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Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Erscheint jeden Wochentag stütz 9 Uhr. Preis vierteljährlich 15 NAr. — Inserate werden an den Wochentagen nur bis Nachmittag» S Uhr' - > . für die nächsterscheinende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit 5 Pfennigen berechnet. 20?. Mittwoch, den S. September 1855. Einige Bemerkungen in Eisenbahnangelegenheiten. Das Chemnitzer Tageblatt enthält in Nr. 206 hierüber folgenden Artikel: Die in Nr. 200 dieses Blattes enthaltene Mittheilung über den Stand der Grüna-Würschnitzer Eisen bahnfrage ist um so erfreulicher, als damit nicht nur die Aus sicht auf ein baldiges Zustandekommen der fraglichen Kohlen- bahn und auf bestmöglichste Verwerthung der Kohlenschätze des Lugau - Würschnitzer Bassins eröffnet wird, sondern auch ein Grundsatz zur Geltung gelangt ist, der unter volkswirthschaft- lichem Gesichtspunkte von großer Tragweite erscheint. Der Gedanke, welcher der Eröffnung des K. Finanzmi nisteriums zu Grunde liegt, scheint uns nämlich der zu sein, bei solchen Eisenbahnunternehmungen, die durch wichtige In teressen des Verkehrs und der Industrie geboten sind, Seiten des Staates die erforderlichen Vergünstigungen eintreten zy lassen, damit sie aus Privatmitteln zu Stande kommen, wenn die Kräfte des Staats dazu nicht ausreichen. Wir unsererseits können im Interesse der allseitigen und ebenmäßigen Entwick lung der wirlhschaftlichen Hilfsquellen des Landes die Einhal tung eines solchen Systems nur freudig begrüßen, za um so freudiger, als damit in der Geschichte des sächsischen Eisenbahn wesens offenbar 'ein gewisser Wendepunkt eingetreten zu sein scheint. Man hat vielerlei gegen Staatsbahnen eingewendet; man sagt, der Staat baue weit theurer, als Private, die Verwaltung durch den Staat sei ungleich kostspieliger, als die bei Privat eisenbahnen, auch der Nettoertrag deshalb viel geringer: weil eine Staatseisenbahnverwaltung bureaukratisch, die der Privat- risenbahnen dagegen kaufmännisch eingerichtet sei; die Direktio nen der Staatsbahnen nähmen endlich auch auf die Wünsche und Bedürfnisse des Publikums weniger Rücksicht, als die von Privatbahnen, und was die Sicherheit und Präcision des Bahn dienstes anlange, so könne der Staat vermöge des ihm zustehcn- den Oberaufsichtsrechts und der von ihm zu übenden Bahnpolizei auf Privatbahnen allemal die nöthigen Maßregeln und Anordnun gen durchsetzen, falls sich Mängel zeigen sollten. Trotzdem glau ben wir aber, daß die Frage, ob es besser sei, wenn Eisenbah nen in den Händen des Staates oder von Privatgesellschaften sich befinden, keinesweges als eine abgeschlossene angesehen wer den kann. Es ist wahr, die k. k. österreichische Staatsverwal tung hat die wichtigsten Tratte der österreichischen Staatsbahnen aus finanziellen Gründen an eine ausländische Privatgesellschaft verpachtet und nach mehreren Experimenten über das Problem, ob Staat, ob Privatgesellschaft, ist die Verwaltung der Kbln- Mindener Bahn schließlich doch wieder in die Hände der sellschast übergegangen; andererseits weiß man aber auch, WA in Braunschweig die Erträgnisse der Staatsbahnen den Haupt theil der Staatseinkünfte ausmachen. Doch hiervon gänzlich abgesehen, so ist eS gewiß, daß die Staatsverwaltung, will sie anders das Land nicht mit einer drückenden Schuldenmasse belasten, nicht alle Eisenbahnen bauen kann, die sich bei hoch entwickelter Industrie und einer blühen den Landwirthschast als Bedürfniß herausstellen. Zwar werden solche Eisenbahnstrecken, die auf einem wirklichen, durch die ge gebenen Verhältnisse bedingten Bedürfnisse beruhen, mit der Zeit wohl immer zur Ausführung kommen und die dazu er forderlichen Summen endlich doch, wenn auch theilweise vielleicht „ungern" bewilligt werden müssen, aber das dauert manchmal, wie wir sa an der Chemnitz-Zwickauer Bahn gesehen haben, sehr lange, und man sollte daher meinen, daß der Staat, wenn in solchen Fällen Privatgesellschaften in das Mittel treten wol len, denselben allen möglichen Vorschub leisten und die gün stigsten Concessionsbedingungen stellen sollte. Allein unsere Na tionalökonomen der zweiten Kammer haben bei der Frage we gen der Tharandt-Freiberger Bahn einen Beweis geliefert, daß sie die Sache besser oder Loch anders verstehen. Die Fortsetzung der Alberts-Bahn nach Freiberg ist eine unbedingte Nothwen digkeit geworden, und der Staat selbst als Hüttenwerksbesitzer ist wegen des Kohlenbezugs am allermeisten dabei interesfirt, daß sie zu Stande kommt. Wie sehr dieß der Fall ist, beweist der Umstand, daß Lie Regierung selbst noch in der zwölften Stunde des Landtags mit einer diesfallsigen Vorlage vor die Kammern trat. Wenn der Antrag, diese Bahn noch in der laufenden Finanzperiode auf Staatskosten zu bauen, abgelehnt wurde, so läßt sich vom finanziellen Standpunkte aus in der That nicht viel dagegen sagen, nachdem bereits der Bau zweier Eisenbahnen beschlossen war. Die Regierung beruhigte sich auch dabei und erneuerte nur den Antrag auf Genehmigung eines Expropriationsgesetzes für den Fall, daß eine Privatge sellschaft den fraglichen Bau unternehmen sollte. Daß hierbei Ler Glöckner'sche Vortrag auf Gewährung einer Zinsgarantie keinen Anklang fand, halten wir für vollkommen gerechtfertigt, weil eine derartige Maßregel in Sachsen noch ganz vereinzelt.