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Buchgewerbe Buchbinderei * * * * * Buchhandel Eingesandte Werke finden Besprechung Buchdruck *** * * * Steindruck Sachliche Mitteilungen finden kostenfreie Aufnahme Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung Nr. । Typografische Spaziergänge Von C. Kulbe Wenn der Stil der Mensch ist, so sind seine Werke sein Stil. Wenn diese Werke in gemeinsamer Arbeit einer grossen oder kleinen Gruppe von Menschen geschaffen werden, so überträgt sich dieser Stil bereits im grossen Umfange auf eine Zahl von Einzelwesen. Hierdurch ist die Entstehung von Stilrichtungen deutlich erklärt. Noch selbstverständlicher wird eine solche Entstehung, wenn man sich denjenigen, der seine Werke in besonderer Art auszustatten versteht, als Lehrer einer grösseren Gemeinschaft vorstellt, und wenn man annimmt, dass diese Gemeinschaft wiederum das Gehörte und Gelernte in sich verarbeitet und andern mitteilt. So kann man sehr gut von einer bestimmten Schulrichtung oder von einer bestimmten Lokalkunst reden. In der Malerei kennt man seit langem ihre historisch gewordenen Schulen: die verschiedenen Holländer, die Düsseldorfer, die Münchner usw. Im Buchdruck stösst man dagegen immer wieder auf den Glauben, der Stil entwickle sieh ganz unabhängig von örtlichen und persönlichen Bedingungen. Als vor einigen Jahren gelegentlich eines Vor trages in einer technischen Vereinigung von einer Münchner, Stuttgarter, Berliner und Leipziger Richtung gesprochen wurde, fand dies allseitigen Widerspruch. Trotzdem hat im Laufe dieser Jahre diese Anschauung Recht behalten. Kürzlich aber las ich in einer Fachzeitung das alte Märlein aufs Neue, das typografische Ausstattungsgebiet wäre als gewissermaassen international zu bezeichnen, und man könne von lokalen Eigen arten kaum sprechen. Dieser Behauptung wird indessen später in demselben Aufsatz widersprochen, indem am Schluss, es handelt sich um die Ausstattung von Wiener Arbeiten, untersucht wird, woher sich der jenen Arbeiten eigene Stil entwickelt haben möge. Der Verfasser des Aufsatzes führt dann selbst Skizzen an von Dekorationen an den Baulichkeiten, die zu der neuen Wiener Stadtbahn gehören. Durch hübsche Handskizzen sucht er den ideellen Zusammenhang zwischen der architektonischen Dekoration und jenen typografischen Zier formen zu beweisen. Und dies gelingt ihm tatsächlich in so treffender Form, dass er seine erstmalige Behauptung, der Stil der Typografie sei international, glänzend widerlegt. Ich er wähne d es, um der Frage näher zu kommen, wie typografischer Stil entsteht. Wenn jene Wiener Arbeiten unter dem Einfluss von Schmuckformen stehen, die durch mehrere Bauten in einer Stadt gewissermaassen alltäglich und bekannt geworden sind, so ist das begreiflich. Solche Gelegenheiten zur Vor führung neuer Ideen werden stets die besten Prediger für Fachleute und Laien sein. Etwas Aehnliches konnte man vor fünf Jahren beobachten mit Bezug auf die Förderung der damals einsetzenden modernen Bewegung im Kunstgewerbe. Die bekannte Münchner Zeitschrift »Jugend«, die im Jahre 1896 mit verblüffender Sicherheit Tausende kunstfreudiger Menschen in ein neues Formengebiet hineirführte, fand u. A. gelegentlich der Leipziger Gewerbe-Ausstellung 1897 einen grossen Bundes genossen für ihre ideale Aufgabe in den durch tüchtige Künstler ausgeführten Dekorationen der dortigen Gebäude. Es wirkte wie eine Offenbarung, dass man, entgegen der Gewerbe- Ausstellung von 1896 in Berlin, dort in Leipzig mit schlichten, auf das Kurzlebige einer solchen Ausstellungsstadt vernünftig eingehenden Bauten hervortrat, während die Berliner Aus stellungspaläste meist wuchtige, für die Dauer bestimmte Stein- Architekturen durch allerlei Gypsverkleidungen vortäuschen wollten. Man scheute sich in Leipzig nicht, Holzwände als solche hinzustellen und so zu dekoriren, dass sie Holzwände blieben. In technischem Zusammenhänge damit musste die Dekoration der an sich rohen und ungefügigen Fläche ebenfalls ehrlich in Farbe und Form sein, und so erklärt es sich, dass diese Ornamente aus ihrem Wesen heraus über zeugend wirkten. Auf solche Weise bot Leipzig damals eine überaus günstige Schule für Alle, die mit Dekoration zu tun hatten, und man kann wohl für grosse Gebiete des Kunst gewerbes behaupten, dass Gehilfen und Meister auf jener Aus stellung mehr gelernt haben, als durch die besten Aufsätze der Fachpresse. Mit alledem hat Leipzig den modernen Stil nicht »gemacht«, aber es hat sehr viel zu seiner Einführung beigetragen. Leipzigs Ausstellungsstadt war ein augenschein licher Beweis für den lokalen Einfluss auf Geschmacks richtungen. Für den Buchdrucker kommen ausserdem noch andere Quellen in Betracht, aus denen das Stilgefühl fliesst. Die stete Auffrischung der ausübenden Kräfte im Buchdruck durch Beispiele aus dem Auslande ist sicher nicht zu unterschätzen. Sie kann sogar soweit führen, dass deutsche Erzeugnisse erst durch ihr Erscheinen im Auslande Wert gewinnen, und dass sie dann, weil vermeintlich im Auslande entworfen, in Deutsch land vielfach nachgeahmt werden. Einen Beweis hierfür bilden die sogenannten Barock-Ornamente, die von einer Berliner Firma zuerst herausgebracht und mit jenem Namen getauft wurden. Zwar nahm auch die deutsche Kundschaft jene neuen Ornamente willig auf; aber erst als dieses Ornament gleichzeitig in grossen Massen nach dem Auslande verkauft wurde und aus dortigen Zeitschriften den hiesigen Facbgenossen entgegenblickte, beeinflusste es den deutschen Geschmack. Die Erzeugnisse unserer Schriftgiessereien bieten einen weiteren Beleg für die Bildung des Geschmacks. Die werk tätigen Kräfte in diesen Firmen sind unablässig auf Weiter entwicklung des gegebenen Geschmacks bedacht und prüfen Alles, was an Wünschen und Bedürfnissen der Fachleute sich zeigt, eingehend auf seine Erfüllbarkeit. Von Zeit zu Zeit bringt dann die Giesserei in die herrschende Strömung passen des Material. Entspricht dasselbe wirklich dem Bedürfnis, so findet es Beifall, trifft dies nicht zu, so hilft ihm auch die beste Reklame nicht zu einer längeren Lebensdauer. Hier für sind viele Beweise vorhanden. Es erklärt sich hieraus wiederum die Behauptung, dass die Stilrichtungen sehr wohl von lokalen Einflüssen abhängig sind. Denn wenn auch die Erzeugnisse einer Schriftgiesserei in die ganze Welt gehen, so liegt es doch nahe, dass sich die nähere Umgebung schon durch die persönliche Berührung der erzeugenden und der verbrauchenden Kräfte weit inniger mit den gegebenen neuen Formen vertraut macht, als das für zerstreute Wohnsitze kaufende Ausland. Der Wert des Persönlichen im Stil kommt gerade in solchen Neuheiten besonders zum Ausdruck, wie es denn auch der mehr oder weniger ausgeprägten Eigenart der einzelnen Setzer oder Drucker entgegenkommt. Wir haben hierin einen neuen Beweis, dass sich auch die über ganze Länder gehenden Stil-Auffassungen aus kleinen Keimen ent wickeln und von den sich mehrenden Anhängern durch immer wachsende Abzweigungen in die grosse Masse gebracht werden. Was der Geschäftsgang im Hasten und Jagen häufig zu Boden tritt, und was in dem scharfen Wettbewerbe manchmal kaum bedacht wird, diesen Bestrebungen Einzelner wird häufig in unseren Gehilfen-Fachschulen trotzdem zur Anerkennung verholfen. Die Fachschule sollte nach einer ganz anderen Seite, als man gewöhnlich annimmt, die Geschmackrichtung beeinflussen. Neben dem natürlichen Einfluss der Lehrer sollte sie etwaige Ansätze der Schüler zur Ausbildung selb ständigen Geschmacks kräftig unterstützen. Unfertige Ideen der Schüler werden in der Ruhe des Unterrichts durch Unter stützung des Lehrers häufig zu charakteristischen Leistungen entwickelt. Und mit jeder solchen Arbeit wird nicht bloss für den Schüler, der die Arbeit gemacht hat, sondern für die ganze Klasse oder für die ganze Schule etwas gegeben, das zur Nach eiferung anspornt. Die Frage, wie Stilrichtungen entstehen, möchte ich nach einer anderen Seite hin beleuchten. In den Jahren 1897/99 herrschte ein ausserordentlich flotter Geschäftsgang, der den