) wird diesen Sommer cingeweiht werden. Sechs Mönche haben vor mehr als 25 Jahren mit dem Ban der Abtei begonnen. Vier von ihnen sind noch am Leben. Die Abtei ist aus den Grund mauern der Ruinen des mittelalterlichen Klostergcbäudes gleichen Namens errichtet worden. Als die Mönche ihr Werk began nen, waren sie so gut wie mittellos. Toch flossen ihnen bald Gaben von Katholiken und Protestanten zu, so daß sie den Bau weiterführen konnten. Kunst und Wissen Morgenieier der Dresdner Philharmonie In einer Morgenfeier -er Dresdner Phil harmonie -um Besten ihres Pensionsfon-s in der Staatsoper ist -er 8 0. Psalm für sechs stimmigen gemischten Chor un- großes Orche- ster von Gottfried Müller, dem 17jährigen Sohn -es Dresdner Pfarrers A-olf Müller, zur Uraufführung gelangt; man wir- sich mit dem Werke, -essen Uraufführung der beson deren Umstände halber sensationellen Charak ter trug, von zwei Seiten beschäftigen müßen. Die eine, hochersreuliche Seite ist, -aß im Deutschland von 1932, das unter Deutschlands Jugend von 1932 einmal in großer sichtbarer Weise eine Hinwendung zur Lergeistigung, zur Verinnerlichung sich dokumentiert hat; inwie weit dabei Einflüsse des Elternhauses mitspie len, ist in keiner Weise für diese Beurteilung von Belang: Tatsache ist, daß hier einmal ein junger Mensch sich mit anderem als nur Schlagworten, Sensationen und Banalitäten besaßt, daß er in jugendlich kühnem Idealis mus und mit Inbrunst nicht nur zu Hohem, an dieser zum Höchsten, zu den Ewigkeits worten des 90. Psalms greift, und daran, an dieser Sprache, an diesem Gedanken seine Kräfte mißt. Künstlerisch sieht die Sache ein wenig an ders aus. Der erste Eindruck, den dieses Werk im Hörer erweckt, ist verblüffend, sowohl was die Beherrschung der Mittel als auch was die Beherrschung der Kräfte, das Aufsparen einer letzten Steigerung nach einer Unzahl voll tönender, nahezu erdrückender orchestraler und auch vokaler Stärkemomente des Werkes be trifft. Fragt man jedoch nach der Wahl der Mittel, wägt man die Mittel ganz unab- Blutigo Zusammenstöße im Dombro- waer Industriegebiet. Auch am Montag veranstalteten Lie streitenden Bergarbei ter im Tombrowaer Industriegebiet zahl reiche Kundgebungen. In CzelaLz jKreis Bendzinf kam es zu einem heftigen Zu sammenstoß zwischen den Arbeitern nni> der Polizei, wobei auf beiden Seiten von der Lchußwasse Gebrauch gemacht wurde. Dabei wurden ein Arbeiter getötet, ein anderer schwer und mehrere Personen leicht verletzt. Drei Hochscekutter im Nebel gestrandet. Westlich von Kolberg strandeten im dich ten Lecncbel die in Kolberg beheimateten Hochseekutter „Kol. 90" und „Kol. 64", öst lich von Kolberg der RügenivalLer Hoch- seekuter „Columbia". Tie Besatzung der „Columbia" rettete sich selbst auf einem aus Flschkisten und leeren Lelkannen er bauten Floß; die völlig stctsgesrorene Be satzung von „Kol. 64" wnrde mittels Na- kelenapparate durch die Rettungsstation Kolberg-West gerettet. „Kol. 90" konnte nach 18stündiger Arbeit abgeschleppt wer den. Neuer Gesangenenaufrnhr in Dartmoor. Aus London wird gemeldet: Die Miß stimmung unter den Gefangenen von Der Lü^fl! gel des Palais in der ginsendorfstrahe in Dresden, die Geburtsstätt« Les verstorbenen König» Friedrich AuguL Bußtag Ob wir nicht in dieser Tage Nie gekannter deutscher Not, Da die letzte Schicksalsfrage Jeden einzelnen umdroht, Da das Leid mit heißen Augen Jammern- schluchzt durch unser Land Einen deutschen Bußtag brauchen, Der uns weist auf Gottes Hand? Glauben wir, die fruchtlos ringe» Jahre wir mit aller Kraft, Immer noch, daß ein Gelingen Unser Menscheukönnen schafft? Sind wir heut' noch so verwegen, Blin- der eignen Kraft zu traun, Anstatt auf des Himmels Segen Unsre Arbeit auszubaun? Fühlen wir nicht endlich brennen Reu' in uns, von Qual umloht? Woll'n wir endlich nicht erkennen Unsre Schuld an Deutschlands Not? Zwingt uns nicht im Antlitz dessen, Dessen göttlich großer Huld Deutschland freventlich vergessen, Heut' aufs Knie die Last -er Schuld? Oh, so bitter war uns allen Nie ein deutscher Bußtag not, Soll aus Sinken und aus Fallen Je uns glühn ein Morgenrot! Niemals sinkt die Freiheit nieder Auf das deutsche Vaterland, Finden wir den Weg nicht wieder Hin zu Gottes Vaterhan-! Felix Leo Göckeritz. hängig von anderer, zeitgenössischer oder alter Kirchenmusik, so kommen einem Beden ken gegen die Form — nicht gegen die Neuheit -es Werkes, denn neu ist eigentlich nichts an ihm, wenn man Lie maßlose Steigerung -es Klanglichen kein Neues nennen un- eine ge legentliche Undurchsichtigkeit der Stimmfüh- rung der jugendlichen Begeisterung und Lem Noch-ntcht-Maß-halten-Können des Siebzehn- jährigen zugute halten will. »Die Polyphouie versteht er meisterhaft"; wo aber, wie zum Beispiel in dem Sopran- und Alt-Solo, ein ganz einfacher linearer musikalischer Ausdruck gelingen soll, da versagt Gottsrie- Müllers Musikantentum vorläufig vollständig, und ich glaube nicht, daß Las an den Text- worten liegt; angesichts -es gewaltigen The- maS, angesichts -er bezwingenden Stärke, mit der verschiedene Worte -es großen Textes musikalisch gemeistert sind, kann ich nicht glau ben, daß es bei Gottfried Müller Mangel der Nachempfindung ist, wenn ihm dieses Solo lUnser Leben wäret siebzig Jahrs so gänzlich daneben gelingt, ganz leer und aus druckslos bleibt; es scheint mir vielmehr eine rein künstlerische Frage, un- sie ausführlicher, als man sonst gewohnt ist, zu behandeln, tut not, -a hier die Gefahr, die größte Gefahr für den Komponisten liegt. Wir müssen, gerade in der Kirchenmusik, wieder zu -er schlichten, klaren durchleuchteten Einprägsamkeit un wirklichen Monumentalität zurückfinden, müs se». das überladene, gänzlich diffuse, beinah ge- walttätige Uebermaß der Tonschöpfungen von der Art dieses 90. Psalms überwinden, um wieder zur Verinnerlichung, zu -cm zwingen den allgemeinen (deshalb durchaus nicht sche matischen) Ausdruck, um zu Erschütterungen zu kommen, Li« mehr bedeuten als eine beinah lähmende Verblüffung. Ist diese, die Verblüf fung einmal voriiber, so ist von der Inbrunst Les jungen Komponisten für die kirchliche Musik etwas zu erhoffen. Mit all seiner herr lichen Begeisterungsfähigkeit, mit aller In tensität seines künstlerischen Temperamentes, mit all seinem liebenswerten Idealismus setzte sich Generalmusikdirektor Fritz Busch für Las schwierige Werk «in, dem das Orchester Ler Dresdner Philharmonie und der Lehrcrgesangverein lunter Leitung vvn Johan nes Leonhardt) zwei willige und vorzüg liche Klangkörper waren. Der zweite Teil des Werkes erschien in die ser Wiedergabe zweifellos hinreißend, und er ist auch weit musikalischer als der erste, der zu den Worten „Du bist unsere Zuflucht für und für" in sehr bedeutsamer Steigerung nicht enden wollender Paukcnwirbel bringt, Lie aber dann, bei der Wiederholung, recht monoton und ein wenig wie Manie wirken. Ich sagte oben schon, daß Lie Wahl der Mittel im einzel nen wie auch in der Gesamtheit Bedenken er weckt. Beethovens dritte Leonoren- Ouvertüre in einer ungewöhnlich schönen, großartigen Wiedergabe eröffnete das Kon zert, das außerdem Bachsches Konzert tA-Moll) für Klavier, Solovioline und Tvlo- flöte mit Orchesterbegleitung, ferner höchst überflüssigerweise die Mozartvariatio- ttonen vvn Adolf Busch brachte, die man das eine Mal — vor einigen Jahren in einem Sinfonie-Konzert der StaatSkapelle — wirk- lich vollkommen genügend kennengelernt hatte. G. G.