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j mir träumen lassen, daß Arbeit etwas so Furchtbares » wäre. Von halb fünf morgens bis zehn Uhr nachts bin ! ich der Sklave aller. Es gibt Anzeichen von zunehmender I Mißstimmung im „Zwischendeck" und es heißt, daß schon f eine Prügelei zwischen „Smoke" und Henderson statt- » gefunden habe. Henderson scheint der beste von den « Jägern zu sein, ein besonnener Bursche, der schwer aus I seiner Ruhe kommt. Diesmal muß er aber sehr erbost I gewesen sein, denn als „Smoke" zum Abendbrot in die » Kajüte kam, hatte er ein blaues Auge und sah bös aus. Gerade vor dem Abendbrot hatte sich auf Deck etwas i ereignet, das für die Gefühllosigkeit und Roheit dieser ! Männer bezeichnend ist. Unter der Mannschaft befindet i sich ein junger Mensch namens Harrison, ein plump aus- ' sehender Baucrnbnrschc, der, vermutlich von Abenteuer- I lust getrieben, seine erste Seereise macht. In dem leichten, I veränderlichen Wind laviert der Schoner ziemlich viel, i und dann muß jedesmal ein Mann nach oben gehen, um ' das vordere Gaffeltoppsegel umzulegen. Irgendwie hatte I sich nun, als Harrison oben war, die Schoot im Block I am Ende der Gaffel festgeklemmt. Soviel ich verstand, ; gab es zwei Möglichkeiten, sie loszubekommen — erstens, » das Segel herunterzufieren, was verhältnismäßig leicht I und gefahrlos war, zweitens auf der Pieck bis zum Ende ! >der Gaffel hinauszuklettern, ein gewagtes Unternehmen. ; Johansen rief Harrison zu, er solle hinausklettern. Alle ' sahen, daß der Junge Angst hatte, und dazu hatte er alle I Ursache: achtzig Fuß über dem Deck und nichts, um sich I festzuhaltcn, als dies dünne, ruckweise hin- und her- ; geschleuderte Tau! Hätte ein stetiger Wind geweht, so « würde es nicht so schlimm gewesen sein, aber die „Ghost" I rollte ohne Ladung in der Dünung und bei jedem über- l holen gerieten die Segel in schwingende Bewegung und ; schlugen und die Falle wurden schlaff und dann mit einem ' Ruck wieder straff. Sie vermochten einen Mann hin- I unterzufegen wie ein Peitschenschmitz eine Fliege. Harrison hörte den Befehl und verstand, Was man I von ihm verlangte, zögerte jedoch. Vermutlich war er ' das erstemal in seinem Leben in der Takelung. Johansen, I von Wolf Larsens Herrschsucht augesteckt, brach in einen ! Strom von Flüchen aus. „Genug, Johansen," sagte der Kapitän schroff, „das > Fluchen auf dem Schiff besorge ich selbst, daß Sie und alle I es wissen. Wenn ich Ihre Hilfe brauche, werde ich » Sie rufen." „Jawohl, Käptn," antwortete der Steuermann. Unterdessen war Harrison auf das Fall hinaus- I geklettert. Ich blickte durch die Kombüscntür hinauf und ; konnte sehen, wie er zitterte, als wären ihm alle Glieder j Vom Schüttelfrost gepackt. Er kroch ganz langsam und i vorsichtig. Als er sich etwa in der Mitte befand, machte ! die „Ghost" eine Schlingcrbcwcgung nach Luv und wieder ! zurück in ein Wellcntai. Harrison hielt inne und klam- ; merte sich fest. Das Segel wurde schlaff und schwang i mittschiffs. Das Fall gab nach und obgleich sich das I alles mit großer Schnelligkeit abspielte, konnte ich doch I sehen, wie es durch sein Körpergewicht sackte. Dann ; schwang die Gaffel mit einem Ruck zur Seite, das große i Segel schwoll wie aus der Kanone geschossen und die drci- I fache Reihe von Resfseisingen klatschte wie eine Gewehr- ' salve gegen die Leinwand. Harrison sauste, immer noch ; festgeklammert, durch die Luft, aber das Fall straffte sich i wieder mit einem scharfen Ruck. Da verlor er den Halt. I Die eine Hand wurde losgerissen, die andere krampfte sich ' einen Augenblick verzweifelt fest, dann folgte auch sie. Der > Körper sauste hinunter, aber glücklicherweise blieb er mit i den Füßen hängen. Durch eine schnelle Bewegung gelang > es ihm, das Fall zu packen. Da hing er — ein kläglicher >, Anblick. „Wetten, daß ihm heute das Abendbrot nicht schmecken I wird?" hörte ich Wolf Larsen sagen, dessen Stimme nm die ! Ecke der Kombüse zu mir drang. „Johansen, abhalten. ; Passen Sie auf! Jetzt kommt die Bö." Harrison mußte sich sehr elend fühlen. Lange klam- I merte er sich an seinen schwankenden Halt, ohne auch nur j einen Versuch zu machen, sich zu bewegen. „Es ist eine Schande!" hörte ich Johnson knurren. ' Er stand beim Großmast, ganz nahe bei mir. „Der Junge I hat guten Willen. Mit der Zeit wird er es schon lernen. Aber das ist..." Er machte eine Atempause und j beendete dann sein Urteil: „Mord!" „Willst du still sein!" flüsterte Louis ihm zu. „Wenn « dir dein Leben lieb ist, so halt' den Mund." t Der Jäger Standish sagte zu Wolf Larsen: „Das ist I mein Puller und ich möchte ihn nicht verlieren." „Stimmt, Standish," lautete die Antwort. „Wenn du ! ihn im Boot hast, ist er dein Puller, solange ich ihn aber I hier an Bord habe, ist er mein Matrose und da mache ich I mit ihm, was mir gefällt." ! „Aber das ist doch kein Grund . . .," begann Standish ! erregt. „Es ist gut," unterbrach ihn Wolf Larsen. „Ich habe > meine Meinung gesagt und damit genug." Die Augen des Jagers funkelten zornig, aber er I drehte sich um und ging die Treppe zum Zwischendeck ! hinab, wo er stehenblieb und hinaussah. Alle Mann be- ! fanden sich an Deck und alle Augen waren nach oben ge- ; richtet, wo ein menschliches Wesen mit dem Tode rang, i Ich, der ich abseits vom Trubel der Welt gelebt hatte, I hätte mir nie träumen lassen, daß es draußen so zuging. I Das Leben war mir stets als etwas Heiliges erschienen » und hier galt es nichts, war nur eine Ziffer in einer ge- i schriftlichen Berechnung. Ich muß gestehen, daß manche I der Matrosen doch Mitgefühl hatten, wie Johnson zum j Beispiel, aber die Vorgesetzten — die Jäger und der > Kapitän — waren ganz herzlos. Selbst der Einspruch , Standishs war nur dem Wunsche entsprungen, seinen I Bootspuller nicht zu verlieren. Hätte es sich um den » Ruderer eines anderen Jägers gehandelt, so würde er sich » wie sie darüber belustigt haben. Doch zurück zu Harrison! Johansen schmähte und ! beleidigte den armen Kerl, aber es dauerte volle zehn ; Minuten, bis er ihn wieder in Bewegung gebracht hatte. ; Kurz darauf hatte er das Ende der Gaffel erreicht, wo er , sich besser festhalten konnte. Er machte das Schoot klar I und hätte nun am Fall entlang zum Mast zurückklettern > können. Aber er hatte den Kopf verloren. Er blickte auf den luftigen Weg, den er passieren sollte, i und dann hinunter aufs Deck. Noch nie hatte ich soviel ! Furcht auf dem Gesicht eines Menschen ausgeprägt gesehen. - Wolf Larsen, der, in eine Unterhaltung mit Smoke ver- ; tieft, auf und nieder schritt, nahm keine Notiz von ihm, ! nur rief er dem Mann am Rad einmal scharf zu: „Du bist I aus dem Kurs, Mann! Paß auf, daß du dir keine Un- ; annehmlichkeiten zuziehst!" „Jawohl, Käptn," erwiderte der Rudergast und drehte i das Rad. Er hatte die „Ghost" ein paar Strich aus dem Kurs ! gebracht, damit das bißchen Wind das Vorsegel füllen i und prallhalten konnte. Er hatte dem unglückseligen i Harrison helfen wollen auf die Gefahr hin, Wolf Larsens ! Zorn heraufzubeschwören. Meine Spannung war furchtbar. Thomas Mugridge ! hingegen fand die Geschichte außerordentlich lustig, er I steckte fortwährend den Kopf zur Kombüse heraus, um j scherzhafte Bemerkungen zu machen. Wie ich ihn Hatzte! . Und wie mein Hatz in diesen bangen Minuten ins Riesen- ; hafte wuchs! Zum erstenmal in meinem Leben verspürte l ich die Lust, zu morden. Wohl eine halbe Stunde verging. Da sah ich Johnson . in einem Wortwechsel mit Louis. Er endete damit, datz ! Johnson den Arm des andern, der ihn halten wollte, bei- l seiteschob und nach vorn ging. Er überquerte das Deck, j sprang in die Takelung und begann zu klettern. Aber das , schnelle Auge Wolf Larsens hatte ihn erfaßt. „Hallo, Mann, wohin?" rief er. Johnson hielt im Klettern inne. Er blickte seinem j Kapitän in die Augen und sagte langsam: ; „Ich will den Jungen heruntcrholen." „Du wirst herunterkommen und das ein bißchen I plötzlich. Verstanden? Runter!" Johnson zögerte, aber der langjährige unbedingte ! Gehorsam gegen den Herrn des Schiffes übermannte ihn; ! er glitt aufs Deck herab und ging nach vorn. (Fortsetzung solgt.) i