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der Pflichten nennen könnte. Mann wie Weib sind daran ge wöhnt, daß man ein sich näherndes kleineres Wesen unerbittlich frißt. Auch eine Mitspinne. Auch eine männliche Mitspinne. Das letztere weiß die Spinne gleichsam aktiv, der Spinnerich passiv. Sie weiß, daß man auch einen solchen kleinen Spinnen mann als gute Beute einspinnt und verspeist, wenn er sich für- witzig zu nahe heran wagt. Er weiß, daß man sich vor der dicken Frau Spinne hübsch in acht nimmt und ihre energische Nähe nach Kräften flieht. Jetzt aber der Konflikt: die Liebe. Beide sollen auf einmal „in Liebe" zusammen kommen, sollen sich geradezu aufsuchen. Spinne und Spinnerich sind bei diesem Kreuzrittervolk wie bei aller Spinnensippe überhaupt von strengster Teilung des Geschlechts. Er hat zwei lange Samenschläuche im Leibe, sie zwei traubenförmige Eierstöcke. Einfach ins Blaue hinein zeugen ohne direkte körperliche Annäherung, wie es die faulen Austern treiben, giebt's hier nicht, denn so was ist überhaupt nur im Wasser und bei an sich schon gesellig dicht neben einander sitzenden Tieren möglich. Es hilft alles nichts: die beiden müssen zu einander. Die Geschlechtsorgane, selber tief im dicken Spinnen hinterleibe verborgen, münden bei Mann wie Weib in einer einfachen Pforte der Bauchseite. Das Regelrechte wäre also, Männlein und Weiblein machten nun doch für den Ausnahme fall einmal ernstlich Frieden und kämen auf dem Netz der einen Partei so zusammen, daß Pforte die Pforte berührte. Wenn's nur nicht so gefährlich wäre. Herr Spinnerich hat natürlich am meisten Angst. Wenn er nun wirklich einen Antrag wagt, ins fremde Netz klettert ein Korb bedeutet hier mehr als eine Herzenswunde. Wer hier abblitzt, der wird eingesponnen, ein gesponnen nicht im liebenden Sinne in Fäden des Herzens, sondern in sehr reale Hanfstricke — und dann kommt kein rosiger Küßmund, sondern eine fürchterliche wahre Messer-