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Nein, das kann ich gerade nicht behaupten/' gibt sie mut willig zu. „Waren Sie in Neuhof?" „Nein — wir feierten im Kasino einen Sieg, einen Sieg, zn welchem mir meine „Inno" verholfen hatte. Darf ich eS Ihnen erzählen?" „Gewiß, bitte, ich bin sehr neugierig." „Na, also! — Reite gestern vormittag mit zwei Kameraden, Tümpling und Einsiedel, vom Exerzierplatz. Plötzlich erzittert unter uns die Erde und wir gewahren das Heranbrausen des Schnellzuges. „Was gilts, Kameraden", sage ich, „ein Wettritt. Zehn Flaschen Sekt, wer mit ihm zugleich das nächste Bahnwärter häuschen erreicht." „Hallo!" rufen die anderen, und nun geht die wilde Jagd los. Anfangs war Tümplings Rappe mir eine halbe Pferdelänge über — dann hemmt plötzlich ein Kohlenwagen, der aus einer Seitengasse heraus quer über die Straße segelt, unsere Bahn. Einsiedel und Tümpling biegen aus, ich aber — ein Zungen schlag, ein Drnck mit den Sporen, und meine „Juno" nimmt das Hindernis und setzt schlankweg über den Karren. Dadurch gewinne ich einen grandiosen Vorsprung, lange gleichzeitig mit dem Train, zwei Pferdelängen vor Tümpling, bei dein Ziele an, nicht zu vergessen Einsiedels, schauerlichen Andenkens, der auf seiner „LiSl" langsam nnchgetroddelt kam." „Wundervoll! Ich gratuliere, Herr Leutnant." Sie hat mit allen Zeichen des lebhaftesten Anteils zugehört. Sein hübsches Gesicht hat sich lebhaft gerötet. „Danke, danke, mein gnädiges Fräulein!" Er scheint einen Gedanken in sich zu verarbeiten. Es entsteht eine Pause. Der Leutnant zwirbelt zerstreut seinen Schnurrbart; Hildegard sieht dem Hunde zu, welcher die Spur einer Maus ent deckt zu haben scheint und mit großem Eiser vor der Laubenthür ein Loch grübt. „Wie thöricht von mir — beim Zeus — ich vergeude da die kostbare und seltene Gelegenheit, Sie einmal allein zu sprechen, mit einer unbedeutenden Pserdegeschichte", ruft er, sich' ansrichtend. „Sie war doch sehr interessant", entgegnet sie unbefangen. „Ja — aber es gibt ein anderes Thema, über welches ich mit Ihnen besser plaudern möchte, Komtesse. Ahnen Sie nicht?" „Ich? — Nein." „Sollten Sie cs nicht schon längst erraten haben, daß — daß ich Sie liebe — Hildegard?" Leutnant von Wardenfels sieht sehr echauffiert aus, während er sein Geständnis hervorstammelt. Sie hat sich bei den ersten Worten desselben erheben wollen, sinkt aber tief errötend in ihren Stuhl zurück. Ratlos blickt sie um sich. Sic empfindet nur einen Wunsch — es möchte plötzlich jemand kommen und alles sein, wie vorher. „Herr Leutnant!" „Sagen Sie, daß Sie mich wieder lieben, Hildegard, und daß Sie einwilligen meine Frau zu werden." Er hat ihre Hände erfaßt und sieht sie mit verzehrenden Blicken an. Einen Augenblick begegnen sich ihre Augen. Sie ringt nach Atem,chhre Pulse klopfen, aber ihr Herz findet nichts von der Be< sclignng, welche das liebende Mädchen beim Geständnis des Ge liebten durchzitterf. „Herr Leutnant!" wiederholt sie in äußerster Verlegenheit, und es gelingt ihr, die eine ihrer Hande frei zu machen. Dann erwacht plötzlich der ganze Uebcrmut ihres Temperaments. Sie fühlt sich dem mit seiner Empfindung ringenden Offizier sehr überlegen. „Gerhart — Herr Leutnant! — Ha, ha — wir würden ein komisches Brautpaar abgeben. — Ich kann mir das gar nicht denken." Er schleudert ihre Hand heftig von sich, so daß sie hart an die Kante des Tisches anfliegt und Hildegard einen Schmerzens schrei ausstößt. „So habe ich mich doch in Ihnen getäuscht! — Sie sind eine Kokette wie die anderen." „Kokette?!" ruft sie entrüstet. Ihre Oberlippe hebt sich stolz und läßt die kleinen blitzenden Zähne sehen. Sie wendet sich dem Ausgang zu — aber über die Schulter blickt sie noch einmal zurück. „Das — das — vergesse ich Ihnen niemals." Sein eben noch tief gerötetes Antlitz ist sehr bleich geworden. Unbeweglich bleibt er unter dem Laubeneingang stehen und sieht ihr nach, wie sie flüchtigen Fußes neben dem grünen Wandspalier der unteren Terrasse vorwärts schreitet. Bussi springt an ihr hin- auf und hascht nach ihren Fingern, aber sie beachtet cs nicht. Jetzt eilt sie die Treppen hinan zur zweiten Terrasse und scheint sich ihm zu nähern. Durch die grüne Umbuschung schimmert ihr Helles Ge- wand. Der Hund beginnt zu kläffen — sie ruft ihm zn: „Still — Bussi." — Und jetzr schwebt die lichte Gestalt an der Syringen- hecke hin, welche die obere Garlenpartie umsäumt. Sie hat die Veranda erreicht und verschwindet im Innern des Hauses. Der junge Offizier versinkt noch einen Augenblick in Gedanken. Dann hebt er den Kopf. Auf seinem Antlitz prägen sich Mut und Zuversicht aus. Er schlägt denselben Weg ein, den Hildegard vor kurzem gewandelt ist. Im Hausflur tritt ihm Jettchen entgegen, die eben ihren Be such verabschiedet hat. „Ah — da bist Du ja. — Hast Du Hildegard nicht gesehen? Ist sie nicht im Garten?" „Sie verließ ihn vor einer Weile," stotterte Gerhart ctwaS befangen. — „Aber — Tantchen — kannst Du mir/ nicht sagen, ob Onkel Paul in seinem Zimmer und zu sprechen ist?" „Paul ist vor einer Viertelstunde nach Hanfe gekommen. Geh nur hinauf, er wird Dir gern Audienz geben, mein Junge." „Onkel!" Der Rechtsanwalt blickte auf von seiner Lektüre und nicftc dem Leutnant zu, der noch unter der Thür stand. „8srvus, Gerhart. Suchst Du mich einmal in meiner Bndc auf? Ein seltenes Vergnügen. Nimm Platz." Der leichte, herzliche Ton der Anrede mnlcic den in höchster Aufregung Eingetretcnen wohlthuend an. Er trat einige Schrine näher ins Zimmer und blieb neben dem Ruhesitz stehen, ans welchen des Doktors einladende Gebende hinwieS. Nunmehr erst bemerkte dieser die veränderte Miene, die lebhafte Erregung seines Neffen, dessen Atem heftig ging. Das sonst so heitere Antlitz hatte eine» nnfrohcn, beklommenen Ansdruck und war sehr gerötet. „Was ist Dir?!" „Onkel! — Du mußt mir Helsen. -— Ich liebe Hildegard und will sie heiraten." Der Rechtsanwalt erhob sich plötzlich. Er war erbleicht. Hochausqcrichtet stand er dem Osfizier gegenüber. — So war denn cingetrofien, was er längst voranSgesehen, und doch erschütterte cS ihn wie eine ungeahnte Thatsache. „Und dazu verlangst Du meine Vermittelung?" fragte er rauh und mit einem solchen Ausdruck von Bitterkeit, daß Gerhart stä einen Augenblick seinen Knmmer vergaß und den Onkel mit Be fremden ansah. Schon aber hatte dieser seine Selbstbeherrschung zurückcrlangt. Er legte die Hand auf die Platte seines Schreib tisches und sagte, sich zu einem Lächeln zwingend: „Verläßt Dich, ! den schneidigen Gardereiter, der Mut angesichts eines kleinen Mädchens?" „Bei Gott, Onkel, Du hast nicht Unrecht. Solch eine Liebes erklärung ist ein heikles Ding. Lieber im heftigsten Kugelregen. Aber, laß Dir sagen, die Kavallerieattncke hat schon stntlgesundcn und nun sordere ich Deine Unterstützung als schweres Geschütz, ha, ha! Ich weiß, wie viel Hildegard auf Dein Urteil hält. Sei D» mein Fürsprecher." Er hatte seine frohe Laune zurückerlangt. Hildegards Davon laufen erklärte sich als mädchenhaftes Sträuben. „Wie?!" fragte der Advokat, „so hast Du ihr Deine Liebe schon erklärt?! lind sie?" Er brachte die Fragen nur schwer über die Lippen. Der Leutnant nickte zustimmend. „Sie hat mich ausgelncht, aber ich glanbe, es war ihr nicht ernst mit deni Lachen." Paul holte tief Atem; aber sofort unterdrückte er eine nicht Z» verhehlende, schadenfrohe Regung im Keim, so daß sie für immer erstarb. „Dich ausgelacht! Und Du willst dennoch —" „Ha, ha, Onkel! Wirsind doch nun einmal gute Kameraden. Und dann — erzürnte sie ein unüberlegtes Wort von mir und sic lief davon. Und nun sprich Du mit ihr, bitte. Sei mein Freiwerden Sage ihr, wie sehr ich sie liebe." „Und warnm gerade ich?! Warnm nicht Deine Eltern?!" „Sie wissen schon darum und wünschen herzlich, daß mein Hoffen sich erfüllen möge. Mama glaubt auch bemerkt zn haben, daß ich Hildegard nicht gleichgiltig bin. Aber für mich werben?! Nein, die Gunst mußt Du mir erweisen, Onkel." „Und könnte nicht Jettchen" — „Tante Jettchen eignet sich nicht dazu. Sie ist zu zaghaft, Du mußt für mich sprechen. Du gehst ins Zeug. Dir stehen die rechten Worte zu Gebote. Auch hält sie auf Dich am meisten, und Du bist ja auch ihr Vormund." Noch immer zögerte der Rechtsanwalt mit seiner Zusage. Sein ganzes Empfinden sträubte sich gegen diesen Auftrag. Er selbst liebte Hildegard, darüber war er mit sich im Klaren. Und er sollte den Freiwerbcr abgeben für einen anderen? — Dieser andere war seiner Schwester Sohn, er stand seinem Herzen nahe. Allein immerhin — würde er dessen fähig sein? Und plötzlirb schweiften seine Gedanken zurück in die Vergangenheit- In, cd lagen volle Zwanzig dazwischen, als sein Vater ihn, der gerade aus dem Gymnasium mit einem Arm voller Bücher kam, ustl hinaus nach Neuhof genommen hatte. Dort legte Melanie W ihren kleinen Jungen in die Arme. Er wunderte sich sehr über den winzigen Wicht und war sehr stolz über die Thatsache, daß cr nun Onkel sei. Er selbst war damals schon ein Tertianer vo» fünfzehn Jahren und hatte heimlich längst die erste Zigarre gc'