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Nr. 51 PAPIER-ZEITUNG 1879 in dem etwa 10 m langen Glassehrank befindet sich ein Zettel, auf welchem der Verleger, Drucker und die betheiligten Künst ler bezeichnet sind. Auf diese Weise war es möglich, eine immerhin stattliche Zahl vortrefflich — und zwar nur vortreff lich ausgestatteter Werke — vorzuführen. Wirkt dieses System an dieser Stelle zwar mit einer nicht zu verkennenden engli schen Langweiligkeit, so ist es doch zweifellos, dass man auf gleiche Weise etwas Ausgezeichnetes und zugleich Interessantes hätte bieten können. In der deutschen Buchgewerbe-Ausstel lung macht sich aber neben mancherlei Gutem und Vorzüg lichem die Mittelmässigkeit und Dürftigkeit breit und lässt einen einheitlich guten Eindruck nicht auf kommen. Es muss ja lebhaft bedauert werden, dass viele der lei stungsfähigsten Firmen der Ausstellung fern geblieben sind und dadurch ein Hervortreten schwacher Leistungen ermög licht, ja die Ausstellungskommission in die Nothlage versetzt haben, zur Ausfüllung des Raumes solche überhaupt gelten zu lassen. Sind wir über die imposante über 11 m hohe Treppenhalle geschritten, so betreten wir einen hellen Saal, von dessen Wänden uns die von Fräulein Grete Waldau in Breslau stim mungsvoll ausgeführten Ansichten der Stadt Mainz vom Rhein aus gesehen und des Marktplatzes von Leipzig begrüssen, wo mit an die Wiege und die heute blühendste Pflegstätte der Kunst Gutenbergs erinnert wird. Hier und in den anstossen den Zimmern finden wir die Auslagen der Verlagshandlungen, dann die der technischen Betriebe mit Ausnahme der Litho grafie, Holzschneidekunst, Graviranstalten und Buchbinderei, die in dem oberen Geschoss Unterkommen gefunden haben. Dem sachlich-historischen Entwicklungsgänge folgend, müssten wir zunächst von der Schrift reden. Von deutschen Schriftgiessereien finden wir H. Berthold in Berlin, Gentsch & Heyse in Hamburg, Heinrich Hoffmeister in Leipzig und Scheiter & Gieseche in Leipzig, denen sich noch die Messinglinienfabrik C. Rüger in Leipzig anschliesst. Neuig keiten legen die Firmen, soviel ich sehen konnte, nicht vor. Die vortrefflichen Leistungen dieser Firmen sind bekannt und werden auch im Auslande geschätzt. Eine Vergleichung mit den Leistungen der Schriftgiesserei anderer Staaten konnte ich nicht anstellen, da die Ausstellung des französischen Syndi kates dieses Zweiges während meines dreiwöchentlichen Auf enthaltes nicht in die Erscheinung trat und bei den anderen Staaten Schriftgiessereien, soviel ich bemerken konnte, nicht ausgestellt haben. Da die beiden Firmen H. Berthold und Scheiter & Giesecke die bedeutendsten ihres Geschäftszweiges sind, so ist dieser ja sehr gut vertreten, wenn auch andere hervorragende Firmen fehlen. Bei der Auslage letzgenannter Firma gefallen besonders die gelungenen Anwendungen ihres modernen Schrift- und Ziermaterials, während ein mächtiger Foliant mit den Proben der Firma Berthold durch seine ausser ordentliche Reichhaltigkeit wohldurchdachter Garnituren impo- nirt. Die Bemühungen der deutschen Schriftgiesserei, den vielseitigen Anforderungen neuerer Zeit und dem Streben nach neuen Formen gerecht zu werden, müssen jedenfalls anerkannt werden. Die Reichsdruckerei, welche alle Zweige des Buch gewerbes pflegt und in einem besonderen Zimmer des Ober geschosses zur Anschauung bringt, erscheint mit drei Garnituren, von denen jede in ihrer Art etwas Neues darstellt und einen durchaus eigenen Charakter hat. Wir haben kürzlich erst eine Probe der in dem amtlichen deutschen Katalog angewandten Schrift gegeben. In den Werken: »Musäus, die Chronika der drei Schwestern« und »Die Nibelungen« sind gleichfalls zu diesen Zwecken neu geschaffene Schriften zur Anwendung gekommen, die durch Kraft und Originalität sich auszeichnen. Im Uebrigen ist der deutsche Verlag mit Anwendung neuer Schriften sehr zurückhaltend, und die neuen Formen kommen meist den Accidenzen zu Gute, von denen sich auf der Aus stellung sehr wenig sehen lässt — leider — denn gerade das ist wieder ein Gebiet, auf dem wir anderen Nationen, zumal den Franzosen — soweit es sich um rein typografische Arbeiten handelt — überlegen sind. Was für eine interessante Aus stellung liesse sich z. B. aus unseren deutschen Buchhändler- Zirkularen veranstalten, unter denen sich eine grosse Zahl reiz voller Arbeiten befindet. Die acht bis zehn Buchdruckereien, die ausgestellt haben, weisen Werkdruck oder in Einzelblättern fast nur Illustrations- und Buntdrucke auf, wie sie die Firmen W. Büxenstein und Julius Sittenfeld in Berlin, Förster & Bwries in Zwickau in musterhafter Weise ausgeführt und ausgestellt haben. Hier herrscht der Dreifarbendruck vor, der in vielen wohlgelungenen, namentlich naturwissenschaftlichen Abbildungen mit Vortheil verwendet wird. Soweit Werkdruck in Frage kommt, mit Titelsatz, Buch- Umschlägen usw., wäre bei den Verlagshandlungen das Ge eignete zu erwähnen, die Druckereien selbst haben nur Weniges davon ausgelegt. F. v. Biedermann Berichte unserer Korrespondenten Stuttgart, Mitte Juni Das Fest, welches seit Monaten unsere Buchdruckerwelt beherrschte, ist vorüber, es hat am 16. und 17. Juni bei prächtigem Wetter unter grosser Theilnahme stattgefunden, und die Jünger Gutenbergs sind wieder in ihre Werkstätten zur Weiterverbreitung von Licht und Wahrheit zurückgekehrt. Eine Aufzählung der vielen Gesang- und Musik- sowie Einzel- Vorträge wollen wir jedoch unterlassen und nur feststellen, dass von allen Mitwirkenden das Beste geboten wurde; hervor heben müssen wir jedoch die Programmpunkte, welche dieses 500jährige Jubelfest von denen anderer Jahre trennen, und welche das Stuttgarter Fest anderen Städten gegenüber in sozialer Weise auszeichnen. Hier wurde bekanntlich vor Monaten die Anregung gegeben, das Fest solle gemeinsam von Prinzipalen und Gehilfen gefeiert werden, welcher Vorschlag beiderseits auch Anklang gefunden, und worauf die Vor bereitungen zum Fest gemeinsam ausgeführt und die Kosten gemeinsam getragen wurden. Hierdurch wurde es möglich, ein Buchdruckerfest zu feiern, an dem die eingeladenen Ehrengäste (Minister, Künstler, Gelehrte, Buchhändler; Litteraten usw.) gerade so ihre Freude hatten und vielfach bezeugten, wie die eigentlichen Festtheilnehmer aus Stuttgart und der Provinz, und dass es in der gesammten Presse als durchaus gelungen in spaltenlangen Berichten gefeiert wurde. Den Glanzpunkt des Festes bildete der im Prunksaale des Landesgewerbemuseums — in der König Karl-Halle — ab gehaltene Festaktus am Sonntag, 17. Juni, 11 Uhr vormittags. Die ansehnliche Festversammlung wurde am Beginn und am Schluss des Festaktes durch je ein Musikstück und einen Gesang erfreut, und dazwischen lag der von Buchdrucker J. Huober verfasste und von der Hofschauspielerin Olga Doppler als Stuttgardia gesprochene Prolog, welcher in schwungvollen Worten der Festesfreude Ausdruck gab, sowie die von Prof. Dr. Schanzenbach gehaltene Festrede. Aus dieser sei nur hervorgehoben, dass der Festredner zuerst einen allge meinen Rückblick hielt, dabei die beiden grössten Stutt garter Feste dieses Jahrhunderts streifend: die 100jährige Geburtstagsfeier Schillers und das Gutenbergfest von 1840, dabei betonend, dass diese beiden grossen Deutschen wohl der ganzen Menschheit angehören, aber auch in ganz be sonderer Beziehung zu unserer Stadt stehen: Schiller als der ehemalige Stuttgarter Karlsschüler und Schwabens grösster Sohn, und Gutenberg als der geniale Meister, dessen Kunst gerade in Stuttgart eine so mächtige Entwicklung und hohe Blüthe erlebte. Alsdann zog der Redner einen Vergleich zwischen 1840 und 1900. Damals hatte Stuttgart bei 40000 Ein wohnern 28 Buchhandlungen, 25 Buchdruckereien, 5 Schrift giessereien und arbeitete mit 500 Arbeitern, die im Dienste der Lettern standen; an Druckwerkzeugen waren 100 Handpressen, 7 Doppelpressen und 15 Schnellpressen vorhanden, und heute sind es bei 180 000 Einwohnern 53 Buchdruckereien, 90 Verlags handlungen, 20 Schriftgiessereien, galvanoplastische und zinko- grafische Anstalten sowie 83 Papier-, Schreib- usw. Handlungen, und 143 Zeitungen und Zeitschriften werden hier heraus- gegeben. Die Person Gutenbergs und seinen ganzen Lebens gang schildernd, erblickt Redner den Kern der Erfindung in der Verwendung einzelner beweglicher gegossener Metalltypen und vor Allem durch die richtige Art der Typenbildung, durch Patrize und Matrize und schliesst mit den Worten: »Wie deine Kunst, verklärter Meister, seit Jahrhunderten die Welt belehrt, erfreut, erleuchtet und des Weisen Lehre, des Forschers Ent deckung, des Dichters Schöpfung, der Völker Gesetze und Rechte, des Tages Geschehnisse über den Erdkreis trägt, so möge sie auch unter unsern Enkeln blühen und hochgehalten werden, nie von der Lüge entweiht, nie von der Gemeinheit entwürdigt, nie von knechtischer Furcht gefesselt, allezeit eine Priesterin sein der Wahrheit, der Schönheit, der Freiheit!« Der Festredner sowohl als Frau Doppler ernteten wohl verdienten Beifall, und die Anwesenden waren tief ergriffen, als die vor den Treppenstufen stehende Gutenbergbüste von Frau Doppler mit dem Lorbeer, den die Zeitgenossen dem