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Beilage zum Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger Tageblatt. Nr. 79. Sonntag, den 5. April 1903. 30. Jahrgang. Oertliches und Sächsisches. Hohenstein-Ernstthal, 5. April. *— Palmarum. Der heutige Sonntag, der Palmsonntag, an welchem dereinst der Heiland unter Hosiana-Rufen seinen Einzug in Jerusalem hielt, öffnet uns die Pforte zur ernsten Charwoche, zu der Leidenswoche, die uns die Liebe und das Dulden des Erlösers vor Augen und zu Herzen führt; der Palmsonntag ist aber auch der Tag, an welchem viele Tausende junger Leute in die Reihen der erwachsenen Christen anfgenommen werden, um dann früher oder später das treu sorgende und schirmende Vaterhaus zu verlassen und aus eigenen Füßen zu stehen. Mit seuchtem Auge, mit Segen spendendem Liebesblick schauen die Eltern auf ihre Lieblinge, Freude und Stolz und Dankbarkeit erfüllen die Brust, daß cs nach manchem Jahr doch endlich gelungen, die Kinder so weit zu bringen. Jahre hat die Erziehung er fordert, und auch da, wo es an äußeren Mitteln nicht gebrach, haben sie viel nnruhige Stunden mühender Sorge gebracht. Wie viele Nächte sind nicht am Krankenbett durchwacht, wie ist nicht fürgcsorgt in nie rastender Tätigkeit! Und für all' das beansprucht das treue Elternherz keinen lauten Dank, es genügt ihm an der dauernden, vertrauenden Liebe des Kindes! Sie sind erwachsene Christen geworden, eine leise Wendung tritt im Aeußcrenein.die sichmitden Jahren mehr und immer mehr ausdehnt. Es erfolgt ost eine Trennung von Sen Eltern, weite Entfernungen scheiden die, welche einander einst so nahe standen, und die äußeren Einflüsse der Welt, das brausende, jagende Leben um uns her mit all' seiner Lust, seinen Verlockungen macht sich geltend. Aber was auch kommen mag, das Vertrauen zu Vater und Mutter soll wachsen, was die Eltern sind, lernt der Mensch erst mit den späteren Jahren recht verstehen. Mit Recht sagt das Volkswort: Ein Vater und eine Mutter können viele Kinder ernähren, aber nicht immer viele Kinder ihre Eltern! Der größte Tank ge bührt den Eltern, und um den abzutragen, ist es Pflicht, ihnen Freude zu machen. Es gibt vieles zu lernen, und es muß gelernt werden, daß Vater und Mutter bei dem zunehmenden Alter die Gewiß heit empfinden, Ehre an ihren Kindern zu erleben. Diese Ehre ruht nicht in der Aeußerlichkeit des Beruses, sie steckt in dem Können und dein Ver halten eines jeden braven, tüchtigen Menschen. Um dereinst befehlen zu können, heißt es vorher, sich ducken lernen. Wer später Anderen komman dieren will, muß vorerst selbst leisten können, erst dienen, dann ein Herr sein. Jedem winkt das hohe Ziel eigener Selbständigkeit auf Grund tüch tiger Kenntnisse, und ein Hausherr wird er zum mindesten am eigenen Herd. Wohl ist es bis da hin ein weiter Weg vom Tage der Konfirmation ab, aber weil der Weg so lang, muß das wandern aus ihm zäh und stetig sein. Keiner braucht die Freuden, die uns die Welt bietet, abzuweisen, aber jeder soll sie erst verdient haben. Viel Neues und viel Wunderbares ist in unsere Tage gekommen, aber das Größte und Beste bleibt doch: Fürchte Gott, tue Recht, scheue Niemand! So sprechen wir all' den jungen Menschenkindern unseren Glück wunsch aus. Ihren Hoffnungen blühe der Segen, und gesegnet seien die Erwartungen, die sich im Elternherzen an den Palmsonntag knüpfen. * Gewerbliche Fortbildungsschule. Wir wollen nicht verfehlen, auch an dieser Stelle noch mals auf die heute Sonntag in der Schulturnhalle stattfindenden Prüfungen der gewerblichen Fach schulen aufmerksam zu machen. Sie finden statt von mittags 11—1 Uhr. Als Prüfungsgegcn- stände weist das Programm ans: Gewerbekunde, kaufmännisches Rechnen, Materiallehre und -Be rechnung, Französisch, Buchführung und Handels wissenschaft. Gleichzeitig folgt eine Prüfung in praktischer Weberei. Die im Lause des Schul jahres gefertigten praktischen und theoretischen Schülerarbeiten sind am 5., a. und 7. April zur Ansicht in der Schulturnhalle ausgestellt. * - Osteraufführung des Neustädter T«rn- vereius. Ter am k. Osterfeiertag im Logenhaus stattfindende Theaterabend des Neustädter Turn vereins verspricht in allen seinen Teilen ein ge lungener zu iverden. Nach Einsichtnahme des be reits festgestellten Programms sehen wir, daß neben vorzüglichen turnerischen, gesanglichen und musi kalischen Darbietungen 3 Theaterstücke zur Auf führung gelangen. Vor allem machen wir auf das Stück „Die Schildwacht" aufmerksam, welches uns in die Zeit zurückversetzt, da Deutschland das Joch des korsischen Eroberers abschüttelte, also anno 1813. Wir bekommen hier einen Einblick in das Treiben der Höflinge am Hofe eines regierenden deutschen Fürsten, welche sich durch ihre hohe Stellung berechtigt glauben, Untergebene auf ge meine, hinterlistige Weise zu verführen und zu ver derben. Der volks- und menschenfreundliche Fürst gelangt aber durch Zufall hinter ihre Schliche und bestraft sie auf das empfindlichste, während er die treuen Untertanen fürstlich zu belohnen weiß. Das Stück hat außerdem den Vorzug einer wahren Be gebenheit. Tie beiden anderen Theaterstücke sind vorzügliche Original-Lust- und Singspiele in 1 Akt. Dieselben werden die Lachmuskeln der Besucher in steter Arbeit erhallen, sodaß ein jeder hochbesriedigt den Heimweg awrelen wird. Wir wünschen un serm in bestem Rufe stehenden Neustädrer Turn verein ein recht volles Haus, damit die aufge wandte Mühe und Arbeit den verdienten Lohn findet. *— Sächsisches Volkstheater. Wie au« dem Inseratenteil zu ersehen ist, veranstaltet die Direktion E. Hönig morgen Abend im Logenhaur eine der Reuzeit entsprechende Abendunterhaltung. Zum Vortrag gelangen die neuesten Kauplet«, die besten Duette, sowie urkomische Soloszenen und Ge- samlspiele, sodaß den Besuchern ein äußerst inter essanter Abend in Aussicht steht. * Begnadigt, Den beiden Knaben Pietzold und Kaufmann ist, wie mir hören, die ihnen vorige Woche vom hiesigen Schöffengericht auferlegte acht tägige Gefängnisstrafe im Gnadenwege erlassen worden. * Bei der Geschworenen Auslosung, die gestern Mittag in öffentlicher Sitzung des Königl. Landgerichts Zwickau staltfand, wurden u. a. die Namen folgender Herren aus der Urne gezogen: Kaufmann Friedrich Wilhelm Wagner von hier und Gutsbesitzer Otto Franz Coder in Oberlungwitz. * - Das neue Fleischbeschau-Gesetz ist mit 1. April in Krajt getrelen. Nach den Bestimmungen dieses Gesetzes muß jedes Fleisch eines geschlachteten Stück Viehes von einem Fleischbeschauer besichtigt und mit einem Stempel versehen werden, aus wel chem gleichzeitig ersichtlich ist, wo das Tier geschlachtet worden ist. Da es auch für den Laien nicht ohne Interesse ist, zu wissen, welche Beschaffenheit das abgestempelte Fleisch besitzt, so teilen wir nachstehend die Bedeutung der süns amtlich einzusührenden Stempel mit: Der Stempel 6 bedeutet „taugliches Fleisch", der Stempel bedeudet „erheblich herab ¬ gesetztes" (im Nahrungs- und Genutzwert herabge setztes Fleisch, nicht ladenreines) Fleisch, der Stem pel /X bedeutet „untaugliches Fleisch", der Stem pel jD bedeutet „bedingt taugliches Fleisch" und der Stempel bedeutet „Pferdefleisch". Bei jedem geschlachteten Stück Vieh können bei der Wahrnehmung des Stempels die Käufer ersehen, mit welcher Qualität Fleisch sie es zu tun haben. * — Der Gcfamtvorstand des Berbandes Sächsischer Industrieller trat am Mittwoch zu einer Sitzung m Dresden zusammen. Au« dem Geschäftsbericht ist zu erwähnen, dotz der Verband in Au«sührung de« Beschlusses der letzten Vorstands- fitzung bei der Generaldireklion der sächsischen Staaltbahnen erneut um Führung der IV. Wagen klasse auch au Sonntagen vorstellig geworden ist, indem die regierung«seitig bei der diesbezüglichen Beratung im Eisenbahnrat, sowie die von einigen Blättern, z. B. dem „Vaterland" dagegen vorge- brachten Gründe, in eingehenden Äursührungen zurückgewiesen worden sind. Mit Genugtuung nahm der Verband davon Kenntnis, daß in der vom Finanzministerium erlassenen Verordnung über die Abänderungen der zum Einkommensteuergesetz er lassenen Aursührung«bestimmungen betreffend da« Steuereinschätzungsversahren einige der Wünsche berücksichtigt worden sind, welche in der General versammlung de« Verbände« vom Oktober v. I. im Anschluß an das dort gehaltene Referat über die sächsische Steuergesetzgebung und die Industrie vom Verbände ausgesprochen worden waren. Jn«- besondere betrifft di?« die bi«her beim Steuercin- schätzung«verfahren erforderliche Vorlegung der Ge- fchäst«bücher vor die EtnschätzungSkommisfion, welche jetzt dahin abgeändert worden ist, daß in solchen Fällen der Bezirktsteuerinspektor bez. der stellver tretende Vorsitzende oder ein auf sein Ansuchen vom Bezirkssteuerinspektor zu beauftragender Beamter der Bezirkteinnahme die angebotenen Unterlagen entgegenzunehmen und zu prüfen hat. Ferner kann, wa« vom Verbände al« besonder« erwünscht be zeichnet worden war, die Prüfung der Geschäst«- bücher im Geschäst«lokale verlangt werden, sobald der Steuerpflichtige die dadurch etwa entstehenden Kosten deckt. — Nach Kenntni«nahme de» Ge- schäflsberickt» und erfolgter Aursprache über die in Leipzig flaltgehabte Versammlung des Verbände« erfolgte die Ausnahme von 15 Mitgliedtfirmen, welche dem Verbände seit der letzten Vorstands sitzung neu beigetreten sind. Da da« Geschäftrjahr von Oktober zu Oktober läuft, so wurde gleichzeitig beschlossen, daß denjenigen Firmen, welche dem Ver bände ab 1. April d. I. neu beitreten, für dar laufende Geschäftsjahr nur die Hälfte de« satzungr- mäßigen Beitrages zu zahlen haben. Die weiteren Verhandlungen waren interner Natur und betrafen u. a. die Stellungnahme de« Verbandes zu den von ihm mitangercgten Bestrebungen aus bessere Vertretung der sächsischen Industrie in den Stände kammern, ferner zu den an den Verband ergangenen Anregungen zwecks Beteiligung an den kommenden Reichs- und Landtagiwahlcn im Königreich Sachsen. * Limbach bei Chemnitz. Am hiesigen Städti schen Technikum, welches außer den Abteilungen für Maschinenbau und Elektrotechnik auch eine vier semestrige Baugewerkenschule umfaßt, fanden vom 9. bis 15. März die schriftlichen Reifeprüfungen der Schüler der genannten drei Abteilungen statt. An diese Klausurarbeiten schlossen sich am 24. März die mündlichen Examina an, welche unter dem Vor sitze einer aus bewährten Fachleuten bestehenden Prüfungskommission nnd unter dem Beisitze der Direktion und der gesamte» Lehrerschaft des Tech nikums stattsand. 27 Kandidaten unterzogen sich der Reifeprüfung, von denen 12 Kandidaten aus die Abteilung für Maschinenbau, 19 Kandidaten aus die Abteilung für Elektrotechnik und 5 Kandi daten auf die Abteilung für Hochbau entfallen. 2 Kandidaten konnte das Zeugnis der Reife nicht erteilt werden, während einer freiwillig vor Beginn der Reifeprüfungen zurücktrat. 2 Kandidaten konnte aus Grund ihrer ausgezeichneten Leistungen ein stimmig das Prädikat „vorzüglich" erteilt werden. Im klebrigen können die Resultate als gut bezeichnet werden. Am Schluß des Semesters, am 29. und 30. März, sand die Ausstellung der Entwürfe und Konstruktionszeichnungen statt, welche von den Schülern des Technikums im Laufe des Winter semesters angefertigt waren. Die Menge der aus geführten Zeichnungen, ihre exakte und fachgemäße Durcharbeitung und nicht zuletzt die einheitliche und der Praxis vorzüglich angepaßte Anordnung und äußere Ausstattung derselben, überzeugten jeden aufmerksamen Besucher der Ausstellung davon, daß seitens der Lehrer und Schüler mit höchstem Inter esse und vollem Verständnis an hiesiger technischer Anstalt gearbeitet wird. Vergleicht man diese Aus stellung mit der vorjährigen, so erkennt man sofort, daß das Technikum in seinen Leistungen wieder um ein Bedeutendes vorwärts gekommen ist. Die Aus stellung war von nah und fern sehr gut besucht, ebenso ist ein Zuwachs von Schülern fürs Sommer semester bereits gesichert. * Dresden. Die Prinzen Georg nnd Friedrich Christian sind vorgestern wohlbehalten bei Sr. Majestät dem Könige in Gardone eingetroffen. * Dresden, 3. April. Wie von maßgebender Seite versichert wird, hängt die Reise des Staats ministers von Metzsch zum König nach Gardone in keiner Weise mit der Kronprinzen-Angelegenheit zusammen. Der Minister soll vielmehr lediglich dem König über die bei seiner Rückkehr nach Dresden geplante große Ovation Vortrag gehalten haben. * Leipzig. Das Projekt einer regelmäßigen Automobilvcrbindung zwischen Leipzig und Merse burg ist soweit gediehen, daß nur noch die letzte Entscheidung der Landesdirektion in Merseburg aussteht. Zur Verwendung kommt das Spiritus automobil. Die auf Gummireifen laufenden Wagen sind komfortabel eingerichtet, können geheizt und beleuchtet werden und werden nach jeder Fahrt in der Werkstatt sorgfältig nachgeprüft. Es wird zwölsmal täglich gefahren. Der Preis für die ganze Fahrt betrügt 1 Mark. Auch Gepäck darf mitgesührt werden.