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lebendig gearbeitet. Der Stadtverein Chemnitz veran- < stattete nach dem Beispiele des Dresdner Stadtvereins einen Cyklus von Vorträgen zur Einführung in die Innere Mission und eine größere Anzahl von Frauen vereinen in der Umgegend von Chemnitz wollen ihr Interesse der Rettung verwahrloster Mädchen zuwenden, ein Beweis, daß das Verständnis für die Magdakenensache auch auf dem Lande mehr und mehr wächst. Der Dresdner Frauen verein zur Aürforge für die weißliche Jugend pflegte weiter seine Unternehmungen für zuziehende Mädchen in der Bahn hofsmission, für alleinstehende gefallene Mädchen in der Zu fluchtsstätte, für Fabrikarbeiterinnen im Mädchenheim, für Kellnerinnen in einer Weihnachtsfeier und sonstigen Zu- fammenküuften und für wirtschaftlich Bedrängle in seiner Darlehnsarbeit. — Die unterstützende Tätigkeit des Landes vereins erstreckte sich ferner auf die Männer- und Jüng lingsvereine, «die Jungfrauenvereine werden in Sachsen noch als Stiefkinder behandelt, während man in Preußen und besonders in Berlin großes Verständnis und Interesse für sie zeigt. Anm. des Herausg.), auf die Fürsorge für Wandernde (Herbergeil zur Heimat), auf die Belebung des Interesses sür die Seemannsmifsiov im Königreich Sachsen, auf den Kampf gegen die Trunksucht und Nnstttkichkeit. Außerdem hielt der Vereinsgeistliche auswärts zahlreiche Predigten lind Vorträge zur Förderung der inneren Missions arbeit. Angesichts des großen Arbeitsfeldes des Landes vereins ist auch sein Rechenwerk ziemlich umfangreich. Es zeigt in den Schlußziffern für 1902 in den Einnahmen 34J47 Mark, in den Ausgaben 20,048 Mark, im Kasfen bestand 8,099 Mark und im Vermögensverzeichnis 86,999 Mark. An Vermächtnissen erhielt der Verein insgesamt 2,850 Mark und ferner flossen ihm zu vom königlichen Hofschauspieler a. D. Richelsen 12,000 Mark und von dem Rentner Jahn in Dresden 1500 Mk. für die Epilep- tischen-Anftalt Klein Wachau, 1000 Mark von dem ver storbenen Geh. Rat Pros. D. Luthardt für die lutherische Seemannsmission. Die Zahl der Landesvereinsmitgliedec stieg im Jahre 1902 auf 536. Aus dem Direktorium schied Herr Consistorialrat Hofprediger Klemm in Dresden infolge Krankheit aus. Ehescheidung und Wiedertrauung Geschiedener. (3. Fortsetzung.) Als 2. Grund zur Ehescheidung gibt das Gesetz Lebens- nachstelluvg an. Wenn dieser Grund unter dem Gesichtspunkte aufgestellt worden ist, daß man hier die Ehescheidung zur Ver hütung von Schlimmerem vollziehen solle, so erheben sich die eben dargelegten Bedenken. Wir können weder den Satz: Man soll die Ehe scheiden, um Einen vor der Sünde des Mordes zu bewahren, noch den: Man soll scheiden, um Einen vom Tode zu retten, oder populär ausgedrückt: „Man kann keinem Menschen zumuten, bei Einem zu bleiben, von dem er fürchten muß, daß er ihn totschlägt," für richtig halten. Wohl aber kann man sagen: Wo es in einer Ehe so steht, daß der Eine nicht etwa bloß den Anderen einmal im Zorn bedroht, sondern ihm planmäßig nach dem Leben trachtet, das ist dann überhaupt keine Ehe mehr, da ist das innerliche Band, welches die Gatten verbinden soll, gelöst. Mit dieser Begründung würde sich Lebensnachstellung als Scheidegrund rechtfertigen lassen. Der 3. Grund im bürgerlichen Gesetzbuch ist die bös liche Vkrkassuag. Mußten wir früher diesen Scheidegrund bei Bürgern des Reiches Christi ablehnen, so ist er hier bei der staatlichen Gesetzgebung anzuerkennen. Durch die bösliche Verlassung ist die Ehe tatsächlich gelöst, und während die christliche Liebe alles hofft, also immer und unbeschränkt auf eine Rückkehr des abtrünnigen Gatten hofft, hat der Staat gewiß das Recht, eine Probezeit festzusetzen (nach dem B.-G.-B. ein Jahr), und ist diese Zeit verstrichen, ohne daß die Gatten sich wieder vereinigt haben, anzunehmen, daß diese Wiedervereinigung überhaupt nicht mehr erfolgen wird und daher die tatsächlich gelöste Ehe nun auch recht lich zu lösen. Es folgt 4.) Verschuldung einer tiefe« Zerrüttung des eheliche« Levens. Kann man hier auch nicht in Ab rede stellen, daß diese Bestimmung recht dehnbar ist und dem Ermessen des Richters großen Spielraum läßt, so muß man sie doch als prinzipiell richtig anerkennen. Es ist der Fall, daß durch Herzenshärtigkeit des einen oder beider Ehegatten die Ehe innerlich bereits gelöst ist und dies dann nur noch rechtlich konstatiert und ausgesprochen ivird. Endlich kommt noch ü j Geisteskrankheit. Es ist eine vielumstrittene Frage, ob Geisteskrankheit als Scheidegrund gelten könne. Diejenigen, welche dafür sind, begründen dies damit, daß durch die Geisteskrankheit doch das ehe liche Band tatsächlich gelöst sei; man habe Geisteskrankheit gerade so anzusehen wie den Tod. Bedenken werden ge ¬ äußert von juristischer und von theologischer bez. religiöser Seite. Die Juristen sagen, dieser Scheidegrund falle gänz lich aus dem Rahmen der übrigen heraus: denn während es sonst Grundsatz sei, daß nur bei Verschuldung eines Ehegatten geschieden werden könne, falle dieser Moment hier weg. Von religiöser Seite wird geltend gemacht, daß eben gerade in solchem Falle das Traugelübde, daß Mann und Frau in Freud und Leid zusammenhalten sollen und wollen, es ausschließl, daß hier Scheidung eintrete. Diese Bedenken haben sicher große Berechtigung. Im Allgemeinen können wir wohl mit den Bestimm ungen unseres Gesetzbuchs zufrieden sein. Es wird darin ebensowohl der nun einmal vorhandenen Herzenshärtigkeit ivie dem Ernste des ehelichen Bundes Rechnung getragen, und das Gesetz ist, gerade wie Mosis Scheidebrief, nicht eine Aufmunterung zu Ehescheidungen, sondern ist ge eignet, der Willkür Zügel anzulegen. Nebenbei sei ein gutes Wort Ahlfetds aus einer Ehepredigt erwähnt: „die Obrigkeit sollte zuerst in väterlicher Weise darüber wachen, daß nicht so viele leichtsinnige Ehen geschlossen würden; dann wäre sie auch nicht genötigt, so viele Ehescheidungen zu erlauben." Diesen unbedingt richtigen Standpunkt hat das B.-G.-B. nicht eingenommen; es ist tief zu beklagen, daß es das Alter, bis zu welchem Kinder für die Ver ehelichung an die Einwilligung der Eltern gebunden sind, von 24 bez. 25 Jahren auf 21 Jahre herabgesetzt hat. Wir sagen zusammenfassend: Im Staate sind neben dem Ehebruch wegen der Herzenshärtigkeit noch andere Scheidegründe zulässig. Maßgebend hierbei muß sein, daß der Staat nicht das Recht hat, faktisch noch bestehende Ehen zu lösen, sondern nur das, bei Ehen, welche äußer lich oder innerlich schon gelöst sind, auf Antrag nun auch die rechtliche Scheidung auszusprechen. v. I>ie Nichtigkeitserklärung vo« Khe«. Da die staatliche Gesetzgebung auch diese Form der Auflösung einer bestehenden Ehe kennt, müssen wir sie wenigstens kurz behandeln. Nach unserm bürgerlichen Ge- setzbuch wird eine Ehe für nichtig erklärt 1., ohne Antrag eines Ehegatten vom Staat aus eigner Machtvollkommen heit entweder wenn die Ehe durch Verschulden der Braut leute nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise geschlossen worden ist (ist es ohne Verschulden der Brautleute ge schehen, so bleibt die Ehe bestehen), oder wenn Verhältnisse vorlagen, nach denen die Ehe überhaupt nicht hätte ge-