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tt»-«-«ee»chk*^<-«-/ V«»/a- S*?a» Mei/»»-, W«,öa« Mch/«- IS. Fortsetzung „Ach sa. vas hätte ich beinahe vergessen Also ich denke, wir sind uns einig, Herr Stürmer — wenn Sie nun die Kontraktformulare unterschreiben wollen?" Und wieder, wie vor wenigen Stunden, stand Hellmut draußen in dem funkelnden, flimmernden Sonnenaold, schloß für eines Herzschlags Dauer die Augen und wußte: Dieser Tag war der entscheidende Wendepunkt seines Lebens und was um ihn her leuchtete und glänzt«, war ein Widerschein der Zukunft: Jugend. Ruhm. Liebel — Ein Kraftwagen fuhr langsam vorüber, Stürmer rief ihn an: „Nach Enkheim. Bachgasse 11." Das kürzte den Weg beträchtlich mehr, als wenn er die elek trische Bahn benutzt hätte. — Verschwendung, na schön, aber 's gibt Stunden, in denen man nicht nach Geldscheinen, son dern nach den Sekunden, di« das Glück uns schenkt, rechnen sollt „Hellmuti Och du liewi Zeit, was haw ich mich er- schrocke!" Das Lou griff nach seinem Arm. zog ihn ins Haus „Is doch nix passiert?" Statt einer Antwort zog er das Mädelchen an sich und küßt« es ab. „Da lies!" „Mutti!" Die Küchentür klappte „Ja was is denn als?I" Frau Settche Bender schlug die Hände zusammen. „Du liew's Herrgöttl« — d'r Herr Stürmeri" „Angenomme is se. sei Operett Is angenomme! Och Muttil" Und plötzlich flog das Zigeunerle Stürmer an den Hals, weint« — weint«. Di« alte Dame schob die beiden in das Zimmer, lächelt«. „Mir scheint, ihr seid als sehr gut Freund' g'worde — ha, nu kann ich m'r auch erkläre, warum du so oft 's Hanne!« und d' Lisa hast b'suche müsse " Noch immer hielt Hellmut das Mädelchen fest. „Gnädige Frau, eigentlich . . . eigentlich wollte ich noch warten, bis ich einen wirklichen großen Erfolg aufweisen könnte, aber nun ist meine Operette von der Oper ange nommen worden und da . . . und da . . ." Jetzt stockte er doch, gab sich dann einen Ruck: „Es ist ein Glückstag, ich möchte Lou behalten behalten für's Leben!" „Liewer Herr Stürmer, das haw ich als komme seh«, awer . . Ihre Eltern!" „Ich bin volljährig!" „Trotzdem!" „Meine Mutter hat mir geschrieben, damals, zu Weih nachten " „Gut." Frau Bender rückt« mechanisch ihr Spitzenhäubchen zurecht: „Daß Sie mir Willkomm« sind, daß ich Si« lieb hab' wie e eigen Sohn, wisse Sel Nun — man soll nix üwereil« und da mein ich als e Jahr is net lang — Wenn Ihr Herr Vadder bei sei'm „Nein" bleibt trotz allem st. Gottes Name — — dann soll zum Christfest Verlowung sein „Und bi» dahin ?!' „Hoff' ich, daß Se öfter den Weg zu uns finn« werde." „Rrrr — wäffl" Etwas Graues schnappte knurrend nach Hellmut» Deinen. Der beugt« sich nieder: „Schnauzerlel Ich glaube gar. du kennst mich nicht mehr!" „Eifersüchtig is r halt," lachte das Zigeunerle. „Komm'. >rav lein. Pfotche gewel Mutti — awer gelt, heut' feire m'r chon so « bissel soll ich rasch mal in d'r Küch' nach- chaue?" „Ja geh nur. lieb' Kind — so, Herr Stürmer, und nu wolle wir beid' mal in Ruh' « Wörtle mitenanner red« ..." Als das Lou in ein«m beigefarbenen Hauskleid eintrat, küßte Hellmut der alten Dame die Hand: „Ich wußte ja, daß es ein Glückstag lei!" Dann nahm «r das Mädelchen in den Arm. küßt« es ganz ungeniert ab: „Die Erlaubnis zur unheimlich heimlichen Verlobung habe ich bekommen, heut« noch schreibe ich an meine Mutter — jetzt heißt es Sturmangriff auf allen Fronten!" Nachdenklich, ein wenig resigniert, blickt« „Schnauzerle" aus klugen, braunen Augen auf das Brautpaar — ihm ahnte, daß er jetzt noch mehr als bisher die Liebe seiner Herrin mit einem anderen teilen müsse — Und so etwas ist auch für einen Philosophen betrübsam. Herr Jean Marlow schenkt« d«n goldtopasfarbigen Bene diktiner in die kleinen Gläschen, lehnt« sich behaglich zurück und sog genießerisch an seiner Zigarre: „Na also, mein Alter, es freut mich aufrichtig, daß du doch noch zur Vernunft gekommen bist." „Was heißt zur Vernunft gekommen?" ereifert« sich Fried- rich Wilhelm Stürmer „Dein Besuch hier ist der beste Beweis dafür. Und — — weißt du, zu dem Schwiegertöchterchen gratuliere ich dir von Herzen!" „Oho! Schwieaertöchterchen!" Der Großindustrielle bekam einen roten Kopf „So weit sind wir noch lange nicht! Das Ansehen habe ich ja gratis. Als was will das Mädel übrigens den Ball besuchen?" Ein ganz leises Lächeln. „Wie mir Herr Holst verraten hat, wird das Zigeunerle getreu seinem Spitznamen als sehr niedliche Zigeunerin er scheinen, sogar in einem stilechten, eigens aus Temesvar be zogenen Kostüm." „Na ja — Zigeunerwirtschaftl" Ein« wegwerfende tzand- bewegung. , ' ' . „Abwarten!" Herr Marlow kippte sein Gläschen: „Für dich habe ich die Uniform eines Wallensteinschen Kürassieroffiziers besorgt . .." „Was?!" l „Ja. natürlich, irgendein« Ma»ke mußt du doch tragen ich I selbst kostümier« mich al» Franziskanerpater, nachher pro- bieren wir an" . „So ein Unfug! Man kommt sich ja vor wie «in Clown!" Der Bankier legte lein« Hand auf da» Knie de» Freunde»: „Lieber Alter, im täglichen Leben müssen wir lo oft un- freiwillig un» selbst und anderen Komödie vorsvielen da meine ich — an einem Tag« im Jahr haben wir da» Recht, da» scheinen zu dürfen, was wir unserem innersten Wesen nach sind — na — Brüstchen!" Drüben, in d«m Erker, tuschelten Frau Stürmer und da, Dinche, tranken Kaffee au» blattdünnen, alten 8evr«stasi«n und blickten sich lächelnd, wie in geheimem Einverständnis, SN „Und welche Verkleidung hat mein Herr Filius gewählt?" fragte Friedrich Wilhelm Stürmer Marlow zuckt« bedauernd di« Achseln: „Ja — wenn ich da» wüßt«! Ich vermut« fast al» Bajazzo . ." „Das wäre sehr passend!" „Aber ich bin meiner Sach« nicht ganz sicher. Holst wußte jedenfalls nichts Bestimmtes." „So ein dämlicher Bengel!" Der alte Herr paffte wütend vor sich hin: „Pfeift auf seine ganze Zukunft, drapiert sich als verkanntes Genie, setzt 'nen Dickkopp auf." „Den hat er von dir! Und was seine Zukunft anbetrifft, da wollen wir doch erst mal die Aufführung der Operette abwarten .." „Wenn nur die Geschichte mit dem Mädel nicht wär« . . „Du meinst Fräulein Bender? Da kann ich dich beruhigen. Sabine und ich verkehren sehr gern dort, di« Dam«n waren auch schon ein paarmal zum Tee bei uns — hätte ich 'nen Sohn, so würde ich mir Glück wünschen, wenn er mir ein so bildhübsches, häusliches, an Leib und Seele kerngesundes Schwiegertöchterchen zuführen würde!" Herr Stürmer zerdrückte di« erst halb aufgerauchte Zigarre im Aschebecher: „Mit anderen Worten: Ich bin ein Rabenvater, ein ver- troddelter Jubelgreis . . ." „Ganz so scharf würde ich das nicht ausgedrückt haben." Herr Jean Marlow lächelte liebenswürdig: „Und wenn es dir nun recht ist, probieren wir uns«r« Kostüme an." Eine dichte Menschenmauer umdrängt« di« Auffahrt, an der in endloser Reihe die Kraftwagen hielten. Fräulein Sabine schlüpfte aus der Limousine, nickt« den beiden Herren noch einmal zu und ging dann hinter Frau Stürmer her nach d«r Damengarderobe. „Verflucht! Das preßt ja niederträchtig!" Der Besitzer der weltberühmten Stürmerwerke versuchte den engen Küraß etwas weiter zu schnallen, aber das war «in untauglicher Ver such am untauglichen Objekt, und dabei roch d«r vergilbt« Stoff der Unterfütterung so intensiv nach Mottenpulver, daß Herr Friedrich Wilhelm niesen mußt«. — Drinnen in dem riesigen Festsaal eine erdrückende Meng«, strahlende Lichtgarben, weiße, rote, blau«, grün«, gelbe Farb«nfl«ck«, schwarz« Seidenmasken, blendend« Frauen schultern, leuchtend« Augenstern«, funkelnder Schmuck, schwül und schwer die Lust trotz d«r rauschenden Ventilatoren, und dazwischen die Klänge der konzertierenden Kapelle, walzend« Paar«, — Fortsetzung folgt! /»elf Ms M LLm» sssssssss Lis / ^sWWWWssSMWiiiWWWiWSSiSWiiSiiWSiiS Verrat. Skizze von Inge Stramm-Berlin. Die Sterne hängen niedrig über der Stadt. Die Luft schmeckt nach Rauch und nach dem Dunst der Hinterhäuser. Aber glitzernde Musik hat sich darin verirrt von einem Rummelplatz, der irgendwo zwischen den Schluchten der Höfe und den ernsten Häusern sich eingenistet hat wie ein Schma rotzer. Da wo gestern noch ein Bretterzaun war — bekleckst mit Wahlaufrufen, die kein Regen abwaschen kann, und halb abgerissenen Plakaten von einem Wanderzirkus —, bauen sich heute viele Lichter zu einem strahlenden Tor. Und wie eine ungeheure Revolution gegen die starren Häuserfronten rings um, ist alles dahinter in Bewegung. Da kreisen mit schnar rendem Laut die großen Glücksräder, da krachen die Schüsse, und eiserne Hämmer schlagen, Schellen klingen. Stählerne Ketten rasseln am Karussell zu einer grellen Musik) und da singt eine Frau.. Alle diese Mnge haben keinen andern Zweck, als das starre Blut der Menschen zu erwärmen. Das ist der Sinn von allem, was sich dort bewegt, was auf mechanischem Wege angetrieben wird oder was der Schlag des Blutes durchpulst. Selbst die Kinder, die im Flittertand hinter den Ein gängen hervorlugen, wissen schon, daß keine Bewegung Aus- druck eigener Empfindungen sein darf, sondern nur Ursache, die Gefühle anderer zu wecken, und zwar nur die lustvollen. Wer dagegen verstößt, wird geächtet. Selten hat jemand den Mut dazu. Auch die Tänzerin Grit Marghesa, die alltags ganz ge wöhnlich Grete Ascher heißt, hat nicht diesen Mut. Aber seit Tagen schleppt sie ein Gefühl mit sich herum wie ein Geheim- nis, das sie bald nicht länger allein tragen kann, das sie offenbaren muß. Davor fürchtet sie sich jeden Abend, wenn sie auf der kleinen Bühne steht, dem nur mit Papier ver- kleideten Bretterverschlag, und wenn sie das Lied vom Heim- weh singt, von dem jede der zehn Strophen in den Kehr- reim endet: „Ich habe Heimweh nach Deinem Herzen . . / Es ist ein sehr langes und ein ganz alltägliches Lied. Sie hat schon viele dieser Art gesungen und sie mit Tanz- schritten begleitet, mit Bewegungen unterstrichen. Manche Lieder waren wirklich frech. Ihre Stimme ist dabei in den Höhen schrill und in den Tiefen heiser, aber immer vibrie- rend von einer aufgeschminkten Sinnlichkeit. Aber seitdem nun schon den dritten Abend der Herr in der zweiten Reihe links sitzt, der mit der Glatze und dem überraschend schmalen Gesicht darunter, spürt sie, daß sie nicht mehr lange so singen kann. Seitdem fürchtet sie sich. Nicht vor der Eifersucht Bills, der mit ihr und Vater den Zirkuskarren teilt. Ach, mit Liebe hat dies alles nichts zu tun. Sondern vor dem Publi kum fürchtet sie sich, vor diesem Mann, mit dem aufmerk samen, aber spöttischen Lächeln, das sie verwirrt und belei- oigt. Er glaubt nicht, was sie spricht. Alle im Publikum glauben es ihr. Junge Mädchen haben Tränen in den Augen. Männer pressen die Lippen und verkrampfen die Hände in den Hosentaschen, wenn sie das Lied vom Heimweh singt. Dieser Mann aber hat sein unberührtes Lächeln. Wie Verhöhnung brennt es ihr im Herzen, ihr Mensch lein, ihr warmes Gefühl. Heimweh . . . denkt sie, und zum ersten Mal tut ihr Herz dabei weh. Erinnerungen wachen auf, die sie weit fort schiebt, denn sie muß ja dies Lied heute abend mit Routine und Eleganz singen, daß sie alle ein biß chen gerührt werden, aber nur nicht zu viel. Dann steht sie wieder auf der Bühne unter dem bunten Licht. Die Musik setzt ein. Grit will ihre Stimme erheben wie immer und sieht doch die Augen des Mannes mit der Glatze so brennend auf sich ruhen. In der ersten Strophe ge- lingt es ihr noch, das Eingelernte herzusagen. Bei dem Kehrreim aber schon zittert ihre Stimme, wird arm und klag, lich. In ihrem Herzen sammelt sich viel Leid, und Erinne rung stürzt über sie. „Ich habe Heimweh nach einem Herzen . . ." sagt sie leise wie ein weinendes Kind, und sie vergißt dabei die Geste. Ihre Hand bleibt eine ganze Zeit leer in der Luft stehen. Die Musik stolpert, weil sie schon voraus ist, und kehrt sehr ungeschickt wieder um. Hinten im Raum lacht jemand. „Ruhe!" sagt der Herr mit der Glatze und erhebt sich von seinem Platz, als könnte er stehend besser sehen. Das Mad- chen sieht kein Lächeln mehr auf seinem Gesicht. Das trägt sie sehr hoch, gleicherweise aber sammelt sich Angst in ihrem Herzen vor dem übrigen Publikum. Sie will rasch die ein gelernten Worte mit den einstudierten Gesten heruntersingen, aber es gelingt ihr nicht. Jedes Wort verwandelt sich in ihrem Munde, alle Tünche fällt ab, ganz nackt und schlicht wird es zum Klang, der nicht schrill ist und nicht heiser, son- der» sanft wie heimliche Klage. Ach, sie spürt, daß alles sie verläßt, was sie bisher gelernt hat, daß sie an den Ueberlieferungen ihrer Umgebung Verrat begeht, daß sie an allen Menschen Verrat begeht, die sie bis heute zu lieben glaubte. Nun spürt sie, dak. alles nur Schein war, Lüge, und zum ersten Mal gibt sie ihr Herz preis, ihr armes, geknechtetes Menschenherz, das sich nach Heimat sehnt. Spürt es jemand im Publikum? Spürt es jemand hinter den Kulissen? . . . Ach, daß jeder dieses gleiche Herz in der Brust trüge, das ist ihre große Scham, das ist es, was sie voreinander verbergen müssen, was sie vergessen wollen, diese Menschen, die sich auf den Rummelplätzen drängen, die mit kindlicher Erwartung eines großen Glückes vor den Würfel buden stehen und die alles das, was sie nicht sind, hinter den sich öffnenden Vorhängen der Tingel-Tangels sehen wollen. Und da kommt jemand und nimmt ihnen alle Illusionen und spielt aufder Bühne nicht mehr Theater, sondern breitet sein eigenes Menschenleid vor sie hin! Was anderes werden sie tun, als ihn ob seiner Schamlosigkeit steinigen? Sie tun es auf eine langsame Art mit Räuspern, Husten, mit Flüstern, auch mit Lachen. Wenige nur stehen auf und gehen einfach hinaus, wie dieses Mädchen da auf der Bühne jede ansetzende Bewegung erstickt. Wie ihre Stimme immer leiser wird, keinen Anschluß an die Musik mehr findet, sich ganz verirrt. Jene sehen es nicht mehr, wie der Herr mit der Glatze plötzlich dicht vor dem Mädchen steht, vor der Bühne, diesem Bretterverschlag, zu dem nur eine Stufe emporführt, wie er ihr seine Hand entgegen streckt. Zn diesem Augenblick aber wird seitlich aus den Kulissen etwas gegen das Mädchen ge schleudert. Es ist ein eisernes Gewicht, wie es zum Stemmen benutzt wird. Es hat nicht viel Schwungkraft. Es trifft das Mädchen am Dein und hinterläßt eine kleine, rasch blutende Wunde. Das Mädchen taumelt. Der Mann mit der Glatze fängt Grit auf. Im Publikum bricht die Empörung los. Eine Frau ruft um Hilfe. Diele drängen nach vorn. In der Tür erscheint klirrend ein Schupomann. Der notiert dann die Namen der Beteiligten sachlich in sein Buch. Der Mann mit der Glatze nennt den seinen mit einer eigentümlichen Beto nung und lächelt dabei ganz leicht in die Augen des Mäd chens, und dieses begreift sofort: „Dr. Rentlow, Theater- direktorl" hat der Mann gesagt. Und da weiß Grit genug und lächelt ein wenig über Bills Eifersucht. Und weiß doch im gleichen Augenblick, daß sie ihn verlassen wird; aber ihr Herz erhellt sich. Erst jetzt verrät sie wirklich ihre ganze Der- gangenheit um den Preis wahrhaften Künstlertums, dem wie durch ein Wunder ein Weg sich öffnet. Dies ist das Geheimnis: Das Theater in seiner Dollen dung, braucht ungeschminktes Menschentum um der Kunst willen, nicht aber oie Kunst um der Menschen willen.