Volltext Seite (XML)
Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«-Preis 22r Sitbergr. (s Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Weit u. Comp., Jägerstraßc Nr. 28), so wie von allen König!. Post Acmtcrn, angenommen. Literatur des Auslandes. 44. Berlin, Donnerstag den II. April 1844. Italien. Geschichte der italiänischen Poesie, von vr. E. Ruth.") Die Geschichte der romanischen Literaturen ist zwar in neuerer Zeit durch mehrere Monographieen bereichert worden, aber keine derselben, mit Aus nahme der provenyalischen, hat seit Bouterwck in Deutschland eine zusammen hängende Darstellung gefunden. Je dringender das Bedürfniß einer solchen sich täglich herausstellte, desto allgemeinere Thcilnahme darf sich das eben ge nannte Werk versprechen. Zwar entwickelt der wohl zu protestantisch auf tretende Verfasser weder den blendenden Geist eines Gervinus, noch die strenge Gründlichkeit eines Diez oder Ferdinand Wolf, und der Himmel bewahre ihn vor einem französischen Rezensenten, welcher alsbald triumphirend das alte Lied anstimmen würde, daß die deutschen Gelehrten Alles besitzen, nur keinen Stil; aber sein Buch, zu welchem er den Stoff während eines vierjährigen Aufenthalts in Italien selbst sammelte, enthält eine solche Fülle von ausge wählten und gesichteten Thatsachen, von tief eingehenden Betrachtungen über die Natur des Landes und seiner Bewohner, über die wechselnden Einflüsse der Nachbarn oder erobernd eindringenden Völker, über die Wirkungen allge meiner mittelalterlicher Institutionen und einheimischer RegierungSformcn, daß selbst der strengste Kritiker nicht umhin können wird, ein lobendes Urtheil zu fällen. Wir stehen hier nicht in den kritischen Schranken und sprechen mithin unsere Ansicht nur eben im Allgemeinen aus, ohne eine weitere Entwickelung oder Begründung derselben folgen zu lassen, doch finden wir es der Wichtigkeit des Werkes angemessen, dem Faden desselben folgend, unseren Lesern einen kurzen Abriß davon zu geben. Italien war durch ein trauriges Vcrhängniß verurtheilt, sich nie einer nationalen Entwickelung zu erfreuen. Die bereits herrlich aufblühende Bil dung der Etrusker wurde von den Römern plötzlich abgeschnitten. Die Römer selbst aber, in ihrem hcrrschsüchtigen Streben, begeisterten sich wohl für Aeußerungen der Kraft und der Größe, aber die Liebe zur Wissenschaft und Kunst lag nicht in ihrem Charakter. Freilich brachten sie beide später aus Griechenland herüber, aber als eine Beute des Krieges, und deshalb eroberten sie auch nur die Form, welche durch Ostentation erhalten wurde und der Ver gnügungssucht diente. Nur Beredsamkeit und Geschichtschreibung vermochten wirklich Wurzel zu schlagen; die Dichtkunst blieb eine reine Kunstpoefie nach fremden Mustern und verdrängte und verachtete die heimischen Erzeugnisse so wie die heimische Metrik. Deshalb verfiel die Kunst auch sogleich nach der Glanzperiode der Römer in eine unglaubliche Verderbniß. Nicht die Kaiser waren eS, welche durch ihre schlechte Regierung den Staat, das Volk und die Kunst verderbten, sondern Senat und Volk waren selbst schon längst mo ralisch todt, wie am deutlichsten eben daraus hervorgeht, daß sie so schlechte Regenten duldeten. Ja, seit Theodosius besaß kein Römer mehr die Kraft, die Zügel zu führen, und die Regierung gelangte in die Hände von Auslän dern. Darum kann auch die Verlegung der Residenz nach Konstantinopel nicht als Grund für den Verfall von Wissenschaft und Kunst angeführt werden, denn dieser war längst entschieden^ begründet in der Vernichtung jeglicher edlen Eigenschaft und Kraft im Volkscharakter, befördert durch die Ausbreitung des ChristenthumS. Denn seitdem auch gelehrte Männer aus verschiedenen Völkern zur neuen Lehre übertraten, konnte es nicht fehlen, daß sie theils ihre bisherigen Ansichten mit ihr zu verschmelzen suchten, theils eine philosophische Betrachtung und Begründung derselben begannen. Dieser Verwirrung gegen über machte sich das Streben nach Glaubenseinheit geltend, und die Ketzer- Verfolgungen zeigten sich mit einer nie zuvor gekannten Wuth. Je mehr die freie Forschung durch das Dogma beschränkt war, desto heftiger wurde die den Heiden unbekannte Intoleranz und wendete sich fanatisch zerstörend gegen christliche Sekten wie gegen Heiden, und mit der Erhebung dcS ChristenthumS zur StaatSreligion war zugleich die Vernichtung nicht nur dcS heidnischen Gottesdienstes, sondern auch der edelsten Erzeugnisse griechischer wie römischer Wissenschaft und Kunst ausgesprochen. Da brachen die nordischen Eroberer in Italien ein upd fanden einen Staat, der sich längst überlebt hatte, gänzlich aufgelöste Sitte und Alles ver- kchlingenden Egoismus, gänzliche Verleugnug der alten Vaterlandsliebe und aller aus derselben sprossenden Tugenden. Das Verderbniß war so groß, daß die Heruler binnen einem Jahrzehnte, die edlen, kräftigen Gothen binnen sechzig Jahren in demselben spurlos versanken. Erst dem dritten Eroberer, den Longobarden, welche auf der vortrefflichen Grundlage der früheren bauen konnten, gelang es, sich zu halten und ihre rettende Kraft fortwährend geltend zu machen. Diese neu eintretenden, naturkräftigen Elemente erweckten Italien endlich aus dem schweren Todesschlafe, für dessen Gewalt gerade die lange Zeit einen Maßstab giebt, welche verstreichen mußte, bis der neue Aufschwung der Bildung, der Wissenschaft und Kunst fühlbar wurde. Die Barbaren hatten die Entwickelung des Volkes nicht niedergchalten, denn Odoaker regierte dreizehn Jahre friedlich, tolerant und gerecht; unter Theodorich's weiser Herr schaft blühten Handel und Gewerbe, und Cassiodor, Boethius, Spmmachus, Arator führten den letzten Spätsommer römischer Bildung herauf. Die Trümmer des Alterthums wurden gepflegt und geschützt und für die Erhal tung der noch vorhandenen Gebäude und Statuen eigene Behörden zu Rom eingesetzt. Hätte noch irgend Kraft im entarteten Volke gelebt, so mußte sie unter so günstigen Verhältnissen zur Blüthe gedeihen. Leider dauerte aber auch diese schöne Zeit nicht lange. Die Gothenherrschaft unterlag in einem wüthenden Vernichtungskriege den treulosen Griechen, welche das eroberte Land verheerten und ausplündcrten. So raubte Kaiser Konstanz im Jahre 663 alle bronzene Kunstwerke aus Rom, und selbst die bronzenen Dachziegel dcS Pantheons wurden mit fortgeschlcppt; so gebrauchten die in der Engclsburg im Jahre 837 belagerten Griechen zerschlagene Marmor-Statuen als Wurf stücke. Darauf folgten die Longobarden, welche zweihundert Jahre unter einundzwanzig zum Theil sehr talentvollen Königen herrschten; aber die Kirche rief gegen diese freisinnigen Ketzer die gelehrigen Franken zu Hülfe; die Longo barden verloren die Herrschaft, aber nicht den mächtigen Einfluß auf die Ent wickelung eines neuen Volksgeistes. DaS Lehenswesen war umgestaltend und kräftigend bis in das niedrigste Volk gedrungen, und so geschah es, daß sich bei dem Zerfallen der karolingischen Herrschaft in Ober-Italien eine üppige Fülle republikanischer Kraft entwickelte, daß die Kämpfe gegen Ungarn und Sarazenen das Volk erhoben, während die Römer bei jedem neuen Angriff der deutschen Stämme tiefer gefallen waren. Das Volk feierte den Triumph seiner Wiedergeburt, als der mächtige Barbarossa durch den Frieden zu Kon stanz 1183 seine fast völlige Unabhängigkeit anerkennen mußte. Auch in Süd-Italien waren neben oder nach einander große Völker auf getreten, die Gothen, die Griechen, die Longobarden, die poetischen, gebil deten und duldsamen Araber, die ritterlichen Normannen, und es bedurfte nur eines Fürsten wie des zweiten Friedrich, um die herrliche Saat zur reichen Frucht zu bringen. Rom lag zwischen inne, von den Eroberern aus Grundsatz gemieden, ein dunkler Aschenhaufen, auf welchem nur von Zeit zu Zeit eine kraftlose Flamme des ehemaligen Feuers aufblitzte, um alsbald wieder in die allgemeine Nacht zu verschwinden. Auf diesem dunklen Heerde der Schwäche gründete sich mit den Mitteln der Schwäche die durch Finsterniß herrschende Papstgewalt, ein geistiger Despotismus statt des politischen der alten Kaiser. Von hier aus, den egoistischen Zwecken der Kirche dienend, breitete sich Pfaffen- und Mönchs- thum über Europa. Die Klöster lagerten sich wie ein Alp über die Länder und erdrückten überall die nationale Entwickelung; Italien seufzte unter der tiefsten Finstcrniß. Aber die Natur und die Zeit übten bald ihre Rechte. Ein glücklicher Himmel, ein Klima voll der reichsten Abwechselung hielten den Geist des Volkes allen Eindrücken offen; eine doppelte langgestreckte Küste am Mittel meer, der bildungrcichstcn Wasserstraße, brachte fortwährende Anregung von außen. Venedig, Pisa, Genua häuften unermeßliche Reichthümer als Früchte des aufblühcndcn Handels: in ihrem Gefolge ging Verfeinerung und Kunst gefühl, welches, sobald es erst erwachte, sich an den von den Vorfahren er. erbten reichen Kunstschätzen herrlich hcranbilden konnte. Einer bloßen grob sinnlichen und rein materiellen Entwickelung wehrte dagegen das Nittcrthum, welches, Empfindung und Gefühl veredelnd, einen großen Theil des Amtes übernahm, das eigentlich der Kirche zugestanden hätte. Im Süden blühte die Bildung und Dichtkunst der Araber, im Rordwcsten entfaltete sich die 8»)'» «eienra der Provence. So bedurfte es kaum noch eines äußeren An stoßes, um wie mit einem Schlage einen Liederfrühling hervorzuzaubcrn. Die willkommene Aufnahme, welche die Troubadours an dem Hoflager Friedrny Barbaroffa's in Italien fanden, gaben den zahlreichen Fürsten Ober-Italiens ein rasch befolgtes Beispiel, und bald sammelten sich die provenyalischen Dichter an den lombardischen Höfen, hauptsächlich um den Grafen Azzo VII. von Este (1218 — 1264). ') Erster Thai. Lcixzjg, F. A. Brockhau«, I»«. (Schluß folgt.)