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Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel Redaktioneller Teil. 235, 9. Oktober 1916. Für diesen Zeitraum ist der Buchgewerbler ein sorgenfreier Mann. Er braucht nur seine Arbeiter richtig zu beaussichtigen und seine Maschinen gut zu ölen. Das alles ist männiglich bekannt. Nur — — — Inzwischen müht sich der Verleger mit seinen sämtlichen Angestellten monatelang um die »Bewältigung« des Papier- oder Druckauftrages — — — Nur während die Verleger Manuskripte lasen und Kalkulationen hin« und herrechneten, während sie alte Bücher aller Literaturen ausgruben und Prospekte dichteten, während sie ein, zwei, drei, vier, fünf — — — neun Bücher ohne Ge winn veröffentlichten, immer auf der Suche nach dem zehnten, das endlich einmal einen Gewinn bringen sollte, auf der Suche nach dem noch nicht entdeckten erfolgreichen Schriftsteller, endlich, in der Hetz und Hast des Konkurrenzkampfes, insbesondere in den letzten Jahren vor dem Weltkriege, kamen die Verleger gar nicht dazu, sich darüber klar zu werden, daß sie Geld, Intelligenz, Mühen und Sorgen zu guter Letzt dafür aufwendeten, um den Buchdruckern zu einem risikolosen Verdienst und den Papier fabriken zu fetten Dividenden zu verhelfen. III. Zeitliches. Plötzlich brach der Krieg 1914 aus, der europäische Krieg, der Weltkrieg I Wie ein unerwartet einsetzender Sturm einen Ozeandampfer in feinem Laufe zurückwirst und ihn in allen Fugen erschüttert, so wurde auch der deutsche Handel in all seinen Zweigen getroffen, nicht zum geringsten auch der Verlagsbuch handel. Der Rückschlag auf das Buchgewerbe machte sich in schwerwiegender Weise bemerkbar, so zwar, daß die meisten Druckereien nur mit Viertelskraft arbeiten konnten, so, daß das Buchdruckcreigewerbe die Öffentlichkeit um Unterstützung durch Aufträge anrief. Die Öffentlichkeit, die am wogenumbrandeten, aber sicheren Strande stand, hörte nicht auf jenen Notschrei; sie hatte mit sich selbst zu tun. Die Besatzung des Verlagsschiffes war des Sturmes jedoch bald Herr geworden, sic hatte das Steuer herumgeworfen, das Sturmsegel gesetzt: das Schiff nahm den Kampf mit dem Wogenschwall auf, die Maschinen liefen wieder mit halber Kraft, das Schiff nahm langsame, stetige Fahrt. Oben an Deck und unten bei den Maschinen atmete alles auf. — Der Kriegssturm brüllte fort. In seinem Laufe steigerten alle Fabrikanten, Erzeuger und Händler die Preise ihrer Waren, teilweise bis zu schwindelhafter Höhe. Nur der Verlagsbuch handel machte eine Ausnahme, ja er ging sogar in seinen Preisen zurück. Zwar, es ergab sich, daß auch das Buch ein Bedarfs artikel (für den Soldaten) wurde. Man erfuhr, daß bei Kriegsbeginn in einer Großstadt an der westlichen Reichsgrenze nach dem Abzüge des Militärs u. a. nicht ein einziges Exemplar des »Faust« in den Buchhandlungen aufzutreiben war, daß Bücher von allen militärischen Seiten und zuletzt von den Generalkommandos nicht nur für Lazarette, sondern auch für die Soldaten im Felde erbeten wurden. Der Stellungskrieg schrie förmlich nach Lesestoff, eine Reichsbuchwoche wurde von Staats wegen veranstaltet, Feldbuchhandlungen wurden ge gründet, kurz, die Konjunktur wurde auch für den Buchhandel eine äußerst günstige. Statt sie jedoch in seiner mit Recht gerühmten und so oft bewährten Organisation auszunutzen: durch Zusam menschluß von Gruppen, durch weise Zurückhaltung in der Pro duktion, vor allem durch Aufwärtsbewegung der Preise, statt alles diesen setzte eine wilde Baisse — um einen landläufigen Börsenausdruck zu gebrauchen — ein. Zu den vielen schon vor handenen billigen Ausgaben wurde noch ein Halbdutzend neuer geschaffen, der Preis von 1.8V war nicht mehr Normalpreis, das Markbuch nicht mehr das Jdealbuch — man stieg, im Gegen satz zu allen, aber auch zu allen Erzeugnissen des ganzen Welt marktes, zu noch niedrigeren Preisen als bisher hinunter, und, was am merkwürdigsten war, man schuf von fast allen gang baren Büchern Feldpostausgaben, die nicht etwa dem einfachen Soldaten ein berühmtes Buch zu dem billigen Preise einer Reclamausgabe zugänglich machen wollten, sondern die 4-^ statt 1282 6 -((, 3 -ft statt 5 -/(, 2 -tt statt 4 -ft oder ähnlich kosteten, die sich also an die besseren Bücherkäufer im Heere, die Offiziere und die wohlhabenden sowie aus gelehrten Berufen stammenden Soldaten, Landwehrmänner und natürlich auch an die reich gewordenen Kriegslieferanten usw. wandten und dadurch viel leicht dauernd die Preise verpfuschen, wenn sich die Feldpost ausgaben so lange Hallen werden wie die feldgraue Uniform, d. h. für immer! Hat man irgendwo gesehen, daß die Gießereien jetzt, wo ihnen keine Bronze mehr zur Verfügung steht, ihre Gußformen mit Gips ausfüllen? Bronzen sind doch auch ein Luxusartikel, als Nippes sogar in Handwerkerfamilien beliebt und begehrt. Sie können also sehr gut zu einem Vergleiche mit Bü chern herangezogen werden. Haben die Gießereien etwa »Kricgergeschenkausgadcn« aus Ton in Massen auf den Markt geworfen? Gladenbeck verwendet neuerdings den sogenannten Kriegsguß. Er ist jedenfalls billiger, als es die Bronze vor dem Kriege gewesen ist. Ist Kriegsguß ein Surrogat? Keines wegs. In den Berliner und Leipziger Schaufenstern der ge nannten Firma kann man u. a. Kruses »Läufer von Marathon« sehen. Wunderbare Ausführung, herrliches Material! Und die Preise für die verschiedenen Größen dieser Statuette? Genau dieselben wie jene der vorkriegszeitlichen echten Bronzen. Wenn schon die Bücher der militärischen Tagesschriststeller zum Preise von 1 -ff veröffentlicht werden müssen, so mögen von ihnen auch Ausgaben auf großem Papier, feine Ausgaben, Luxus-Ausgaben, Ausgaben für Kommerzienrätinnen und schließ lich Ausgaben für Kriegs—verdienende herausgegeben werden. Nicht aber Feldpostausgaben! Über diese Baisse-Bewegung in der Preisstellung der Bücher freute sich natürlich das gesamte Buchgewerbe einschließlich der Farbenfabriken. Die Verleger der neuesten billigen und der Feldpostausgaben nehmen in diesen teuren Zeiten mit einem ganz geringen Gewinn vorlieb, nur um recht viel teures (und wie teures!) Papier mit größtenteils schlechtem Satz bedrucken zu lassen. Die Papierfabrikanten haben diesen Umstand und die Kriegs- Konjunktur schon vortrefflich ausgenutzt. Die holzfreien Papiere sollen eine Steigerung bis zu 150"/» erfahren haben. Und der Verlagsbuchhändler zahlt's. Er veranstaltet von seinen absatzfähigsten Büchern Feldpostausgaben, anscheinend nur, um den Papierfabrikanten die maßlos erhöhten Preise zahlen zu können. Die Organisation bei den Papierfabrikanten ist großartig. Alle Welt mutz erfahren, daß es an Stoffen für die Papier anfertigung fehlt: Holz fehlt, Lumpen fehlen, Altpapiere fehlen. Auch genieren sie sich durchaus nicht, die Öffentlichkeit anzu sprechen und Allpapiere sammeln zu lassen. Merkwürdig! Weshalb ist denn auf einmal kein Holz mehr vorhanden, weshalb fehlen denn bei der Anfertigung von Mil- lionen'und abermals Millionen militärischer Kleidungsstücke auf einmal Abfälle von Leinen, Wolle, Baumwolle u. dgl.? Wo bleiben die abgetragenen Kleidungsstücke des weiblichen Ge schlechts, bei dem nach wie vor eine Modenarrheit die andere jagt? In der Zentrale für Kriegsunterstützungen in Wien wurden im Herbst 1915 über 2000 Meterzentner Hadernstoffe (Lumpen) zur öffentlichen Versteigerung angeboten, d. h. solche unbrauch bare bzw. wertlose Zeuge, die aus den mehrfachen öffentlichen Sammlungen der Kriegssürsorgestelle in Wien als unbrauchbar ausgeschieden worden waren. In anderen österreichischen Städten hatten sich gewiß solche Abfälle aus Kriegssammlungen gleichfalls angesammelt. Trotzdem mußten die österreichischen Papierfabri kanten wegen Mangels oder wegen außerordentlich kostspieliger und schwieriger Herbeischaffung von Rohmaterialien die Ver kaufspreise, selbst für Lagerbezüge, am 1. März 1915 erhöhen, was die »Österr.-Ung. Buchhändler-Correspondenz« mit Recht dahin glossierte, »daß die momentan ungünstige (? D. Vers.) Konjunktur dazu mißbraucht wird, um Preise in die Höhe zu treiben . . . während der Buchhandel, dem jede Gelegenheit zum Regreß fehlt und der zu anständig ist, seine Mitbürger bei jeder Gelegenheit zu vergewaltigen, dazu herhalten mutz, die Di videnden der Papierfabriken recht fett zu machen . . . Verlegen