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Doigtländischer Anzeiger. i8« Stück. Sonnabends den 6. May 1829. Ist der Krieg noch jetzt zur Cultur der Europäer nothwendig? Das Menschengeschlecht ist kein Sumpf, der bisweilen durch einen Sturmwind umgewühlt werden muß, damit er nicht in Fäulniß gerälh. Es ist von Natur zum Leben und zur Thäligkeit geneigt, und wenn man es nicht mit Gewalt ein» engt und in entehrende Fesseln schlägt, so arbei tet es unaufhörlich an seiner Ausbildung. Der Krieg regt zwar die menschlichen Kräfte auf, aber er richtet eben so viel Unheil an, indem er den Menschen die Mittel zu ihrer Mündigwer- düng raubt, als er Ungerechtigkeiten begeht. Und Unrecht soll kein Sterblicher thun. Die Europäer haben jetzt eine solche Stufe der Cultur erstiegen, daß ste kein solch gewaltthäti- ges Mittel mehr zu ihrer Fortbildung bedürfen.- Der Krieg ist heut zu Tage nicht mehr der Krieg der vorigen Zeiten. Man kämpft ihn mit einem solchen Aufwande von Kraft, daß alles erschöpft in kurzem dahin sinkt; man führt ihn mit einem solchen Schrecken, daß die Geister kaum eine Ahnung von einem Aufschwünge zum Fortstre ben in der Vervollkommnung ihrer Kräfte füh len. Die Europäer sehen es ein, daß die Aus bildung aller ihrer Kräfte zur Selbstchätigkeit der Zweck ihres irdischen Daftpns ist. Sie rin gen nicht mehr blind und mechanisch nach die sem Ziele, sondern ste streben absichtlich von der Wiege bis zum Grabe nach Erreichung dieser Absicht. Sie wissen, daß Much und Einsicht für den Menschen eben so unentbehrlich sind, als die Lust zum Athmen; sie fühlen, daß Selbst, ständigkeit und Festigkeit des Charakters, Ener gie und Geübtheit im Denken Pflichten, und daß Freiheit und Lügend die Elemente sind, in wel chen der Mensch allein gedeihet. Ihn umgeben früh und spät eine Menge Reizmittel, die ihn zwicken und treiben, daß er nicht rastet, daß er stets an sich arbeitet und daß er Much und Größe des Charakters erkämpft. Was ihm sonst der Krieg der alte» Zeit darbot, das findet er jetzt am Frieden. Das menschliche Leben ist ein steter Kampf mit der Natur, den Menschen und den Umständen, und jeder fühlt sich von der all, gemeinen Thätigkeit zur Selbstbildung mit fort gerissen. Große Glücksfälle werden immer sel tener; was jemand erwirbt, das muß er sich durch Fleiß und Thätigkeit erwerben; was er begehrt, das ist der Preis seiner Arbeit. Die Wissenschaften und Künste, der Handel und