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1030 Paris, 23. Juli. Alle großen Pariser Blätter, mit Auö- «ahme des „Eonstitutionel", der bis jetzt noch Schweigen beobachtet, sprechen sich heute über den Eindruck aus, den die russische Ant wort in den politischen Kreisen wie im größeren Publicum hervor- gebracht hat. Natürlich schildern sie diesen Eindruck sämmtlich als einen ungünstigen und unbefriedigenden; trotzdem sind sie im Allgemeinen nicht sehr kriegerisch gestemmt, ja es tritt nicht einmal eine besondere Heftigkeit in ihren Aeußerungen hervor. Dabei erkennen die meisten von ihnen an, daß Fürst Gortschakoff ein un gemein geschickter Briefsteller sei. Die „Opinion nationale" z. B. nennt ihn „einen feinen Spötter, der, um sich auf angenehme Weise über die westlichen Mächte lustig zu machen , ihre Sprache nur im buchstäblichen Sinne genommen habe, indem er sich gleich zeitig habe angelegen sein lassen, den eigentlichen Sinn ihrer Worte nicht verstehen zu wollen. Mittelst dieses sehr einfachen und übrigens vollständig berechtigten Verfahrens habe er unter den höflichsten Formen ein Document hervorgebracht, welches von einer blutigen Ironie erfüllt, gleichzeitig aber untadelhaft sei." — Da» „PayS" findet eine Art Befriedigung darin, daß die Antwort an das Pariser Cabinet, wenn auch in ihrem Inhalt ungenügend, doch in ihrem Tone „ruhiger und höflicher" sei als die nach Eng- land abgeschickte. E. v. Girardin in der „Presse" hält nach wie vor an seiner Ansicht fest, daß Frankreich sich Polens wegen in keinen Krieg stürzen werde; die öffentliche Vernunft sei reifer geworden und wolle Nichts vom Kriege wssscn. Die „Trance erklärt die Note zwar für «uanehmbar, hält aber deshalb den Frieden noch nicht in Frage gestellt. Den stärksten Ton schlagen natürlich — 25. Juli. Das Memoral diplomatigue sagt: DieZutw ventionSmäckte werben identische Noten nach Petersburg sW» die zwar nicht den Charakter eines Ultimatum» haben, aber dem» erklären werden, daß hiermit jede DiScussion gesBosftn sei. " 23. Juli. Der Kaiser soll sehr bestürzt bei der Schicht von der Niederlage der Conföderirten gewesen sein. Er Mem« entscheidende» Erfolg des Generals Lee erwartet, und in W Folge eine Wendung der Dinge, welche die Anerkennung bei Weit und die Ausfuhr der Baumwolle erlaubt haben Hürde. Mi- nun in weite Ferne gerückt. Eine der Hauptsorgen des Wert iß aber die Lage der Arbeiter in den großen industriellen Wie« während des bevorstehenden Winters. — Wie aus dem „Moniteur Franco-Mexicain", dem amtlich« Organ der Franzosen in Mexico, hervorgeht, hat General Aich wirklich das unglaubliche Decret erlassen, daß daS gelammte Eigun thum aller Mexicaner, welche gegen die Franzosen in Waffen steh«, confiscirt werden soll. Was ist dagegen Murawicff, d,r dochäm»- hin mit Rebellen gegen die rechtmäßige Regierung zu thu» N, während die Franzosen in Mexico keinen anderen RcchMel hab«, als den der nackten, brutalen Gewaü? Und dabei Tag für Lag die schwülstigen Phrasen in der Pariser.Presse über den Beruf der großen Nation, in Polen .und überall die Gache der Hummtät zu verfechten! ES wäre lächerlich, wenn nicht das Gefühl dtS Wi und der Entrüstung die Oberhand behielte. London, 22. Juli. Uebcr die an die englische Reainuuz gelangte russische Antwort äußert sich die „Times" in Wad« Weise: „Die telegraphischen Abkürzungen dieser Depesche, die »n von Zeit zu Zeit erhalten haben, sind ihrem Stil oder ihr« Be deutung nicht gerecht geworden. Die Depesche des Fürsten Cort- schakoff ist eine vorzügliche literarische Arbeit und für ihren »ahn scheinlichen Zweck trefflich berechnet. Es ist gekommen, wie »ü erwarteten — das heißt, wir haben mit unserem Vorgehen W und gar nichts ansgerichtet. Wir haben nie geglaubt, daß nie Unterhandlung solcher Art ein befriedigendes Resultat «Ma kann. ES hat der ganzen Sache an Ernst und Realität geM Wir stützten uns nicht auf den wirklichen Stand der Dinge, m erklärten wir erwägen zu wolle», was wirklich im Jüteresse dn Polen oder der Russen liegt. Wir nähmest statt dessen M Ausgangspunkte die Bestimmungen eines 50 Jahre alten BerW von dem sich längst in auffälliger Weist gezeigt hatte, M.ch B geeignet ist, den Bedürfnissen der Polen abzuhelfen oder die Hm- schäft Rußlands zu mildern. Wir erhobt» gewisse FordemA weil man sich 1815 über sie geeinigt, und bemühten unS.MW an die Bedingnngen eines Vertrags zu mahnen, den cS längst» feierlicher Form zerrissen und in alle Winde fortgeschleudert ff Ohne Würde und ohne Festigkeit traten wir für unsere HW Forderungen auf... . Von einem solchen Schritt kennte m» nichts Gutes erwarten, und wir vernehmen daher ohne Verwund««, daß unser schlechterdachter und schlechtausgeführter BermitteluM versuch schmählich gescheitert ist." Nachdem sie darauf den der russischen Depesche kurz wicdergegeben hat, schließt die „TW - „Wir bedauern gestehen zu müssen, daß in diesem Alle» nicht- ß- worüber wir ein Recht zu erstaunen haben. ES ist genau da Spräche, die man von Rußland erwarten konnte, wo e», »ff eine Gefahr befürchten zu müssen, seiner Hoffart und Herrsch-»' dre Zügel schießen lassen darf. Wir haben es zu dieser adschlzE Antwort eingeladen, und es bleibt uns nichts übrig, als fit» > Geduld hinzunehmen. Es ist dies da« unvermeidliche Ende, ff : welchem, wie wir vorausgesagt, eine von keiner pWfchen »G > gedeckte Einmischung führen mußte.... Wir hoffen, M d* l weit genug gegangen, und man wird es nicht zum Ruhme Engi"" Zwc Herausgabe seine» Blatte» entzogen worden, Peil er innerhalb eine» Zeiträume» von 5 Jahren dreimal wegen Pretzvergehen ver- urtheiu worden war. — Der „Nürnb. Corresp." läßt sich aus Berlin vom 22. Jusj schreiben: „Dunkle Gerüchte sprechen davon, daß d§» PerMrFEß/ binet mit dem Petersburger Hofe bereits für alle (MiMalMt« bindende Verpflichtungen eingegangen sei, und daß cS sich daher erkläre, wenn die Antwort Rußlands auf die letzten Noten der drei intervenirenden Mächte einen so entschieden ablehnenden Charakter trage. Ob und inwieweit diese Gerüchte begründet sind, ist schwer zu entscheiden, aher das Publikum ist fest von ihrer Wahrheit über zeugt, was auch in Rücksicht auf die Tendenz der herrschenden Partei sehr begreiflich erscheint. . Mainz, 20. Juli. Gegen Johannes Ronge, welcher auf die an ihn ergangene Vorladung dem großherzoglichen Untersuchungs amte sich nicht gestellt hatte, wurde ein Verhaftsbefehl erlassen und wird gegen denselben nunmehr „wegen Verschmähung und Verläum- düng" de» Bischofs von Mainz und der Geistlichkeit de» Groß- herzogthums überhaupt in contumaciam verfahren. Bamberg, 21. Juli. Die Zahl der zum fränkischen Sänger- feste angemeldeten Vereine beträgt 147, worunter 100 mit Fahnen. Vor dem Schwurgericht in Augsburg wurde dieser Tage ein Wunderdoctor, Georg Müller, der auf den Aberglauben und die Leichtgläubigkeit der Menge speculirte, zu achtjährigem Zuchthaus verurtheilt. Er ließ.Wachskerzen — natürlich geweihte — anzünden, bespritzt« den Patienten mit Weihwasser, murmelte unverständliche Worte und verfaßte schließlich ein Recept zu einer Salbe aus Hunds-, Katzen« und .Schlangenschmalz, die alle Uebel heilen sollte. Von der Mosel, 20. Juli, schreibt die „Tr. Ztg." über die 'Weinerndte-Aussichten: Fast scheint es, als ob wir zum sechsten- mal in 7 Jahren einen guten Herbst machen würden; sehr große Be fürchtung erregt indessen die Ttaubenkrankheit, welche noch niemals Mit der Heftigkeit ausgetreten ist, wie in den letzten Tagen. Trotz Anwendung des Schwefels verbreitet sie sich, und zwar vorzugsweise in den besten Weinbergslagen. Wir wollen hoffen, daß ihre Ver wüstungen nicht von dauerndem Nachtheile sein werden, und daß die Witterung ihr ein Ziel setzen wird, obgleich man noch im Zweifel darüber ist, ob nasses oder trockenes Wetter das beste sei. Sonst steht der Weinstock ausgezeichnet gut, und die Beeren haben bereits eine ansehnliche Dicke erreicht. In Baden-Baden läßt ein reicher Russe, Fürst Sturdza,.eine griechische Kirche auf seine Kosten bauen und stellt auch den Geist- Uchen an. Der Platz hat 14,000 Gulden gekostet. Wien, 22. Juli. Die „Presse" bezweifelt, daß, wie die „Gen.« Corresp." versichert, Herr v. Balabine wirklich nur deshalb Wien verlassen habe, um sich neue Instructionen zu holen; es scheine vielmehr eine Demonstration auf den am 19. nach Petersburg telegraphirten österreichischen Absagebrief beabsichtigt zu sein. Auch der österreichische Botschafterposten am russischen Hofe ist bekanntlich unbesetzt. „Mcle" und „Patrie" an; erkre» erklärt die Note für ein glaubliches Aktenstück, ffür «ine HeöäUSfvpdeiMg; letztere kam im Absolut nicht von dem Erstaunen erholen/lll' welches Ke buch d„ Lesen derselben versetzt worden ist; endlich findet sie so viel bin«, daß ,eS gar IMPMntwort, sondern ein Anklageact gegen die fr«' Hä^G ^i, ^»Wr jedoch bald der diplomatischen Action ein W, — Aus Paris vom 23. Juli schreibt man der „Köln. Az?; „Alle Journale beschäftigen sich mit der rusflchen Antwort mch ziehen ohne Ausnahme gegen Gortschakoff zu Felde. Auch H öffentliche Meinung selbst ist sehr gegen Rußland emg-nom«, und wen« man im Volke auch den Krieg nicht gerade wünscht, s, «rwartet ihn doch fast Jedermann. Im Lager von CHLlonS hu die russische Antwort eine ganz außerordentliche Aufregung hnvw gerufen. Die Soldaten wollten „womöglich auf der Stelle" giz« Rußland marschiren, und eS heißt, Marschall Bargguay d'hillim habe den Generalstab zusammeuberufen und energische Mchezeli ergreifen müssen, um die Hitzköpfe wieder zur Ruhe zu bringen."