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sterte sie: Wie schön — ach, wie schön ist die Welt — wie glücklich könnten wir beide sein, Tonio, wenn unsere Eltern anders gewesen wären — „Lassen wir das, Rafaela —wehrte Tonio düster ab. „Ich zürne ihnen nicht, ich will sie lieben, trotz allem und allem Wenn ich eins beklage, jo ist es, datz ich eigentlich ein Schwächling bin — ja, Rafaela, ich weiß das, ich besitze so wenig Willenskraft, ich mutz mich immer besiegen lassen, von dir, von den Verhältnissen, von irgend jemand, der da kommt und mir seinen stärkeren Willen aufdrüngt. Mein Verstand sagt mir selbst das Richtige, und mein Wille, mein Selbst ist zu schwach, ihm zu folgen. Aber das ist es nicht, worüber wir jetzt reden wollen Es tut mir weh, dir Schmerz zu bereiten und in Wunden zu wühlen, aber es mutz sein, und ich bitte dich, mache es mir nicht schwer, suche nicht, deinen starken Willen über den meinigen zu stellen, sondern laste mir diese eine Genugtuung, datz ^ch einmal stark genug war, für dein Wohl etwas zu tun und dich und andere vor Unglück zu behüten." „Was meinst du, Tonio?" fragte Rafaela, ohne sich zu rühren „Du weißt, wie sehr ich dich liebe und wie gern ich bereit bin, dein Selbstbewutztsein und deine Willens kraft zu heben " „Ich mutz auf unser vorheriges Gespräch zurückkommen,' denn du hast mir noch nicht alles gesagt, und wenn ich auch jünger bin als du, so bin ich doch dein Bruder und schließlich auch imstande, durch mein Gefühl hindurch beurteilen zu können, was andere mit ihrer Erfahrung begreifen. Du hast mir noch nicht gesagt, weshalb du deiner Liebe für den Schiffsleutnant solchen Zwang auserlegst, weshalb du nicht sein Weib wirst —." „Das fragst du noch? Was sollte aus dir werden, wenn ich einen Mann heirate, der mit knapper Mühe sich und mich ernähren kann?" „Also meinetwegen willst du ein solches Opfer brin gen?" rief Tonio erbleichend. „Nein, nein —verbesserte Rafaela rasch. „Alles mei netwegen — meinetwegen: denn ich — ich könnte niemals auf einen gewißen Luxus verzichten."^ „Wie konntest du dann dem armen Kamillo Hoffnungen machen?" „Mein Gott, wie du mich quälst!" klagte Rafaela. „Muß ich dir denn das alles sagen?" „Ja, alles!" rief Tonio erregt. „Das bist du mir schul dig. Aber lüge nicht, Rafaela, ich beschwöre dich, nur jetzt lüge nicht, ich muß die volle Wahrheit wissen." Er stand vor ihr mit fast drohender Miene, und in seiner Gebärde lag etwas Beschwörendes, Drohendes. „Gut. ich will ganz wahr und offen sein," erwiderte Rafaela. „Ich hatte die feste Absicht, Kamillo zp bet raten, sobald sich sein Onkel entschlossen haben würde, ihm eine Rente zu sichern." „Und -" „Sein Onkel, der dalmatinische Kapitän Persich, der jetzt in Korfu lebt und den er einst beerben soll, will ihn mit einer Millionenerbin verheiraten, ist also prinzipiell gegen eine Verbindung mit mir. Unsere Sache stand ziemlich aussichtslos, ich war sehr unglücklich. Da erschien Alexander Eerhardos in Venedig, um sich zu erholen, der Zusall wollte es, daß ihn Großmama kennen lernte und er sie behandelte — nun, das übrige weißt du ja und ich brauche dir nichts mehr zu sagen, als daß ich mit mir selber die heftigsten Kämpfe hatte, ehe ich mich entschließen konnte, dem Zu reden Großmamas nachzugeben und den Antrag Alexan ders anzunehmen." „Warum hast du Kamillo nicht alles gesagt, ehe wir Venedig verließen?" fragte Tonio im Tone tiefsten Vor wurfs. „Ich hatte nicht den Mut!" Sie bedeckte das Antlitz mit beiden Händen, schluchzte laut auf, und Tonio stieß hervor: „Und trotz alledem willst du nun Alexanders Frau werden? Rafaela, begreifst du denn nicht, datz du ein Verbrechen begehst?" „Nein. Tausende von Mädchen tun dasselbe, Tausende gehen an den Altar, ohne ihren Bräutigam zu lieben, mit der Zuversicht, datz die Liebe in der Ehe kommen wird. Warum sollte es gerade bei mir ein Verbrechen sein? Es ist ein Unglück, mehr nicht," sagte sie kalt. „Großmama hat recht, Alexander ist der richtige Mann für die Ehe. Ich schätze und achte ihn, und mehr bedarf es vorläufig nicht. Die Liebe wird kommen, da er mich liebt." Es lag eine fast wilde Entschlossenheit in Rafaela« kindlichen Zügen, und da Tonio dies sah, sagte er düster: „Nun gut, Rafaela, ich kann dich nicht hindern, Alexander zu heiraten, aber ich werde es nimmer zugeben, daß du ihm verschweigst, was du mir heute anvertraut hast." Rafaela starrte ihn an und stotterte: „Was — was meinst du?" „Daß du Alexander ein ehrliches Bekenntnis alles des sen ablegen mutzt, was zwischen dir und dem Leutnant vor- gesallen ist." „Du — träumst —," stammelte sie. „Ich träume nicht,-sich wundere mich aber, datz du nicht selbst auf diesen Gedanken kamst und ihn, wenn du dies schon versäumtest, nicht mit Freuden aufnimmst, da ich ihn dir eingebe." Rafaela lachte kurz und bitter auf. „Kind — Idealist! Würdest du ein Mädchen nehmen, das dir ein derartiges Geständnis machte?" „Wenn ich sie sehr liebte und ihre Reue sähe, gewiß," rief Tonio warm. „Ich empfinde aber keine Reue!" sagte Rafaela kalt. „Denn ich habe nichts verbrochen. Ich habe Kamillo lieb gehabt und habe nicht wißen können, daß mir eines Tages Großmama entdecken würde, daß ich ärmer bin als irgend eine kleine Schusterstochter, und daß dann ein wohlhaben der Doktor aus Griechenland kommen würde, der uns aus allen Nöten befreien will. Um so zu handeln, wie es dir in deinen idealen Träumen vorschwebt, mein lieber Tomo, dazu gehören andere Charaktere, als es der meinige ist. Wir beide sind zwei verwöhnte, schwache Geschöpfe, und ich kann nicht mehr aus mir Herausschöpsen, als man in mich hineingelegt hat, die Natur sowohl als die. die mich er zogen haben." Sie strich ihm mit der Hand liebkosend über die Wangen. „Das Dasein ist ein schwerer Kampf, Tonio, wir müssen ihn kämpfen und — siegen! Oder willst du, daß wir beide untergehen? Ich bin klein und zart, und dennoch fühle ich die Kraft, dem Strom entgegenzu- schwimmen und dich noch mit mir zu ziehen. Sieh mich nicht so an — es ist mir Ernst. Wenn ich mich auch zu einem ewigen Lachen zwinge und zwitschere und singe wie ein Vogel, so ist es mir mitunter doch recht ernst und schwer nms Herz. Das Leben und die Not, die mir aus der Ferne entgegengrinst. haben es mich gelehrt, die Maske ewiger Heiterkeit anzulegen — ich will mich nicht bedauern laßen, man soll nicht wissen, datz die Konteßa Coleone ein armes, armes Geschöpf ist!" Sie warf sich über die Ottomane, ihr zarter Körper bebte in einem verhaltenen Schluchzen und ihre Finger verkrampften sich in die seidenen Kißen. Tonio fühlte sich ohnmächtig, etwas zu erwidern. Er starrte vor sich nieder, und in demselben Matze, wie Ra- faelas Züge vorhin den Stempel der Entschlossenheit ge tragen, in demselben Matze spiegelten sich auf seinem Ant litz Verzagtheit, Seelenangst, Unentschlossenheit, und er murmelte verstört: „Mein Gott — mein Cott, welch ein Leben —! Und ich bin feige und schwach — so schwach — ich werde mich töten: denn ich ertrage das alles nicht, ich gehe zugrunde vor Scham." Er verhüllte sich das Gesicht mit beiden Händen, und so blieben die beiden Geschwister lange, lautlos, regungs los, so verbrachten sie die ersten Stunden an der Stätte ihres künftigen Lebens. Ein Geräusch von Stimmen und Schritten ritz Tonio zuerst aus seinen schmerzenden Gedanken, und er fuhr er schrocken in die Höhe. Terestna, das Kammermädchen, er schien auf der Veranda, vom Garten kommend, blickte ins Zimmer und fragte: „Pardon, schläft die Contessina? Herr Doktor Gerhardos läßt fragen, ob er eintreten darf?" Rafaela sprang von der Ottomane auf. „Mein Bräu tigam? Oh!" Ein silbernes Lachen drang durch den Raum, bis hinaus ins Freie, dann nahm sie ihre Schleppe auf und flog, leicht wie ein Vogel, in den leuchtenden Garten, durch all die blühenden Rabatten und Sträucher, an den Hals von Alexander Gerhardos, der sie mit lächelndem Munde an sich drückte. (Fortsetzung folgt.)