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,/Es sang ein Kind!" Von Josef Peter Kiendl. «Nachdruck verboten.) i „Was ist ein Lied — erzähle — ' Es liegt darin ein wenig Klang, l Ein wenig Wohllaut und Gesang Und eine ganze Seele." ! (M. v. Ebner-Eschenbach.) Mit einemmal hielt es der Peter nicht mehr aus I in der Fremde! Als er durch das Städtchen Almelo I stiefelte, wußte er erst so ganz in der allertiessten Tiefe > seiner Seele, warum er sich aus der eigentlich doch bis- > lang so gastlichen Fremde beinahe fluchtartig auf die I Socken machte. Blutheitz sang sein fremd gewordenes I Herz das heimliche Lied der Sehnsucht. — Heimweh?... ; Heim...weh!... Das war's! — Nur das! — Beinahe » zwei lange, wechselvolle und doch so rasche Jahre war I er fern der Heimat gewesen. Hatte ein Dach überm I Kopf gefunden in einem fremden, wesensanderen Land, > hatte Arbeit gefunden, richtige, gute Arbeit, hatte sogar « einmal an einem schönen Tag ein schönes Mädel gesun- I den, das mehr ihm ward als eine Liebschaft, die ihm I sogar sein einziger Kamerad geworden war. — Aber ; all das Schöne hals nicht seinem unruhigen Herzen, hielt » ihn fest in dem Land, das er beinahe anfing wert zu I halten, wie man eben ein schönes Stückel Erdenwinkel > liebgewinnt. Schöne Wandertage waren's, harte ; Arbeitstage waren's — sehnsüchtige, zeitlose Tage » wurden's! — Und als Peter Rast machte, gerade unter dem alten > Trutzgemäuer des Schlosses der einstigen Grafen von » Limpurg, schotz ihm so allerhand durch den schweiß- ! perlenden Schädel. Herrgott ja! Wie die Zeit verging! I Zwei Jahrrunden waren's genau aus den Tag, als er > zum erstenmal diese Landesgrenze überschritt, desselben » Landes, das er in abgehetzter „Walze" heute verließ, > heute noch — und wieder — endlich — vor dem letzten I rot-weiß-blauen Grenzpfahl stehen wird — und — vor ! dem wieder ersten schwarz-wcitz-roten. Schön war's » — gastlich war's, das ganze Land, die ganze seltsame i Zeit in der Fremde. — Die Häuser mit den schmalen I Vorderseiten, aus schwarz-roten Klinkern, mit weitz- f gekalkten Fugen, und dem Balken am Giebel hat er » fast so liebgewonnen wie die heimatlichen Holzhäuser ! mit ihrem Altan und ihren Moosdächern. Die Glocken- ! spiele mit ihrem viertelstündigen Klingelklang haben gar > oft das Herz schwer gemacht, weil's manchmal fast so » klang wie das „Ettaler" oder „Birkensteiner" Glöckel. — i Die „Gaper" (Gähner), die bemalten Mohrenköpse an I den Kolonialwarenlädcn, waren ihm gleich heimatlich ! vorgekommen wie fast derselbe „Türk" im heimatlichen > Jnnstadtl, der beim Kramerbartl in der „Auslagen" ! stand. — In der ersten Woche, im gar nicht mehr so I fremden Land, heimelte ihn die große Buchsbaumkrone ! mit Flittergold über der Haustür an, wenn er dorten > seine frischen Heringl einkauste. „Tapperij" und „sterke i Dranken" — klangen dem Peter bald fo heimatlich wie I die gewohnten Ausdrück zuhaus, wann er sich sagte: » „Jetzt hol ich mir ein Packel Tabak" — oder — „ich » trink' mein' Halbe beim — Zipfelwirt!" — — die ! „stoofjes" (Fußwärmer) der holländischen Marktweiber ! waren ihm gar nichts Neues, weil fast dieselben z'haus ! die „Salatkattel" und die „Suppengrün-Walber" am » Kirchplatz auf ihre Marktständ' auch so hatten. — Und i das Scheuern und Schrubben! Mit derselben Leiden- I schäft hat solches sein Mutterl zuhaus — samstags — ! g'rad so herumgewirtschastet. — Tas wär's also nicht gewesen, was ihn hcimatsehn- I süchtig gemacht hätt'. — Auch die Volkstrachten nicht, die ! er im Land um die Zuidersee geschaut hat. Die waren » Wohl farbenschön — aber nicht so derb und so praktisch ! wie die heimatlichen. Und arg viel Wasser, g'rad soviel, i wie zuhaus arg viel Berg' waren! Und vielleicht hat ! doch das weite Wasser, das in stillen, dunklen Kanälen » träge floß, den Peter ein bissel traurig gemacht? Die » Windmühlen waren Wohl manchmal auch ganz lustig, I aber wenn die arbeitsunlustig mitten in der Landschaft ruhten und ihre Flügel starr in die Luft spreizten und I gar so ums Abendwerden rum, die machten ihn traurig! » — Das Weidvieh war beinah' so gut gestellt wie das > Almvieh zuhaus auf der „Hinterrißalm". Aber der Stier I und die Kühe hatten da wieder so arg merkwürdige I Namen: „Beemster" — Gouda" — „Rutger"! — Es war halt doch ein bissel anders wie in der ! Heimat! Gearbeitet hat er zu allem Glück fast immer in I der Fremde, der Peter, und das harte Tagewerk hat als- I dann ihn nicht ins Spintisieren kommen lassen. — Und » so hat er's auch immer ausgehalten und das wehleidige ! Gefühl um die ferne Heimat gewaltsam damit unter- I drücken können. Einmal aber ging's nimmer, und das I war die seltsamste und einfachste Sach' — Und der Peter wußte in Almelo, in der Raststunde, I an der Schloßmauer immer noch nicht so recht, wie's so j plötzlich über ihn gekommen war — das Arbeitaufsagen, « das Auf-die-Walze-Gehen — das Nachhauserennen! — ! „46 Kilometer naar Bentheim" stand's auf dem rot-weiß- > blau gestrichenen Wegweiser an der Landstraße. Und die ! mußte er schaffen — bis in die tiefe Nacht hinein! — Er hat's geschafft. — Als in Gildchaus ein winziges, ! unsichtbares Turmglöckcl ihre elf Schläge in eine nebcl- l kriechende Nacht hineinbimmelte,, stand der Peter vor > einem Schlagbaum, unter einer Straßenlaterne, neben ! einem Grenzbeamten, der seine Papiere studierte, mit ! ihm alsdann eine lange, dünne Zigarre anrauckne und I ihm ein mögliches Nachtquartier im winzigen, schlafenden > Ort wies. — Der Peter war nicht nur steinmüdc — schwcißfrö- I stclnd — hungrig und durstig — er war ganz anders l mitgenommen —. Er war wie ausgewcchsclt, als er ! mit dem Grenzer die ersten Sätze in seiner Heimatsprache I gewechselt hat, als er den festen Druck der Männcrhand I — wie den treuen Gruß der Heimat spürte! — Nach I Mitternacht lag er in einem tiefen, weichen Federbett- . kästen und schlief den Schlaf eines wandermüdcn jungen i Menschen. — — Und dann kam ein sonncnfunkclnder I Morgen unter einer qucllfrischen Pumpe, ein Morgen- I imbitz mit einem handfesten Stück Brot und Speck und , einem Pott Milch. — Und dann kam ein himmelweites I Drübernachdenken über den Peter, als er vor'm weit- I offenen Fenster ganz deutlich den schwarz-weiß-roten I Schlagbaum sah, querweg. über die holzgepflasterte ! Straße. — ! Er zählte in all seinem verwirrten Fühlen die bun- I ten Kringel des Schlagbaums — 1 — 2 — 3 bis 12. — I Sah am Grenzschranken ein winziges Menschenkind tur- ; nen — hin- und herschwingen. — Ein landfrisches Mädel - so an die 7 oder 8 Jahre war's. Und dann sah er noch, I wie ein zweites — größeres, so an die Zehne, herbei- I sprang, der kleinen Kameradin ein schmales Büchl zeigte. ; — Beide Kinder hörte er lachen — kinderbcrzlich lachen, » so daß er, wie in einem plötzlichen Schreck, sein Milchglas l verschüttete. — Dann hörte er etwas aufklingcn — zuerst I ganz zag und sein, wie verstecktes Vogelzwitschcrn — ; lauter — kecker — schallend — in aller Reinheit eines » unbefangenen, quellklaren Kindersangcs. — Ein Lico I sang in einen Morgen — in einen deutschen — Heimat- I morgen! — In ein wanderiniides Menscbcnherz. — Ein j Lied, das zwang in der erschütternden Einfachheit eine ' sehnsüchtige Menschenscele — das sang: „In einem kiiblen Grunde da gebt ein Mühlenrad " I Und als die liedfrohen Kinder und der abseits- I stehende — mitsingendc Peter die Slropbe hinjubilienen: I „Fch möckn' als Spielmann reisen Weil in die Well hinaus, « Und singen meine Weisen, Und geb« van Haus zu Haus." da hat's den Peter so recht gepackt! — Da bat sein f Herz einen Schluchzer getan, da bai er sich ganz, ganz ' leis' den Rucksack ausgeschuUen, sein Gr-ionuckel auss I Fensterbrett gelegt und ist mit leisen, vorsichtigen, aber I ganz langen Schrillen ans die Landnras;' geschritten — f immer länger — immer schneller immer weiter — ? weiter ins Land hinein — ins — denische Landl I