Volltext Seite (XML)
1790 Mrl-MaU s. d. LtI4». Luchh-md-I. Nichtamtlicher Teil. oN 35, II. Februar 1911. mit Schmutzliteratur anzusehen, um gewahr zu werden, wie die Staatsanwaltschaft dem Gesetze Achtung verschaffe. In Deutschland werden fortgesetzt französische Machwerke schlimmster Art in Mengen beschlagnahmt, minderwertige französische Witzblätter mit Schmutzdarstellungen und solchen Inseraten tauchen massenhaft auf. Die »Verlagsbuchhandlung Bolkswort« in Belfort versendet an deutsche Primaner und Sekundaner Anpreisungen Honrosexueller Schmutzschriften. Chauvinistische Franzosen behaupten, daß fast all dieser Schund durch in Frankreich lebende Deutsche erzeugt, eingeführt und vertrieben werde. 8» Italien hat eine umfangreiche Razzia in den Groß städten veranstaltet. In drei Monaten sind etwa 100 Personen wegen Verbreitung von Schmutzliteratur und -Kunst verhaftet, und fast alle zu Gefängnis verurteilt worden; 32 000 Karten, 8S00 Photographien, 2200 Bücher und Broschüren sowie zahlreiche kunstgewerbliche obszöne Gegenstände sind beschlag nahmt worden. Die neue Republik Portugal hat unter anderm auch pornographische Schriften zu verkaufen oder auszulegen ver boten, und zwar durch Dekret mit sofortiger Gesetzeskraft. Auch im germanischen Auslande ist die Bewegung im Gauge. InSchwedenhat der Neue Schwedische Buchverleger- vereiu in seinen Satzungen auch dis Verbreitung von Schriften, die gegen Zucht und Sitte verstoßen als eventuellen Aus- schließungsgrund ausgeführt. Eine Gesellschaft gibt eine Sammlung Erzählungen als Kampfmittel heraus. England bereitet ein strenges, Neujahr 1911 in Kraft zu setzendes Gesetz vor, das eine völlige Säuberung der Zeitun gen und Zeitschriften vom volksvergiftenden Schmutz herbei führen soll: es sind drei Monate Zwangsarbeit vorgesehen für jeden Zeitungsdirektor, welcher eine zweifelhafte Anzeige veröffentlicht, ja für jeden, der solche einem Blatte zur Ver öffentlichung übergibt, und der Begriff »obszön« ist weit aus gedehnt. — Auch die jährliche Versammlung der lubiLiz» ^.ssooiatiou und dis Labile blorals Llonlsreuos haben sich, wie früher die Leihbibliotheken Londons, mit unserer Frage be schäftigt. Keay, der Präsident des Buchhändlervereins, er klärte dabei, daß 9S Prozent aller Buchhändler Großbritanniens bereit wären, nach allen Kräften die Verbreitung unsittlicher Literatur zu hindern. Die englische Liga »blatious.1 Vlgilanee Lssoolation« ist mit den bisherigen Ergebnissen, namentlich der Bekämpfung der Unsittlichkeit in der Presse, zufrieden. ^ In Nordamerika wird gelegentlich kurzer Prozeß gemacht. In Chicago wurden 100 000 unsittliche Bilder und 3000 Schundbücher auf einem öffentlichen Platze in Gegen wart hoher Beamten verbrannt. Die Postverwaltung führt einen großen Teil des Kampfes; General Canstock ist in New Hort tätig. Die neueste Verbreitungsform ist: Druck der Schundromane auf Vorhemden. . InRußland geht das Ministerium des Innern streng gegen die betreffenden Inserate der Tagesblätter vor. Leipzig, den 29. Dezember 1910. vr. Fürsteuwerth. Ein vergessener Hilfsarbeiter?) Immer neue Aufgaben werden den Verwaltungen der Städte gestellt, immer schwieriger und umfassender werden die alten. Seit alters finden sich im Haushalt der Städte als Kulturstätten ersten Ranges fortlausend beträchtliche Aus gaben für Literatur und Kunstpflege, überraschend traten als neue Aufgaben die Ausgaben hinzu für Bekämpfung der *) Abdruck eines Artikels »Der Buchhandel als Beistand im Kampfe gegen die Schundliteratur» in Nr. 8/IS11 der Städte zeitung. Hochflut von Schmutz und Schund in Literatur und Kunst, welche die Dämme alter Kultur durchbricht. Die Organi sationen der deutschen Städte in der Zentralstelle des Deutschen Städtetages und im Reichsverbande der deutschen Städte werden die schwere Aufgabe wesentlich erleichtern. Während die Darstellungen geschlechtlicher Art in Wort und Bild durch polizeiliche Maßnahmen, wie Beaufsichtigung der betreffenden Geschäfte, Beschlagnahmen auf Grund ZS 184 und 184» Str.G.B., zu fassen sind, fehlt solche Handhabe bei dem nichtgeschlechtlichen und doch die Jugend vergiftenden Schunde in Literatur und Kunst, der in sehr verschiedenen Formen und aus verschiedensten Wegen Herz und Phantasie der Kinder gefangen nimmt. Wie sich unter anderm aus den »Mitteilungen der Zentralstelle des Deutschen Städtetages» II, Nr. 7/8 (1909) ergibt, hat die große Mehrzahl der Vcrbandsftädte bereits Maßregeln gegen diese Gefahr ergriffen oder geplant. Es handelt sich besonders um Aufklärung der bedrohten Kreise, Eltern und Kinder und um Ersatz der schlechten Literatur durch geeignete gediegene dichterische und künstlerische Er zeugnisse vermittels Einrichtung von Volks- und Jugend- bllchereien, Erweiterung der Schulbtbliotheken, Veranstaltung von Ausstellungen von Jugendschristen, Vorträgen, Eltern abenden und Ähnlichem. Die städtischen Schulbehörden sind es, welche bisher auf diese Weise den Kampf geführt haben. Ein großer Teil der Lehrerschaft hat sich mit viel Eifer daran be teiligt namentlich durch Aufstellung von Jugendschriften- verzcichnissen, die von Prüfungsausschüssen herausgegebcn find. Der Erfolg ist nicht ausgeblieben, ist aber nicht so durchschlagend, nachhaltig und allgemein, wie nach den An strengungen zu hoffen war. Vielleicht nicht ohne Schuld der Kämpfer. Wo Licht, ist auch Schatten. So nötig eine Säuberung der Jugendschriften war, so dankbar wir der Lehrerschaft für die Initiative sein müssen, so ist doch kaum zu leugnen, daß recht oft bedenklich weit über das Ziel hinaus geschossen wird. Gewiß war es richtig, aus den Reihen der Jugend- schriflen all die minderwertigen Massenfabrikate auszustoßen, die sich im Laufe der Jahre eingeschlichen hatten und un besehen mitgeschleppt wurden. Nicht recht ab.er war es, und das ist vielfach geschehen, gediegene Jugendschriften zu bannen, weil den Prüfenden die religiöse oder patriotische oder sonstige »Tendenz» widerstrebte, oder aber, weil sie den Anforderungen nicht vollkommen genügten, die zurzeit von der Lehrerschaft oder doch dem hier maßgebenden Teile an ein -Kunstwerk- gestellt werden. Jedes gute Werk, auch ein vollkommenes »Kunstwerk», muß, recht verstanden, ein Tendenzwerk sein, allerdings nicht ein Traktätchen im üblen Sinne, sehr verschiedene Arten von Jugendschriften sind gleichberechtigt (religiöse, patriotische, soziale, didaktische, abenteuerische usw.), wenn dahinter der rechte Mann oder die rechte Frau steht. Nicht das beste an sich ist für das Kind gut genug, sondern das beste, was es vertragen kann; es ist nicht nötig, daß jede Jugendschrift ein Kunstwerk ist; aber keine Jugendschrift darf ein Machwerk sein. Vieler guter Mitkämpfer an Büchern und Menschen haben sich die Lehrer dadurch beraubt, ohne daß der Ersatz immer zweifelsohne genügte oder besser wäre. Ein sachverständiger Hilfsarbeiter, der eigentlich der nächste dazu war und noch dabet umsonst arbeitete, ist ver gessen worden. Der Buchhandel ist bei diesem Kampfe — soweit es sich nicht um Freiexemplare oder Angriffe gegen ihn handelte — fast ganz vergessen worden. Er hat oft und schon lange durch seine berufene Vertretung, den Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig, erklärt, daß er nicht an der Verbreitung der Schmutz- und Schundliteratur beteiligt