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POLNISCHE BURGEN UND IHR BEFESTIGUNGS SYSTEM IM FRÜHEN MITTELALTER (Übergang vom 6./7. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts) Von Witold Hensel Die Burgen umfassen eine so vielfältige und reiche Problematik, daß diese im Rahmen eines kurzen Überblickes nicht annähernd ausgeschöpft werden kann. Ich habe mich daher entschlossen, meine Ausführungen auf ein einziges Teilproblem zu beschränken, nämlich auf die im Frühmittelalter beim Bur genbau in Polen zur Verwendung gelangenden Wehreinrichtungen. Auf diesem wie auch allen anderen Gebieten des Lebens der frühpolnischen Be völkerung zeichnen sich deutliche Zusammenhänge mit den sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten der Zeit ab. Bestimmend für die Ausgestal tung eines gegebenen Platzes war im allgemeinen dessen militärische und politische Bedeutung, wobei jedoch im Einzelfall auch noch andere Momente bei der Wahl dieses oder jenes Befestigungssystems für Burgen oder Subur bien mitbestimmend waren. Zahlreiche Fragen bezüglich der Entwicklung des Befestigungssystems der polnischen Burgen 1 ) sind übrigens bis heute noch nicht geklärt, da unsere entsprechenden Kenntnisse noch recht lückenhaft sind, was u. a. damit zusammenhängt, daß bisher nur ein verschwindend geringer Prozentsatz durchforscht worden ist. Es genügt festzustellen, daß bisher von über 2600 bis heute erhalten gebliebenen Burgwällen kaum 2 Pro zent — und dies zum Teil nur in kleinerem Umfange — ausgegraben wurden. Wenn wir uns dazu noch vorstellen, daß die Zahl der Burgen ursprünglich weit höher gewesen ist, so gehen wir wohl nicht fehl in der Annahme, daß bis jetzt kaum 1 Prozent der einstmals vorhandenen Burgen provisorisch er forscht worden ist. Die Befestigung der Burgen auf polnischem Boden weist dieselben Tendenzen auf, die wir auch in anderen Gebieten beobachten, die nicht von römischen Einflüssen erfaßt und arm an Steinmaterial waren. Das Holz bildete bis zum 11. Jahrhundert den typischen Baustoff nicht nur für die slawischen Befesti gungsanlagen, sondern auch für diejenigen anderer Länder, wie wir dies z. B. von Frankreich wissen. Ein ähnliches Bild bietet sich übrigens auch auf dem Gebiet des Sakral- und Wohnbaus. So stellt zu Beginn des 11. Jahrhunderts Thietmar, Bischof von Merseburg, für den Ausgang des 10. Jahrhunderts ausdrücklich fest (II, 42), daß die Tochter seiner Großmutter Judith mit hohem Arbeitsaufwand eine Kirche aus Stein erbauen ließ, obgleich die be treffende Gegend wenig Steinmaterial besaß („ecclesia, quam post de lapidi- 1) S. z. B. W. Hensel, Types de fortifications slaves du haut Moyen-Age, in: Archaeologia Polona, B. 2, 1959, S. 71-84, ders., Types de fortifications slaves au commencement du inoyen ge, in: Bericht über den V. Internationalen Kongreß für Vor- und Frühgeschichte Hamburg vom 24. bis 30. August 1958, Berlin 1901, S. 384-385.