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raucht. Fortan war dcr kleine Gerhart auch in seinen, wie in anderer Äugen der Mittelpunkt der Familie. Er selbst hatte nach einigen Jahren die Universität bezogen, so ost er aber zu den Ferien nach Hanse kam, fand er das schneidige Bürschchen um ein Stück mehr in die Höhe geschossen. Während er dann seinen Bildungsweg vollendete und den Dokterhut erwarb, trat der Junge ins Kadettenhans ein. Wenn er dann wöchentlich einmal bei den Grosseltern speiste, begann er erst schüchtern, allgemach aber mit wachsendem Selbstbewusstsein sich in das Gespräch dcr Erwachsenen eiuzumischen. Der Doktor hatte sein Bureau eröffnet, die Zahl seiner Klienten wuchs, er war ein Mann, der anf eigenen Füßen stand und eine Familie begründen konnte. Gerhart war jüngster Leutnant bei den Gardcreitern. Es kam die Zeit, wo die Inter essen von Onkel und Neffen sich begegneten, und einmal trafen sich beide als Tänzer anf einem Ball. — Dies war für Panl daS Signal, sich nunmehr den alten Herren zuzugesellen, obgleich diese ihm die Berechtigung hierzu kcinccwcgs zugeslehcn wollten. Ja, an den Heranwachsenden Klündern in der Familie merkt man das Altwerden. Und er hatte sich mit viel Gelassenheit darein gefunden. Hier aber — Ivars nicht schauerlich lächerlich, daß er dasselbe Mädchen liebte, wie sein Neffe? .... Er richtete sich stramm auf und reichte Gerhart die Hand. „Ich will es thun, mein Junge." „O Dank, taufendfachen Dank, Onkel. Und bald, damit ich aus der Aufregung heraus komme. Mit Dir wird sie ernsthaft reden. Sage ihr nur recht viel zu meinen Gunsten und bitte sie, sie möge mir das unüberlegte Wort, welches sie verletzte, verzeihem" „Und meinst Du nicht, daß Du zum Heiraten eigentlich noch zu jung bist?" „Mama sagt, wir könnten noch ein paar Jahre warten, wenn wir nur erst verlobt sind. Das findet sich dann. Ein Mädchen wie Hildegard muß man sich bei Zeiten sichern. „Da hast Du recht." „Und — Onkel — ich werde Euer Haus jetzt ein Paar Tage meiden, bis ich Gewißheit habe. Ich besuche Dich täglich im Bureau." „Einverstanden. Ist Dir eine Zigarre gefällig?" Gerhart bediente sich aus dem Kasten, welchen der Doktor ihm hin hielt. Dann schüttelten sie sich die Hände zum Abschied. Bald darauf verkündete dem Vorhof enteilendes Pferdegetrappel, daß der junge Kavallerist das Haus verlassen habe. Er ritt dem Gute feiner Eltern zu, mit der Gewißheit, daß er sein Geschick in die besten Hände gelegt habe. Mit starken Schritten durch maß Doktor Reinhold das Gemach. Das Gespräch mit dem Neffen hatte ihn ins innerste bewegt. Gefühle, die er bereits als üoer- wunden gewähnt, waren aufs neue erwacht und beunruhigten sein klares Denken. Niemals vordem hatte sein Herz für ein weibliches Wesen höher geschlagen, als es vorübergehendes Wohlgefallen, eine Wallung des Augenblicks mit sich bringt. Da Jettchen in feinsinnigster Weise für ihn Sorge trug, so war es den Geschwistern selten in den Sin- glommen, daß eins von ihnen sich vermählen könne. Das stimmungsvolle Behagen ihrer Häuslichkeit zu wahren als unver äußerliches Gut, schien beiden Pflicht, ohne daß man darüber Worte wechselte oder Gelübde ablegte. Und doch hatte es Augenblicke gegeben, wo diese Fundamente sich erschüttert zeigten. Panl Reinhold hatte sich kein Hehl daraus gemacht, daß er Hildegard liebte. Es gab Stunden, wo er sie zu erringen hoffte als höchstes Kleinod seines Lebens, allein Hilde gards mimosenhaftes Zurückweichen, ihre Kälte und Schüchtern heit, ihr herzlicher Verkehr mit Gerhart erschütterten sein Selbst vertrauen und erstickten feine Wünsche. 9. Es hatte die ganze Nacht und auch einen Teil des Vormittags hindurch geregnet. Ein köstlicher Frühjahrsregen, dcr noch in zahllosen, zitternden Tröpfchen an den Spitzen dcr Blätter hängt und aus den Blütenkelchen schimmert. Unter dem Flieder und Goldregen hat er arg gehaust. Der Boden ist bedeckt mit weißen, lila und gelben Uebcrresten, die noch im Ersterben die Erde schmücken. Den Rabatten und Snndwegen entströmt ein bal samischer Duft, der sich auch Einlaß in die geöffneten Fenster des Salons bahnt. Hildegard sitzt vor dem Flügel und schlägt, ost nach langer Pause, einige Akkorde an. Jettcben ordnet in eine Krystallfchale einen Strauß zartrosa angehauchter Magnolien. Sie sieht bei ihrer Beschäftigung sehr glücklich und in sich zufrieden aus. DaS hellgraue Kleid, das sie trägt, umschließt elegant ihre seine Gestalt. Ihr brannes Haar, anf dem ein Schimmer der scheidenden Sonne liegt, leuchtet in einem zarten Goldglanz. Hildegard hat in lässiger Träumerei die Finger auf die Tasten sinken lassen. Sie ist heute sehr zerstreut und hat noch eben darüber nachgedgcht, ob sie wohl Jettchen mittcilcn solle, was gesterp zwischen ihr und Gerhart vorgefallen, doch sich immer wieder zum Schweigen verurteilt; denn sie fürchtet, Jettchen werde dies mal nicht mit ihr zufrieden fein. Sie liebt ja ihren Neffen so innig. Jetzt ist sie ganz und mit jugendlichem Entzücken in Jettchens Anblick versunken nnd ruft mit Enthusiasmus: „Jettchen, Du trägst einen Glorienschein. Wie schön Du anSsichst!" Jettchen lacht. Sie hat ihre Beschäftigung vollendet und setzt die gefüllte Schale auf ein kleines Tischchen, neben dem sie sich niedcrlÜßt. „Kind, Du phantasierst. Was fehlt Dir eigentlich? Du bist heute so sonderbar!" Hildegard ist ansgesprnugen und wirft sich vor Jettchen auf die Knie. Sie legt ihre Arme auf deren Schoß und sieht mit ihren lebhaften, sprechenden Augen zu ihr empor. „Weißt Du, Jettchen, ich wollte, Du wärest immer bei mir gewesen — dann wäre ich anch so gut geworden wie Du. Warum hast Du eigentlich nicht geheiratet?" „Warum?" fragte Jettchen mit einem Erröten, das ihr sehr aut stand. ,Das ist wirklich schwer zu beantworten. Ich kann nicht sagen, es hat mich keiner haben wollen — denn cs fanden sich einige sehr ehrenwerte Männer, welche um mich warben. Aber es befand sich keiner darunter, den ich wirklich von Herzen lieb gehabt hätte. Die Eltern ließen mir ganz freie Wahl, und so blieb ich nnvcrmählt." „Und daran hast Du recht geihan. An Einen gekettet sein fürs Leben, das denke ich mir fürchterlich." „Ja/darüber hilft nur die Liebe hinweg." Hildegard empfand, wie ein Schauer ihre Glieder überrieselte. Sie errötete und wußte nicht warum. „Du bist auch Deinem Brnder unentbehrlich," sagte sie, stand auf und beugte sich über die Magnolien. „Er hat wohl auch nie ans Heiraten gedarbt?" „Das weiß ich nicht — es ist darüber niemals gesprochen worden. Eins aber ist sicher, eine Frau hätte bei ihm einen Himmel gehabt." „Oh!" (Fortsetzung folgt.) 32* Ein nettes Kleeblatt.