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Beilage Hohenftein Ernstthaler Tageblatt und Anzeige 9. Fortsetzung. VII. Tonio, dieser Knabe mit den hohen Ehrbegriffen und der Seele, die zu schwach war, um das, was er als recht erkannte und wünschte, durchzuführen, hatte sich eine eigene Welt gebaut, in der der Gedanke die große Rolle spielte, es würde eines Tages ein ungeheures Glück für ihn aus den Wolken fallen, das ihn befähigen sollte, seiner Schwe ster und seinen Angehörigen ein wundervolles Dasein zu bereiten Die Art, wie er aus diesem Traume gerissen wurde, war, wenn auch nicht jähe, jo doch sehr schmerzlich, und sie erschütterte ihn bis zur gänzlichen Hilflosigkeit, fast bis zum Aufgeben seines Selbst Für den Augenblick konnte er keinen anderen Ausweg erblicken, als sich willenlos dort hin treiben zu lassen, wohin Rafaelas stärkerer Wille ihn lenkte, und wortlos hörte er ihren zärtlichen Worten, den vielen Argumenten zu, mit denen sie ihn von seinem Recht überzeugte, von ihr und Alexander alles annehmen zu dürfen, ohne seiner Ehre zu schaden. „Es steht ja nun bei dir, zu lernen, eine große Karriere zu machen und dann Alexander alles zurückzuerstatten, was er für dich getan," sagte Nafaela „Du brauchst also nie mals das drückende Gefühl zu haben, ein Gnadengeschenk anzunehmen, sondern — ja, Tonio, diese Auffassung mußt du bekommen — eine Art geistigen Darlehens, das dir Alexander eben nicht anders als in klingender Münze vor strecken kann Die Menschen sind, strenge genommen, ver pflichtet, einander gegenseitig so zu helfen und die Wege zu ebnen, es wäre also kleinlich, ja geradezu dünkelh.aft von dir, wolltest du dich dagegen sträuben Eines Tages, wenn du ein großer Mann sein wirst, wirst du deine kleine Schwester segnen, daß sie einst klüger und energischer war als du " Tonio schwieg lange, dann aber sagte er: „Ja — ich will lernen — ich werde fleißig und aus dauernd sein, um Alexander zu beweisen, daß ein Coleone vielleicht Darlehen, aber keineswegs Geschenke anzunehmen braucht Ich werde dir Ehre machen Du wirst sehen Al lein —Seine Stimme stockte, er errötete tief, dann aber bezwang er sich und fuhr fort: „Sieh, Nafaela, was mich am meisten bei der Sache bedrückt, ist das Gefühl, daß du und ich und Großmama alles von einem Manne empfangen »ollen, dem du seine Güte nicht einmal damit vergiltst, daß — " Er hielt inne, » brachte es doch nicht so ohne weiteres über die Lippen. „Was meinst du —fragte Nafaela befangen. „Du liebst ihn nicht!" stieß Tonio heraus „Wer jagt dir das^" preßte Nafaela hervor. „Warum bist du nicht aufrichtig, wenigstens gegen mich, Nafaela?" jagte Tonio traurig. „Ich weiß, daß du einen anderen liebst." (Nachdruck verboten.) Nafaela starrte ihn an, dann murmelte sie: „Das ist nicht wahr." „Was? Nun, dann hast du den andern belogen, wie du jetzt Alexander belügen willst!" rief Tonio erregt. „Ich verstehe dich nicht —stammelte Nafaela. „Ich weiß, daß du einem anderen Hoffnungen gemacht hast" „Woher weißt du das?" fragte das junge Mädchen schweratmend. „Hat er es dir vielleicht selbst gesagt?" Tonio schwieg. „Also er hat es dir selbst gesagt? Ah — wie gemein!" preßte Nafaela zwischen den sestgeschlosfenen Zähnen her vor. „Es geschah in einer Stunde der Verzweiflung, Nafaela. Ach, Nafaela, es quält mich, zu sehen, wie leicht es dir fällt, dir aus den ernstesten Fallen mit einer Lüge herauszu helfen. Meine Schwester lügt! Dieser Gedanke ist mir furchtbar." „Du bist zu jung und unerfahren, um das alles zu begreifen, aber du wirst es sicher auch einmal an dir selbst kennen lernen. Wenn wir uns von jemand so sehr geliebt sehen, wird es uns unendlich schwer, ja mitunter ganz un möglich, seine Illusionen zu zerstören. Und — Liebe er weckt wieder Liebe! Ich schwüre dir — ich dachte anfangs an nichts, aber Kamillas Leidenschaft gewann nach und nach eine so große Gewalt über mich, daß ich ihm mit aller Mühe nicht entrinnen konnte" „Ich klage dich nicht an, weil du ihn liebst," jagte Tonio nack immer hoch erregt. „Dazu habe ich weder ein Recht nach sonst einen Grund Wessen ich dich anklage, ist, daß du mit ihm gespielt hast!" „Du irrst!" ries Nafaela, und ihre Wangen glühten. „Ich habe keinen Augenblick lang mit ihm gespielt, o nein! Es hat mich beglückt, unter den Lassen, die mich umflat terten, auch einen Menschen zu finden, dessen Liebe echt war Es machte mich glücklich, ach Tonio, glaube es mir, so unendlich glücklich, daß ich mich von diesem Zauber ge fangennehmen ließ Die Zeit, da mir Kamilla seine Liebe gestand und mich täglich mit Beweisen seiner Zärtlichkeit überflutete, war jo schön — jo schön — " Sie schloß unter den Erinnerungen, die vor ihr aufstiegen und sie umgau kelten, die Augen, lehnte ihren Kopf zurück und schien nicht mehr fähig, weiter zu sprechen Tonio betrachtete sie und schwieg ebenfalls. Vom Garten her dufteten die Blüten der Granatäpfel bäume und die wilden Fliederbüsche, durch die herab gelassenen Ialousiespalien blitzten goldene Sonnenstrahlen Nafaela blickte mit halbgejchlossenen, feuchtschimmern den Augen über all die stille Herrlichkeit, auf ihrem reizen den, kindlichen Antlitz lag eine Schwermut, die dort ganz fremd war, und Tonios Hand in die ihrige nehmend, flü-