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Ole G a rten b a u w krtsch a ft Nr. S3. 22. 11. 1927 r nicht gleich an das Flugzeug zu denken, das neuerdings hochwertige Produkte, wie frühe Erdbeeren, anderen Ländern zuführt. Hierbei handelt es sich ja bei dem bisherigen Stand les Flugverkehrs im großen und ganzen immer nur um Ausnahmcerscheinungcn, die im Rah men der gesamten Weltwirtschaft von großer Bedeutung noch nicht sind. Im Lause der Zeit wird sich das sicherlich ändern. Jetzt aber zeigt sich bereits, wie auch mit den Massentransportmitteln, der Dampsschiffahrt und der Eisenbahn, hochwertige und beicht verderbliche Gartenbauerzeugnisse aus weil« Entfernungen in gutem Zustande versandt werden können. Spielten noch vor dem Kriege bei der Bedrohung des deutschen Gartenbaues durch ausländische Konkurrenz die in anderen europäischen Ländern erzeugten Waren die Hauptrolle, so treten jetzt auch schon große Mengen von Produkten aus fremden Erd teilen als ernste Wettbewerber auf. Es sei hier beispielsweise an die Bananen erinnert, die mit besonderen Spezialschisfen vornehmlich aus Mittel- und dem nördlichen Südamerika nach Deutschland und anderen europäischen Län dern gelangen. Aber nicht nur die Südfrüchte sind in dieser Hinsicht bedeutungsvoll. Der aufmerksame Beobachter der Wandlungen auf dem Weltmarkt hat bereits seit längerer Zeit erkannt, daß auch di« Gartenbaucrzeugnisse der gemäßigten Zone zu einer weltwirtschaft lichen Stellung gelangen werden. Es wäre ein gefährlicher Irrtum, wenn man glauben wollte, daß der internationale Handel mit Garten bauerzeugnissen bereits seinen Höhepunkt er reicht hat. Wir stehen jetzt "vielmehr erst am Ansang einer Entwicklung, die man auf lange Sicht dahin kennzeichnen kann, daß im Welt verkehr Textilien und Getreide hinter den hochwertigen pflanzlichen und tierischen Er zeugnissen relativ an Bedeutung zurücktreten. Noch beherrscht der Handel mit Getreide den Weltumjatz an Agrarprodukten; doch diese über ragende Stellung des Getreides wird nicht von Dauer sein. Vielmehr ist anzunehmen, daß auch andere Erzeugnisse im Laufe der Jahrzehnte zu einer ähnlich wichtigen Stellung gelangen. Di« Gartenbauprodukte sind dabei nicht in letzter Linie zu neunen. Man mag diese Entwicklung bedauern oder nicht, aufhalteu läßt sie sich nicht; der deutsche Produzent aber ist gezwungen, ich: Rechnung zu tragen. Er muß beizeiten daraus bedacht sein, wie er diesen Wandlungen begegnen kann. Die Stan dardisierung nicht nur der Verpackung, sondern auch der gartenbaulichen Erzeugnisse selbst ist dabei von hervorragender Bedeutung. Die deut sche Ware kann mit dem ausländischen Wett bewerb nur Schritt halten, wenn sie den aus dem Ausland zugeführten Produkten wenigstens gleichwertig ist. Es würde zu weit führen, wenn an dieser Stelle di« in der Welt vor sich gehenden Wand lungen hinsichtlich der Gartenbaucrzeugung im einzelnen erörtert würden. Es genüge eine kurze Darlegung der Entwicklung in der nord amerikanischen Union, die zur Genüge zeigt, wie in jenen Gebieten diese intensiven Zweige der Bodennutzung im Laufe des letzten Jahr zehnts an Bedeutung gewonnen Haben. Die nordamerikanische Union als Produzent garten baulicher Erzeugnisse ist dadurch begünstigt, daß sie sich von vornherein aus den Markt einstellen konnte. Große Anbaugebiete sind dort von Anfang an geschaffen worden. Eine Verzettelung der Produktion auf zahlreiche, ver streut liegende kleinere Betriebe ist dort ver mieden. Damit ist nicht nur der Absatz von Gartenbauprodukten innerhalb der Vereinigten Staaten erleichtert, sondern es sind auch die besten Voraussetzungen für den Export gegeben. Um welche großen Werte cs sich bei der Pro duktion handelt, zeigen folgende Ziffern: im Jahre 1926 betrug der Wert der Apfelproduk tion, die für den Verkauf bestinunt war, 103 Millionen Dollar, der Wert der Erzeugung bei den übrigen Obstsorten: Apselsinen 93 Mil lionen Dollar, Grapefruits 14 Millionen Dol lar, Zitronen 14 Millionen Dollar, Birnen 23 Millionen Dollar, Weintrauben 65 Mil lionen Dollar, Preiselbeeren 7 Millionen Dol lar, Pfirsich« 67 Millionen Dollar, Walnüsse 13 Millionen Dollar. Ueber die Erzeugung an Gemüse liegen für dasselbe Jahr folgende Angaben vor: Beutelmelonen 18 Millionen Dollar, Blumenkohl 7 Millionen Dollar, Bohnen 13 Millionen Dollar, Erbsen 18 Mil lionen Dollar, Gurken 10 Millionen Dollar, Weißkohl 17 Millionen Dollar, Mais sür Kon serven 11 Millionen Dollar, Mohrrüben 3 Millionen Dollar, Salat 28 Millionen Dol lar, Sellerie 12 Millionen Dollar, Spargel 13 Millionen Dollar, Spinat 7 Millionen Dollar, Tomaten 40 Millionen Dollar, Wasser melonen 10 Millionen Dollar, Zwiebeln 16 Millionen Dollar. (Fortsetzung folgt.) Garlenbaudlrellor A. Brodersen. Am 16. November d. I. konnte Gartenbau- direktor A. Brodersen die 70. Wiederkehr seines Geburtstages seien». Brodersen ge hört zu den führenden Männern im deutschen Gartenbau, dessen Ruf als einer der fähigsten Gartengestalter sich weit über Groß-Berlin, wo er einen großen Teil seiner Tätigkeit aus übte, erstreckt. Bald nach Beendigung seiner Studienzeit an der früher Königlichen Gärtnerlehranstalt in Proskau kam Brodersen zu der Firma Körn'er in Berlin-Steglitz. Seiner Initiative ist das Aufblühen dieser Firma, in der er es bald zu einer leitenden Stellung brachte, zu danken. Mehr noch konnte er seine Fähig keiten als Gartengestalter betätigen, als er Mitinhaber der Firma wurde, die seither Körner L Brodersen heißt. Im Laufe der etwa 30 Jahre, in denen Brodersen als Gartenarchitekt tätig war, hat er zahlreiche Gartenanlagen inj ganzen Reiche geschaffen. Auch in der Berufsorganisation war Bro dersen mit Erfolg tätig, war er doch einer der Mitbegründer der Landschastsgärtner- Organisation Groß-Berlin, die heute als Be zirksgruppe für Gartenausführungen im Reichs verband des deutschen Gartenbaues e. V. weiterbesteht. Im Jahre 1910 wurde Brodersen die Stelle des verstorbenen städtischen Gartendirek tors von Berlin übertragen. Die Bevölkerung Groß-Berlins verdankt ihm eine große Zahl der schönsten Grünanlagen, welche di« Haupt stadt ausweist. Zu seinen Schöpfungen gehören u. a. die Umgestaltung des alten Botanischen Gartens zum Kleistpark, die Blankenselder Schulgärten, die ausgedehnten Gartenanlagen der Grunewald-Rennbahn und, zahlreiche Spiel- und Sportplätze. Auch die Ausführung des Schillerparkes und die Erweiterung des Viktoria- Parkes erfolgte unter Leitung von Brodersen. Neben seiner amtlichen Tätigkeit als Gar tendirektor der Stadt Berlin sand Brodersen noch Zeit zu zahlreichen Ehrenämtern. Beson ders wertvolle Dienste hat er dem Beruf durch seine Tätigkeit in der Gartenbau- und Friedhos- Berufsgenojsenschaft erwiesen. versand von Gemüse. Wir weisen nachdrücklich darauf hin, daß alles Verpackungsmaterial frühzeitig bestellt werden muß, bei großem Bedarf möglichst einige Monate vor Beginn der Versandzeit. Durch rechtzeitige Bestellung und Vorbereitung der Verpackung wird sür die Ernte selbst kostbare Zeit erspart. Die Lieferanten des Verpackungs- Materials können Aufträge nur bei rechtzeitiger Aufgabe pünktlich erledigen. Ueber Einzelheiten der Verpackung von Ge müse, Weichobst usw. wird in unserem Flugblatt (durch die Hauptgeschäftsstelle zu beziehen zum Preise von M. 0,05) Aufschluß gegeben. Als Lieferanten sind zu empfehlen: Kisten und Steigen: Firma Denke L Sohn, Kistensabrik, Kieslings- Walde, Kr. Habelschwerdt. Firma Heinrich Gerlach, Kistenfabrik, Eisenach, Alexanderstraße 85. Firma I. Grötzingcr, Römhild, Thüringen. Firma Günsel L Co., Kistenfabrik, Eisfeld, Thüringen. Firma Niederrheinischc Van- und Holzver- nrLcitungSgesellschast m. b. H., Straclcn, Kr. Geldern. .Firma Bruno Rothe, Kistenfabrik, Kleinncu- schönberg b. Olbernhau, Sachsen. Firma Holzindustrie G. m. b. Y., Meckenbeuren in Württemberg (Erntekisten). Körbe: Firma I. Grötzinger, Römhild, Thüringen. Firma Ew. Swenson, Niederfinow, Post Hohen finow. Firma Spankorbfabrik der gemeinnützige Vc- schäftignngsstelle G. m. b. H., Karlsruhe in Baden, Durlacher Allee 58. Letztere nur sür waggonweisen Bezug. Säcke: Firma Sundheimer L Strupp, Frankfurt am Main, .Hanauer Landstr. 175/179. Firma Graetz Glückstcin, Sack- und Plan fabrik, Berlin-Pankow, Berliner Str. 69. Papiere: Firma Emil Schwanker L Co., Berlin N. 24, Monbijouplatz 10. Kernobstkartons: Firma Aktien - Gesellschaft für Kartonnagen- industrie, Berlin-Schöneberg, Geneststr. 7/8. Vor Bestellung empfiehlt es sich, bemustertes Preisangebot bei den genannten Firmen ein zuholen. Erfolgreiche GemeinWflsarbeit der Berliner Laudschastsgärluer. 75 Mitglieder vereinigt die Bez.-Gr. der Gartenausführenden von Groß-Berlin. Sicher lich noch eine verhältnismäßig kleine Zahl; aber es sind arbeitssrcudige, von der Bedeutung der Gemeinschaftsarbeit überzeugte Berussange- HSrige, die sich hier zusammengesunden haben, um gemeinsame Berufsangelegenheiten auch ge meinsam zu behandeln und vor allen Dingen" zu versuchen, auf dem Wege der Gemeinschafts arbeit die drückend« wirtschaftliche Not zu be kämpfen. Die Bez.-Gr. der Gartenausfüh- renden von Groß-Berlin ist stets bereit gewesen, die besonderen Interessen der Laudschastsgärtner mit besonderem Nachdruck zu vertreten, sie ist es aber auch gewesen, die die Zusammengehörigkeit des gesamten Be rufes nachdrücklichst betont hat. Beispielgebend wirbt die Bezirksgruppe auf dem Gebiete der Reklame für die Landschaftsgärtncr, obwohl bei der geringen Mitgliederzahl die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel naturgemäß nur sehr beschränkt sein können. Gartenarchitekt Fuhrmann, der Vorsitzende der Kommission zur Durchführung der Vorgartenwettbewerbe, hat es verstanden, seine Mitglieder von der Notwendigkeit größerer Werbemaßnahmen zu überzeugen, und hat sich selbst mit Energie zur Durchführung der von der Bezirtsgruppe ge faßten Beschlüsse zur Verfügung gestellt. Ihm steht eine Reihe von Mitgliedern zur Seiten die mit ihm den Willen haben, die in der Bezirksgruppe beschlossene Gemeinschaftsarbeit in die Tat umzusetzen. Bereits im Vorjahre (s. „Gartenbauwirt- schast" Nr. 90) konnten wir daraus Hinweisen, mit wclchem Geschick es die Kommission ver stand, die Oefsentlichkeit für sich zu gewinnen. Die „grüne Weltstadt" wurde in der gesamten Berliner Tagespresse propagiert und dadurch die von dem jetzigen Obmann der Bezirks- gruppe und dem Vorsitzenden unsers Fachaus schusses für Gartenausführungen, Gartenarchi tekt Ri mann, gegebene Idee sehr schnell in der ganzen Großstadt verbreitet. Geschickt nahmen die Beauftragten der Landschastsgärt- ner das von einem Teil der Berliner Press« geprägte Schlagwort: „Die grüne Weltstadt" auf, um im Jahre 1928 unter diesem Titel die Vorgartenwettbewerbe erneut ins Leben zu rufen. Das Ergebnis der Bestrebungen liegt vor in den Berichten über die Verteilung der Preise am die Teilnehmer am Vorgartenwettbewerb. All: Berliner Blätter berichteten recht ausführlich über die Veranstaltung und werden da durch sicherlich dazu beigetragen haben, nicht nur für die Teilnahme am Vorgartenwettbe werb zu werben, sondern auch die Pflege des Vorgartens an sich dadurch zu propagieren. Tatkraft und Großzügigkeit haben die Land schaftsgärtner wieder ein Stück weitergebracht, und bei der großen Vorliebe der Berliner Be völkerung für Blumen und Pflanzen und Gär ten wird hoffentlich auch die Auswirkung auf den Beschäftigungsgrad der Landfchaftsgärtner in den nächsten Jahren nicht ausbleiben. Das wird vor allen Dingen dann der Fall sein, Jas ungelreue Liebespaar. Roman von Paul Oskar Höcker. Copyright 1927 by August Scherl G. m. b.H„ Berlin. (23. Fortsetzung.) „Da ist sie ja mal wieder, die kleine Prin zessin!" Er wollte sie am Arm fassen. „Du kneifst mir immer aus, Ute, denkst du, ich merk' das nicht?" „Laß mich los, Orge. Du hast mich jetzt die längste Zeit hier in Paretz geärgert. Jetzt kommst du ins Kittchen." „tzalt's Maul, du Grasaff!" Er zerrte sie herum, so daß sie ihm ins Gesicht sehen mußte. Seine Augen waren zum Schlitz zusammen gekniffen. Er bewegte die Lippen kaum, als er nun in scharfem Flüsterton durch die schad haften Zähne vorstieß: „Das sag' ich dir, Kleine, wenn du petzen willst, dann geht dir's dreckig." Sie hatte Furcht vor ihm. Sein Atem ekelte sie. Sie suchte sich freizumachen. Er gab sie nicht frei, hielt aber seine beiden kleinen Finger so eingeklemmt in der Höhlung der Hand, daß sie ihren japanischen Kunstgriff nicht anwenden konnte; inzwischen hatte er ihn bei seinen Ber liner Genoßen selbst erlernt. Er sah sich scheu um. „Hab' doch die Traute und sag' mir ins Gesicht, was los ist." „Zur Landjägerei geh' ich. Du hast die Blautannen auf Wüstrrw abgehackt, und der Ruße hat sie an den Händler in Potsdam verkauft." Er trat zurück, ordentlich erleichtert, und lachte frech. „Kafferei", sagte er fast mitleidig. „Da hinaus soll's? Laß dich doch nicht anblasen." „Erbärmlich, so was!" hielt sie ihm vor. „Für fünfzig Pfennig das Stück! Und jahre lange Arbeit steckt da drin! Ihr habt ja gar keine Ahnung, was für einen Frevel ihr da begangen habt!" „Halt' die Luft an, Ute. Du red'st schon wie euer Profeßor, der lange Eyck. Steckst eben zuviel zusammen mit dem. Denkste denn, ich seh' nicht, wie der immer in deine Kammer mitgeht, abends, wenn alles auf dem Hof schon stille ist?" Jäh war sie zusammengezuckt. „Was sagst du da?!" Er hatte sich, die Hände in den Taschen, dicht vor ihr aufgepflanzt und lachte ihr dreist ins Gesicht. „Mach' doch nicht die Unschuld, Mä'chen. Ich weiß Bescheid. Geh' bloß rein zu dem Grünen und verpetze mich. Dann petze ich auch. Alle hören's dann bei euch. Auch eure affigen Studenten." Er brachte aus den Taschen Zigaretten und Feuerzeug zum Vor schein und begann gemächlich zu rauchen. Tief zog er den Dampf ein und stieß ihn durch die beiden Nasenlöcher, so daß er ihr Gesicht traf und sie zurückwich. „Na, bitte, geh' doch zum Grünen. Willste nich? Gleich rechts ab Hinterm Krug die erste Straße." „Du bist ja so bodenlos schlecht, Orge", sagte sie ganz fassungslos, zitternd vor Aufregung. „Was heißt schlecht? Ich wehr' mich meiner Haut." Auf den Hacken schaukelte er vor ihr, daß die Sohlen aus und nieder klappten, und paffte weiter. „Du bist eben auch noch eine von den Dummen, die sich ausbeuten laßen. Arbeit'st dem Pack für umsonst. Gelacht! Und dein botanischer Profeßor? Der tut schön mit dir, weil er hier nichts Besseres find't, aber draußen trifft er sich mit 'nem feinen Dämchen im Pelz, und mit der zieht er wer weiß wo herum. Heuchler find sie alle miteinander, die Bürgerlichen. Ausbeuter und Heuchler und Schönredner. So einer war auch mein Vater. Ja, was meinst du, feudaler Landjunker, einer von der Garde war's vielleicht. Oder 'n Schlot baron. Und das sag' ich dir: dir wird's auch nicht anders gehn als allen Mä'chen, die sich mit so was einlassen. Im Lazarett ist meine Mutter gestorben. Sie war zuletzt in Unter suchungshaft." Er schleuderte den Zigaretten rest auf die Straße. „Du weißt jetzt Bescheid, Ute." Er steckte die Hände in die Taschen. „Wie du mir, so ich dir. Nu lauf' zum Grünen. Aber von dem Russen, da schweig nur ganz still, das rat' ich dir. Sagst du dem Grünen oder deinem Pflanzenprofessor ein Wort über den, und es setzt 'ne Untersuchung, dann hetzt du dir alle auf den Hals, alle von der Partei. Du — und dein Verhältnis!" Sie stampfte mit dem Fuße auf. „Du sollst nicht... Ach, an dir ist ja alles verloren!" Sie wandte ihm den Rücken und lief davon. Er zündete sich eine neue Zigarette an und sah ihr blinzelnd nach. Sie lief nicht zum Landjäger, sondern bog in die breite Eichenallee ein, die zur Groß gärtnerei führte. Als Roland Nitsches Vater noch lebte, hatte die Weihnachtsfeier auf dem kleinen Paretzer Landgut in patriarchalischer Form stattgefunden. Nach dem Krieg war Roland Nitsche davon ab gekommen. Er haßte jeden Zwang und wollte die Menschen, deren radikale politische und anti kirchliche Einstellung er bei den Wahlgängen zur Genüge erkannt hatte, nicht in die Verlegenheit führen, „Stille Nacht" mitzusingen, bloß damit ihre Frauen und Kinder nicht um ihre Geschenk pakete kamen. Er machte lieber schon mittags Feierabend und bezahlte den Tagelohn voll aus. Die Weihnachtsgratifikationen für die ständigen Hilfskräfte waren von dem kriegsinvaltden Rechnungsführer schon Mitte Dezember an gewiesen. Von fünf Uhr ab war sein Wohn zimmer, in dem ein kleines Tanncnbäumchen stand, mit immer wieder erneuerten Wachs lichtern besteckt, für alle offen, die bei Tee und Zigarre und Harmoniummusik Weihnachts stimmung zu finden wußten. Freunde aus seiner Studentenzeit, Nachbarn aller Stände, meist Junggesellen, stellten sich da ein, oft weither. Frau Krause und die Köchin bedienten, hatten aber ihr Sonntagskleid an; denn sie sollten und wollten als Festgäste gelten. Die Eleven scharten sich um Burkert, der bei solchen Gelegenheiten den Tee mit viel Rum trank und dann un erschöpflich im Erzählen von Schnurren aus seiner äußerst bunten Laufbahn war. Christian Eyck verabschiedete sich diesmal schon zeitig; er folgte einer Einladung nach Berlin. Sein Geschenk für Ute — ein paar Gartenbücher, Weihnachtskonfekt und gefütterte Handschuhe — mußte noch liegen bleiben. AuS Magdeburg war am Morgen, während er aus Wüstrow arbeitete, ein Fernspruch für sie ein- gelaufcn: ihre Tante hatte sich eines in Ost preußen gegebenen Versprechens erinnert und di« Kleine für di« Festtage zu sich eingeladen. So hatte er sie nicht mehr zu sehn bekommen. Ute war ihm in den letzten Tagen überhaupt nur wenig begegnet. Erst jetzt fiel es ihm ein. Etwas Scheues, Verschlossenes hatte sie gehabt, wenn er sie ansprach. Heimweh, dachte or und hatte sich vorgenommen, beim Weihnachts empfang in Nitsches Kreis die Stunde, die er da mitverleben würde, ihr ganz besonders zu widmen. Nun freute er sich darüber, daß sie während der Feiertage endlich einmal in der Gesellschaft von jungen Vettern und Basen fröhlich mit den Fröhlichen sein konnte. Pünktlich um sechs Uhr, wie abgemacht, rief er im Hause Breuil an. (Wenn ihn die Arbeit nicht überwältigte, konnte er ja wirklich Wort halten.) Fe wurde an den Fernsprecher geholt. Ach nein, sie hatte nun doch keine Lust. Sie war ins Briefschreiben geraten, wollt« früh zu Bett gehn, und für urorgen vormittag hatte sie sich doch auf Schloß Strahl angesagt, die Ruhe würde ihr gut tun nach den aufregenden und anstrengenden Wochen der Breullschen Verpflichtungen. Aber da war er nun so sehr enttäuscht und bettelte so herzlich, daß Fe sich schließlich doch überreden ließ. Gut also, sie benutzte um sieben Uhr den Zug nach Werder. Dort möchte er si« in Empfang nehmen. — Herzlich lachte Fe über das vorsintflutliche Laudwägelchen, das er da in Werder aufge trieben hatte. Es ging zuerst über holpriges ' Kopfpflaster, dann über aufgeweichte Land straßen. Ein müder, leiser Regen hatte ein gesetzt. Die Witterung war wenig weihnacht lich. Der Wagen bog bald von der Haupt route ab, aus Weg«, die für Autoverkehr allerdings nicht eingerichtet waren. Sie blieb auf der ganzen Fahrt fremd und kühl. Ein bißchen Spott belebte den Ton zuweilen. Aber er fühlte wohl heraus: sie wollte durchaus nicht an dem Punkt wie der anknüpfen, an dem ihr letztes Beisammen sein abgebrochen hatte. Die Dorfkirche von Winkel-Kapelln war schlecht erleuchtet und schlecht besucht. Im Schiff selbst wgren nach Schluß des Abcnd- gottesdienstes alle Wandlichtcr gelöscht worden. Nur auf der Orgelempore brannten die Talg kerzen auf dem dicken Holzkranz, der dem kleinen Sängerchor leuchtete, und auf den Notenpulten des Streichquartetts. Als sie ein traten, wurde gerade ein Stück aus Bachs Weihnachtsoratorium gesungen. Es war kalt in der Kirche. Fe hatte nasse Füße bekom men; als sie den Wagen verließ, hatte sie bis zum Knöchel durch die Pfützen laufen müssen, die auf der Dorsstraße standen. Sie hüllte sich fester in ihren Pelz und stellte die Füße auf das viel zu hohe Trittbrett. Die Sitzbank war hart, eng und schmal. Fe konnte sich kaum Ungemütlicheres vorstellen als den Aufenthalt hier. Aber dann spielte das Streichquartett ein paar Sätze Beethoven, und Fe empfand, daß es feine Künstler waren. Und hernach begann die freie Phantasie des Organisten, des Freun des von Christian Eyck. Di« Orgel war gut, überraschend gut für ein« Dorfkirche. Und der Organist war ein Meister. Mit Regers Fuge über den Weih nachtschoral leitete er das Spiel ein. Aber der Organist glitt unversehens, indem er zuerst noch eine Weile Regersche Wendungen beibe hielt, in seine eigene Sprache. Steigerungen von unerhört treibender Kraft führten "wie aus Urquellen der Tiefe empor zu einer Art Ver klärung in himmlischen Höhen. In den Bässen ward ein Orgelpunkt festgehalten, in den oberen Stimmen formte sich eines der innigsten Weihnachtskinderlieder wie eine Antwort auf den ernsten Choral, mit dem das Spiel be gonnen hatte. Und als das volle Werk im Maestoso den Orgelpunkt auflöste und der Schluß gekommen schien, blieb doch noch wie verloren im Fernwerr das Weihnachtskinder- liedchen hängen, das sich nun immer mehr ver einfachte, auf kontrapunktische Zwischenstimmen verzichtete, um endlich im schlichten Viersatz in sanftesten Registern die Hörer zu verab- jchiede«, (Fortsetzung folgt.)