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235, 9. Oktober 1918. Redaktioneller Teil. ist heutzutage gleichbedeutend mit verlieren: üben wir uns also in einer bis zum äußerste» gesteigerten Enthaltsamkeit und lassen wir die Papierfabriken ihre Vorräte steigern und auf denselben sitzen bleiben, bis sie vermodern«. l Schluß folgt.) Für das französische Buch. (Übersetzung aus öem »dourual de8 Dekali« (Paris) vom 18. September 1916.) Seit das handeltreibende Deutschland, verstrickt in die allgemeinen Beschimpfungen, die sich an alles heften, was deutsch ist, vvn aller Welt in die Acht erklärt ist, hat es in den Ententeländern die Stellung verloren, die es dort eingenommen hatte. Es handelt sich nun darum, das Matz dieser Verluste vollzumachen. Eins der nichtigen Bedenken, die den Beteiligten die meiste Sorge gemacht haben, war die Unmöglich keit, künftig mit dem deutschen Büchermarkt zn rechnen, dessen Mittel punkt Leipzig war. In Frankreich hat einesteils Herr Edouard Hcr- riot mit seiner Anregung und Durchführung der Lyoner Bücherwoche im vergangenen April den Geistern den Weg zu einer befriedigenden Lösung gezeigt, andernteils sollte ein großer »OonxröZ du Idvrs«, der schon im Juli hätte tagen sollen, dessen Sitzungen aber mangels genügender Vorbereitung noch nicht endgiltig bestimmt sind, die ersten Schritte zu einem Feldzug tun, der das französische Buch auf dem Weltmarkt hatte triumphieren lassen. Frankreich steht in der Aufgabe, diese Frage zu lösen, nicht allein; es braucht darin nur Schweden zu folgen, das zuerst die große Bedeutung eines anderen Büchermarktes als des Leipziger unterstrichen und Stockholm dafür vorgeschlagen hat. Schwedische Abgesandte hatten sich um ein Einvernehmen mit ihren französischen Bernfsgenossen bemüht; aber man hat sich nicht verstän digen können. Vielleicht wäre es besser, man ließe den schwedischen Buchhandel, der die guten Eigenschaften des deutschen hat, ohne dessen unverschämte Herrschsucht zu teilen, den neuen Mittelpunkt des Buch handels bilden. Der Kampf gegen Leipzig würde dann sofort beginnen, während wir noch in voller Unschlüssigkeit dastehen und nicht vor Be endigung des Krieges Vorgehen würden. Wenn man nicht schnell han delt, wird Leipzig nach dem Kriege seine Verbindungen mit den Neu tralen wieder anknüpfen und pflegen und mit ihrer Hilfe allmählich auch in den Ententeländern sich wieder einnisten. Man begreift, daß Frankreich nicht gern anderen die Sorge über läßt, mit Leipzig um die Palme zn ringen, weil das französische Buch denn doch ein zu gewichtiger Faktor im Weltbuchhandel ist, als daß man cs unter Vormundschaft stellen dürfte. Wenn nun aber das geistige Frankreich das berufenste Land der Welt ist, um Bücher zu schaffen, — hat dann auch das handeltreibende Frankreich sich darauf eingerichtet, sie zu verkaufen? Denn cs ist zu unterscheiden zwischen dein Buch als geistigem Faktor und dem Buch als kommerziellem Faktor. Beide sollten in innigem Bündnis stehen; tatsächlich klafft ein Ab grund zwischen ihnen, und wenn vor dem Kriege das französische Buch schon im Auslände verbreitet war, so hat man das weniger seinem Verleger als den ausländischen Buchhändlern zu verdanken. Ein Bei spiel von tausend: Ein Provinzbuchhändler soll einem Kunden in einer anderen Stadt ein gebundenes Buch der Idsurg du mul besorgen. Er sucht im Katalog des Pariser Verlegers. Keine Möglichkeit, daraus zu erfahren, ob cs gebunden zu haben ist. Ausführliches Telegramm an den Verleger, der fünf Tage darauf brieflich antwortet, daß das Buch nicht gebunden auf Lager sei. Was tut nun der Provinzbuch händler? Er schlägt im Katalog von Volckmar in Leipzig nach; dieser verzeichnet das Buch in verschiedenen Einbänden, dazu mit Gewichts angabe und sogar mit dem Telegramm-Titel, einem einzigen Wort, dessen Angabe bei telegraphischer Bestellung genügt, um den gewünsch ten Einband zu erhalten. Achtundvierzig Stunden später ist der Kunde im Besitz seines Buches, über Leipzig, mit geringsten Unkosten. Der deutsche Buchhändler hatte sich besser darauf eingerichtet, ein franzö sisches Buch in Frankreich zu verkaufen, als dessen Verleger. Niemand ist es übrigens unbekannt, daß man ein russisches oder englisches Buch bei weitem schneller aus Leipzig bekam, als wenn man sich an einen Pariser Buchhändler gewandt hätte, und daß selbst in Frankreich der Handel mit ausländischen Werken zum größeren Teil in deutschen Hän> den war. Alles das war vor dem Kriege, wird man mir sagen, und es ist wohl sicher, daß man nicht wieder in die alten Fehler verfallen wird. Einverstanden: aber wann wird man endlich etwas tun? Seit auf die deutschen Buchhandlungen in Paris Beschlag gelegt ist, hat man seitdem auch nur eineu einzigen ihrer französischen Mitbewerber sich ihres Sondergebietes der Auslandswerke bemächtigen sehen? Nein, nichts hat sich in der Buchhändlerwelt seit dem Kriege geändert, wenn nicht etwa ihre Schläfrigkeit, die in Schlaf übergegangen ist. Hat man «ußer der Tagesliteratur auch nur ein einziges neues und bedeutendes Buch iu den Naturwissenschaften erscheinen lasse», iu der Heilkunst, der Nechtspflege oder der Philosophie? Die wissenschaftlichen Verleger leben von ihren Vorräten, und wenn ein Werk ausverkauft ist, wird kein Neudruck gemacht unter dem Vorwand, daß die Herstellungsbedin- gungen einer neuen Auflage jetzt allzu drückend seien. Sie denken nicht daran, daß diese Bedingungen wenigstens ein Jahr lang nach dem Kriege noch drückender sein werden, und daß kein ausländischer Ver leger selbst in diesen schwierigen Zeiten es wagen würde, länger als sechs Monate seiner Kundschaft zu antworten, daß sein Lagerbestand er schöpft sei. Daß der Büchermarkt bald einen bestimmten Sitz haben und noch vor Beendigung des Krieges sich dort gehörig einrichten sollte, ist von größter Bedeutung, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, die Leipziger Anmaßung wieder aufleben zu sehen. Also, da der franzö sische Buchhandel und Buchdruck sich noch nicht soweit wieder in Ord nung gebracht haben, wie es bei diesen Erwerbszweigen in Schweden, in Holland, in der Schweiz der Fall ist und iu Belgien war — es sei hier bemerkt, daß der größte Teil der Reformen, die den 0oQ8r68 du Idvrs beschäftigen sollen, auf den Einrichtungen der betreffenden Gewerbe dieser Länder fußt—, so würde es besser sein, nicht eigensinnig den Büchermarkt für Paris oder für Lyon zu fordern, sondern ihn zu vorläufiger Schutzwehr einem der Länder zu überlassen, die voll kommen daraufhin eingerichtet sind, mit Deutschland in Wettbewerb zu treten. Das wäre von seiten Frankreichs weniger ein Opfer als viel mehr der Beweis eines aufgeklärten handelstechnischen Sinnes; denn Frankreich würde dann seine Erzeugnisse dem Auslande anbieten können, statt, wie es das allzu lange schon getan hat, zu warten, daß das Ausland komme, sie bei ihm zu suchen. Das würde Paris oder Lyon nicht hindern, Bücherausstellnngen zu veranstalten, den Markt zu dezentralisieren, Kongresse der besonderen Fachkundigen abzuhalten und allmählich auch eiueu festgcgründeteu nationalen Markt heranzu bilden, aus dem mit der Zeit und genügenden Erfahrungen schließlich ein internationaler Markt werden könnte, wie das nicht anders auch der Leipziger geworden ist. Damit wäre dann der Markt, den man vor übergehend einem neutralen Lande anvertraut hatte, wieder zu uns zurückgekehrt. Der zu erwartende Kongreß wäre dann auch für die Dauer des Krieges von dieser Sorge befreit und könnte seine Arbeit in voller Gemächlichkeit fördern. Nun aber, was wird er tun? Die Forderungen der graphischen Gewerbe zusammenstellen; mit anderen Worten, die beteiligten gewerblichen Gruppen werden einen Bericht ausarbeiten, der die Mängel der gegenwärtigen Organisation klarstellen und die angepriesenen Mittel zur Verbesserung der Bedingungen ihrer Arbeit in Vorschlag bringen wird. Sehr gut; aber das wäre eine lang wierige Aufgabe, für deren Erledigung es besser gewesen wäre, wenn man früher damit angefangeu hätte. Und an wen sollen diese Berichte gehen? An die Negierung als Anregerin dieser Bewegung. Neben bei gesagt, was soll man von Korporationen denken, die in sich selbst nicht genügend eigenen Antrieb haben, um sich an die Spitze der Be wegung zu stellen, und denen die Regierung gewissermaßen eine Marschroute vorschreibeu muß, um sie zu zwingen, sich in Trab zu setzen? Zu wünschen ist, daß die Regierung, im Besitze dieses Akten- bündels von Berichten, die Sache nicht einschlafcn läßt. Bringen wir ihr darin volles Vertrauen entgegen und wünschen wir ihr, daß sie auch einen Gcneralstab von sachkundigen Männern finden möge, um diesen Aktenstoß in eine lebhaft geschwungene Waffe zu ver wandeln. Dieser Generalstab bildet sich allgemach; er umfaßt Ge lehrte, Bibliothekare, Archivare, viele Schriftsteller, aber wenig, noch viel zu wenig Buchdrucker und Verleger. Man sollte doch nicht ver gessen, daß das Buch als geistiger Faktor zwar seine begreiflichen Interessen hat; daß man aber nicht um diese kämpft, sondern um das Buch als kommerziellen Faktor, der zurzeit noch in den Windeln liegt, und daß einzig die Verleger und Drucker eine als nützlich zu bewer tende Stimme im Rate haben können. Die Archivare, Bibliothekare und Schriftsteller wissen — und noch nicht einmal alle —, wie man ein Buch schreibt, aber höchst selten, wie man es hcrstellt, und noch seltener, wie man es verkauft. Es fehlte gerade noch, daß dieser Zu kunftskongreß des Buches den Kultus der Unfähigkeiten zum Dogma erhöbe. Damit hat man in den graphischen Gewerben nur zu arg schon gesündigt: Beweis: diese unglückliche Keole die die Aufgabe hat, Buchdrucker heranzubildcn, dabei aber niemals einen Fachmann in ihrer Leitung gehabt hat. Vor allem müssen Buch händler, Verleger und Drucker mit ihren unseligen Gepflogenheiten aus der Zeit vor dem Kriege ausräumen nnd sie entschlossen und hartnäckig bis in ihre letzten Schlupfwinkel verfolgen, damit die ge werblichen Syndikate oder Vereinigungen künftig nicht mehr dnrch die üblichen Gegensätzlichkeiten einander entfremdet werden, sondern einen gleichförmigen und unerschütterlichen Block bilden, und daß sie dann die nötigen Reformen heute in Angriff nehmen, nicht morgen Marc-V. Grcllet. 128?