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43 3. Eine wesentliche Majorität ist für Aufnahme der Turnspiele als Er gänzung des Schulturnunterrichtes. Nach allen Kundgebungen will es uns scheinen, als ob viele Schul männer gedachter Kategorien noch nicht hinreichende Anschauung von dem rationellen Betriebe des heutigen Schulturnens gewonnen haben, sei es, dass in ihren nächsten Kreisen das Turnen noch nicht mustergiltig entwickelt ist, sei es, dass sie es verschmäht haben, der Sache wirklich näher zu treten. Denn wenn z. B. der Fall vorkommen konnte, dass ein als Philolog hochberühmter Gymnasialdirektor nicht einmal wusste, wann und wo seine Zöglinge ihren Turnunterricht erhielten, so kann man sich nicht wundern, wenn dann verkehrte Ansichten über unsere Sache zu Tage kommen. Denn bei der Turnsache kommt es wesentlich mit darauf an, dass sie gesehen und erfahren sein muss, wenn man sich einen rechten Begriff davon machen will. Namentlich ist die Erkenntnis von den Fort schritten des Schulturnens durch A. Spiess noch keineswegs allgemeiner geworden. Übrigens haben die Ansichten über das Schulturnen öfters gewechselt und waren im Laufe der Zeit mancherlei Wandlungen unterworfen. Denn es hat eine Zeit gegeben, wo das von Jahn überkommene Turnen mit seinem Kürturnen, mit seinen Turnspielen nnd Turnfahrten als unfruchtbar für seinen nächsten Zweck der allseitigen Körperbildung angesehen und sogar verworfen wurde, weil es bei den Schulen deshalb verfiel und verkümmerte. Hochangesehene Schulmänner vermissten in dem Turnen ein geistig bildendes Element und forderten vor allem eine schulmässige Behandlung des Turnunterrichtes, an dem man lange Zeit eine wirklich lehrbare Seite nicht gefunden habe. Darum sagte der in Lübeck verstorbene Gymnasialdirektor Fr. Breier anfangs der fünfziger Jahre: „Spiess ist es, der das Problem gelöst und aus dem Turnen, das bis dahin an den Schulen als ein äusserlicher Anhang kümmerlich vegetierte, ein wahres Schulturnen gemacht hat. Spiess hat diesem spröden Stoffe, den man nur durch künstliche Zuthaten und mühsame Hilfen in Bewe gung setzen konnte, Geist und Leben verliehen; er hat die starre Masse in Fluss gebracht, dem toten Leichnam eine Seele eingehaucht, und was bis dahin ein Arcanum zunftmässiger Meister schien, zu einem Gemein gute der Pädagogik umgeschaffen, das hinfort keinem fremd bleiben darf, der den Namen eines Jugendlehrers mit Recht tragen will.“ In der That wurde diese von Spiess eingeschlagene Richtung all gemein als entschiedener Fortschritt begrüsst, und Schulbehörden wie Turnlehrer beeilten sich, die Spiessschen Grundsätze durchzuführen und