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Ums Geld. Original-Roman von W. Harb. <Fortsetzung.» ec Justizrat stieß einen Schreckensruf aus. ,,Das Gift befand sich durch Zufall schon längere Zeiten ihrem Besitz, doch muß es keines von den aller- schärfsten gewesen sein, oder es hat durch die lange Lagerung von seiner Kraft verloren — kurz, die Wir kung war nicht tödlich, sondern hatte nur eine vorübergehende starke Erkrankung des Organismus zur Folge. Davon hat sie sich mit Hilfe eines Arztes bereits so gut wie vollkommen erholt. Jedoch liegt sie in Nervenkrämpfen und Fieberdelirien, die mit der Vergiftung nichts zu tun haben. Sie sind nur erklärlich durch voraufgegangene schwere Seelenleiden, durch ungeheure Lasten, die sie heimlich trug —" „Von denen selbst Sie nichts wußten noch ahnten?" „Ich wußte und ahnte nichts. Ich erfuhr den Zusammen hang teils aus den wilden Anklagen, die sie in ihren Fieberanfällen herausstieß, teils aus einem Briefe aus Italien, der offen da lag, und der wohl die unmittelbare Ursache zu dem unseligen Schritt gewesen ist, den sie bald nach Empfang unternahm. Sie sollen den Bries nachher lesen, Herr Justizrat. Er beweist zur Evidenz, daß Frau von Haake allerdings den Versuch gemacht hat, das ihr nicht gebührende Erbe durch eine vor Gott und Menschen unberechtigte — nun, nennen wir das Ding beim rechten Namen durch eine betrü gerische Manipulation an sich zu reißen. S>c hat ihren Mann ein fach vier Stunden spä ter sterben lassen." TerJustizratmach- te sich Notizen. „Wann erfuhren Sie das?" „Eswarvörgestern am Morgen. Gegen neun Uhr war ich hier her gefahren, um mei ne Braut in einer wichtigen Angelegen heit zu sprechen. Wir waren sonst überein- gekommen, uns mög lichst wenig zu sehen, nm jedem Klatsch zu wehren, doch die Wich tigkeit, der Sache er heischte meine persön liche Anwesenheit. Dai-Mädchen empfing mich händeringend und schluchzend, und aus ihrem Munde er fuhr ich nach und nach das Furchtbare, das sich zugetragen hatte. Der Arzt war noch da. Ihm gegenüber legitimierte ich mein Bleiben durch die Angabe, daß ich der Bräutigam und Vetter der Frau von Haake sei: er mußte das wissen. Sie lag apathisch und bleich da: der Puls ging klein und rasch, ein feuchter Schweiß lag auf ihrer Stirn. So blieb sie bis zum Nachmittag. In jenen schrecklichen Stunden setzten die Delirien ein — atem los horrbte ich auf die furchtbaren Anklagen, die sie gegen sich selber vorbrachte, lind wenn ich sonst darüber noch im Zweifel geblieben wäre, ob ihre irren Neben Geburten der Phantasie oder Wirklichkeit waren, der Brief machte mir alles deutlich. Die Frau hat schrecklich unter ihrer Verfehlung gelitten." „Mein lieber Herr Rittmeister —" , „Was wollen Sie sagen, Herr Justizrat?" „Ich wundere mich höchstens über eins: Sie bezeichnen Frau von Haake seelenruhig als Ihre Braut, trotz — nun, ich brauche Sie doch nicht darauf hinzuweisen, daß eine Verbindung mit ihr —" „Unmöglich ist, wollen Sie sagen." Der Justizrat nickte. „Unmöglich, gesellschaftlich, moralisch unmöglich. Ein Un ding. Dazu sind Sie Offizier." „Ich ziehe den Offiziersroü aus, selbstverständlich." „Herr Rittmeister!" „Herr Justizrat? Die psychologische Erklärung meines Han delns ist sehr einfach. Ich liebe Karla von Haake." „Was? Trotz der — Verfehlung?" Dem alten Herrn blieb der Mund offen. „Eigentlich hätte ich ja nicht nötig, Herr Justizrat, Sie so tief in mein Herz und in meine Gefühle Hineinblicken zu lasfen. Diese Dinge habe ich ja allein mit mir selbst abzumachen. Ich gestehe Ihnen damit das Recht einer Kritik zu. S e halten mich vielleicht für direkt verrückt. Ein Offizier, ein Mann der Gesellschaft, ein Mann mit streng gewissenhaften Grundsätzen schlägt allem Herkommen, aller Sitte, aller sogenannten Moral damit- ins Gesicht, daß er einer Verfemten und Geächteten die Hand reicht und ihr seinen Namen gibt. Nicht wahr?" „Aller—dings. Sie haben sich das noch nicht recht überlegt, mein Freund. Sie haben — noch nicht alle Konsequenzen ab gewogen." „Doch, ich bin da mit fertig. Ich werde Karla von Haake das gegebene Wort nicht brechen. Ich liebe sie mit chren Fehlern nnd Schwächen. Ich weiß, daß sie im Grunde ein guter, ein treff licher Charakter ist, daß nur die Stunde der Versuchung sie Hinriß. Sie hat schreck lich zdafür gelitten und gebüßt. Sie hat mich, den sie liebte, fortgesetzt betrügen mässen, sie hat die Stunde, in der sie mit dem Betrug begann, tausendmal verwünscht!" „Das ist alles recht gut und schön gesagt. Sie könnten noch eine Menge trefflicher Gemeinplätze dazu ins Treffen führen, könnten sagen, daß es Christenpflicht ist, zu vergeben, daß wir alle sündige Menschen sind und keiner von uns das Recht hat, auf den Mitmenschen einen Stein zu werfen, aber —" „Ich verstehe Ihr .aber' ganz gut. Aber man heiratet eine solche Dame nicht. Man hat nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, eine Frau, die sich so weit vergaß, zu verstoßen. Man liefert sich selbst dem Spott und der Mißachtung aus, man stellt Das Kaifer-Wilhelm-Jnstitut für Kohlenforschr-ng in Mülheim a. d. R. (Mit Text.)