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Beilage zum Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger Tageblatt. Nr. 260. Sonntag, den 8. November 1903. 30. Jahrgang. Wochenschau. Dieses Jahr 1903 wird mit Recht als ein solches der Fürstenbeqegnungen bezeichnet werden, denn niemals zuvor sind die Regenten und Staats oberhäupter der großen Mächte so häufig zu einer persönlichen Aussprache mit einander in Berührung gekommen, wie in ihm. Die Zukunft wird nun freilich erst zu beweisen haben, ob die Bedeutung, welche diese Begegnungen hatten, ihrer Zahl ent spricht. Was bisher als Tatsache bekannt geworden ist, der englisch-französische Schiedsgerichtsvertrag, dem wahrscheinlich ein solcher zwischen der fran zösischen Republik und Italien bald folgen wird, ist sehr schön vom idealen Standpunkte aus, aber praktisch von geringem Wert. Von noch viel ge ringerem, als s. Z. die Friedens-Konferenz im Haag es war. Denn immer wieder wird bewiesen, daß die internationalen Angelegenheiten, welche eine wirkliche Bedeutung haben, nie durch Tinte und Papier entschieden werden können; jeder Staat hat solche nationale Fragen, in die er sich von nieman den Hineinreden lassen kann und darf. Die Kaiserbegegnung von Wiesbaden hat durch die getroffenen sehr strengen Absperrungsmaßnahmen auch bewiesen, daß es wirklich die sozialistisch, anarchistischen Demonstrationen in Italien gewesen sind, welche den geplanten Besuch des Zaren in Rom vereitelten. Nikolaus II., oder seine Re gierung, rechnet mit dieser Strömung außerordent lich stark, denn sonst, sollte man meinen, würden solche Schritte auf dem deutschen Boden nicht er forderlich gewesen sein. Es ist gut, daß jede Störung unterblieben ist, und in dem Sinne kann man die Vorsichtsmaßregeln erklärlich finden, wenn sie auch deutschen Anschauungen gerade nicht ent sprechen. Zwei verdienten Männern galt die Teilnahme des deutschen Volkes in diesen Tagen in besonderem Maße: Der greise Theodor Mommsen, eine Zierde deutschen Geistes und deutscher Gelehrsamkeit, zahlte der Erde seinen Tribut. In allen Kulturländern gedachte man dieses Mannes, der nicht zum wenigsten dazu beigetragen, daß man die Deutschen noch immer mit vollem Recht ein Volk der Denker nennt. —Der verdiente Präsident der Deutschen Reichsbank feierte sein fünfzigjähriges Beamten- Jubiläum, ein Ereignis, dessen Bedeutung der Reichskanzler in seiner Ansprache an den Jubilar so recht würdigte. Aus unserem südwestafrikanischen Schutzgebiet kamen Meldungen von einem neuen Eingeborenen- Ausstand, der von unserer dortigen Schutztruppe Opfer gefordert. Nach ihrer Art übertreiben die englischen Zeitungen der nahen Kapkolonie den Tatbestand bedeutend. Mit Ruhe und Energie dürfte die Ordnung bald wieder hergestellt sein, da auch die Eingeborenen sich der Tatsache, daß sie die Stärkeren nicht sind, nicht verschließen können. Dazu kennen sie das deutsche Regiment zu gut. Mancherlei Minister-Verdrießlichkeiten hat es im Auslande gegeben. In Ungarn ist das neue Oberhaupt der Regierung im Reichstage zu Buda pest bei seiner Programm-Erklärung sofort mit ge waltigem Spektakel empfangen worden. Der Ministerpräsident Graf Tisza kann sich also der Erkenntnis nicht verschließen, daß er mit denjenigen seiner heißblütigen Landsleute, die am liebsten eine völlige Trennung zwischen Oesterreich und Ungarn herbeiführen möchten, in Güte ebensowenig fertig werden wird, wie sein Vorgänger. Es gibt, wenn die habsburgische Monarchie nicht auseinander fallen soll, nur den einen Weg: Biegen oder Brechen! Auch das neue italienische Ministerium Giolitti spürt, wenn es überhaupt auf Rosen gebettet ist, die Dornen gewaltig. Manches ist in der italienischen Verwaltung in den letzten Jahren besser geworden, viel mehr bleibt noch zu tun übrig. Und die öffentlichen, wahren Interessen kreuzen sich mit dem Kliquen-Egoismus nirgends mehr in der Welt, wie gerade in Italien. Auch der französische Premierminister Combes ist in einer Situation, die erkennen läßt, daß er nicht mehr allzulange das Steuer der französischen Politik in der Hand behalten wird. Es war vorauszusehen, daß er mit seiner mitunter doch etwas gar zu schroffen inneren Politik sich selbst ein Bein stellen würde, über das er zu Falle kommt. Der Sultan hat keine Lust, so ganz ohne weiteres alle Forderungen Rußlands, Oesterreich-Ungarns und der anderen Großmächte wegen Mazedonien zu bewilligen. Er erhebt Einwendungen und macht Gegenvorschläge, von denen allerdings vorauszuschen ist, daß sie ihm nicht viel nützen werden; seitdem zwischen Petersburg und Wien über die Behand lung der orientalischen Angelegenheiten ein volles Einvernehmen erzielt ist, ist es mit der türkischen Selbständigkeit des Willens und Wollens vorbei. Bulgariens uud Serbiens Regierungen rühmen, daß die inneren Verhältnisse sich in erfreulichster Weise entwickeln; daß das wahr wäre, ist zu wünschen, ob es wahr ist, das muß die Zeit lehren. Die Amerikaner haben es satt gehabt, sich mit dem Widerstand der kolumbischen Republik gegen den Panama-Kanalbau ärgern zu lassen. Eine niedliche kleine Revolution ist von ihnen angezettclt und gelungen. Die neue Republik Panama wird hinsichtlich des Kanalbaues alles bewilligen, was man in Washington haben will. Zu etwas sind solche Streiche mitunter also doch nütze. Der Rücktritt des Königs Peter I. von Serbien ist beschlossene Sache. Einem ausführlichen Be richte der „Post" darüber entnehmen wir das folgende: In unterrichteten Belgrader Kreisen wird feit einigen Tagen nicht mehr daran gezweifelt, daß Peter I. feine Abdankung beschlossen hat. Einen weiseren Entschluß hätte der Sonnenkönig garnicht fassen können. Wohin er blickt, Berge von Schwierigkeiten! Die Armee zerklüftet und in ihrer überwiegenden Mehrzahl ihm feindlich gegeuüberstehend. Die Finanzen zerrüttet, das Beamtenpersonal demoralisiert, die Situation des Königs gegenüber den fremden Höfen ganz un- möglich. Selbst der Peter früher wohlgesinnte Viktor Emanuel I^I. bewahrt dem Schwager gegen über eine frostige Haltung. Hohe Verwandte in Rußland ließen über die Unmöglichkeit, am Zaren hofe eine bessere Stimmung für Peter herbeizu führen, keinen Zweifel. Mit einem Fürsten, der unter der Vormundschaft von Königsmördern steht, will der Zar keine persönlichen Beziehungen pflegen. In dem europäischen Herrscherkreise isoliert, ja von diesem ausgeschlossen, mußte der Karageorgiewitsch auf dem Jsolierschemel für sich die beschämendste, für das Land die unglücklichste Rolle spielen. Was blieb ihm übrig, als Adieu zu sagen und von der Bühne der blutbefleckten Herrschaft zu desertieren. Die Verschwörer werden die Durchführung des Abdankungsentschluffes natürlich mit allen Mitteln zu verhindern suchen; gleichwohl ist Peters Glück erloschen, sein Stern im Untergange begriffen. Ein Privat-Telegramm der „Nat.-Ztg." be stätigt die obigen Angaben, wobei noch mitgeteilt wird, daß die Gegner der Königsmörder im Be sitze schriftlicher Belege sind, aus denen hervorgeht, daß der König den Helden der 11. Juni-Nacht gegenüber gewiße Verpflichtungen hat. Dev reichste Mrst. Kaiser Nikolaus II. von Rußland darf unter den Fürsten der Erde als der reichste und mäch tigste bezeichnet werden. Seinem Willen gehorchen blindlings ungezählte Millionen, was er befiehlt, das geschieht. Seine Hcrrschergewalt reicht über unermeßliche Gebiete, sein Wort ist ein Macht spruch, gegen den es keine Berufung gibt. Der Selbstherrscher aller Reußen ist der reichste Fürst. Aber dem schrankenlosen Machthaber fehlt etwas an seinem Glück; es gibt kaum einen unruhigeren und verwöhnteren Fürsten, als den Zaren. Die beständige Sorge vor Anschlägen läßt dem Zaren bei Tag und bei Nacht keine Ruhe. Der kleinste Raum, auf dem er sich unbedingt sicher und gegen feindlichen Anschlag geschützt weiß, wird ihm zur Stätte tief empfundenen Glücks. Seme Anfprüche an das Leben sind bescheidener als die der meisten von uns. Nur nicht dieser entsetzliche Gedanke, in steter Lebensgefahr zu schweben, nur nicht bei jedem Geräusch zusammeuschrecken, bei jeder un erwarteten Bewegung erbleichen müssen. Seit dem Eisenbahnattentat bei Borki, dessen Zeuge der Zar noch als Thronfolger wurde, ist er sich klar über die ihm drohenden Gefahren. Seine Umgebung, namentlich die Leiter der Geheim- und Sicherheits polizei, haben nie etwas getan, um die Erregung ihres Gebieters zu beschwichtigen, haben vielmehr durch geflissentliche Uebertreibung selbst harmloserer Vorgänge die Aengstlichkeit und Nervosität des Zaren noch bestärkt, in der offenbaren Absicht, ihn fest und unentrinnbar in ihre Hand zu bekommen. Wie weit diese Bemühungen schon gediehen sind, hat man gelegentlich des österreichischen Besuchs in der Meidung von Wien, hat man in der Ab sage des Rombesuches und hat man jetzt wieder in den ganz beispiellosen Absperrnnqs- und Sicher heitsmaßnahmen zum Schutze des Zaren in Wies baden ersehen können Der reichste Fürst! Wer wird da nicht an das Lied „Preisend mit viel schönen Reden" erinnert, wo Eberhard von Württemberg von seinem Lande spricht: Doch ein Kleinod hült's ver borgen: Daß in Wäldern, noch so groß, Ich mein Haupt kann kühnlich legen jedem Untertan in Schoß!" „Graf im Bart, Ihr seid der reichste, Euer Land trägt Edelstein!" riefen einstimmig die anwesenden Fürsten aus. Was würde der reichste Fürst der Gegenwart, was würde der Zar geben um dieses Glück des Württembergers! Lebens-Anschauung und Erziehung. Nicht erst seit gestern und vorgestern ist daraus hingewiesen daß die moderne Lebens-Anfchauung und Lebenshaltung, wie sie sich bei uns seit Mitte der neunziger Jahre entwickelt hat, nicht Jeder mann bekommen ist, wie sie auch auf die Erziehung der Jugend im Elternhause Rückwirkungen geübt hat, die nicht als erfreulich und vor allem nicht als dem deutschen Charakter entsprechend bezeichnet werden können. Der Hang für Aeußerlichkeiten ist bei nicht Wenigen zu groß geworden, und wenn ein gesundes, in vernünftigen Grenzen sich halten- des Umtun in zeitgemäßen Unterhaltungen und Hebungen auch nicht im Geringsten verurteilt werden soll, bedenklich ist es, wenn aus der angenehmen Nebensache die ausschlaggebende Hauptsache wird. Wir können den Sport als eine dem Körper und der Körpergewandtheit nützliche Einrichtung begrüßen, aber für uns Deutsche ist das völlige Aufqehen in Sportwetten und dergl. nicht passend. Es steht uns nicht! Wir sprechen so oft von englischer Krämer-Politik und amerikanischer Jagd nach dem Dollar, daß wir nicht vergessen dürfen, nicht selbst auf eine solche schiefe Ebene zu geraten. Höher als eine derartige Unterhaltung steht die mit geistigen, idealen Dingen! Die Aeußerlich keiten allein stumpfen ab, sie führen zu einem über triebenen Hang nach Genuß, zu einem Leben, das als höchste Glücksquelle ein volles Portemonnaie betrachtet. Was kommt, wenn, wie fo häufig, an Stelle der Geldflut die Ebbe eintritt, das sehen wir in zahlreichen betrübenden Zeiterscheinungen, in den Bildern, die sich in den Gerichtssälen, bei den Verhandlungen vor dem Schwurgericht und der Strafkammer abspielen. Die modernen Eng länder und Amerikaner haben sich auf ganz anderer Lebens-Anschauung und Erziehung,' als diese bei uns geltend waren, entwickelt. Wir haben allen Anlaß, unsere natürlichen Anschauungen mit den modernen Neigungen in Einklang zu bringen, das heißt, die letzteren nach den ersteren zu regulieren. So manches fatale Zeitbild, das mit Ausdrücken der Teilnahme und des Bedauerns überhäuft worden ist, hat seinen Ursprung in gar zu modern gewordener Lebens-Anschauung und Erziehung. Diese Erkenntnis ist jetzt allgemein wach geworden, und es ist nur zu bezeichnend, daß unfer Kaiser kürzlich Anlaß genommen hat, Gehorsam, Einfach heit und Herzensbildung für die Heranwachsende Jugend zu empfehlen. Er hat das seinen eigenen Söhnen vorgehalten, weil er weiß, wie gewaltig der Einfluß der Zeit auf junge Leute ist, und diese Worte sind vor allem deshalb von solcher Be deutung, weil bei so vielen Leuten die Anschauung vorherrscht: Mag allen andern Kindern eine Zurecht weisung zu Teil werden, für die meinigen ist es nicht nötig! Diese Lebensanschauung der Eltern, die Unlust, sich gewissenhaft mit ihren Kindern zu beschäftigen, die Neigung, mehr an die eigene Unter haltung, als an die treue Erziehung ihrer Kinder zu denken, wirkt auf die Jugend zurück und ändert sie gegen früher gewaltig. Noch denkt wohl die große Mehrzahl deutscher Eltern wie einst, aber nicht wenige nehmen die Sache schon zu leicht. Sie sehen auf Eleganz und Chic schon bei der Jugend, ohne zu beachten, daß Wissen und Ein fachheit viel mehr wert ist. Die Kindesurlterschiebung der Gräfin Kwilecka vor Gericht. Zehnter Tag. Berlin. 6. November. Die Zahl der Zeugen scheint sich nimmer zu verringern; beim Aufruf füllt sich der Raum vor dem Gericht«tische wieder bis zum letzten Plätzchen. Ein großer Teil der Zeugen wird bi» Montag entlasten, e« sollen noch verschiedene weitere Zeugen geladen werden. Verreist oder nicht verreist? Eine Gruppe von Zeugen, die vernommen wird, gehört zu dem Thema: ob die alle Andruszewska am 27. Januar 1897 verreist war. Der Arbeiter Johann Sucharski aus Wroblewo erklärt zunächst mit großer Bestimmtheit, daß Frau Andruszewska nicht verreist, sondern in Wroblewo anwesend war; auf wiederholte Vorhaltungen d-s Vorsitzenden und Mahnungen zur Vorsicht erklärt er dann: er könne sich nicht erinnern, daß sie verreist war, und habe insbesondere nicht bemerkt, daß sie zu jener Zeit mehrere Tage von Wroblewo abwefend war. — In demselben Sinne spricht sich eine andere Zeugin au» Wroblewo au». Der Vogt Josef Kaczmarek erklärt, daß er am I. Januar 1897 aus Wroblewo in Dienst getreten sei und ganz bestimmt miste, daß die Andru«zew»ka in der ganzen Zeit, seitdem er dort im Dienst war, nicht verreist war. Er bleibt bet dieser Erklärung trotz vielfacher Vorhaltungen. (Pause.) Vorsitzender und Verteidiger. Nach Wiederaufnahme der Sitzung bemerkt der Vorsitzende: Wie vom Richtertische gesagt worden, hat, als der letzlvernommene Zeuge nach längerer Befragung erklärte, „er habe e« so in der Erinner ung", Hr. Justizrat Wronker die Zwischenbemerkung gemacht: „So weit bringt man die Zeugen!" Ich bitte um eine Erklärung über diese Bemerkung. Justizrat Wronker: Ob ich das Wort gebraucht habe, weiß ich nicht, ich möchte fast behaupten, daß ich gesagt habe: „Soweit kommen die Zeugen!" Ich müßte verlangen, daß derjenige, der von mir eine solche Erklärung gehört haben will, diese Be hauptung mir zunächst in« Gesicht sagt. Ich bitte doch zu berücksichtigen, daß man in diesem lang wierigen und aufregenden Prozeß, in dieser furcht baren Atmosphäre schließlich auch "ervös wird und daß einem mal auch wohl ein Wou entfliegen mag, wa» wirklic!' nicht böse gemeint ist uud daß man doch nicht alle« so auf die Wagschale legen sollte. Ich weiß nicht, wie ich dazu kommen sollte, hier etwa« den Präsidenten Beleidigende« zu sagen. Sollte ich etwa« gesagt haben, wa« nicht richtig ist, dann tut e« mir leid. — Präsident: Geben Sie zu, daß e« eine Beleidigung wäre, wenn Sie sich so au«gedrückt hätten, wie behauptet wird? — Ein Geschworener erklärt hierzu: Er habe ganz genau gehört, daß der Justizrat nur gesagt hat: .Soweit kommt schließlich jeder Zeuge!" — Justizrat Wron ker: Jedenfall« war meine Bemerkung nur objektiv gemeint und hatte keinerlei subjektive Spitze. Ich bin gewöhnt, die Wahrheit zu sagen. Jeder Ge danke, den Vorsitzenden eine« königlich preußischen Schwurgericht« und insbesondere diesen Herrn Vor sitzenden zu kränken, hat mir völlig fern gelegen. Fall« ich wirklich etwa« Unpaffende« gesagt haben sollte, nehme ich e« zurück. Erster Staatsanwalt Steinbrecht: Nachdem der Herr Justizrat seine Aeußerung zurückgenommen, sehe ich von Stellung eine« Anträge« ab. Ein Gläubiger der Gräfin. Der nächste Zeuge, Posthalter und Schulkaffen rendant KloSkiewtcz ist Gläubiger der Gräfin seit 1900. Er hat ihr aus Schuldschein und Wechsel etwa 5000 M. geborgt. Er gibt zu, daß er seine Forderung für gesicherter hält, seitdem die Offowtka im Zivilprozeß in Posen beschworen hatte, daß die Gräfin in der Tat in anderen Umständen gewesen, der Knabe also wirklich ihr Sohn ist. Auf die Frage de« Verteidiger» erklärt der Zeuge, daß er die Ossowska für eine brave, anständige und reli giöse Frau gehalten habe. Seine Meinung über sie habe sich aber geändert, nachdem er erfahren, daß sie einen Meineid geleistet habe. Der Gastwirt Kaskowiac ist derjenige, bei dem die gestern verhaftete Frau Wieckowrka vor ihrer Abreise nach Berlin zur Ver nehmung ein Gla« Schnaps getrunken haben soll. Der Zeuge bestreitet entschieden, daß er bet dieser Gelegenheit der Wieckowska irgendwelche Direktiven über ihre Aursage gegeben, oder ihr gesagt habe, daß sie in Berlin sagen solle: die Andru«zew«ka sei nicht verreist gewesen. Er selbst wisse, daß die alte Frau am 27. Januar in Wroblewo anwesend war, denn er sei an jenem Tage auf« Gut gegangen, um ein Schwein zu verhandeln, und al« da da« Telegramm mit der Nachricht von der Geburt de« Knaben ankam, sei die alte Frau anwesend gewesen und habe sich über das Telegramm sehr gefreut. Der vorher vernommene Zeuge KoSltewicz wird nochmals über seine etwaige Kenntni« von der An wesenheit der alten Andru«zew«ka befragt. Er erklärt, daß fein Schwiegersohn, der Wirtschafts inspektor Josef Bialecki, der seinerzeit in Wroblewo war und jetzt in Borkow bei Kalisch ist, ihm gesagt habe: er erinnere sich nicht, daß die Andruszewska in der kritischen Zett verreist gewesen sei. — Staatsanw. Dr. Müller macht darauf aufmerksam, daß dieser Schwiegersohn Bialecki im Gegensatz hierzu bei seiner Vernehmung nicht« von „erinnern" gesprochen, sondern stets und fest behauptet habe: er wiße ganz genau, daß die Andruszewska nicht verreist gewesen ist. WirlschastSinspektor Bialecki wird im Anschluß an seine Aussage in ein lange« und sehr eindringliche« Kreuzverhör genommen. Er erklärt: Die alte Andru«zew«ka sei am 27. Januar entschieden nicht verreist gewesen. Er wisse die« ganz genau, denn er fei tagtäglich mit der alten Frau zusammen gewesen und wenn sie verreist gewesen wäre, hätte er ihr auch den Wagen stellen müssen. Sein Verhältni« zu der alten Frau sei ein so innige« gewesen, wie dar eines Sohne« zur Mutter ; e« sei kein Tag vergangen, an welchem er nicht bet ihr gesessen; so zwar, daß die Hedwig manchmal zu ihrer Mutter gesagt habe: „Du willst ihn am Ende noch gar heiraten?" Es sei ganz unmöglich, daß die alle Frau in der Zett vom 1. Oktober 1896 bi« 27. Januar auch nur aus 2 Tage von Wroblewo abwesend gewesen sein könne. Ec könne nur vom 27. Januar 1897 nicht behaupten, ober sie vor- oder nachmittag« gesehen habe. Der Vorsitzende macht ihm eine lange Reihe von Vorhaltungen, um ihm klar zu machen, daß es doch ganz ungeheuerlich sei, wenn ein Zeuge nach 6 Jahren sich mit solcher Bestimmtheit aus so lange zurückliegende Dinge, über die er bi« dahin noch nicht vernommen worden ; so ganz bestimmte Behaupt ungen ausstellen und namentlich auch die kühne Be hauptung aussprechen wolle: er sei tagtäglich mit der alten Frau zusammen gewesen. Damit stimmen doch die Aussagen anderer Zeugen nicht überein, ebensowenig die Tatsache, daß der Zeuge seinem Schwiegervater nur gesagt habe: er „erinnere" sich nicht. Auch von den Vertretern der Anklagebehörde, von den Verteidigernundvon der Geschworenenbankwerden dem Zeugen die verschiedensten Vorhaltungen gemacht. Er bleibt aber immer und immer dabet: die alte Andrutzewska ist entschieden nicht verreist gewesen, sie war überhaupt vom 1. Oktober 1896 bi« 27. Januar 1897 nur ein Mal in Posen bet ihrem Schwiegersohn. Die Frau diese- Schwiegersohnes, Stefanie Andruszewska, wird vorgerufen und erklärt, daß ihre Schwiegermutter mehrmal« in Posen war. Der Zeuge antwortet, er bestreite es und wenn die Zeugin e« zehnmal sage. Auch die Hedwig Andruszewska wird vorgerufen und erklärt dem Zeugen mit Hilfe de« Dolmetscher«: „Du hast doch gerade, al« meine Mutter am 27. Januar von der Reise zurückkehrte, sie begrüßt mit den Worten: „Es ist ja ein Junge angekommen!" Der Zeuge bestreitet die« entschieden. Die Mutter sei am 27. Januar anwesend gewesen, al« da« Telegramm eintraf. — Hedwig Andru«zewSka: