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?NIM Mi» WHMiMiiWIrr Alüny« Rr 82. Freitag, den II April ISIS 4«. Jahrgang Helden der Pflicht. Ein Roman aus dem Lande der Mitternachtssonne Von Erich Friesen. 2d. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Nicht aus Feigheit will er den Damen heute abend fern bleiben. Aber erstens fürchtet er, durch eine Anwesenheit Ingeborgs ohnehin noch erregtes Gemüt auss neue zu beunruhn gen, und zweitens hofft er, Fräulein Arnold- sen werde vielleicht in der Zwischenzeit von der unglückseligen Neigung ihrer Nichte durch eine Andeutung aus deren eigenem Munde Kenntnis erhalten. Denn es widerstrebt seinem Zar.aesühl, vor die edle Frau hinzutreten mit der brüsken Meldung: „Ihne Nichte, der Sie so innig zugetan sind, hat sich in mich ver'iebt! Ziehen Sie die .Konsequenzen!" — Der Abend verläuft für die drei Damen überaus langweilig. Man hat sich schon so sehr an Erik Niels' Anwesenheit gewöhnt an sein frisches Gesicht, seine anregende Un terhaltung, sein heiteres Lachen, daß er allen fehlt. Ingeborg zieht sich bald nach dem Abend essen zurück. Eine Weile darnach verschwindet auch Madame Worse in ihren Gemächern. Sigrid bleibt allein im Wohnzimmer. Wie mechanisch nimmt sie ein Buch zur Hand und setzt sich an den Kamin, um zu lesen. Doch sic vermag es nächt, ihsre Gedanken auf die Lektüre zu konzentvieren; sie fühlt sich durch das Geheimnis, das über ihrer Nichte und dem Zeichenlehrer schwebt, beunruhigt. Kurz entschlossen, schickt sie einen Dftner zu Eri: Niels; sie sei allein und bereit, ihn wie er es wünschte — „unter vier Augen" zu sprechen. Erik ist aus diese Unterredung vorbereitet. Trotzdem klopft ihm das Herz, als er ietzt langsam die Treppe herunter schreitet. Er versucht, die gange Situation in für ihn gün- sligereni Licht anzusehen; vielleicht beschleunigt sie sogar seine Vermählung mit Gerda! . . . Vergebenes Bemühen! Seine Stimmung bleibt eine gedrückte. Die Unterredung mir der Herrin von Schloß Sandsgaard ist für beide Teile eine überaus peinliche. So zart wie irgend möglich erzählt Erik von dem eigentümlichen Resultat seines heu rigen Zu'ammen eins' mit seiner Schülerin, deutet er ihr unseliges Bekenntnis an, indem er versucht, es als den Ausfluß einer ihrer momentanen fixen Ideen darzustellen. Fn Sigrids Antlitz wechseln peinliche Uebcr- rafchung mit tiefer Erschütterung. Einmal, als Erik, eine Antwort erwartend, in seinen Mitteilungen innehält, bedeutet sie ihm durch e'ne stumme Geste, fortzu-ahren. „Schrecklich!" murmelt sie endlich, wie zu sich selbst, indem es um ihren seinen Mund zuckt, als wolle sie in Tränen ausbrechen. „Nicht so schrecklich, wie Sie denken, gnä diges Fräulein!" sucht Erik zu beruhigen. „Fräulein Ingeborg liebt mich nicht; sie bil det sich nur ein, mich zu lieben. Sie wird diese s.re Idee ebenso vergessen, wie sie andere vergessen hat!" Einen Moment ruhen Sigrids Augen for schend auf dem jungen Mann. Dann reicht sie Um herzlich die Hand. „Ich erkenne Ihre gute Absicht an, lieber Freund, teile sie aber nicht. Ich habe meine Nichte seit über elf Jahre studiert; ich weiß zu unterscheiden, was bei ihr fixe Ideen sind und was nicht. Ingeborg liebt Sie — liebt Sie mit der ganzen Innigkeit und Leiden schaft, wie nur ein Weib zu lieben vermag — vielleicht noch inniger, noch leidenschaftlicher, weil all ihre Sinne schärfer entwickelt sind, als bei uns geistig vollkommen gesunden, nor malen Menschen." Erik wagt nicht zu widersprechen Er selbst muß' im stillen der Schloßherrin recht geben. Den Kopf in die Hand gestützt, sitzt Sigrid eine Zeitlang schweigend, nachdenklich da. Dann kommt es leise von ihren Lippen: „Wären Sie frei, so würde ich Ihnen sa gen: Meine Nichte ist ein liebes gutes Ge schöpf. Versuchen Sie, sie wiederzulieben und —" Als traue er seinen Ohren nicht, tritt Erik -inen Schritt zurück. In seinen Augen brennt eine große stumme Frage. Sie beantwortet diese stumme, verwunder e Frage mit einem zustimmenden Neigen ihres schönen Hauptes. „Ja, mein Freund, das meine ich. Ihr Einfluß auf Ingeborg ist groß. Nach dem Ausspruch der Aerzte kann sie völlig gesunden, sobald sie ihre Gedanken, ihr Empfinden auf irgend etwas Großes konzentriert, das ihr Ge fühlsleben vollständig ausfiillt . . . Doch genug davon! Sie sind ja nicht frei!" Lange schwüle Pause. Das Ungewöhnliche der Situation wirkt auf beide gleich mächtig. „Ich halte Ingeborgs Liebe zu Ihnen für lo stark, daß ich glaube, die Mitteilung, Ihr Herz gehört bereits einer andern, wird eine Revolution in ihrem Innern Hervorrufen," bemerkt Sigrid endlich mit etwas verschleierter Stimme. „Die Nachricht wird vielleicht ihr Herz zu Tode verwunden, aber ihren Geist genesen lassen." „Fräulein Nrnoldsen!" „Ja. Ingeborgs Wahnsinn wird fernerhin ein anderer sein als vordem — er wird sich gewissermaßen in den Wahnsinn des gesunden, normalen Menschen verwandeln, der getäusch ten Hoffnungen und Wünschen nachweint. Morgen werde ich die HerzenAemPHindungen meiner Nichte genau untersuchen und ihr nach und nach die Mitteilung von Ihrer Verlobung beibringen, Herr Niels. Heute können wir in dieser Angelegenheit nur noch eines tun. Es gib: leider im Leben Worte, die gesprochen werden müssen, so schwer es einem auch wird. Sie verstehen mich?" Erik unterdrückt einen Seufzer. „Ich weiß, welche Worte Sie meinen, Fräulein Amoldsen. Ob die Neigung Ihrer Nichte für mich ihrem gesunden Empfinden entspringt oder ob sie einer ihrer fixen Ideen ist, gleichviel: ich muß Schloß Sandsgtzard — verlassen!" Tiefe Stille folgt diesen in gepreßten: Lone hervorgestoßenen Worten. Einen Mo ment bedeckt Sigrid d e Augen mit der Hand. Dann sagt sie scheinbar ruhig: „Wir werden Sie sehr vermissen, Herr Niels. In kurzer Zeit sind Sie uns so lieb und wert geworden, daß wir Sie fast als zu uns gehörig betrachteten." „Es gibt viele Zeichenlehrer auf der Welt!" wirft Erik bitter hin. „Gewiß. Aber ich nahm mir soeben die Fraiheit, an Sie als an einen Freund zu denken . . . Und nun noch ein Wort, bevor wir die>c Unterredung beenden! Es betrifft eine Laune meinerseits. Wollten Sie sie mir erfüllen?" Sie lächelt bei dieser Frage; deshalb be antwortet er sie ebenso. „Mit Vergnügen, Fräulein Arnoldscn wenn es in meiner Macht steht!" „Sie wissen nicht, wie sehr es mich schmerzt " fährt sie mit ersichtlicher Anstrengung fort „Ihnen sagen zu müssen: Sie haben sich in jeder Hinsicht als Ehrenmann benommen, Herr Niels; trotzdem müssen Sie unser Haus verlassen! . . . Ich bitte Sie nun —ihre Summe wird weicher, inniger — „mich nicht als Ihre Herrin, 'andern als Ihre — Freun din zu betrachten, und als diese spreche ich jetzt zu Ihnen: Ich entlasse Sie nicht aus Ihrer Stellung; ich bitte Sie irur um der Ruhe meiner Nichte willen — gehen Sie." „Ich verstehe Sie nicht, Fräulein Arnold 'en. Ich soll gehen, und trotzdem entlassen Sie mich nicht?" Zartes Rot steigt in ihre bleichen Wan gen, während ihre dunklen ernsten Augen ihn voll anblicken. (Fortsetzung folgt.)