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Steuermänner zur Besatzung. Auch die Jäger müssen sich an den Wachen beteiligen und unterstehen im übrigen immer den Befehlen Wolf Larsens. Alles dies und noch mehr habe ich gelernt. Die „Ghost" gilt als der schnellste Schoner der Flotten von San Franzisko und Viktoria. Johnson erzählte mir davon. Er sprach von dem schönen Fahrzeug mit derselben Liebe und Begeisterung, wie manche Menschen sie für Pferde haben. Er sieht sehr schwarz in die Zukunft und gibt mir zu verstehen, daß Wolf Larsen einen sehr schlechten Ruf unter den Nobben- fängerkapitänen hat. Es war die „Ghost", die Johnson verführte, sich für die Fahrt anheuern zu lassen, aber er fängt schon an, es zu bereuen. Jedermann an Bord, mit Ausnahme Johansens, dem seine Beförderung zu Kopfe gestiegen ist, scheint eine Ent schuldigung dafür zu haben, daß er sich an Bord der „Ghost" befindet. Fast die Hälfte der Leute im Vorschiff sind Hochseematrosen und sie entschuldigen sich damit, nichts von dem Schiff und seinem Kapitän gewußt zu haben. Von den Jägern wird gemunkelt, daß sie, so aus gezeichnete Schützen sie seien, wegen ihrer Streitsucht und verbrecherischen Neigungen keine Heuer auf einem an ständigen Fahrzeug hätten finden können. Ich habe die Bekanntschaft eines anderen Mannes von der Besatzung gemacht — Louis', eines Iren aus Neuschottland, eines freundlichen, gutmütigen und sehr verträglichen Burschen, der stets zu einer Unterhaltung bereit ist, sobald er nur einen Zuhörer finden kann. Am Nachmittag, wenn der Koch unten sein Mittagsschläfchen hält und ich meine ewigen Kartoffeln schäle, kommt Lonis zu einem Plausch in die Kombüse. Er entschuldigt »seine Anwesenheit an Bord damit, daß er betrunken war, als er sich anheuern ließ. „Ach, mein Junge," er schüttelte unheilverkündend den Kopf, „du hast dir gerade den schlimmsten Schoner ausgesucht, und dabei warst du nicht einmal besoffen wie ich. Dieser Wolf Larsen ist der Teufel selber, und seit er die „Ghost" bekommen hat, ist sie ein Höllenschiff. Ich weiß noch gut, wie er vor zwei Jahren in Hakodate einen Anfall kriegte und vier von seinen Leuten niederschoß. Und im selben Jahre erschlug er einen Mann mit der bloßen Faust. Und kamen nicht der Ingenieur der Insel Kura und der Polizeihauptmann, japanische Herren, Freundchen, als. seine Gäste an Bord der „Ghost" mit ihren Frauen — so zarten kleinen Dingerchen, wie sie auf Fächern gemalt sind —, und wurden nicht die beiden Ehemänner bei der Abfahrt, wie aus Versehen, in ihrem Sampan zurückgelassen? Und wurden die armen kleinen Damen nicht eine Woche später auf der anderen Seite der Insel an Land gesetzt und mußten in ihren Stroh sandalen, die keine Meile halten konnten, über die Berge wandern? Als ob ich das nicht wüßte! So ein Tier ist dieser Wolf Larsen. Er wird ein Ende mit Schrecken nehmen! Aber ich habe nichts gesagt, denk' daran. Nicht einen Ton hab' ich geflüstert, denn der alte dicke Louis möchte gern die Reise überleben. — Wolf Larsen," spru delte er einen Augenblick später heraus. „Beachte das Wort, hörst du: — Wolf — ein Wolf ist er. Er hat nicht ein schwarzes Herz wie manche Menschen. Er hat über haupt kein Herz. Ein richtiger Wolf ist er. Er trägt seinen Namen mit Recht!" „Aber wenn er so berüchtigt und bekannt ist," fragte ich, „wie ist es dann möglich, daß er immer noch Leute bekommt?" „Wie ist es möglich, daß man überhaupt Leute be kommt, um irgend etwas auf Gottes Welt zu tun?" fragte Louis. „Würde ich an Bord sein, wenn ich nicht viehisch besoffen gewesen wäre, als ich unterschrieb? Manche, wie die Jäger, können keinen bessern Schiffer finden, und manche, wie die armen Teufel vorn, wußten es nicht besser. Aber sie werden schon darauf kommen und werden den Tag verfluchen, an dem sie geboren sind. Aber ich habe keinen Ton gesagt, denk' daran, keinen Ton! — Die Jäger sind schlechte Kerle," brach er wieder los. „Aber — er wird mit ihnen fertig. Er wird sie schon Gottesfurcht lehren! Sieh mal meinen Jäger, „Jock" Horner nennen sie ihn, und er sieht so ruhig und um gänglich aus und spricht so sanft wie ein Mädchen, daß man glaubt, die Butter könne ihm nicht im Munde schmelzen. Und hat er nicht letztes Jahr seinen Boots steuermann getötet? Unglücksfall, sagte man, aber ich I traf den Bootspuller in Jokohama, und der hat mir die » Wahrheit erzählt. Und „Smoke", der schwarze kleine Kerl I — steckten ihn die Russen nicht drei Jahre in die sibirischen l Salzminen, weil er auf Copper Island Fifche ge- j stochen hatte? Aber ich bin taub und stumm und wenn du , deine Mutter lieb hast, bist du's auch." Johnson, der Mann, ! der mir die Haut abgerieben hatte, als ich an Bord kam, l schien mir von allen Leuten der am wenigsten Zweifel- hafte. Seine Offenheit und Männlichkeit waren auf den » ersten Blick überzeugend und dazu kam seine Bescheiden- ! heit, die man leicht für Schüchternheit halten konnte. Aber l schüchtern war er nicht. Er hatte vielmehr den Mut der i Überzeugung, die Sicherheit seiner Männlichkeit. Das . war es, was ihn gleich zu Beginn unserer Bekanntschaft ! gegen die falsche Aussprache seines Namens hatte pro- l testieren lassen. Louis sprach über ihn und prophezeite. I „Das ist ein Prachtkerl, dieser Johnson," sagte er. ; „Unser bester Seemann und mein Puller. Aber er und » Wolf Larsen werden aneinandergeraten, so sicher wie I zweimal zwei vier ist. Ich habe mit ihm geredet wie mit I meinem eigenen Bruder, aber er will kein falsches Signal ; zeigen. Er murrt, wenn nicht alles nach seinem Kopf » geht, und es gibt immer ein Klatschmaul, das es Wolf I Larsen hinterbringt. Der Wolf ist stark und es ist eine > Art des Wolfes, Stärke bei anderen zu hassen. Und ; Stärke findet er bei Johnson — kein Kriechen, kein „Ja- « Wohl, Käptn, ergebensten Dank, Käptn" für ein Schimpf- I Wort oder einen Faustschlag. — Ja, es kommt, es kommt! I Und Gott weiß, wo ich einen anderen Puller hernehmen > soll! Was tut der Narr, als der „Alte" ihn Bonson » nennt? „Ich heiße Johnson, Käptn, und buchstabiert ihm > den Namen vor. Du hättest das Gesicht des „Alten" > sehen sollen! Ich dachte schon, er würde auf der Stelle ; über ihn herfallen. Er tat es nicht, aber er wird es tun, « und er wird diesem Hartschädel das Licht ausblasen oder I ich kenne meine Leute nicht." — Thomas Mugridge wird unerträglich. Bei jeder > Anrede muß ich „Herr" zu ihm sagen. Es dürfte mit- i sprechen, daß Wolf Larsen eine Vorliebe für ihn gefaßt I hat. Es ist wohl unerhört, daß ein Kapitän auf ver- I trautem Fuße mit seinem Koch steht, aber Wolf Larsen < tut es. Zwei- oder dreimal hat er schon den Kopf zur ! Kombüse hereingesteckt und Mugridge gutmütig geneckt, I und heute nachmittag standen sie eine volle Viertelstunde > auf dem Achterdeck und unterhielten sich. Als der Koch ! wieder in die Kombüse trat, glänzte sein Gesicht, als wäre I es mit Fett eingeschmiert, und er sang zu seiner Arbeit I so falsch, daß es herzzerreißend war. „Ich verkehre immer mit den Offizieren," bemerkte ' er vertraulich zu mir. „Ich weiß mich beliebt zu machen. I Mein früherer Kapitän — ei, das ging nicht anders, ich ! mußte zu ihm in die Kajüte kommen und ein Gläschen ' mit ihm trinken. „Mugridge," sagte er, „Mugridge, du » hast deinen Beruf verfehlt." — „Und wieso?" — „Du i hättest Gentleman werden müssen und nie für Geld I arbeiten dürfen." Gott straf' mich, Hump, wenn er das j nicht gesagt hat, und ich saß gemütlich mit ihm in seiner ; Kajüte, rauchte seine Zigarren und trank seinen Rum." i Dies Gespräch trieb mich zur Verzweiflung. Ich j habe nie eine Stimme gehört, die mir so verhaßt war. » Er war tatsächlich der ekelhafteste, widerwärtigste Mensch, i den ich je getroffen habe. Seine Kocherei war eine unbe- I schreibliche Schweinerei, und da er alles kochte, was an j Bord gegessen wurde, mußte ich mir mit allergrößter Vor- « sicht das am wenigsten Schmutzige aus dem Fraß her- ! aussuchen. Ich war nicht gewohnt zu arbeiten, und meine Hände I schmerzten mich sehr, und dazu hatte ich eine große Brand- ' wunde am Unterarm, die ich mir zugezogen hatte, als » ich einmal beim Nollen des Schiffes das Gleichgewicht I verlor und gegen den Herd geschleudert wurde. Mein , Knie war immer noch geschwollen. Wenn es überhaupt > besser werden sollte, mußte ich Ruhe haben. Ruhe! Nie » zuvor hatte ich den Sinn dieses Wortes verstanden. Ohne I es zu wissen, hatte ich mein ganzes Leben geruht. Aber > jetzt! Hätte ich nur eine halbe Stunde stillsitzen können, » ohne etwas zu tun, ja, ohne zu denken — es wäre das » Schönste von der Welt für mich gewesen. Nie hätte ich j